Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.292/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]            
8C_292/2016   {T 0/2}     

Urteil vom 18. August 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Ursprung,
Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiberin Kopp Käch.

Verfahrensbeteiligte
Familienausgleichskasse Arbeitgeber Basel, Viaduktstrasse 42, 4051 Basel,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Jan Herrmann,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Familienzulage,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialver-sicherungsgerichts des Kantons
Basel-Stadt vom 22. Februar 2016.

Sachverhalt:

A. 
Die Familienausgleichskasse Arbeitgeber Basel (nachfolgend: FAK) richtete
A.________ bis und mit Juli 2015 Ausbildungszulagen für seine 1996 geborene
Tochter B.________ aus. Diese hatte vom 1. August 2014 bis 31. Juli 2015 in der
Kindertagesstätte C.________ ein Praktikum als Fachfrau Betreuung Kind
absolviert. Da die Kindertagesstätte C.________ per 30. Juni 2016 geschlossen
wurde, konnte sie die dortige Lehrstelle nicht antreten. In der Folge
verpflichtete sich B.________ im Hinblick auf eine andere Lehrstelle zu einem
weiteren Praktikum für die Dauer vom 17. August 2015 bis 12. August 2016 im
Tagesheim D.________. Mit Verfügung vom 17. September 2015 verneinte die FAK
einen Anspruch auf Ausbildungszulagen ab 1. August 2015, da das zweite
Praktikum nicht mehr als Ausbildung anerkannt werden könne. An ihrem Standpunkt
hielt sie mit Einspracheentscheid vom 9. Oktober 2015 fest.

B. 
Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Basel-Stadt mit Entscheid vom 22. Februar 2016 gut, hob den
Einspracheentscheid vom 9. Oktober 2015 auf und wies die FAK an, A.________
rückwirkend ab 17. August 2015 Ausbildungszulagen auszurichten.

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die FAK die
Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheids.
A.________ lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerde kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG
erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106
Abs. 1 BGG). Es ist somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten
Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine
Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann
sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung
abweisen (vgl. BGE 140 V 136 E. 1.1 S. 137 f.). Gemäss Art. 42 Abs. 1 BGG ist
die Beschwerde hinreichend zu begründen, andernfalls wird darauf nicht
eingetreten (Art. 108 Abs. 1 lit. b BGG). Das Bundesgericht prüft grundsätzlich
nur die geltend gemachten Rügen; es ist nicht gehalten, wie eine
erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu prüfen,
wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen wurden. Es kann die
Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht nur
insofern prüfen, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und
begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG).

1.2. Nach Art. 105 BGG legt das Bundesgericht seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Abs. 1). Es kann diese
Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art.
95 BGG beruht (Abs. 2).

2. 
Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht Bundesrecht verletzte,
indem es den Anspruch des Beschwerdegegners auf Ausbildungszulagen für seine
Tochter ab August 2015 bejahte.

3.

3.1. Nach Art. 3 Abs. 1 lit. b des Bundesgesetzes vom 24. März 2006 über die
Familienzulagen (Familienzulagengesetz, FamZG) werden Ausbildungszulagen ab
Ende des Monats, in welchem das Kind das 16. Altersjahr vollendet, bis zum
Abschluss der Ausbildung ausgerichtet, längstens jedoch bis zum Ende des
Monats, in welchem das Kind das 25. Altersjahr vollendet. Art. 1 Abs. 1 der
Verordnung vom 31. Oktober 2007 über die Familienzulagen
(Familienzulagenverordnung, FamZV) statuiert, dass ein Anspruch auf eine
Ausbildungszulage für jene Kinder besteht, die eine Ausbildung im Sinne des
Art. 25 Abs. 5 AHVG absolvieren.

