Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.246/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_246/2016

Urteil vom 26. September 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiber Hochuli.

Verfahrensbeteiligte
 A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bruno Häfliger,
Beschwerdeführerin,

gegen

 Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft AG, Schadenservice, Postfach, 8010
Zürich
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung (psychisches Leiden),

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Luzern vom 25. Februar 2016.

Sachverhalt:

A. 

A.a. A.________, geboren 1975, zog sich anlässlich eines Unfalles am 6. Juli
2003 verschiedene Verletzungen zu. Seither war sie nicht mehr erwerbstätig. Die
Allianz Suisse Versicherungen (nachfolgend: Allianz oder Beschwerdegegnerin)
übernahm die Heilbehandlung und erbrachte ein Taggeld. Am 12. Februar 2010
stellte sie sämtliche Versicherungsleistungen per 28. Februar 2010 ein und
hielt mit Einspracheentscheid vom 9. April 2010 daran fest. Das frühere
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern (heute: Kantonsgericht Luzern) hiess die
hiegegen gerichtete Beschwerde gut, hob den Einspracheentscheid auf und wies
die Sache an die Allianz zurück, damit diese über die gesetzlichen Leistungen
neu verfüge. Das Bundesgericht wies die von der Allianz dagegen erhobene
Beschwerde ab (Urteil 8C_488/2011 vom 19. Dezember 2011).

A.b. Daraufhin veranlasste die Allianz eine konsiliarische Beurteilung der
Versicherten durch Dr. med. B.________, Psychiater. Gestützt auf dessen
Konsilium vom 18. Juni 2012 hielt die Allianz zunächst am folgenlosen
Fallabschluss per 28. Februar 2010 fest (Verfügung vom 14. Februar 2013).
Dagegen erhob die Versicherte Einsprache, welche die Allianz in dem Sinne
teilweise guthiess, als sie den folgenlosen Fallabschluss auf den 25. März 2011
verschob (Einspracheentscheid vom 17. Januar 2014).

B. 
Die hiegegen erhobene Beschwerde der A.________ wies das Kantonsgericht Luzern
mit Entscheid vom 25. Februar 2016 ab, soweit es darauf eintrat. Es stützte
sich dabei insbesondere auf das psychiatrische Gerichtsgutachten des Dr. med.
C.________ vom 5. November 2015 (nachfolgend: Gerichtsgutachten).

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________
beantragen, der angefochtene Gerichts- und der Einspracheentscheid seien
aufzuheben. Die Allianz habe ihr ab 26. März 2011 eine Invalidenrente bei einem
Invaliditätsgrad von mindestens 35% auszurichten.
Die vorinstanzlichen Akten wurden eingeholt. Ein Schriftenwechsel wird nicht
durchgeführt.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist
somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen oder es kann sie mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Das
Bundesgericht prüft indessen, unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und
Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), nur die geltend gemachten
Vorbringen, falls allfällige weitere rechtliche Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind (BGE 141 V 236 E. 1 S. 236; 140 V 136 E. 1.1 S. 137 f.;
Urteil 8C_867/2015 vom 20. April 2016 E. 1.1).

1.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von
Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht
an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden
(Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).

2. 

2.1. Fest steht, dass über den ursprünglich per 28. Februar 2010 verfügten
folgenlosen Fallabschluss hinaus keine organisch objektiv ausgewiesenen
Unfallfolgen mehr feststellbar waren (Urteil 8C_488/2011 vom 19. Dezember 2011
E. 3). Die danach geklagten - organisch nicht objektiv ausgewiesenen -
Beschwerden stehen gemäss Urteil 8C_488/2011 vom 19. Dezember 2011 E. 5.3 nicht
nur in einem natürlichen, sondern auch in einem adäquaten Kausalzusammenhang
zum Unfall vom 6. Juli 2003.

2.2. Streitig und zu prüfen bleibt, ob diese Beschwerden über den 25. März 2011
hinaus eine anspruchsbegründende dauerhafte Einschränkung der Erwerbsfähigkeit
von mindestens 10% (Art. 18 Abs. 1 UVG) zur Folge haben. Die Einstellung der
Heilbehandlung per 25. März 2011 (Art. 19 Abs. 1 UVG) blieb zu Recht
unbestritten.

3.

