Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.219/2016
Zurück zum Index I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2016
Retour à l'indice I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2016


Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente
dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet.
Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem
Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
                                                               Grössere Schrift

Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_219/2016

Urteil vom 12. September 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Ursprung, Frésard,
Gerichtsschreiberin Berger Götz.

Verfahrensbeteiligte
Dienststelle Wirtschaft und Arbeit (wira), Arbeitslosenkasse des Kantons
Luzern, Bürgenstrasse 12, 6005 Luzern,
Beschwerdeführerin,

gegen

 A.________,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Arbeitslosenversicherung (Zwischenverdienst; Rückerstattung),

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Luzern vom 23. Februar 2016.

Sachverhalt:

A. 
Die Arbeitslosenkasse des Kantons Luzern richtete dem 1975 geborenen A.________
in der Rahmenfrist zum Leistungsbezug vom 1. März 2013 bis 28. Februar 2015 für
die Zeit vom 1. März bis 30. September 2013 und vom 1. April bis 31. Dezember
2014 Arbeitslosenentschädigung von gesamthaft Fr. 118'437.30 aus. Ein Abgleich
der Daten der Kasse durch das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) ergab,
dass A.________ am 20. Dezember 2013 und 15. Dezember 2014 bis anhin der
Verwaltung nicht bekannte Zahlungen von der B.________ AG in der Höhe von Fr.
17'995.- bzw. Fr. 18'670.- erhalten hatte. Mit Verfügung vom 14. Juli 2015
forderte die Kasse in der Folge zu Unrecht ausbezahlte Leistungen in der Höhe
von Fr. 22'859.50 zurück. In teilweiser Gutheissung der dagegen erhobenen
Einsprache änderte sie die Verfügung dahingehend ab, dass sie die Rückforderung
auf Fr. 9'081.10 reduzierte (Einspracheentscheid vom 26. Oktober 2015).

B. 
Das Kantonsgericht Luzern hiess die gegen den Einspracheentscheid geführte
Beschwerde teilweise gut, indem sie die Rückforderung auf Fr. 5'302.30
festsetzte (Entscheid vom 23. Februar 2016).

C. 
Die Arbeitslosenkasse erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten und stellt den Antrag, in Aufhebung des kantonalen
Gerichtsentscheids sei an der Rückforderung von Fr. 9'081.10 festzuhalten.
 A.________ lässt sich nicht vernehmen. Das kantonale Gericht schliesst unter
Hinweis auf die Erwägungen im angefochtenen Entscheid vom 23. Februar 2016 auf
Abweisung der Beschwerde. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO)
verzichtet auf eine Stellungnahme. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV)
reicht keine Vernehmlassung ein unter Hinweis darauf, dass der angefochtene
Entscheid den Bereich der Arbeitslosenversicherung betreffe und somit nicht in
seinen Zuständigkeitsbereich falle.

Erwägungen:

1. 
Mit der Beschwerde kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 und 96 BGG geltend
gemacht werden. Das Bundesgericht wendet das Recht grundsätzlich von Amtes
wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Trotzdem obliegt es dem Beschwerdeführer, sich
in seiner Beschwerde sachbezogen mit den Darlegungen im angefochtenen Entscheid
auseinanderzusetzen (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG). Das Bundesgericht prüft unter
Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht - vorbehältlich
offensichtlicher Fehler - nur die in seinem Verfahren geltend gemachten
Rechtswidrigkeiten (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254). Es ist jedenfalls nicht
gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen
Fragen zu untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen
werden (BGE 135 II 384 E. 2.2.1 S. 389; siehe auch BGE 134 III 102 E. 1.1 S.
104). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren
Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht
(Art. 105 Abs. 2 BGG).

2. 
Das kantonale Gericht schützt die im Einspracheentscheid vom 26. Oktober 2015
vorgenommene Anrechnung der im Dezember 2013 und Dezember 2014 von der
B.________ AG auf Gewinnbasis ausbezahlten Beträge als Zwischenverdienst nach
dem sogenannten Entstehungsprinzip. Konkret berücksichtigt es somit im Januar,
Februar und Oktober 2013 je Fr. 1'799.50, im März und April 2013 je Fr. 899.75,
im November und Dezember 2013 je Fr. 5'398.50, im Januar und Februar 2014 je
Fr. 7'468.- und im Dezember 2014 Fr. 3'734.- als Zwischenverdienst, ausgehend
von der Hypothese, dass in diesem Verhältnis auch (Arbeits-) Leistungen des
Versicherten für die Gesellschaft erbracht worden seien. Nach der
anteilsmässigen Aufteilung des jährlichen Entgelts auf die genannten Monate
verbleibt für die Monate Mai, Juli, August 2013 und Mai bis November 2014 kein
Zwischenverdienst. Deshalb hatte die Kasse im Einspracheentscheid für die
letztgenannten Perioden denn auch - im Prinzip - auf eine nachträgliche
Berichtigung der ausbezahlten Arbeitslosentaggelder verzichtet, was die
Reduktion der Rückforderung von Fr. 22'859.50 auf Fr. 9'081.10 zur Folge hatte.
Im reduzierten Rückforderungsbetrag nach wie vor enthalten sind jedoch die von
der Kasse ursprünglich auch für die Monate Mai, Juli, August 2013 und Mai bis
November 2014 ausgerichteten Zuschläge nach Art. 22 Abs. 1 Satz 2 AVIG von
insgesamt Fr. 3'778.80. Die Vorinstanz ist der Ansicht, diese seien von der
Rückforderung auszunehmen, weil der Versicherte den Anspruch auf Kinder- und
Familienzulagen nicht anderweitig geltend machen könne. Somit habe subsidiär
die Kasse die Zuschläge auch für diese Zeit zu leisten. Der
Rückforderungsanspruch sei damit von Fr. 9'081.10 um Fr. 3'778.80 herabzusetzen
und auf Fr. 5'302.30 zu korrigieren.

