Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.328/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     

{T 0/2}            
8C_328/2016

Urteil vom 6. Oktober 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin,
Gerichtsschreiberin Berger Götz.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Barbara Wyler,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Thurgau, Rechts- und Einsprachedienst,
St. Gallerstrasse 11, 8500 Frauenfeld,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente; Revision),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau
vom 6. April 2016.

Sachverhalt:

A. 
Der 1960 geborene A.________ bezog seit 1. Januar 2006 eine Dreiviertelsrente
der Invalidenversicherung (Verfügung der IV-Stelle des Kantons Thurgau vom 13.
Juli 2007). Im Rahmen einer Revision von Amtes wegen liess die IV-Stelle
A.________ in der Zeit vom 25. Juli bis 21. August 2012 observieren
(Ermittlungsbericht der B.________ GmbH vom 23. August 2012) und holte ein
Gutachten des Dr. med. C.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie
FMH, vom 17. Mai 2013 ein. Nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens stellte
sie die Rente mit Verfügung vom 1. Oktober 2013 unter Hinweis auf einen
Invaliditätsgrad von 19 % auf Ende November 2013 ein. Das Verwaltungsgericht
des Kantons Thurgau hiess die dagegen erhobene Beschwerde in dem Sinne gut,
dass es die Verfügung aufhob und die Sache an die Verwaltung zurückwies, damit
diese, nach Einholung eines psychiatrischen Verlaufsgutachtens, über die
Einstellung oder allenfalls Herabsetzung der Rente per Ende November 2013 neu
entscheide (Entscheid vom 4. Juni 2014). Die IV-Stelle veranlasste ein vom 20.
Oktober 2014 datierendes Gutachten bei Dr. med. D.________, Psychiatrisches
Zentrum E.________, führte erneut ein Vorbescheidverfahren durch und bestätigte
mit Verfügung vom 2. März 2015 die Renteneinstellung auf Ende 2013, dieses Mal
gestützt auf einen Invaliditätsgrad von 16 %.

B. 
Das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau wies die dagegen erhobene Beschwerde
ab (Entscheid vom 6. April 2016).

C. 
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und beantragen, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei ihm ab 1.
Dezember 2013 weiterhin eine Dreiviertelsrente auszurichten. Ferner lässt er um
Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung ersuchen.
Das Bundesgericht zieht die Akten bei, führt aber keinen Schriftenwechsel
durch.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt
hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung auf Rüge hin
oder von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht,
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 105 Abs. 2 BGG und Art. 97 Abs. 1 BGG). Als "offensichtlich
unrichtig" gelten die vorinstanzlichen Feststellungen, wenn sie willkürlich
erhoben worden sind (Art. 9 BV; BGE 140 III 115 E. 2 S. 117; allgemein zur
Willkür in der Rechtsanwendung BGE 140 III 16 E. 2.1 S. 18 f.; 138 I 49 E. 7.1
S. 51; 138 III 378 E. 6.1 S. 379 f.; insbesondere zu jener in der
Beweiswürdigung BGE 137 I 58 E. 4.1.2 S. 62; 135 III 127 E. 1.5 S. 129 f.;
Urteil 2C_1143/2013 vom 28. Juli 2014 E. 1.3.4). Das Bundesgericht wendet das
Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG) und ist folglich weder an die in
der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der
Vorinstanz gebunden (BGE 134 I 65 E. 1.3 S. 67 f.; 134 V 250 E. 1.2 S. 252, je
mit Hinweisen).

2. 
Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze zum Begriff der Invalidität
(Art. 4 Abs. 1 IVG in Verbindung mit Art. 8 Abs. 1 ATSG), zum Anspruch auf eine
Invalidenrente (Art. 28 Abs. 1 und 2 IVG), zu den Voraussetzungen einer
Revision der Invalidenrente (Art. 17 ATSG; BGE 134 V 131 E. 3 S. 132 mit
Hinweisen), namentlich zu den zeitlichen Vergleichspunkten (BGE 133 V 108 E.
5.4 S. 114; 130 V 71) sowie zum Beweiswert und zur Beweiswürdigung
medizinischer Berichte und Gutachten (BGE 137 V 210 E. 6.2.2 S. 269; 134 V 231
E. 5.1 S. 232; 125 V 351 E. 3a S. 352) zutreffend dargelegt. Darauf wird
verwiesen.