3.2. Art. 25 Abs. 5 Satz 2 AHVG beauftragt den Bundesrat, den Begriff der
Ausbildung zu regeln, was dieser mit den auf den 1. Januar 2011 in Kraft
getretenen Art. 49bis und 49ter AHVV getan hat. Unter den Begriff der
Ausbildung fallen danach ordentliche Lehrverhältnisse sowie Tätigkeiten zum
Erwerb von Vorkenntnissen für ein Lehrverhältnis, aber auch Kurs- und
Schulbesuche, wenn sie der berufsbezogenen Vorbereitung auf eine Ausbildung
oder späteren Berufsausübung dienen. Bei Kurs- und Schulbesuchen sind Art der
Lehranstalt und Ausbildungsziel unerheblich, soweit diese im Rahmen eines
ordnungsgemässen, (faktisch oder rechtlich) anerkannten Lehrganges eine
systematische Vorbereitung auf das jeweilige Ziel bieten. Danach gilt nur als
Bestandteil der Ausbildung, wenn zwischen diesem und dem Berufsziel ein
Zusammenhang besteht. Die Wegleitungen des Bundesamtes für Sozialversicherungen
BSV über die Renten in der Eidgenössischen Alters-, Hinterlassenen- und
Invalidenversicherung (RWL; Stand 1. Januar 2015 [identisch mit den
Formulierungen der ab 1. Januar 2016 gültigen Fassung]), schreiben zusätzlich
vor, dass ein Praktikum als Ausbildung anerkannt wird, wenn es gesetzlich oder
reglementarisch eine Voraussetzung bildet für die Zulassung zu einem
Bildungsgang oder zu einer Prüfung, oder zum Erwerb eines Diploms oder eines
Berufsabschlusses verlangt wird (RWL Rz. 3361). Sind diese Voraussetzungen
nicht erfüllt, wird ein Praktikum dennoch als Ausbildung anerkannt, wenn es für
eine bestimmte Ausbildung faktisch geboten ist und mit dem Antritt des
Praktikums tatsächlich die Absicht besteht, die angestrebte Ausbildung zu
realisieren, und das Praktikum im betreffenden Betrieb höchstens ein Jahr
dauert (RWL Rz. 3361.1; BGE 139 V 209, 140 V 299). Übt das Kind jedoch
lediglich eine praktische Tätigkeit aus, um sich dabei einige
Branchenkenntnisse und Fertigkeiten anzueignen, um die Anstellungschancen bei
schwieriger Beschäftigungssituation zu verbessern oder um eine Berufswahl zu
treffen, liegt keine Ausbildung vor (RWL Rz. 3362; BGE 140 V 314    E. 3.2 S.
317 mit Hinweis).

3.3. Verwaltungsweisungen richten sich an die Durchführungsstellen und sind für
das Sozialversicherungsgericht nicht verbindlich. Dieses soll sie bei seiner
Entscheidung aber berücksichtigen, sofern sie eine dem Einzelfall angepasste
und gerecht werdende Auslegung der anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen
zulassen. Das Gericht weicht also nicht ohne triftigen Grund von
Verwaltungsweisungen ab, wenn diese eine überzeugende Konkretisierung der
rechtlichen Vorgaben darstellen. Insofern wird dem Bestreben der Verwaltung,
durch interne Weisungen eine rechtsgleiche Gesetzesanwendung zu gewährleisten,
Rechnung getragen (BGE 140 V 314 E. 3.3 S. 317 mit Hinweisen).

4.

4.1. Die Vorinstanz hat in für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlicher
Weise festgestellt, dass die Tochter des Beschwerdegegners die von ihr
angestrebte Lehrstelle in der Kindertagesstätte C.________ nach Abschluss des
einjährigen Praktikums aus rein betriebsinternen Gründen nicht antreten konnte
und im Tagesheim D.________ nur diejenigen Personen eine Ausbildung zur
Fachfrau Betreuung Kind beginnen können, die dort zuvor erfolgreich ein
Praktikum absolviert haben. Sie hielt daher auch das zweite Praktikum für
faktisch geboten und sprach ihm Ausbildungscharakter zu.

4.2. In der Beschwerde wird nicht bestritten, dass im Pflege- und
Betreuungsbereich entgegen den gesetzlichen Erfordernissen praktisch in jedem
Fall vom potentiellen Lehrbetrieb ein Praktikum oder ein Vorpraktikum verlangt
wird, was dazu geführt habe, dass im Sinne einer Ausnahme von den
Gesetzesbestimmungen ein einjähriges Praktikum ebenfalls als Ausbildung
anerkannt werde. Die Beschwerdeführerin stellt sich indessen auf den
Standpunkt, ein einjähriges Praktikum in der Kinderbetreuung sei für die
Abklärung der Eignung ausreichend und das Maximum, was als Ausbildung in diesem
Bereich anerkannt werden könne. Längerdauernde oder weitere Praktika in der
gleichen Branche dienten dem Interesse der Kinderkrippen an billigen
Arbeitskräften und liefen dem Interesse der Auszubildenden entgegen, möglichst
rasch einen Abschluss zu erlangen.