3.1. Unbestritten ist ferner, dass dem Gerichtsgutachten gemäss angefochtenem
Entscheid volle Beweiskraft zukommt. Demnach diagnostizierte Dr. med.
C.________ abschliessend eine rezidivierende depressive Störung, zurzeit in
Remission (ICD-10 F33.4), eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung (ICD-10
F45.4) und eine Entwicklung körperlicher Symptome aus psychischen Gründen
(ICD-10 F68.0).

3.2. Die im Bereich der Invalidenversicherung ergangene Rechtsprechungsänderung
zu den anhaltenden somatoformen Schmerzstörungen und vergleichbaren
psychosomatischen Leiden gemäss BGE 141 V 281 gilt hinsichtlich Ermittlung der
Invalidität im Falle eines entsprechenden Leidens auch im Bereich der
obligatorischen Unfallversicherung (BGE 141 V 574 E. 5.2 S. 581 f.). Bei
somatoformen Störungen (ICD-10: F45) im Besonderen ist folglich dem
diagnoseinhärenten Schweregrad vermehrt Rechnung zu tragen (BGE 141 V 281 E.
2.1.1 S. 286; vgl. auch Urteil 9C_125/2015 vom 18. November 2015 E. 5.3).

4. 

4.1. Das kantonale Gericht hat nach einlässlicher und sorgfältiger
Beweiswürdigung mit ausführlicher Begründung, worauf verwiesen wird, zutreffend
dargelegt, dass angesichts der zu geringen Ausprägung der diagnoserelevanten
Befunde und Symptome keine anspruchsbegründende Invalidität feststellbar sei.
Es hat einen rentenbegründenden Invaliditätsgrad gestützt auf BGE 140 V 290
mangels Beweises der Anspruchsgrundlage (gesundheitlich bedingte, erhebliche
und evidente, dauerhafte sowie objektivierbare Beeinträchtigung der Arbeits-
und Erwerbsfähigkeit; BGE a.a.O. E. 3.3.1 S. 296) verneint, obwohl der
Gerichtsgutachter Dr. med. C.________ eine 30-40%ige Arbeitsunfähigkeit
bejahte. Entgegen sämtlichen Vorbringen in der Beschwerde verletzt diese
Beurteilung kein Bundesrecht (zur Aufgabenteilung von rechtsanwendender Stelle
und begutachtender Arztperson bei der Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit: BGE
140 V 193). Dies insbesondere mit Blick auf die massgebende, vom kantonalen
Gericht korrekt angewandte neue Rechtsprechung gemäss BGE 141 V 281, womit das
Bundesgericht das Erfordernis eines schlüssigen Beweises der Arbeitsunfähigkeit
und bei dessen Fehlen die Verteilung der Folgen der Beweislosigkeit zulasten
der rentenansprechenden versicherten Person ausdrücklich bestätigt hat (BGE
a.a.O. E. 3.7 S. 295 ff.; Urteil 9C_90/2016 vom 3. Mai 2016 E. 1). Die im
vorinstanzlichen Entscheid wiedergegebenen Feststellungen des psychiatrischen
Sachverständigen stehen der Annahme eines konsistenten Gesamtbildes von einer
invalidisierenden Gesundheitsbeeinträchtigung (BGE a.a.O. E. 4.4 S. 303 f.)
entgegen. Der Gerichtsgutachter konnte anlässlich seiner Exploration keine
diagnosefähige Depression feststellen. Die Kriterien für eine leichte oder
mittelgradige depressive Episode waren anlässlich seiner Abklärung nicht
erfüllt. Dementsprechend ordnete Dr. med. C.________ die von ihm erhobenen
Befunde bei der Kodifizierung F33.4 nach ICD-10 ein, wonach "in den letzten
Monaten (...) keine depressiven Symptome" bestanden. Daraus ist jedenfalls
nicht auf einen invalidisierenden relevanten psychischen Gesundheitsschaden zu
schliessen (Urteil 9C_146/2015 vom 19. Januar 2016 E. 3.4). Im Übrigen sind
leichte bis höchstens mittelschwere Störungen aus dem depressiven Formenkreis
gemäss bundesgerichtlicher Praxis in der Regel therapierbar und führen zu
keiner invalidisierenden Einschränkung der Arbeitsfähigkeit (vgl. BGE 140 V 193
E. 3.3 S. 197; Urteile 8C_119/2016 vom 20. Mai 2016 E. 3.2 und 9C_892/2015 vom
22. Januar 2016 E. 3 mit Hinweisen; vgl. auch RAHEL SAGER, Die
bundesgerichtliche Rechtsprechung betreffend Depressionen, in: SZS 2015 S. 308
ff., 317 f. Ziff. 5.2). Zudem setzte sich der Gerichtsgutachter nach Massgabe
der geänderten Rechtsprechung (BGE 141 V 281 E. 2.1.1 S. 285 f.) mit der
Diagnose "anhaltende somatoforme Schmerzstörung" intensiv auseinander. Aus
seiner Beurteilung ergibt sich eindeutig, dass er einen andauernden schweren
und quälenden Schmerz nicht feststellen konnte. Die im Verlauf mehrfach
beschriebenen depressiven Störungen und die übrigen diagnostizierten
Beschwerden hatten auf Grund ihrer ausgewiesenen - nicht schweren - Ausprägung
und Intensität sowie ihres entsprechenden Schweregrades nie ein
invalidisierendes Ausmass erreicht.

