Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.293/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_293/2016

Urteil vom 11. Juli 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin,
Gerichtsschreiberin Riedi Hunold.

Verfahrensbeteiligte
 A.________, vertreten durch Advokat Jakob Martin und dieser substituiert durch
Advokat Simon Gass,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Solothurn, Allmendweg 6, 4528 Zuchwil,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn
vom 21. März 2016.

Sachverhalt:

A. 
A.________, geboren 1963, meldete sich im Dezember 2011 bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. An gesundheitlichen Problemen gab
er u.a. einen angeborenen grauen Star in Kombination mit einer Sehschwäche an.
Die IV-Stelle des Kantons Solothurn forderte ihn am 26. April 2013 auf, sich
einer Kataraktoperation zu unterziehen, und drohte im Unterlassungsfall die
Leistungsverweigerung an. Da A.________ sich geweigert hatte, diese Operation
vornehmen zu lassen, verfügte die IV-Stelle am 12. September 2014 die Abweisung
des Leistungsbegehrens.

B. 
Nachdem A.________ dagegen hatte Beschwerde erheben lassen, holte das
Versicherungsgericht des Kantons Solothurn bei Dr. med. B.________, Fachärztin
für Ophthalmologie, MEDAS Bern, ein Gutachten vom 30. Juli 2015 ein und wies
die Beschwerde am 21. März 2016 ab.

C. 
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Antrag, es seien der kantonale Entscheid aufzuheben, ihm ab 1. Oktober
2012 die gesetzlichen Leistungen zuzusprechen sowie die Sache an die Vorinstanz
zur Neuverlegung der Kosten zurückzuweisen. Eventualiter sei der kantonale
Entscheid aufzuheben und die Sache zur Anordnung eines rheumatologischen
Gutachtens mit Konsensbesprechung und anschliessender Neubeurteilung seines
Anspruchs ab 1. Oktober 2012 sowie zur Neuverlegung der Kosten des kantonalen
Verfahrens an die Vorinstanz zurückzuweisen. Subeventualiter sei der kantonale
Entscheid insofern im Kostenpunkt aufzuheben, als die Sache zur Zusprechung
einer Parteientschädigung an die Vorinstanz zurückgewiesen werde. Zudem ersucht
er um unentgeltliche Rechtspflege.
Ein Schriftenwechsel wird nicht durchgeführt.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft
das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur
Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die
geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).

1.2. Das Bundesgericht kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
Überdies muss die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens
entscheidend sein (Art. 97 Abs. 1 BGG). Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen
nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu
Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG).
Die beschwerdeführende Partei, welche die Sachverhaltsfeststellungen der
Vorinstanz anfechten will, muss substanziiert darlegen, inwiefern die
Voraussetzungen einer Ausnahme gemäss Art. 105 Abs. 2 BGG gegeben sind und das
Verfahren bei rechtskonformer Ermittlung des Sachverhalts anders ausgegangen
wäre; andernfalls kann ein Sachverhalt, der vom im angefochtenen Entscheid
festgestellten abweicht, nicht berücksichtigt werden (BGE 140 III 16 E. 1.3.1
S. 18 mit Hinweisen).

2. 
Streitig ist der Anspruch auf eine Invalidenrente sowie der Anspruch auf eine
Parteientschädigung im kantonalen Verfahren.

3. 
Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze über das zeitlich
massgebende Recht und den zeitlich massgebenden Sachverhalt (BGE 132 V 215 E.
3.1.1 S. 220 mit Hinweisen), den Begriff der Invalidität (Art. 4 Abs. 1 IVG in
Verbindung mit Art. 8 ATSG) und der Arbeitsunfähigkeit (Art. 6 ATSG), den
Anspruch auf eine Invalidenrente (Art. 28 Abs. 1 und 2 IVG; Art. 29 Abs. 1 IVG)
sowie die Ermittlung des Invaliditätsgrades nach der allgemeinen Methode des
Einkommensvergleichs (Art. 16 ATSG; BGE 130 V 343 E. 3.4 S. 348; 128 V 29 E. 1
S. 30) zutreffend dargelegt. Dasselbe gilt für die Richtlinien hinsichtlich
Beweiswürdigung eines ärztlichen Berichts (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V
351 E. 3a S. 352), namentlich eines gerichtlich eingeholten Gutachtens (BGE 125
V 351 E. 3b/aa S. 352), und den Untersuchungsgrundsatz (Art. 43 Abs. 1 und Art.
61 lit. c ATSG; BGE 126 V 353 E. 5b S. 360; 125 V 193 E. 2 S. 195). Darauf wird
verwiesen.