3. 
Streitig und zu prüfen ist, ob sich der Gesundheitszustand des Versicherten
zwischen der Rentenverfügung vom 13. Juli 2007 und der streitigen
Revisionsverfügung vom 2. März 2015 massgeblich verändert hat (vgl. BGE 133 V
108 E. 5 S. 11 ff.).

3.1. Die Vorinstanz bejaht das Vorliegen des Revisionsgrundes einer
gesundheitlichen Verbesserung mit erheblichen Auswirkungen auf die
Arbeitsfähigkeit mit Blick auf die Expertise des Dr. med. F.________, Facharzt
für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, vom 23. März 2007 einerseits und die
Gutachten des Dr. med. C.________ vom 17. Mai 2013 und des Dr. med. D.________
vom 20. Oktober 2014 andererseits. Dr. med. F.________ habe im März 2007 eine
lediglich 50%ige Arbeitsfähigkeit in einer adaptierten Beschäftigung
festgestellt. Spätestens ab März 2013 sei offensichtlich nicht mehr von einer
invalidisierenden Einschränkung der Arbeitsfähigkeit auszugehen. Selbst wenn
das Störungsbild mit Dr. med. D.________ im Sinne einer Differentialdiagnose
zur Simulation als Somatisierungsstörung mit abnormem Krankheitsverhalten
interpretiert würde, wäre von einer mindestens 80%igen Arbeitsfähigkeit
auszugehen, die sich nicht rentenbegründend auswirke.

3.2. Der Beschwerdeführer lässt einwenden, auf das Gutachten des Dr. med.
D.________ könne nicht abgestellt werden, weil es weder nachvollziehbar noch
"in sich geschlossen" sei. Es stütze sich unter anderem auf nicht
aussagekräftiges Videomaterial einer Observation und setze sich nicht
ausreichend mit den medizinischen Vorberichten auseinander. Daher sei nicht
ersichtlich, inwiefern sich der Gesundheitszustand erheblich und dauernd
verbessert haben sollte.

3.2.1. Der Versicherte übersieht bei seiner Argumentation, dass die Vorinstanz
neben dem Gutachten des Dr. med. D.________ vom 20. Oktober 2014 auch die
Expertise des Dr. med. C.________ vom 17. Mai 2013 als vollumfänglich
beweiskräftig einstuft. Für die Verlaufsbegutachtung durch Dr. med. D.________
war die Frage ausschlaggebend, ob sich der Gesundheitszustand seit der
Begutachtung durch Dr. med. C.________ verändert hatte. Dies verneint Dr. med.
D.________ in seiner Expertise ausdrücklich. Dr. med. C.________ war gestützt
auf die Exploration vom 22. März 2013 zum Schluss gelangt, dass keine
psychiatrische Diagnose zu stellen sei. Es deute viel auf Aggravation oder
sogar Simulation hin. Aufgrund der unklaren Aktenlage sei es nicht möglich
anzugeben, seit wann sich der Zustand gebessert habe; ab Untersuchung sei
jedenfalls die Arbeitsfähigkeit aus psychiatrischer Sicht nicht mehr
eingeschränkt. Auch Dr. med. D.________ stellt neben der Diagnose einer
akzentuierten Persönlichkeit mit emotional-instabilen und sensitiven Zügen eine
undifferenzierte Somatisierungsstörung mit abnormem Krankheitsverhalten bzw.
eine Simulation zur Diskussion. Gestützt auf die früheren medizinischen
Berichte erhalte man den Eindruck, dass damals typische depressive Zeichen das
klinische Zustandsbild stärker als heute geprägt hätten. Interpretiere man das
Verhalten als eine Form der Somatisierungsstörung, so sei eine
Mindestarbeitsfähigkeit von 80 % (bzw. "ein maximaler Abstrich an seiner
Gesamtarbeitsfähigkeit von ca. 20 %") anzunehmen, bei Annahme einer reinen
Simulation dürften diese Überlegungen entfallen. Beide Experten gehen wegen der
rückläufigen depressiven Zeichen von einer Besserung des psychischen Leidens
seit der Rentenzusprache im Juli 2007 aus, ohne sich bezüglich des Eintritts
der Besserung genauer äussern zu können.

