Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.205/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_205/2016

Urteil vom 20. Juni 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Ursprung, Frésard,
Gerichtsschreiberin Durizzo.

Verfahrensbeteiligte
SWICA Versicherungen AG,
Römerstrasse 37, 8400 Winterthur,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Kathrin Hässig,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Unfallversicherung (Invalidenrente),

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich
vom 27. Januar 2016.

Sachverhalt:

A. 
A.________, geboren 1946, war als Küchenchef im Hotel-Restaurant B.________
angestellt und bei der SWICA Versicherungen AG (nachfolgend: SWICA) für die
Folgen von Berufs- und Nichtberufsunfällen sowie Berufskrankheiten versichert.
Am 26. September 2009 rutschte er auf einer Kellertreppe aus und zog sich eine
Kontusion an der rechten Hüfte zu. Diese war mit einer Totalprothese versorgt
und wurde beim Sturz gelockert. Es waren in der Folge mehrere Operationen
erforderlich. Mit Verfügung vom 17. Juni 2014 und Einspracheentscheid vom 19.
Dezember 2014 sprach die SWICA A.________ ab dem 1. Januar 2013 eine
Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad von 31 Prozent sowie eine
Integritätsentschädigung bei einer Integritätseinbusse von 30 Prozent zu.

B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich mit Entscheid vom 27. Januar 2016 gut und sprach A.________ eine
Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad von 52 Prozent zu.

C. 
Die SWICA führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und
beantragt, es sei der angefochtene Entscheid aufzuheben und ihr
Einspracheentscheid vom 19. Dezember 2014 zu bestätigen.
A.________ lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen. Das Bundesamt für
Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerde kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG
erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106
Abs. 1 BGG). Es ist somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten
Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine
Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann
sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung
abweisen (vgl. BGE 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Gemäss Art. 42 Abs. 1 BGG ist
die Beschwerde hinreichend zu begründen, andernfalls wird darauf nicht
eingetreten (Art. 108 Abs. 1 lit. b BGG). Das Bundesgericht prüft grundsätzlich
nur die geltend gemachten Rügen; es ist nicht gehalten, wie eine
erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu prüfen,
wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen wurden. Es kann die
Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht nur
insofern prüfen, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und
begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG).

1.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von
Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht
an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden
(Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).

2. 
Das kantonale Gericht hat die für den Rentenanspruch massgeblichen Bestimmungen
und Grundsätze zutreffend dargelegt. Es wird darauf verwiesen.

3.

3.1. Streitig ist, ob wegen des vorgerückten Alters des Versicherten, der seit
Oktober 2011 eine AHV-Rente bezieht, für die Bestimmung des Invaliditätsgrades
nach Art. 28 Abs. 4 UVV das Erwerbseinkommen massgebend ist, das ein
Versicherter im mittleren Alter bei einer entsprechenden Gesundheitsschädigung
erzielen könnte.

3.2. Nach den vorinstanzlichen Erwägungen wurde in den medizinischen Unterlagen
eine Einschränkung des Versicherten von 50 Prozent in der angestammten
Tätigkeit beziehungsweise eine 75-prozentige Arbeitsfähigkeit in einer weniger
(hüft-) belastenden sitzenden Tätigkeit bescheinigt. Andere Ursachen als die
unfallbedingte Verschlechterung der Hüftproblematik seien dabei nicht angeführt
worden, insbesondere auch nicht das fortgeschrittenen Alter des Versicherten.
Er sei vor dem Unfall als 63-Jähriger in der körperlich belastenden Tätigkeit
als Küchenchef trotz der Totalprothese zu 100 Prozent tätig gewesen. Zudem
bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass die Einschränkung der
Arbeitsfähigkeit durch den erlittenen Unfall und seine Folgen bei einer Person
mittleren Alters geringer ausgefallen wäre. Der physiologischen
Altersgebrechlichkeit komme daher im gesamten Ursachenspektrum für die
Einschränkung der Arbeitsfähigkeit keine wesentliche Bedeutung zu. Die
Voraussetzungen für die Anwendbarkeit von Art. 28 Abs. 4 UVV seien deshalb
nicht erfüllt (RKUV 1990 Nr. U 115 S. 389 E. 4b).