4.2. Was die Beschwerdeführerin hiegegen vorbringt, ist unbegründet. Entgegen
ihren Erklärungsversuchen steht aktenkundig fest, dass die Versicherte von
Beginn weg trotz klarer Indikation eine psychopharmakologische Behandlung
ablehnte und sich gegenüber einer Gesprächstherapie misstrauisch und ambivalent
verhielt. So berichtete bereits der erstbehandelnde Psychiater Dr. med.
D.________, bei seiner Behandlung vom 15. November 2004 habe ihm die
Beschwerdeführerin mitgeteilt, dass ihr Anwalt sich gegen eine Psychotherapie
negativ geäussert habe. Nachdem ihr der Psychiater daraufhin die Frage stellte,
ob sie weiter kommen wolle, habe sie sich nach dem 15. November 2004 nicht mehr
bei ihm gemeldet. Die Versicherte macht nicht geltend, sie habe die
psychopharmakologische Behandlung aus Gründen einer medizinisch nachvollziehbar
ausgewiesenen Medikamentenunverträglichkeit abgelehnt. Vielmehr hat die
Vorinstanz auch unter Mitberücksichtigung des nach 2004 aktenmässig
dokumentierten Verhaltens der Beschwerdeführerin zutreffend auf ein inadäquates
Schonverhalten mit Dekonditionierung und hypochondrischer Entwicklung, eine
mangelhafte Motivation und Kooperation hinsichtlich einer seit 2004
schrittweise zumutbaren Wiedereingliederung und eine Unfallfehlverarbeitung als
unschuldiges Unfallopfer mit kompensatorischer Begehrlichkeit geschlossen.
Weitere (psychiatrische) Abklärungen sind nach dem Gesagten mit Blick auf die
gesamte Aktenlage in antizipierter Beweiswürdigung (BGE 124 V 90 E. 4b S. 94;
122 V 157 E. 1d S. 162) nicht angezeigt. Im Übrigen beschränkt sich die
Beschwerdeführerin weitgehend darauf, die medizinischen Unterlagen abweichend
von der Vorinstanz zu würdigen und daraus andere Schlüsse zu ziehen.
Demgegenüber legt sie nicht dar, weshalb die vorinstanzliche Beweiswürdigung
bundesrechtswidrig sei und das kantonale Gericht den rechtserheblichen
Sachverhalt nicht mit dem erforderlichen Beweisgrad der überwiegenden
Wahrscheinlichkeit festgestellt habe. Die ab 25. März 2011 anhaltend geklagten,
organisch nicht objektiv ausgewiesenen Beschwerden vermögen nach dem Gesagten
praxisgemäss keine invalidisierende Gesundheitsschädigung zu begründen. Die
Vorinstanz hat daher den von der Allianz mit Einspracheentscheid vom 17. Januar
2014 per 25. März 2011 verfügten folgenlosen Fallabschluss zu Recht mit
angefochtenem Entscheid bestätigt.

5. 
Die unbegründete Beschwerde ist demnach abzuweisen.

6. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Luzern, 3. Abteilung, und
dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 26. September 2016

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Der Gerichtsschreiber: Hochuli

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