Es ist dem Versicherten zuzustimmen, dass der Beweiswert eines zwecks
Rentenrevision erstellten Gutachtens wesentlich davon abhängt, ob es sich
ausreichend auf das Beweisthema - erhebliche Änderung (en) des Sachverhalts -
bezieht. Vorbehalten bleiben allerdings Sachlagen, in denen es evident ist,
dass die gesundheitlichen Verhältnisse sich verändert haben (Urteile 8C_441/
2012 vom 25. Juli 2013 E. 6.1.2, in: SVR 2013 IV Nr. 44 S. 134, und 9C_418/2010
vom 29. August 2011 E. 4.2, in: SVR 2012 IV Nr. 18 S. 81). Dr. med. F.________
hatte vorliegend im März 2007 noch eine mittelgradige depressive Störung mit
somatischem Syndrom vor dem Hintergrund akzentuierter Persönlichkeitszüge
diagnostiziert. Im Gutachten des Dr. med. D.________ findet eine ausführliche
Auseinandersetzung mit den Diagnosen statt, welche von den behandelnden
medizinischen Fachpersonen im Laufe der Zeit gestellt worden waren und es wird
dargelegt, aus welchen Gründen der Experte - falls nicht sogar von einer reinen
Simulation auszugehen sei - (aktuell) höchstens eine Somatisierungsstörung als
möglicherweise gegeben erachtet. Dr. med. C.________ kann keine psychiatrische
Diagnose mehr stellen. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers liegt damit
gestützt auf die beiden Gutachten vom 17. Mai 2013 und 20. Oktober 2014 die
gesundheitliche Verbesserung auf der Hand. Bei seiner Argumentation, wonach
zwischen den Feststellungen des Dr. med. D.________ und denjenigen des Dr. med.
F.________ (vom 23. März 2007) ein Widerspruch bestehe, übersieht der
Beschwerdeführer eben gerade, dass sich diese fachärztlichen Meinungen auf
verschiedene Zeiten beziehen. Das kantonale Gericht legt zudem einlässlich dar,
aus welchen Gründen die Berichte der behandelnden Ärzte, so auch die
Stellungnahme des Dr. med. G.________, Facharzt für Psychiatrie und
Psychotherapie FMH, vom 20. April 2015, an diesem Ergebnis nichts zu ändern
vermögen. Darauf kann verwiesen werden.

3.2.2. Es ist im Übrigen nicht nachvollziehbar, aus welchem Grund der
Versicherte davon ausgeht, Dr. med. D.________ habe sich auf nicht
aussagekräftiges Videomaterial aus der Observation abgestützt. Dr. med.
D.________ wie auch schon Dr. med. C.________ konnten nach Sichtung der
Aufzeichnungen zu den offensichtlichen Diskrepanzen zwischen den Angaben des
Versicherten (so unter anderem, dass er nicht mehr selber Auto fahre) und den
Ergebnissen der Observation (er wurde nicht nur vereinzelt beim Führen eines
Personenwagens angetroffen) Stellung nehmen. Ausserdem waren ihnen aus der
gezeigten ungehinderten Gestaltung von Alltagsaktivitäten neben dem Verhalten
in der Untersuchungssituation ergänzende Rückschlüsse auf den psychischen
Gesundheitszustand möglich.

4. 
Die in der Beschwerde erhobenen Einwendungen vermögen allesamt keine
willkürliche, Bundesrecht verletzende vorinstanzliche Beweiswürdigung zu
begründen. Sie sind nicht geeignet, die entscheidwesentlichen
Sachverhaltsdarstellungen des kantonalen Gerichts als offensichtlich unrichtig
oder in anderer Weise rechtswidrig erscheinen zu lassen. Da die Beschwerde
offensichtlich unbegründet ist, wird sie im Verfahren nach Art. 109 Abs. 2 lit.
a BGG mit summarischer Begründung und unter Verweis auf den angefochtenen
Entscheid (Art. 109 Abs. 3 BGG) erledigt.

5. 
Der Prozess ist kostenpflichtig (Art. 65 Abs. 4 lit. a BGG). Die Gerichtskosten
sind dem Ausgang des Verfahrens entsprechend dem Beschwerdeführer aufzuerlegen
(Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Seinem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege
(Prozessführung, Verbeiständung) für den letztinstanzlichen Prozess kann wegen
Aussichtslosigkeit der Beschwerde nicht stattgegeben werden (Art. 64 Abs. 1 und
2 BGG). Es kann daher an dieser Stelle offen bleiben, ob die
Rechtsschutzversicherung des Versicherten für dieses Verfahren Leistungen zu
erbringen hätte und die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege auch aus
diesem Grund nicht in Frage käme.

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und
dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 6. Oktober 2016

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Die Gerichtsschreiberin: Berger Götz

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