Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.310/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_310/2016

Urteil vom 7. Dezember 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin,
Gerichtsschreiber Lanz.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Lotti Sigg,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich,
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (unentgeltliche Verbeiständung; Verwaltungsverfahren),

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 3. März 2016.

Sachverhalt:

A. 
Mit Vorbescheid vom 27. Juli 2012 stellte die IV-Stelle des Kantons Zürich dem
1970 geborenen A.________ in Aussicht, die ihm seit Februar 2010 ausgerichtete
halbe Invalidenrente ab März 2012 revisionsweise auf eine ganze Rente zu
erhöhen. Der Versicherte machte hierauf geltend, die Erhöhung sei bereits auf
einen früheren Zeitpunkt vorzunehmen. Zudem ersuchte er um Gewährung der
unentgeltlichen Verbeiständung für das Verwaltungsverfahren. Am 5. März 2013
teilte ihm die IV-Stelle mit, bei den derzeitigen Verhältnissen seien die
Voraussetzungen für die unentgeltliche Verbeiständung erfüllt. Nach der
materiellen Rentenverfügung sei eine Kostennote einzureichen. Hierauf werde,
soweit die Voraussetzungen weiterhin erfüllt seien, über die Höhe der
Entschädigung befunden. Nach Sachverhaltsabklärungen und einem weiteren
Vorbescheidverfahren erhöhte die IV-Stelle mit Verfügung vom 26. August 2015
die halbe Rente rückwirkend ab September 2011 auf eine ganze Rente. Zudem
überwies sie A.________ Rentennachzahlungen für die Zeit von September 2011 bis
August 2015 im Betrag von Fr. 31'870.-. Am 28. August 2015 reichte die
Rechtsvertreterin des Versicherten eine Kostennote ein, in der sie ihr Honorar
für das Verwaltungsverfahren auf Fr. 2'704.75 (inkl. Spesen und Mehrwertsteuer)
bezifferte. Mit Verfügung vom 24. November 2015 wies die IV-Stelle das Gesuch
um unentgeltliche Verbeiständung ab, da der Versicherte nicht mehr bedürftig
sei.

B. 
Beschwerdeweise beantragte A.________, in Aufhebung der Verfügung vom 24.
November 2015 sei ihm für beide Einwandverfahren die unentgeltliche
Verbeiständung zu gewähren; seine Anwältin sei als unentgeltliche
Rechtsvertreterin einzusetzen und ihr sei der Betrag von Fr. 2'704.75 zuzüglich
Verzugszinsen zuzusprechen; eventuell sei für das erste Einwandverfahren die
unentgeltliche Verbeiständung zu gewähren, seine Anwältin als unentgeltliche
Rechtsvertreterin einzusetzen und ihr der Betrag von Fr. 1'916.65 zuzüglich
Verzugszinsen zuzusprechen. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich
gewährte A.________ die unentgeltliche Verbeiständung für das kantonale
Verfahren und wies die Beschwerde ab (Entscheid vom 3. März 2016).

C. 
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Er
beantragt die Aufhebung des kantonalen Entscheids und erneuert seine
vorinstanzlichen Rechtsbegehren zur unentgeltlichen Verbeiständung im
Verwaltungsverfahren, mit der Ergänzung, der geltend gemachte Verzugszins sei
ab 28. August 2015 zusprechen. Weiter wird um Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege für das letztinstanzliche Verfahren ersucht.

Die IV-Stelle beantragt Abweisung der Beschwerde, ohne sich weiter zur Sache zu
äussern. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine
Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), doch prüft es, unter
Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1
und 2 BGG), nur die geltend gemachten Vorbringen, falls allfällige weitere
rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 138 I 274 E. 1.6 S.
280; vgl. auch BGE 141 V 234 E. 1 S. 236; 140 V 136 E. 1.1 S. 137 f.). Das
Bundesgericht kann die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und
interkantonalem Recht nur insofern prüfen, als eine solche Rüge in der
Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG). Es legt
seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat
(Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen
oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2. 
Streitig und zu prüfen ist, ob der vorinstanzliche Entscheid, wonach die
unentgeltliche Verbeiständung für das Verwaltungsverfahren zu Recht verweigert
wurde, gegen Bundesrecht verstösst.