3. 
Die Rückforderung der Arbeitslosenentschädigung für die Monate, in welchen dem
Versicherten gemäss Entstehungsprinzip bei der B.________ AG ein Einkommen
zugerechnet wird, ist letztinstanzlich nicht mehr streitig. Die Vorinstanz
bejaht das Vorliegen eines Rückkommenstitels (Art. 53 ATSG) und die
Voraussetzungen der Rückforderung im Sinne von Art. 25 Abs. 1 Satz 1 ATSG.
Darauf ist nicht mehr einzugehen (vgl. E. 1 hiervor). Umstritten ist nunmehr
lediglich noch die Frage, ob das kantonale Gericht den Rückforderungsanspruch
der Kasse zu Recht von Fr. 9'081.10 um den ursprünglich ausgerichteten Betrag
von Fr. 3'778.80 für die Zuschläge der Monate Mai, Juli, August 2013 und Mai
bis November 2014 auf Fr. 5'302.30 herabsetzt. Dem Beschwerdegegner wird für
diese Perioden kein Zwischenverdienst angerechnet. Dennoch geht die Kasse davon
aus, dass er für die Jahre 2013 und 2014 über die B.________ AG Anspruch auf
Kinder- und Familienzulagen habe.

4.

4.1. Gemäss Art. 22 Abs. 1 Satz 2 AVIG erhält die versicherte Person einen
Zuschlag zum Taggeld, der den auf den Tag umgerechneten gesetzlichen Kinder-
und Ausbildungszulagen entspricht, auf die sie Anspruch hätte, wenn sie in
einem Arbeitsverhältnis stände. Dieser Zuschlag wird nur ausbezahlt, soweit die
Kinderzulagen der versicherten Person während der Arbeitslosigkeit nicht
ausgerichtet werden und für dasselbe Kind kein Anspruch einer erwerbstätigen
Person besteht (Art. 22 Abs. 1 lit. a und b AVIG). Die Arbeitslosenkasse hat
den Zuschlag somit gemäss Art. 22 Abs. 1 lit. a AVIG lediglich subsidiär
auszurichten. Entsprechend sieht die seit Januar 2013 gültige Weisung des SECO
(AVIG-Praxis ALE, Rz. C81) vor, dass die ALV keinen Zuschlag ausrichtet, wenn
für ein Kind Anspruch auf Familienzulage einer erwerbstätigen Person für den
gleichen Zeitraum besteht.
Beim Zuschlag handelt es sich um ein vom Taggeldanspruch abhängiges Nebenrecht
(THOMAS NUSSBAUMER, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches
Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, 3. Aufl. 2016, Rz. 351). Er
richtet sich nach dem Familienzulagengesetz des Kantons, in dem die versicherte
Person wohnt (Art. 34 Abs. 1 AVIV). Gemäss Art. 34 Abs. 2 AVIV gibt das SECO im
Einvernehmen mit dem BSV den Durchführungsorganen jährlich die Ansätze und die
wichtigsten Anspruchsvoraussetzungen bekannt.

4.2. Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, dass die Beziehung zwischen dem
Beschwerdegegner und der B.________ AG als Arbeitsvertrag zu qualifizieren sei.
Die Vorinstanz bestätige dies insoweit, als sie auch von einem
arbeitsvertragsähnlichen Rechtsverhältnis ausgehe. Somit sei Randziffer 510a
der Wegleitung zum Bundesgesetz über die Familienzulagen (FamZWL) anwendbar,
wonach bei einer unregelmässigen und ganzjährigen Beschäftigung das
Jahreseinkommen massgebend sei. Nach Art. 13 Abs. 3 FamZG habe Anspruch auf
Zulagen, wer auf ein jährliches Erwerbseinkommen AHV-Beiträge entrichte, das
mindestens dem halben jährlichen Betrag der minimalen vollen Altersrente der
AHV entspreche. Für die Jahre 2013 und 2014 habe der Grenzbetrag Fr. 585.- im
Monat, bzw. Fr. 7'020.- pro Jahr, betragen. Der Versicherte, welcher vom 1.
Januar 2013 bis 31. Dezember 2014 unregelmässig, also nicht jeden Monat, für
die B.________ AG tätig gewesen sei, habe in beiden Jahren den Mindestbetrag
von Fr. 7'020.- erreicht. Deshalb habe er aufgrund seines Arbeitsverhältnisses
mit der B.________ AG Anspruch auf Familienzulagen für das ganze Jahr, auch für
die Monate, in welchen er nicht für die Gesellschaft gearbeitet habe.