4.

4.1. Die Vorinstanz hat nach Berücksichtigung der gesamten medizinischen
Aktenlage erkannt, dass dem Beschwerdeführer auch ohne Kataraktoperation eine
angepasste Tätigkeit aus ophthalmologischer und rheumatologischer Sicht voll
zumutbar sei. Im Anschluss hat sie den Anspruch auf eine Invalidenrente nach
Durchführung eines Einkommensvergleichs verneint. Die erwähnte Einschätzung der
Arbeitsfähigkeit gründet im Wesentlichen auf den Berichten des Dr. med.
C.________, Facharzt für Rheumatologie und Innere Medizin, Klinik D.________,
vom 6. Mai 2012 und der beruflichen Abklärungsstelle E.________ vom 19.
November 2012 sowie dem Gerichtsgutachten der Frau Dr. med. B.________ vom 30.
Juli 2015. Dabei handelt es sich um eine Feststellung tatsächlicher Art (vgl.
BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 398), an die das Bundesgericht grundsätzlich gebunden
ist (E. 1.2).

4.2. Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, vermag zu keinem anderen
Ergebnis zu führen:
Der Versicherte rügt einen unrichtig bzw. unvollständig festgestellten
Sachverhalt, da es an einer Abstimmung der attestierten Restarbeitsfähigkeit
aus ophthalmologischen und rheumatologischen Gründen fehle; zudem seien die
rheumatologischen Berichte veraltet, so dass eine neue bidisziplinäre
Begutachtung notwendig sei. Er legt in seiner Beschwerde vor Bundesgericht
jedoch nicht dar, inwiefern die rheumatologischen Einschätzungen nicht den im
massgebenden Zeitpunkt (12. September 2014) vorgelegenen Gesundheitszustand
wiedergeben sollen. Damit fehlt es an einer substanziierten Begründung,
inwiefern eine Ausnahme von Art. 105 Abs. 2 BGG gegeben sein soll (E. 1.2).
Ebenso wenig ist nachvollziehbar, inwiefern die Umschreibung der zumutbaren
Tätigkeit unter Berücksichtigung aller von den Experten geäusserten
Einschränkungen unzutreffend sein soll.
Weiter macht der Versicherte eine Verletzung von Bundesrecht geltend, da die
Vorinstanz die mögliche Verwertung seiner Restarbeitsfähigkeit nicht wirklich
geprüft habe; so setze sie sich nicht mit seinem fortgeschrittenen Alter und
der langen Abwesenheit vom Arbeitsmarkt auseinander. Zudem habe sie auch nicht
begründet, weshalb er gute Chancen auf Erhalt eines Nischenarbeitsplatzes haben
soll. Dabei verkennt er, dass die Anforderungen an die Umschreibung der noch
zumutbaren Tätigkeiten nicht gross sind und Vorinstanz und Verwaltung im Rahmen
des Einkommensvergleichs keine konkreten Arbeitsstellen nachzuweisen haben,
sondern vielmehr von einem ausgeglichenen Arbeitsmarkt ausgegangen wird (vgl.
SVR 2008 IV Nr. 62 S. 203 E. 5.1, 9C_830/2007, oder Urteil 9C_124/2010 vom 21.
September 2010 E. 2.2). D.h. die IV-Stelle (resp. die Vorinstanz) hat nicht zu
prüfen, ob der Versicherte tatsächlich eine entsprechende Arbeitsstelle erhält
oder erhalten kann; es reicht aus, dass solche auf dem Arbeitsmarkt vorhanden
und nicht bloss theoretischer Natur sind (vgl. etwa Urteil 8C_589/2008 vom 5.
Februar 2009 E. 5.2 mit weiteren Hinweisen). Schliesslich sprechen weder das
Alter des Versicherten (51 Jahre bei Erlass der Verfügung vom 12. September
2014) noch die Abwesenheit vom Arbeitsmarkt (knapp drei Jahre) gegen die
objektive Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit (Art. 7 Abs. 2 ATSG). Dies
gilt angesichts der umfassenden Abklärungen in beruflicher Hinsicht (vgl.
BEFAS-Bericht vom 19. November 2012) umso mehr.

