Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.194/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_194/2016

Urteil vom 14. Juni 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Ursprung, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiberin Riedi Hunold.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Advokatin Raffaella Biaggi,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Solothurn,
Allmendweg 6, 4528 Zuchwil,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn
vom 17. Februar 2016.

Sachverhalt:

A. 
A.________, geboren 1981, meldete sich im April 2013 bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Der behandelnde Psychiater, med.
pract. B.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, diagnostizierte
am 9. Oktober 2013 eine paranoide Schizophrenie (ICD-10: F 20.0). Die
Psychiatrie C.________ konnte am 4. November 2013 die Diagnose hingegen nicht
bestätigen und verwies auf den Bericht der Neurologischen Praxis, Spital
D.________, vom 30. Oktober 2013. Mit Verfügung vom 10. September 2014 wies die
IV-Stelle des Kantons Solothurn das Leistungsgesuch ab, da keine medizinische
Diagnose vorliege, welche eine länger andauernde Arbeitsunfähigkeit zu
begründen vermöge.

B. 
Das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn wies die dagegen erhobene
Beschwerde gestützt auf das Gerichtsgutachten der Frau Dr. med. E.________,
Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 13. November 2015 am 17.
Februar 2016 ab (Ziff. 1), auferlegte der IV-Stelle die Kosten des
Gerichtsgutachtens (Ziff. 4) sowie A.________ die Gerichtskosten (Ziff. 3) und
verzichtete auf die Zusprechung einer Parteientschädigung (Ziff. 2).

C. 
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Antrag, es sei der vorinstanzliche Entscheid bezüglich Ziff. 2 und 3
aufzuheben, der IV-Stelle die Kosten des kantonalen Verfahrens aufzuerlegen und
ihm eine Parteientschädigung in der Höhe von mindestens Fr. 3'474.35 zu Lasten
der IV-Stelle zuzusprechen. Eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zur
Festlegung der Höhe der Parteientschädigung und Kostenverteilung
zurückzuweisen. Zudem ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft
das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur
Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die
geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).

2. 
Der Versicherte macht geltend, ihm stehe nach Art. 61 lit. g ATSG eine
Parteientschädigung zu, da seine Beschwerde bezüglich des gerügten
unvollständig erstellten Sachverhalts erfolgreich gewesen sei, was zumindest
ein teilweises Obsiegen darstelle. Es könne sich hier nicht anders verhalten,
als wenn die Vorinstanz die Sache an die IV-Stelle zu weiteren Abklärungen
zurückweise, was als vollständiges Obsiegen mit entsprechenden
Entschädigungsfolgen seitens der versicherten Person gewertet werde. Es sei
nicht nachvollziehbar, weshalb sein Anspruch auf Entschädigung nur deshalb
entfallen soll, weil vorliegend die Vorinstanz selbst die weiteren Abklärungen
vorgenommen habe. Zumindest habe er Anspruch auf Ersatz seiner Aufwendungen bis
zur Anordnung des Gerichtsgutachtens. Dies gelte sinngemäss auch für die
kantonalen Gerichtskosten. Zudem rügt er eine Verletzung des rechtlichen
Gehörs, da die Vorinstanz nicht begründet habe, weshalb ihm keine
Parteientschädigung zustehe.

3. 
Vorweg ist die formelle Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu prüfen.

3.1. Das rechtliche Gehör nach Art. 29 Abs. 2 BV verlangt, dass die Behörde die
Vorbringen des vom Entscheid in seiner Rechtsstellung Betroffenen auch
tatsächlich hört, prüft und in der Entscheidfindung berücksichtigt. Daraus
folgt die Verpflichtung der Behörde, ihren Entscheid zu begründen. Dabei ist es
nicht erforderlich, dass sie sich mit allen Parteistandpunkten einlässlich
auseinandersetzt und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt. Vielmehr
kann sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken. Die
Begründung muss so abgefasst sein, dass sich der Betroffene über die Tragweite
des Entscheids Rechenschaft geben und ihn in voller Kenntnis der Sache an die
höhere Instanz weiterziehen kann. In diesem Sinne müssen wenigstens kurz die
Überlegungen genannt werden, von denen sich die Behörde hat leiten lassen und
auf die sich ihr Entscheid stützt (BGE 136 I 184 E. 2.2.1 S. 188, 229 E. 5.2 S.
236).

