Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.227/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_227/2016

Urteil vom 14. Juni 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Ursprung, Wirthlin,
Gerichtsschreiber Nabold.

Verfahrensbeteiligte
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Reto T. Annen,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung (Hinterlassenenrente),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden
vom 28. Oktober 2015.

Sachverhalt:

A. 
Der 1956 geborene B.________ war als Betriebsmitarbeiter der C.________ AG bei
der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen die Folgen von
Unfällen versichert, als er am 22. Juni 2014 tot in seinem Schrebergarten unter
einem Kirschbaum liegend aufgefunden wurde. In der Folge lehnte es die SUVA mit
Verfügung vom 19. September 2014 und Einspracheentscheid vom 13. Januar 2015
ab, der Witwe des Versicherten, A.________, Hinterlassenenleistungen zu
erbringen, da ein möglicher Unfalltod des Versicherten nicht rechtsgenüglich
nachgewiesen sei.

B. 
Die von A.________ hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht
des Kantons Graubünden mit Entscheid vom 28. Oktober 2015 gut und verpflichtete
die SUVA, für die Folgen des Todes des Versicherten am 22. Juni 2014
Hinterlasseneleistungen zu erbringen.

C. 
Mit Beschwerde beantragt die SUVA, es sei unter Aufhebung des kantonalen
Gerichtsentscheides ihr Einspracheentscheid vom 13. Januar 2015 zu bestätigen.

Während A.________ auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das
Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 

1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist
somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen oder es kann sie mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (BGE 140 V 136 E.
1.1 S. 137 f.). Das Bundesgericht prüft indessen, unter Berücksichtigung der
allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), nur die
geltend gemachten Vorbringen, falls allfällige weitere rechtliche Mängel nicht
geradezu offensichtlich sind (BGE 138 I 274 E. 1.6 S. 280; vgl. auch BGE 140 V
136 E. 1.1 S. 138).

1.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von
Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht
an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden
(Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).

2. 
Streitig und zu prüfen ist, ob der Versicherte am 22. Juni 2014 an den Folgen
eines Unfalls gestorben ist.

3. 

3.1. Das kantonale Gericht hat erwogen, es sei nicht mit dem Beweisgrad der
überwiegenden Wahrscheinlichkeit erstellt, dass der Versicherte an den Folgen
eines Unfalls verstorben ist. Zwar hätte grundsätzlich die
leistungsansprechende Person die Folgen dieser Beweislosigkeit zu tragen, da
jedoch die SUVA keine Obduktion des Leichnams des Versicherten angeordnet habe,
habe sie in Umkehr der Beweislast trotzdem Leistungen für die Folgen des
Ereignisses vom 22. Juni 2014 zu erbringen. Die SUVA macht ihrerseits geltend,
es sei nur ausnahmsweise von einer Umkehr der Beweislast auszugehen; ihr
Verhalten im Zusammenhang mit der unterlassenen Obduktion sei jedenfalls nicht
dermassen pflichtwidrig, dass sich eine Beweislastumkehr rechtfertigen würde.

3.2. Der Sozialversicherungsprozess ist vom Untersuchungsgrundsatz beherrscht.
Danach hat das Gericht von Amtes wegen für die richtige und vollständige
Feststellung des rechtserheblichen Sachverhaltes zu sorgen. Die Verwaltung als
verfügende Instanz und - im Beschwerdefall - das Gericht dürfen eine Tatsache
nur dann als bewiesen annehmen, wenn sie von ihrem Bestehen überzeugt sind. Im
Sozialversicherungsrecht hat das Gericht seinen Entscheid, sofern das Gesetz
nicht etwas Abweichendes vorsieht, nach dem Beweisgrad der überwiegenden
Wahrscheinlichkeit zu fällen. Die blosse Möglichkeit eines bestimmten
Sachverhalts genügt den Beweisanforderungen nicht. Der Richter und die
Richterin haben vielmehr jener Sachverhaltsdarstellung zu folgen, die sie von
allen möglichen Geschehensabläufen als die wahrscheinlichste würdigen (BGE 126
V 353 E. 5b S. 360; 125 V 193 E. 2 S. 195; vgl. BGE 130 III 321 E. 3.2 und 3.3
S. 324 f.). Der Untersuchungsgrundsatz schliesst die Beweislast im Sinne der
Beweisführungslast begriffsnotwendig aus, da es Sache des
Sozialversicherungsgerichts (oder der verfügenden Verwaltungsstelle) ist, für
die Zusammentragung des Beweismaterials besorgt zu sein. Im
Sozialversicherungsprozess tragen mithin die Parteien in der Regel eine
Beweislast nur insofern, als im Falle der Beweislosigkeit der Entscheid zu
Ungunsten jener Partei ausfällt, die aus dem unbewiesen gebliebenen Sachverhalt
Rechte ableiten wollte. Diese Beweisregel greift allerdings erst Platz, wenn es
sich als unmöglich erweist, im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes aufgrund
einer Beweiswürdigung einen Sachverhalt zu ermitteln, der zumindest die
Wahrscheinlichkeit für sich hat, der Wirklichkeit zu entsprechen (BGE 138 V 218
E. 6 S. 221).