3.3. Beschwerdeweise wird geltend gemacht, dass Art. 28 Abs. 4 UVV wegen des
Alters des Versicherten von 66 Jahren im Zeitpunkt des Rentenbeginns anzuwenden
sei. Darüber hinaus beruft sich die Beschwerdeführerin, wie schon vor der
Vorinstanz, darauf, dass einem Versicherten im mittleren Alter ein höheres
Invalideneinkommen anzurechnen wäre. Er wäre nicht auf eine leichte und
repetitive Tätigkeit nach Anforderungsniveau 4 der Tabellenlöhne des Bundesamts
für Statistik angewiesen, sondern hätte nach einer Umschulung eine Tätigkeit
nach Anforderungsniveau 3 ausüben und dementsprechend einen höheren Lohn
erzielen können als von der Vorinstanz angerechnet. Diesen letzteren Einwand
hat das kantonale Gericht verworfen, denn die Frage der noch möglichen
Umschulung zur Erzielung eines höheren Invalideneinkommens sei nur bei
Anwendbarkeit der Bestimmung von Art. 28 Abs. 4 UVV zu prüfen, welche die
Vorinstanz jedoch mit der erwähnten Begründung ausgeschlossen hat.

3.4. Nach der Rechtsprechung ist die Anwendung der Bestimmung von Art. 28 Abs.
4 UVV ab einem Alter des Versicherten von rund 60 Jahren grundsätzlich in
Betracht zu ziehen, was aber freilich nicht bedeutet, dass bei der
Invaliditätsbemessung ab jenem Alter stets nach Art. 28 Abs. 4 UVV zu verfahren
wäre. Auch bei Versicherten im vorgerückten Alter ist die Anwendung dieser
Bestimmung erst dann zu erwägen und durch entsprechende Abklärungen zu
ergründen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der physiologischen
Altersgebrechlichkeit verglichen mit den anderen Ursachen der Beeinträchtigung
der Erwerbsfähigkeit eine wesentliche Bedeutung zukommt (BGE 122 V 418 E. 4c S.
424; RKUV 1990 Nr. U 115 S. 389 E. 4b S. 390; vgl. zum Sinn und Zweck der
Bestimmung BGE 113 V 132 E. 4b S. 136 mit Hinweis auf EVGE 1967 S. 146 ff.; 122
V 418 E. 3a S. 421 f.; 134 V 392 E. 6 S. 397 f.; zur Gesetzmässigkeit: BGE 122
V 426).
Nach den vorinstanzlichen Feststellungen war die von den Ärzten bescheinigte
Einschränkung der Arbeitsfähigkeit um 50 Prozent in der angestammten
beziehungsweise um 25 Prozent in einer leidensangepassten Tätigkeit allein
durch die Hüftbeschwerden bedingt. Die für die Anwendung von Art. 28 Abs. 4 UVV
vorausgesetzte physiologische Altersgebrechlichkeit lag nicht vor, was
beschwerdeweise insoweit auch nicht bestritten wird (vgl. auch Urteil U 313/06
vom 14. August 2007 E. 3.4).
Im Übrigen aber hätte die Anwendung von Art. 28 Abs. 4 UVV hier ohnehin keinen
Einfluss auf den Invaliditätsgrad. Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass
ein Versicherter im mittleren Alter durch die Invalidenversicherung umgeschult
worden wäre. Die Vorinstanz hat die unfallbedingten gesundheitlichen
Einschränkungen des Versicherten einlässlich geschildert. Sie hat
berücksichtigt, dass er mit Rücksicht auf diese unfallbedingten Beschwerden
nach Einschätzung des von der Beschwerdeführerin beauftragten Gutachters selbst
in einer leidensangepassten Tätigkeit keine volle Arbeitsfähigkeit mehr
erlangen könnte. Dass eine Person mittleren Alters unter diesen Umständen ein
höheres als das von der Vorinstanz herangezogene Einkommen verdienen könnte,
ist nicht mit der erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit nachzuweisen,
zumal auch beschwerdeweise nicht weiter begründet wird, welche beruflichen
Möglichkeiten mit entsprechendem Lohn dem Versicherten bei rein sitzender
Tätigkeit offengestanden hätten und inwiefern daraus ein tieferer
Invaliditätsgrad resultiert hätte (BGE 126 V 353 E. 5b S. 360; 130 III 321 E.
3.2 und 3.3 S. 324 f.).