3.2. Die Vorinstanz stellt in E. 7 ihres Entscheids einleitend fest: "Bei
diesem Verfahrensausgang besteht kein Anspruch auf eine Parteientschädigung."
Diese Aussage ist in Zusammenhang mit dem vorangegangenen Satz, dem letzten von
E. 6.2 zu sehen ("Demnach ist die Beschwerde abzuweisen."). Auch wenn es
wünschbar gewesen wäre, dass die Vorinstanz wenigstens die massgebliche
gesetzliche Grundlage (Art. 61 lit. g ATSG, welcher explizit ein Obsiegen der
versicherten Person voraussetzt) angegeben hätte, ist aus dem Zusammenhang
jedoch klar ersichtlich, dass sie dem Versicherten keine Parteientschädigung
zusprach, weil seine Beschwerde abgewiesen wurde. Da es sich dabei um die
übliche Rechtsfolge bei einem erfolglos eingereichten Rechtsmittel handelt, war
keine einlässliche Begründung notwendig (vgl. BGE 139 V 496 E. 5 S. 503, wonach
der Richter etwa bei der ermessensweisen Festsetzung der Höhe einer
Parteientschädigung diese in der Regel nicht begründen muss, sofern er sich an
den gesetzlich vorgegebenen Tarifrahmen hält). Im Verzicht auf eine
ausführliche Begründung kann hier jedenfalls keine Verletzung des rechtlichen
Gehörs erblickt werden.

4.

4.1. Gemäss Art. 61 lit. c ATSG hat das erstinstanzliche Gericht unter
Mitwirkung der Parteien die für den Entscheid wesentlichen Tatsachen
festzustellen und die notwendigen Beweise zu erheben. Nach dem Bundesgericht
dürfen die erstinstanzlichen Gerichte sich ihrer Pflicht zur Abklärung des
massgeblichen Sachverhalts nach Art. 61 lit. c ATSG nicht ohne Not durch
Rückweisung an die IV-Stelle zur weiteren Abklärungen entziehen. Vielmehr hat
es die Vorteile des gestrafften Verfahrens und des verminderten Risikos von
multiplen Begutachtungen bei Anordnung eines Gerichtsgutachtens hervorgehoben
und die bisherige Praxis, wonach es im Ermessen der erstinstanzlichen Gerichte
lag, selbst ein Gutachten einzuholen oder die Sache zur weiteren Abklärung
zurückzuweisen, geändert. Nunmehr stellt die Einholung eines Gerichtsgutachtens
den Regelfall dar und die Rückweisung an die IV-Stelle bleibt beschränkt auf
Fälle, in welchen eine bis anhin noch nicht abgeklärte Frage zu beantworten ist
oder in denen es lediglich um Klarstellungen, Präzisierungen oder Ergänzungen
von gutachterlichen Ausführungen geht (BGE 137 V 210 E. 4.4.1 S. 263 mit
Hinweisen).
Abweichend von Art. 61 lit. a ATSG ist das kantonale Beschwerdeverfahren bei
Streitigkeiten um die Bewilligung oder Verweigerung von IV-Leistungen
kostenpflichtig; der Kostenrahmen beträgt Fr. 200.- bis Fr. 1'000.- (Art. 69
Abs. 1bis IVG). Dabei richtet sich die Aufteilung der Gerichtskosten bei bloss
teilweisem Obsiegen nach kantonalem Verfahrensrecht (Urteil 8C_568/2010 vom 3.
Dezember 2012 E. 4.2).
Nach Art. 61 lit. g ATSG hat die versicherte Person Anspruch auf Ersatz der
Parteikosten, wenn sie obsiegt. Nach der Rechtsprechung wird dies nach einer
materiellen Betrachtungsweise unter Zugrundelegung der gestellten Anträge
beurteilt und es kann erst dann von einem Obsiegen gesprochen werden, wenn das
Gericht den Entscheid zugunsten der beschwerdeführenden Person abgeändert hat
resp. wenn sich deren Position durch den Entscheid verbessert hat (Ueli Kieser,
ATSG-Kommentar, 3. Aufl. 2015, N. 205 zu Art. 61 ATSG mit Verweis auf BGE 132 V
215 E. 6.2 S. 235). Wird eine Sache zur weiteren Abklärung an die IV-Stelle
zurückgewiesen, stellt dies ein vollständiges Obsiegen dar (BGE 132 V 215 E.
6.1 S. 235).