3.3. Der Versicherte wurde am 22. Juni 2014 tot in seinem Schrebergarten auf
Steinplatten unter einem Kirschbaum liegend aufgefunden. An den Kirschbaum
angelehnt war eine Leiter, welche bis zu einem vom Hauptstamm abgebrochenen Ast
in einer Höhe von 2.75 Meter ab Boden führte. In einer Höhe von etwa 3.65 Meter
ab Boden befand sich ein mit Kirschen gefüllter Kessel. Der Leichnam wies
Kopfverletzungen auf, welche gemäss Dr. med. D.________, Facharzt Rechtsmedizin
FMH, vereinbar mit einem "Sturz aus Höhe auf das Gesicht links" sind, jedoch
gemäss dem SUVA-Arzt Dr. med. E.________, nicht zwingend tödlich waren. Bei der
Legalinspektion vom 23. Juni 2014 notierte Dr. med. D.________ im Weiteren eher
spärliche Totenflecken, was auf einen Blutverlust nach innen oder aussen
hinweisen könne. In den Akten finden sich keine Hinweise auf eine vorbestehende
ernsthafte Krankheit des Versicherten.

3.4. Mit den obstehenden Indizien ohne Weiteres vereinbar ist die Hypothese,
der Versicherte habe am 22. Juni 2014 auf dem Ast am Ende oder auf einer der
letzten Sprossen der Leiter gestanden und Kirschen gepflückt, als der Ast unter
der Last des 84,5 kg schweren Versicherten nachgab, dieser vom Baum auf den
Kopf fiel, damit auf den Steinplatten aufschlug und noch am Unfallort an den
Folgen dieses Ereignisses verstarb. Dafür spricht namentlich auch die
Platzierung des mit Kirschen gefüllten Kessels, der 90 cm über dem Ende der
Leiter hing. Möglich erscheint zwar auch, dass der Versicherte beim Pflücken
der Kirschen an einer akuten Krankheit verstarb und hernach bereits tot vom
Baum fiel; diese Hypothese erscheint jedoch - bei fehlenden Hinweisen auf eine
vorbestehende Krankheit - deutlich weniger wahrscheinlich, zumal sie keine
Erklärung für den abgebrochenen Ast bietet. Dass der Ast vom stürzenden
Leichnam des an einer Krankheit auf dem Baum verstorbenen Versicherten
mitgerissen wurde, ist eher unwahrscheinlich, wären doch diesfalls am Körper
des Versicherten massivere Verletzungen zu erwarten als die eine unscharf
begrenzte, dunkelblaue Hautverfärbung auf einer Fläche von ca. 8 x 6 cm an der
Innenseite des rechten Oberarms. Zwar könnte theoretisch der Ast unabhängig vom
Sturz des Versicherten abgebrochen sein, doch erscheint ein solches zufälliges
zeitliche Aufeinandertreffen zweier voneinander unabhängiger Geschehen auf ein
und demselben Baum als weniger wahrscheinlich als ein Sturz des Versicherten
vom Baum aufgrund des brechenden Astes. Somit ist mit dem Beweisgrad der
überwiegenden Wahrscheinlichkeit erstellt, dass der Versicherte aufgrund des
brechenden Astes vom Baum fiel und an den Folgen dieses Sturzes starb. Daran
vermag auch die Aussage des Dr. med. D.________ nichts zu ändern, es müsse
offen bleiben, ob es sich beim Tod des Versicherten um einen natürlichen Tod
oder einen Unfall handle, orientiert sich doch dieser Rechtsmediziner nicht am
sozialversicherungsrechtlich relevanten Beweisgrad der überwiegenden
Wahrscheinlichkeit.

3.5. Ist demnach mit dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit
erstellt, dass der Versicherte an den direkten Verletzungen als Folge eines
Sturzes verstarb, so beruht der Tod des Versicherten auf einem Unfall im Sinne
von Art. 4 ATSG. Gleiches würde im Übrigen auch für die - wenn auch eher
unwahrscheinliche - Annahme gelten, der Tod sei nicht aufgrund der
Kopfverletzungen, sondern etwa eines sturzbedingten Herzversagens eingetreten.
Da es somit aufgrund einer Beweiswürdigung möglich ist, einen Sachverhalt zu
ermitteln, der zumindest die Wahrscheinlichkeit für sich hat, der Wirklichkeit
zu entsprechen, kann die Frage nach der Verteilung der Beweislast und ihrer
allfälligen Umkehr offenbleiben. Das kantonale Gericht hat die Leistungspflicht
der SUVA für die Folgen des Ereignisses vom 22. Juni 2014 jedenfalls im
Ergebnis zu Recht bejaht; die Beschwerde der SUVA ist abzuweisen.

4. 
Dem Prozessausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der Beschwerdeführerin
aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Diese hat der Beschwerdegegnerin überdies
eine Parteientschädigung zu entrichten (Art. 68 Abs. 1 BGG).
 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden,
Kammer 2 als Versicherungsgericht, und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich
mitgeteilt.

Luzern, 14. Juni 2016

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Der Gerichtsschreiber: Nabold

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