Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.277/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     

{T 0/2}            
8C_277/2016

Urteil vom 20. Juli 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin,
Gerichtsschreiber Grunder.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dominique Chopard,
Beschwerdeführer,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung (Invalidenrente),

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau
vom 10. März 2016.

Sachverhalt:

A. 
Der 1963 geborene A.________ war ab 1. Mai 2005 bei der B.________ AG (ab 2006:
C.________ AG), unbefristet als Bauarbeiter angestellt und dadurch bei der
Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen die
Folgen von Unfällen versichert. Am 15. Juni 2005 verdrehte er das rechte Bein
und erlitt eine mediale Meniskus-Hinterhornläsion am rechten Kniegelenk (vgl.
Operationsbericht des Spitals D.________ vom 20. Dezember 2005). Die SUVA
erbrachte die gesetzlichen Leistungen (Heilbehandlung; Taggeld). Laut Bericht
des Dr. med. E.________, Arzt für Allgemeine Medizin FMH, vom 22. März 2006 war
die Behandlung abgeschlossen.
Die SUVA nahm die Schadenmeldung UVG der F.________ AG vom 13. Februar 2012
gestützt auf den kreisärztlichen Untersuchungsbericht des Prof. Dr. med.
G.________, Facharzt für Chirurgie, vom 13. November 2012, wonach die jetzigen
Beschwerden auf dem Boden einer Gonarthrose bei Zustand nach Meniskusläsion und
arthroskopischer Meniskusresektion vom 20. Dezember 2005 zu sehen waren, als
Rückfallmeldung an und erbrachte erneut die gesetzlichen Leistungen. Mit
Verfügung vom 17. April 2014 sprach sie dem Versicherten ab 1. Dezember 2013
eine Invalidenrente auf der Basis eines Invaliditätsgrades von 16 % zu. Im
Einspracheverfahren holte sie unter anderem den kreisärztlichen
Untersuchungsbericht des med. pract. H.________, Facharzt für Chirurgie, vom
20. Mai 2015 ein, der zum Schluss kam, dass der Versicherte für körperlich
leicht- bis mittelschwere Tätigkeiten zeitlich und leistungsmässig
uneingeschränkt arbeitsfähig sei. Unter anderem gestützt darauf lehnte sie den
eingelegten Rechtsbehelf ab (Einspracheentscheid vom 29. Juni 2016 [recte:
2015]).

B. 
Die hiegegen eingereichte Beschwerde, mit der A.________ beantragen liess, die
SUVA sei zu verpflichten, die Invalidenrente angemessen zu erhöhen, wies das
Versicherungsgericht des Kantons Aargau ab (Entscheid vom 10. März 2016).

C. 
Mit Beschwerde lässt A.________ das vorinstanzlich gestellte Rechtsbegehren
wiederholen.
Das Bundesgericht führt keinen Schriftenwechsel durch.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerde kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG
erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106
Abs. 1 BGG). Es ist somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten
Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine
Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann
sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung
abweisen (vgl. BGE 132 II 257E. 2.5 S. 262; 130 III 136E. 1.4 S. 140). Gemäss
Art. 42 Abs. 1 BGG ist die Beschwerde hinreichend zu begründen, andernfalls
wird darauf nicht eingetreten (Art. 108 Abs. 1 lit. b BGG). Das Bundesgericht
prüft grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen; es ist nicht gehalten, wie
eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu
prüfen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen werden (BGE 133 II
249 E. 1.4.1 S. 254).

1.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von
Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht
an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden
(Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).

2. 
Streitig und zu prüfen ist das der Bestimmung des Invaliditätsgrades gemäss
Art. 16 ATSG zugrunde zu legende, vom kantonalen Gericht anhand der
standardisierten Bruttolöhne der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung des
Bundesamtes für Statistik (LSE) des Jahres 2012 festgelegte Erwerbseinkommen,
das der Versicherte erzielen könnte, wenn er nicht invalid geworden wäre
(sogenanntes Valideneinkommen).

3.

3.1.

3.1.1. Die Vorinstanz hat erwogen, der Versicherte habe nach dem Unfall vom 15.
Juni 2005 weiterhin als Maurer und Kranführer gearbeitet. Gemäss Schreiben der
C.________ AG vom 2. Februar 2016 sei das Arbeitsverhältnis aus
wirtschaftlichen Gründen aufgelöst geworden. Ab 2010 sei er über die F.________
AG an diversen temporären Arbeitsstellen eingesetzt worden. Laut deren Meldung
vom 13. Februar 2012 sei ihm vor dem Zeitpunkt des Rückfalls (11. April 2011;
recte: 22. Dezember 2011) am 2. September 2011 gekündigt worden. Daher sei
davon auszugehen, dass er davor in keinem stabilen Arbeitsverhältnis gestanden
habe, anhand welchem das Valideneinkommen zuverlässig ermittelt werden könnte,
weshalb zu dessen Bestimmung auf statistische Werte zurückgegriffen werden
müsse.