4.2. Entgegen der Ansicht des Versicherten kann seine Situation nicht mit jener
einer Person verglichen werden, deren Fall durch das kantonale Gericht an die
IV-Stelle zu weiteren Abklärungen zurückgewiesen wurde. Denn die Vorinstanz war
nicht frei, ob sie selber ein Gutachten in Auftrag geben oder aber die Sache an
die IV-Stelle zu weiteren Abklärungen zurückweisen wolle. Vielmehr war sie nach
der geltenden Rechtsprechung (E. 4.1) gehalten, ein Gerichtsgutachten
einzuholen.
Bei einem Vergleich der Rechtsstellung des Versicherten bei Erlass der
Verfügung der IV-Stelle mit jener bei Vorliegen des vorinstanzlichen Entscheids
ist festzustellen, dass sich diese nicht verbessert hatte. Insofern ist nicht
zu beanstanden, dass die Vorinstanz von einem vollständigen Unterliegen des
Beschwerdeführers ausging, da er seine Rechtsstellung nicht verbessern konnte.
Daran ändert auch der Umstand nichts, dass seinem Verfahrensantrag auf
Einholung eines weiteren Gutachtens entsprochen wurde. Denn nach der
Rechtsprechung könnte er nur dann eine Entschädigung für die Notwendigkeit der
Einleitung des kantonalen Verfahrens geltend machen, wenn er lediglich den
(vorinstanzlich nunmehr bestätigten) Fehler der IV-Stelle gerügt hätte; da er
aber die Verfügung der IV-Stelle über den ungenügend erstellten Sachverhalt
hinaus in weiteren Punkten angefochten hat, sind ihm insgesamt keine unnötigen
Kosten aus dem Fehlverhalten der IV-Stelle erwachsen, welche diese gemäss dem
allgemeinen Grundsatz, wonach der Verursacher unnötige Kosten zu übernehmen
hat, ihm zu erstatten hätte (vgl. SVR 2010 IV Nr. 51 S. 157 E. 3.3, 9C_363/
2009). Unbehelflich ist auch der Verweis auf das Urteil 9C_99/2010 vom 6.
Dezember 2010, da dieses nicht einschlägig ist; dort erfolgte eine Rückweisung
an die IV-Stelle zur - von der Vorinstanz nicht vorgenommenen - Prüfung des
Anspruchs auf berufliche Massnahmen.
Nach dem Gesagten ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz dem
Versicherten die Gerichtskosten auferlegt und eine Parteientschädigung
verweigert hat, da es an einem - wenigstens teilweisen - Obsiegen mangelt.

5. 
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten vom Beschwerdeführer
als unterliegender Partei zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Ihm ist indessen die
unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren (Art. 64 BGG), weil die Bedürftigkeit
aktenkundig und die Beschwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen ist sowie
die anwaltliche Vertretung geboten war. Es ist indessen auf Art. 64 Abs. 4 BGG
hinzuweisen, wonach der Gerichtskasse Ersatz zu leisten sein wird, wenn dies
später möglich sein sollte.
 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und Advokatin
Raffaella Biaggi wird als unentgeltliche Anwältin bestellt.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes
vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen.

4. 
Der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers wird aus der Bundesgerichtskasse
eine Entschädigung von Fr. 2'800.- ausgerichtet.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 14. Juni 2016

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Die Gerichtsschreiberin: Riedi Hunold

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