4.3. Nach dem Gesagten ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz im
Verfügungszeitpunkt von einer zumutbaren Arbeitsfähigkeit von 100 % in einer
angepassten Tätigkeit ausgegangen ist. Da der Versicherte keine Einwände gegen
den Einkommensvergleich erhebt und keine Anhaltspunkte ersichtlich sind, wonach
dieser offensichtlich unzutreffend wäre, hat es bei der vorinstanzlichen
Verneinung des Anspruchs auf eine Invalidenrente sein Bewenden.

5. 
Der Versicherte macht geltend, er habe im kantonalen Verfahren zu einem nicht
unerheblichen Teil obsiegt, weil die IV-Stelle ihn ohne fundierte Abklärungen
zur Vornahme einer Augenoperation angehalten habe. Die Vorinstanz sei seinem
Verfahrensantrag gefolgt und habe ein Gerichtsgutachten eingeholt; sie hätte
aber auch die Verfügung der IV-Stelle aufheben und die Sache zu weiteren
Abklärungen an diese zurückweisen können. Deshalb habe er vor Vorinstanz
zumindest teilweise obsiegt und somit Anspruch auf eine Parteientschädigung.
Mit Urteil 8C_194/2016 vom 14. Juni 2016, welches ebenfalls den Kanton
Solothurn betraf, hat das Bundesgericht die Rechtsprechung bestätigt, wonach
kein Anspruch auf eine Parteientschädigung im Sinne von Art. 61 lit. g ATSG
besteht, wenn das kantonale Gericht nach BGE 137 V 210 E. 4.4.1 S. 263 gehalten
ist, die Sache nicht an die Verwaltung zur weiteren Abklärung zurückzuweisen,
sondern ein Gerichtsgutachten einzuholen, und sich im Ergebnis die
Rechtsstellung der versicherten Person nicht verbessert.
Dies gilt auch im hier strittigen Fall: Die Rechtsstellung des
Beschwerdeführers hat sich mit Entscheid der Vorinstanz im Vergleich zu jener
bei Erlass der Verwaltungsverfügung vom 12. September 2014 nicht verbessert;
beide Male wurde sein Anspruch auf eine Invalidenrente verneint. Auch war die
Vorinstanz nach der genannten Rechtsprechung verpflichtet, selbst ein Gutachten
einzuholen. Somit hat der Versicherte keinen Anspruch auf eine (teilweise)
Parteientschädigung für das kantonale Verfahren.

6. 
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten vom Beschwerdeführer
als unterliegender Partei zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Ihm ist indessen die
unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren (Art. 64 BGG), weil die Bedürftigkeit
aktenkundig und die Beschwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen ist sowie
die anwaltliche Vertretung geboten war. Es ist indessen auf Art. 64 Abs. 4 BGG
hinzuweisen, wonach der Gerichtskasse Ersatz zu leisten sein wird, wenn dies
später möglich sein sollte.

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und Advokat
Simon Gass wird als unentgeltlicher Anwalt bestellt.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes
vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen.

4. 
Dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers wird aus der Bundesgerichtskasse eine
Entschädigung von Fr. 2800.- ausgerichtet.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 11. Juli 2016

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Ursprung

Die Gerichtsschreiberin: Riedi Hunold

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