Gerügt wird in der Beschwerde in erster Linie eine Verletzung des Anspruchs auf
unentgeltliche Verbeiständung gemäss Art. 29 Abs. 3 BV. Nach dieser
Verfassungsnorm hat jede Partei, die nicht über die erforderlichen Mittel
verfügt, Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn ihr Rechtsbegehren
nicht aussichtslos erscheint; soweit es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist,
hat sie ausserdem Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand. Dies gilt für
das Gerichts- wie für das Verwaltungsverfahren (BGE 128 I 225 E. 2.3 S. 227 mit
Hinweis).

3. 
Die Vorinstanz hat, in Bestätigung der angefochtenen Verfügung, den Anspruch
auf unentgeltliche Verbeiständung im Verwaltungsverfahren mit der Begründung
verneint, die finanziellen Mittel des Versicherten genügten, um die
angefallenen Kosten seiner Rechtsvertreterin von Fr. 2'704.75 zu bezahlen.
Verneint wird mithin die finanzielle Bedürftigkeit. Offensichtlich bejaht
wurden hingegen die übrigen Voraussetzungen der unentgeltlichen Verbeiständung.

4.

4.1. Das kantonale Gericht hat bei der Prüfung der Bedürftigkeit als erstes
erwogen, pro Monat seien Einnahmen von Fr. 2'543.- und Auslagen von Fr.
2'424.65 zu verzeichnen. Daraus resultiere ein Einnahmenüberschuss von Fr.
118.35.

Der Beschwerdeführer wendet ein, auf der Ausgabenseite seien zusätzlich
Diätkosten wegen Diabetes anzurechnen. Solche Kosten hat er aber nach Lage der
Akten weder im Verwaltungs- noch im kantonalen Beschwerdeverfahren beziffert.
Er holt dies auch letztinstanzlich nicht nach, wobei ohnehin fraglich ist, ob
dies überhaupt novenrechtlich (Art. 99 Abs. 1 BGG) zulässig wäre. Damit können
solche Kosten nicht berücksichtigt werden.

4.2. Die Vorinstanz hat sich im Weiteren damit befasst, ob der Beschwerdeführer
über Vermögen verfügt, welches gegebenenfalls zur Bestreitung der Anwaltskosten
verwendet werden könnte. Es hat erwogen, dem Versicherten sei zwar im Jahr 2015
eine Rentennachzahlung von Fr. 31'870.- ausgerichtet worden. Dieser Betrag
könne aber nicht berücksichtigt werden, da er unter den Ansätzen für den
Vermögensfreibetrag von alleinstehenden Personen liege. Weiteres Vermögen liege
nicht vor.

Ob ein so hoher Vermögensfreibetrag (im Sinne einer Notreserve, eines
"Notgroschens") Bundesrecht entspricht, bedürfte grundsätzlicher näherer
Betrachtung, kann aber offen bleiben. Denn der Versicherte hat schon im
kantonalen Verfahren geltend gemacht, er habe die Rentennachzahlung für die
Rückerstattung bezogener Zusatzleistungen zur IV zu verwenden. Dies belegt er
auch mit Verfügungen der kommunalen Durchführungsstelle Zusatzleistungen zur
AHV/IV, in welchen eine solche Rückerstattung aufgrund der rückwirkenden
Erhöhung der IV-Rente von ihm verlangt wird.

4.3. Nach dem Gesagten bleibt es bei einem Einkommensüberschuss von Fr. 118.35
im Monat und der Feststellung, dass kein Vermögen vorhanden ist.

5.

5.1. Das kantonale Gericht hat erwogen, die Grenze der Geringfügigkeit, bis zu
der eine Person nicht jeden Franken für die Prozesskosten einzusetzen habe, sei
bei einem Einkommensüberschuss von ca. Fr. 100.- zu ziehen. Mit dem gegebenen
Einnahmenüberschuss von Fr. 118.35 werde es dem Beschwerdeführer möglich sein,
die Kosten der Rechtsvertretung von Fr. 2'704.75 ratenweise innerhalb eines
Zeitraums von 23 Monaten zu tilgen. Insgesamt erscheine der Einnahmenüberschuss
von Fr. 118.35 gerade noch als nicht geringfügig. Dem Beschwerdeführer sei
daher zuzumuten, die Kosten der Rechtsvertretung im Verwaltungsverfahren
ratenweise zu tilgen.