3.1.2. Der Beschwerdeführer bringt vor, ausweislich der von der C.________ AG
und der F.________ AG angegebenen Löhne habe er stets deutlich über den
statistischen Durchschnittswerten liegende Einkommen erzielt. Die IK-Auszüge
wichen davon teilweise ab, was einerseits darauf zurückzuführen sei, dass er
wegen krankheits- und unfallbedingter Arbeitsunfähigkeit Taggelder erhalten
habe, auf welchen keine AHV-Beiträge abgerechnet worden seien. Zum Anderen
erfassten die IK-Einträge auch tiefer liegende Entschädigungen der
Arbeitslosenversicherung. Zur Bestimmung des hypothetischen Validenlohnes sei
gemäss Urteil I 559/04 vom 16. Februar 2005 E. 2.1 auf den ausgeglichenen
Arbeitsmarkt abzustellen, weshalb die tatsächlich erwirtschafteten Verdienste
als Kranführer, hochgerechnet auf ein Jahr, heranzuziehen seien.

3.2. Bei der Ermittlung des Valideneinkommens ist in der Regel am zuletzt
erzielten, nötigenfalls der Teuerung und der realen Einkommensentwicklung
angepassten Lohn anzuknüpfen, da es empirischer Erfahrung entspricht, dass die
bisherige Tätigkeit ohne Gesundheitsschaden fortgesetzt worden wäre; Ausnahmen
müssen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erstellt sein. Auf Erfahrungs- und
Durchschnittswerte darf nur unter Mitberücksichtigung der für die Entlöhnung im
Einzelfall relevanten persönlichen und beruflichen Faktoren abgestellt werden (
BGE 139 V 28 E. 3.3.2 S. 30 mit Hinweisen). Dabei ist mit Blick auf den
Gesetzeswortlaut von Art. 16 ATSG zu präzisieren, dass als Valideneinkommen
dasjenige Einkommen gilt, das die versicherte Person überwiegend wahrscheinlich
ohne Unfall tatsächlich erzielen würde (vgl. RUMO-JUNGO/HOLZER, Rechtsprechung
zum Bundesgesetz über die Unfallversicherung (UVG), 4. Aufl., Zürich/Basel/Genf
2012, S. 126 unten f. mit Hinweis auf BGE 134 V 322 E. 4.1 S. 325 f.). Ist der
zuletzt bezogene Verdienst markant überdurchschnittlich hoch gewesen, ist er
nur dann als Validenlohn heranzuziehen, wenn mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit feststeht, dass er weiterhin erzielt worden wäre (vgl. MEYER
/REICHMUTH, Rechtsprechung zum Bundesgesetz über die Invalidenversicherung
[IVG], 3. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2014, Rz. 51 zu Art. 28a mit Hinweisen).

3.3.

3.3.1. Die vorinstanzlichen Erwägungen sind mit Blick auf die zitierte
Rechtslage nicht zu beanstanden. Ausweislich der Akten wurden die
Anstellungsverhältnisse bei der C.________ AG wie auch bei der F.________ AG
unbestritten nicht aus gesundheitlichen, sondern aus wirtschaftlichen Gründen
gekündigt. Der Beschwerdeführer verkennt die Bedeutung des Begriffs des
ausgeglichenen (allgemeinen) Arbeitsmarktes, der konjunkturelle Schwankungen
nicht einschliesst.

3.3.2. Selbst wenn zur Festlegung des Valideneinkommens an die zuletzt vor dem
Rückfall vom 22. Dezember 2011 erzielten Löhne angeknüpft würde, müsste von
einem branchenüblichen Ansatz ausgegangen werden (vgl. SVR 2008 IV Nr. 28 S.
89, I 433/06 E. 4.1.2 mit Hinweisen). Der Beschwerdeführer hatte unter anderem
mit der F.________ AG einen Verleihvertrag nach Art. 19 des Bundesgesetzes über
die Arbeitsvermittlung und den Personalverleih vom 6. Oktober 1989
(Arbeitsvermittlungsgesetz, AVG; SR 823.11) in Verbindung mit Art. 319 OR
abgeschlossen. Aus den Akten ergeben sich keine Anhaltspunkte, dass die
Unternehmen, bei welchen er eingesetzt wurde, für die Zukunft einen
unbefristeten Arbeitsvertrag eingehen wollten, was rechtlich zulässig gewesen
wäre (vgl. Art. 19 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 22 Abs. 2 AVG). Daher ist die
Feststellung des kantonalen Gerichts, dass kein stabiles Arbeitsverhältnis
vorlag, nicht zu beanstanden. Es war, entgegen der Auffassung des
Beschwerdeführers, prospektiv betrachtet wenig wahrscheinlich, dass er den mit
der F.________ AG vereinbarten Lohn - wie im Übrigen auch denjenigen bei der
C.________ AG erzielten - künftig weiterhin hätte erwirtschaften können.