4.3.

4.3.1. Das kantonale Gericht lässt die Frage, ob die geleistete Arbeit für die
B.________ AG als selbstständige oder unselbstständige Erwerbstätigkeit zu
qualifizieren ist, offen, weil das Entgelt sowohl aus dem einen als auch aus
dem anderen Rechtsverhältnis als Zwischenverdienst anzurechnen sei. Die Kasse
weist zwar korrekt darauf hin, dass im angefochtenen Entscheid immerhin von
einem "arbeitsvertragsähnlichen Rechtsverhältnis" ausgegangen wird. Sie
vertritt letztinstanzlich die Meinung, es liege eine unselbstständige
Beschäftigung vor. Es erübrigt sich allerdings auch in Bezug auf die Frage der
Kinder- und Ausbildungszulagen, eine Zuordnung des Versicherten als
Selbstständig- oder Unselbstständigerwerbender vorzunehmen, wie sich aus dem
Folgenden ergibt.

4.3.2. Neben den als Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer in der AHV
obligatorisch versicherten Personen, die von einem dem FamZG unterstellten
Arbeitgeber beschäftigt werden (Art. 13 Abs. 1 FamZG), haben gemäss dem ab 1.
Januar 2013 in Kraft stehenden Art. 13 Abs. 2bis FamZG neu auch die als
Selbstständigerwerbende in der AHV obligatorisch versicherten Personen Anspruch
auf Familienzulagen. Bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern entsteht und
erlischt der Anspruch mit dem Lohnanspruch (Art. 13 Abs. 1 Satz 3 FamZG). Der
Anspruch auf Familienzulagen für Selbstständigerwerbende beginnt am ersten Tag
des Monats, in dem die selbstständige Erwerbstätigkeit aufgenommen wird, und
endet am letzten Tag des Monats, in dem die selbstständige Erwerbstätigkeit
aufgegeben wird (Art. 10a Abs. 1 FamZV). Die Beschwerdeführerin hat die zwei
Zahlungen der B.________ AG je vom Dezember 2013 und 2014 dem Versicherten
entsprechend den Auskünften der Gesellschaft gemäss Entstehungsprinzip für
einzelne Monate zugerechnet und auch nur für diese Zeiten als Zwischenverdienst
berücksichtigt. Darauf kann sie nun im Rahmen der Prüfung des Anspruchs auf
Familienzulagen nicht zurückkommen, indem sie die Zahlungen der B.________ AG
auf ein durchschnittliches Monatseinkommen umrechnet bzw. von einem den
Grenzbetrag überschreitenden Jahreseinkommen ausgeht und daraus einen
durchgehenden Anspruch auf Zulagen ableitet. Entgegen der Ansicht der
Beschwerdeführerin kann - selbst wenn man von einer unselbstständigen Tätigkeit
für die Gesellschaft ausgehen würde - nicht angenommen werden, der Versicherte
sei der Gesellschaft ganzjährig für Arbeitseinsätze zur Verfügung gestanden und
es hätte deshalb im Sinne von Randziffer 510 FamZWL (in der Fassung vom 1.
Januar 2013; vgl. auch die von der Kasse zitierte Randziffer 510 lit. a und b
FamZWL in der seit 1. Januar 2016 massgebenden Fassung) für sämtliche Monate
der Jahre 2013 und 2014 Anspruch auf Familienzulagen nach FamZG bestanden.
Ebensowenig kann andererseits im Sinne von Art. 10a Abs. 1 FamZV von einer
ununterbrochenen selbstständigen Erwerbstätigkeit gesprochen werden.

5. 
Nach dem Gesagten hat das kantonale Gericht den von der
Arbeitslosenversicherung gemäss Art. 22 Abs. 1 AVIG geleisteten Zuschlag für
die Monate Mai, Juli, August 2013 und Mai bis November 2014 zu Recht vom
Rückforderungsanspruch der Kasse ausgenommen, weshalb der Versicherte lediglich
zu Unrecht erhaltene Leistungen von Fr. 5'302.30 zurückzuerstatten hat.

6. 
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden
Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG; BGE 133 V 637 E. 4.6 S.
639).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Luzern, 3. Abteilung, dem
Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO), der Dienststelle Wirtschaft und Arbeit
(wira), Stab Recht, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich
mitgeteilt.

Luzern, 12. September 2016

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Die Gerichtsschreiberin: Berger Götz

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Drucken nach oben