3.5. Zusammengefasst ist beim Invalideneinkommen im Ergebnis mit der Vorinstanz
auf den Tabellenlohn für einfache und repetitive Tätigkeiten
(Anforderungsniveau 4) abzustellen.

4. 
Zu überprüfen bleibt der vom kantonalen Gericht gewährte Abzug vom Tabellenlohn
in der Höhe von 15 Prozent, welcher beschwerdeweise beanstandet wird.
Mit dem Abzug vom Tabellenlohn nach BGE 126 V 75 soll der Tatsache Rechnung
getragen werden, dass persönliche und berufliche Merkmale, wie Art und Ausmass
der Behinderung, Lebensalter, Dienstjahre, Nationalität oder
Aufenthaltskategorie und Beschäftigungsgrad Auswirkungen auf die Lohnhöhe haben
können und je nach Ausprägung die versicherte Person deswegen die verbliebene
Arbeitsfähigkeit auch auf einem ausgeglichenen Arbeitsmarkt nur mit
unterdurchschnittlichem erwerblichem Erfolg verwerten kann (BGE 135 V 297 E.
5.2 S. 301). Der Abzug ist unter Würdigung der Umstände im Einzelfall nach
pflichtgemässem Ermessen gesamthaft zu schätzen. Er darf 25 Prozent nicht
übersteigen (BGE 126 V 75 E. 5b/bb-cc S. 80). Die Frage nach der Höhe des
Abzuges ist eine typische Ermessensfrage, deren Beantwortung letztinstanzlicher
Korrektur nur mehr dort zugänglich ist, wo das Gericht das Ermessen
rechtsfehlerhaft ausgeübt hat, also Ermessensüberschreitung, -missbrauch oder
-unterschreitung vorliegt (BGE 137 V 71 E. 5.1 S. 72 f. mit Hinweis auf BGE 132
V 393 E. 3.3 S. 399; SVR 2015 IV Nr. 22 S. 65, 8C_693/2014 E. 2.2).
Das kantonale Gericht hat sich zu den in Betracht fallenden Abzugsgründen
eingehend geäussert (BGE 129 V 472 E. 4.2.3 S. 481; 126 V 75 E. 5 S. 78 ff.).
Nach seinen Ausführungen war letztlich nur das Kriterium des
Beschäftigungsgrades ausschlaggebend für den gewährten 15-prozentigen Abzug. Es
sind hier jedoch für die bescheinigte Reduktion der Arbeitsfähigkeit um
höchstens 25 Prozent keine weiteren Gründe für eine Beschränkung der
Leistungsfähigkeit ersichtlich. Der (zusätzliche) 15-prozentige Abzug war daher
bundesrechtswidrig und der angefochtene Entscheid ist insoweit zu korrigieren.

5. 
Der Vergleich des unbestittenen Valideneinkommens von 82'974 Franken mit einem
Invalideneinkommen von 47'142 Franken für ein       75-Prozent-Pensum (nach den
mit Ausnahme des leidensbedingten Abzuges unbestritten gebliebenen
vorinstanzlichen Feststellungen) ergibt einen Invaliditätsgrad von 43 Prozent.

6. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Entsprechend seinem Ausgang
werden beiden Parteien Gerichtskosten auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die SWICA
hat dem Versicherten eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2
BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 27. Januar 2016 und der
Einspracheentscheid der SWICA Versicherungen AG vom 19. Dezember 2014 werden
insoweit abgeändert, als der Versicherte Anspruch auf eine Invalidenrente bei
einem Invaliditätsgrad von 43 Prozent hat. Im Übrigen wird die Beschwerde
abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden zu Fr. 400.- der Beschwerdeführerin und
zu Fr. 400.- dem Beschwerdegegner auferlegt.

3. 
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 1'400.- zu entschädigen.

4. 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen
Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich zurückgewiesen.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 20. Juni 2016
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Die Gerichtsschreiberin: Durizzo

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