Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.30/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_30/2016

Urteil vom 8. März 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiber Lanz.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch B.________,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Aargau,
Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau
vom 26. November 2015.

Sachverhalt:

A. 
Mit Verfügung vom 29. September 2015 verneinte die IV-Stelle des Kantons Aargau
einen Anspruch des 1953 geborenen A.________ auf eine Invalidenrente der
Invalidenversicherung.

B. 
A.________ erhob hiegegen mit Eingabe vom 30. Oktober 2015 Beschwerde beim
Versicherungsgericht des Kantons Aargau. Er beantragte, die Verfügung vom 29.
September 2015 sei aufzuheben und es sei ihm die unentgeltliche Rechtspflege zu
gewähren. Zudem ersuchte er um Gewährung einer Frist bis 15. November 2015 zur
Einreichung einer kompletten Beschwerdeschrift und der für die Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege erforderlichen Unterlagen.
Mit Schreiben vom 2. November 2015 forderte das Versicherungsgericht A.________
auf, die angefochtene Verfügung einzureichen. Zudem hielt es fest, die
Beschwerde genüge den formalen Anforderungen nicht. Die angefochtene Verfügung
und eine verbesserte Beschwerdefrist seien innerhalb einer Nachfrist bis 15.
November 2015 einzureichen, ansonsten auf die Beschwerde nicht eingetreten
werde. Mit einem weiteren Schreiben vom 2. November 2015 stellte das
Versicherungsgericht A.________ das Formular betreffend unentgeltliche
Rechtspflege zu und forderte ihn auf, dieses innert 30 Tagen auszufüllen und
mit den erforderlichen Belegen einzureichen. Bis zur Einreichung bleibe das
Verfahren betreffend unentgeltliche Rechtspflege sistiert. Im Unterlassungsfall
werde das Gesuch abgewiesen.
Mit Eingabe vom 19. November 2015 (Datum Poststempel) reichte A.________ eine
verbesserte Beschwerde und - nebst weiteren Unterlagen zur Stützung des
Beschwerdeantrages - die angefochtene Verfügung ein. Er ersuchte hiebei um
"Wiedereinsetzung in den vorigen Stand", da es ihm nicht möglich gewesen sei,
die Beschwerdeverbesserung innert der Nachfrist einzureichen.
Mit Entscheid vom 26. November 2015 trat das Versicherungsgericht auf die
Beschwerde nicht ein, da die Eingabe vom 30. Oktober 2015 den gesetzlichen
Anforderungen nicht genüge und die verbesserte Beschwerdeschrift erst nach
Ablauf der Nachfrist eingereicht worden sei. Es auferlegte A.________ die
Verfahrenskosten von Fr. 200.-.

C. 
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
Rechtsbegehren, der Entscheid vom 26. November 2015 sei aufzuheben und die
Sache sei "zur Durchführung eines sachlichen Verfahrens" (materielle
Beurteilung) an die Vorinstanz zurückzuweisen. Zudem wird um Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren ersucht.
Die IV-Stelle verweist auf die Erwägungen im angefochtenen Entscheid sowie auf
ihre Verfügung vom 29. September 2015, ohne sich weiter zu äussern. Das
kantonale Gericht und das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf
eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht zu Recht unter Auferlegung
der Verfahrenskosten an den Beschwerdeführer auf die Beschwerde nicht
eingetreten ist.
Der Beschwerdeführer verneint dies mit der Begründung, die Vorinstanz habe
weder seinen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand und die von
ihm hiezu abgegebene Begründung noch sein Gesuch um Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege behandelt. Dadurch sei sein Recht verletzt worden.

2. 
Der damit angerufene Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 29 Abs. 2 BV
verlangt, dass die Behörde die Vorbringen des vom Entscheid in seiner
Rechtsstellung Betroffenen auch tatsächlich hört, prüft und in der
Entscheidfindung berücksichtigt. Daraus folgt die Verpflichtung der Behörde,
ihren Entscheid zu begründen. Dabei ist es nicht erforderlich, dass sie sich
mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzt und jedes einzelne
Vorbringen ausdrücklich widerlegt. Vielmehr kann sie sich auf die für den
Entscheid wesentlichen Punkte beschränken. Die Begründung muss so abgefasst
sein, dass sich der Betroffene über die Tragweite des Entscheids Rechenschaft
geben und ihn in voller Kenntnis der Sache an die höhere Instanz weiterziehen
kann. In diesem Sinne müssen wenigstens kurz die Überlegungen genannt werden,
von denen sich die Behörde hat leiten lassen und auf die sich ihr Entscheid
stützt (BGE 136 I 229 E. 5.2 S. 236; vgl. auch BGE 141 IV 249 E. 1.3.1 S. 253;
139 V 496 E. 5.1 S. 503 f.; je mit Hinweisen). Der Anspruch auf rechtliches
Gehör ist namentlich verletzt, wenn Parteivorbringen übersehen oder Anträge
nicht behandelt werden (Urteil 9C_874/2014 vom 2. September 2015 E. 4.1; in Pra
2004 Nr. 31 S. 151 veröffentlichtes Urteil 4P.248/2002 vom 21. Februar 2003 E.
3.1; je mit Hinweisen).