4.

4.1.

4.1.1. Das kantonale Gericht hat weiter erwogen, dass im Zeitpunkt des
Einspracheentscheids vom 29. Juni 2015 die aktuellsten Tabellenlöhne für das
Jahr 2012 vorlagen, weshalb das hypothetische Valideneinkommen entgegen der
Auffassung der SUVA nicht anhand der LSE 2010 zu bestimmen sei.

4.1.2. Der Beschwerdeführer bringt vor, die LSE 2010 unterscheide anders als
diejenige des Jahres 2012 im Sektor Baugewerbe zwischen den Positionen 41
(Hochbau), 42 (Tiefbau) und 43 (Sonstiges Ausbaugewerbe). Er sei als
ausgebildeter Kranführer stets im Hoch- und allenfalls auch im Tiefbau
erwerbstätig gewesen, weshalb das hypothetische Valideneinkommen allein
gestützt auf die in den Positionen 41 f. der LSE 2010 und nicht auf die
Sammelposition 41 bis 43 der LSE 2012 angegebenen standardisierten Bruttolöhne
zu ermitteln sei.

4.2. Gemäss Urteil 9C_632/2015 vom 4. April 2016 (in BGE 142 V noch nicht
publiziert) ist die LSE 2012 auf alle Fälle erstmaliger Invaliditätsbemessung
und auf Neuanmeldungen nach vorausgeganger rechtskräftiger Ablehnung oder nach
Aufhebung der Invalidenrente sowie im Revisionsverfahren (mit Entstehung des
potentiellen oder Veränderung des laufenden Rentenanspruchs im Jahr 2012 oder
später) anwendbar. Laufende, gestützt auf die LSE 2010 rechtskräftig
zugesprochene Invalidenrenten dürfen nicht allein aufgrund der
Tabellenlohnwerte gemäss LSE 2012 in Revision gezogen werden (E. 2.5.7 und
2.5.8.1). Angesichts dieser Rechtsprechung ist das vorinstanzliche Vorgehen
grundsätzlich nicht zu beanstanden, zumal der Rentenanspruch, was zu Recht
unbestritten ist, nicht schon vor dem Jahre 2012 entstanden sein konnte (vgl.
dazu Art. 19 Abs. 1 UVG). Im Übrigen kann angesichts der vorinstanzlichen
Begründung (E. 4.2.3) von einer Gehörsverletzung in diesem Zusammenhang nicht
die Rede sein.

4.3.

4.3.1. Die weiteren Vorbringen des Beschwerdeführers sind auch sonst nicht
stichhaltig. Aus dem von ihm verfassten, im kantonalen Verfahren aufgelegten
Lebenslauf ist ersichtlich, dass er vor dem Rückfall nicht ausschliesslich im
Hoch- und Tiefbau erwerbstätig gewesen war. So war er von 2002 bis 2005 als
Produktionsmitarbeiter (Einmessen, Zuschneiden, Fertigstellen von Bauteilen aus
glasfaserarmiertem Beton) bei der I.________ AG angestellt, welche Tätigkeit
durchaus dem sonstigen Ausbaugewerbe gemäss Randziffer 43 der LSE zugerechnet
werden kann. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer laut
IK-Auszug sogar ausserhalb des Baugewerbes tätig war, so in den Jahren 2009/
2010 bei der J.________ AG. Daher ist mit dem kantonalen Gericht auf die
standardisierten Bruttolöhne im gesamten Sektor Baugewerbe abzustellen.

4.3.2. Ansonsten beanstandet der Beschwerdeführer die Bestimmung des
hypothetischen Valideneinkommens nicht, weshalb auf die zutreffenden Erwägungen
im angefochtenen Entscheid verwiesen wird, wonach dieses bezogen auf das Jahr
2013 (Rentenbeginn am 1. Dezember 2013) Fr. 73'482.60 betragen hätte.
Verglichen mit dem gestützt auf die Dokumentation von Arbeitsplätzen (DAP)
ermittelten hypothetischen Invalidenlohn (Fr. 61'544.-) ergibt sich ein
Invaliditätsgrad von 16 %, weshalb die Vorinstanz die kantonale Beschwerde zu
Recht in Bestätigung des Einspracheentscheids der SUVA vom 29. Juni 2015
abgewiesen hat.

5. 
Die Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer als unterliegender Partei
aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 20. Juli 2016

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Ursprung

Der Gerichtsschreiber: Grunder

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