5.2. Diese Beurteilung rügt der Beschwerdeführer zu Recht als
verfassungswidrig. Ob ein gegebener Einkommensüberschuss genügt, um
Verfahrenskosten zu bezahlen, kann sich nicht nach einer festen Betragsgrenze
bestimmen. Zu berücksichtigen sind vielmehr die gesamten finanziellen
Verhältnisse. Sodann mag zwar sein, dass - wie vom kantonalen Gericht erwogen -
in einzelnen Urteilen und einem Teil der Lehre derart lange Abzahlungsdauern
für zumutbar erachtet wurden. Das kann aber jedenfalls dann nicht gelten, wenn
sich wie hier die Einkünfte/Ausgaben auf einem sehr niedrigen Niveau bewegen,
mit entsprechend geringem Spielraum bei der Geldverwendung, und darüber hinaus
auch keinerlei Vermögen vorhanden ist, d.h. nicht einmal ein "Notgroschen",
welcher für unvorhergesehene dringende Ausgaben zur Verfügung stünde. Zwar
lässt sich aus Art. 29 Abs. 3 BV kein Anspruch auf Äufnung eines Notgroschens
ableiten (Urteil 5A_612/2010 vom 26. Oktober 2010 E. 2.4 mit Hinweis; vgl. auch
Urteil 4A_664/2015 vom 19. Mai 2016 E. 4.2.2 mit weiteren Hinweisen). Sind die
finanziellen Verhältnisse aber derart beengt, kann ein Einkommensüberschuss von
Fr. 118.35 nicht genügen, um der gesuchstellenden Person die Bezahlung ihrer
Anwaltskosten zuzumuten. So wurde denn auch im Urteil 9C_253/2009 vom 11.
Januar 2010 E. 4.4 entschieden, ein Einkommensüberschuss von Fr. 111.70 genüge
selbst bei vorhandenem Notgroschen nicht, um Gerichtskosten von geschätzt Fr.
800.- und Anwaltskosten, welche Fr. 600.- klar überstiegen, aber ansonsten noch
nicht beziffert waren, zu bezahlen.

5.3. Nach dem Gesagten verletzt die Verneinung der finanziellen Bedürftigkeit
und damit einhergehend die Verweigerung der unentgeltlichen Verbeiständung für
das Verwaltungsverfahren Art. 29 Abs. 3 BV. Die Beschwerde ist daher
diesbezüglich gutzuheissen, ohne dass noch geprüft werden muss, wie es sich mit
den weiteren Rügen des Versicherten verhält.

6. 
Auf die Anträge zum Entschädigungsbetrag, welcher der unentgeltlichen
Rechtsvertreterin zuzusprechen ist, und zum darauf gegebenenfalls zu
entrichtenden Verzugszins kann nicht eingetreten werden. Hiefür hat die
unentgeltliche Rechtsvertreterin selber den Rechtsweg zu beschreiten (vgl. BGE
140 V 116 E. 4 S. 121), sofern sich keine Einigung mit der Verwaltung ergibt.

7. 
Die Beschwerdegegnerin ist als weitgehend unterliegend zu betrachten und hat
daher die Kosten des Verfahrens zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sie hat
überdies dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68
Abs. 1 und 2 BGG). Damit ist das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege für das
letztinstanzliche Verfahren gegenstandslos.
 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist. Der
Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 3. März 2016
und die Verfügung der IV-Stelle des Kantons Zürich vom 24. November 2015 werden
aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer Anspruch auf
unentgeltliche Verbeiständung im Verwaltungsverfahren hat.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdegegnerin hat die Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers für das
bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

4. 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen
Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich zurückgewiesen.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 7. Dezember 2016

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Der Gerichtsschreiber: Lanz

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