5.

5.1. Wie das kantonale Gericht festgestellt hat, fand sich die Tochter des
Beschwerdegegners nach Abschluss des ersten Praktikums unverschuldet in der
gleichen Situation wieder wie vor dessen Antritt. Das Tagesheim D.________, in
welchem sie nun ihre Ausbildung absolvieren wollte, verlangte nämlich wiederum
ein einjähriges Praktikum zur betriebsinternen Abklärung ihrer Eignung, dies
obschon sie ein gutes Arbeitszeugnis vorweisen konnte. Begründet wurde dies im
Wesentlichen damit, das Tagesheim nehme betriebsintern nur Leute in Ausbildung,
welche dort erfolgreich ein Praktikum absolviert hätten. Dies helfe dem Betrieb
dabei, die Eignung für den Beruf bereits vor Lehrantritt ausgiebig zu
begutachten, und gebe der Kandidatin Zeit, sich in den Beruf einzuleben. Es
werde jeweils nur eine Praktikumsstelle für die anschliessende Lehrstelle
angeboten. Die Tochter des Beschwerdegegners habe wohl bereits ein Praktikum im
C.________ absolviert, wo sie mit Kindern bis zum Alter von fünf Jahren
gearbeitet habe. In der Tagesstätte D.________ hingegen würden Kinder bis zu
zwölf Jahren betreut und es werde ein Mittagstisch angeboten, was andere
Anforderungen mit sich bringe.

5.2. Die Vorinstanz hat überzeugend dargelegt, dass für den Erhalt der
Lehrstelle im Tagesheim D.________ ein betriebsinternes Praktikum faktisch
geboten war. Mit dem Antritt des Praktikums hat sodann unbestrittenermassen
tatsächlich die Absicht bestanden, die angestrebte Ausbildung zu realisieren.
Das Praktikum im betreffenden Betrieb dauerte zudem nicht länger als ein Jahr.
Infolge der Horizonterweiterung durch die andere Altersstruktur der zu
betreuenden Kinder hat das kantonale Gericht dem zweiten Praktikum schliesslich
auch Ausbildungswert zugesprochen und demzufolge den Anspruch auf
Ausbildungszulagen für die Dauer des zweiten Praktikums ebenfalls bejaht. Darin
kann mit Blick auf die gesetzlichen Bestimmungen und die RWL keine
Bundesrechtsverletzung erblickt werden.

5.3. Mit den Einwendungen der Beschwerdeführerin hat sich bereits das kantonale
Gericht auseinandergesetzt. Soweit in der Beschwerde die Gefahr erwähnt wird,
dass Kindertagesstätten Praktikantinnen als billige Arbeitskräfte für eine
normale Arbeit einsetzen ohne ihnen eine strukturierte Ausbildung zu gewähren,
ist mit der Vorinstanz darauf hinzuweisen, dass das Bundesgericht diese Tendenz
zwar als bildungspolitisch bedenklich qualifiziert, es indessen grundsätzlich
nicht als Aufgabe der Sozialversicherung erachtet hat, dieser Tendenz auf
Kosten der Versicherten entgegenzuwirken (BGE 139 V 122 E. 4.3    S. 126).
Unter diesem Gesichtspunkt zu Recht nicht als Ausbildung anerkannt wurde
hingegen die Verlängerung des Praktikums um ein Jahr in derselben Tagesstätte
aufgrund eines deutlichen Überhangs an Lernenden und Praktikantinnen (BGE 140 V
299 E. 2 und 3          S. 301 ff.).

5.4. Zusammenfassend hat es beim angefochtenen Entscheid sein Bewenden.

6. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig. Die unterliegende Beschwerdeführerin hat die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Basel-Stadt und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 18. August 2016

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Die Gerichtsschreiberin: Kopp Käch

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