3.

3.1. Ist die gesuchstellende Person oder ihre Vertretung unverschuldeterweise
abgehalten worden, binnen Frist zu handeln, so wird diese wieder hergestellt,
sofern sie unter Angabe des Grundes innert 30 Tagen nach Wegfall des
Hindernisses darum ersucht und die versäumte Rechtshandlung nachholt (Art. 41
in Verbindung mit Art. 60 Abs. 2 ATSG).
Die Vorinstanz hat dem Beschwerdeführer eine Nachfrist bis 15. November 2015
zur Einreichung einer verbesserten Beschwerdeschrift gestellt. Mit Eingabe vom
19. November 2015 hat der Beschwerdeführer mit dem Antrag auf "Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand" ein Gesuch um Wiederherstellung der angesetzten Frist
gestellt und eine verbesserte Beschwerdeschrift nachgereicht. Das kantonale
Gericht hat im angefochtenen Entscheid auf Nichteintreten erkannt, da die erste
Beschwerdeschrift den gesetzlichen Anforderungen nicht genüge und die
verbesserte Beschwerdeschrift erst nach Ablauf der Nachfrist eingereicht worden
sei. Es hat sich aber nicht mit dem Fristwiederherstellungsgesuch befasst,
obschon die Eintretensfrage offensichtlich auch von dessen Behandlung abhängt.

3.2. Im Weiteren hat die Vorinstanz im Entscheid vom 26. November 2015 dem
Beschwerdeführer Verfahrenskosten auferlegt, ohne sich mit seinem auch auf die
Befreiung von solchen Kosten gerichteten Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege
zu befassen. Sie hat diesen Kostenentscheid überdies vor Ablauf der 30tägigen
Frist erlassen, welche sie dem Beschwerdeführer für die Einreichung von
Bedürftigkeitsbelegen gesetzt hatte. Dass sie allenfalls eine Behandlung des
Gesuches um unentgeltliche Rechtspflege ausserhalb des
Nichteintretensentscheides vom 26. November 2015 beabsichtigte, ist nicht
ersichtlich. Es kann daher offen bleiben, ob ein solches Vorgehen zulässig
gewesen wäre.

3.3. Nach dem Gesagten wurde der Anspruch des Versicherten auf rechtliches
Gehör in zweifacher Hinsicht verletzt. Diese Verfahrensmängel sind im
bundesgerichtlichen Verfahren nicht heilbar. Der angefochtene Entscheid ist
aufzuheben und die Sache an das kantonale Gericht zurückzuweisen. Dieses hat
die besagten Gesuche zu behandeln und neu zu entscheiden.

4. 
Die Kosten des Verfahrens sind von der unterliegenden Beschwerdegegnerin zu
tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege ist damit, soweit auf die Befreiung von solchen Kosten gerichtet,
gegenstandslos. Da der Beschwerdeführer nicht anwaltlich oder sonstwie
qualifiziert vertreten ist und auch keine anderen prozessbedingten Kosten
ausgewiesen sind, hat er keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68
BGG in Verbindung mit Art. 1 und Art. 9 des Reglements vom 31. März 2006 über
die Parteientschädigung und die Entschädigung für die amtliche Vertretung im
Verfahren vor dem Bundesgericht [SR 173.110.210.3]). Mangels anwaltlicher
Vertretung käme im Übrigen auch die Gewährung der unentgeltlichen
Verbeiständung nicht in Frage (Art. 64 Abs. 2 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und der Entscheid des
Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 26. November 2015 aufgehoben. Die
Sache wird zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen
wird die Beschwerde abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 8. März 2016
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Der Gerichtsschreiber: Lanz

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