Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.188/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]            
8C_188/2016   {T 0/2}     

Urteil vom 14. Juni 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Ursprung, Wirthlin,
Gerichtsschreiber Grunder.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Andrea Cantieni,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Graubünden,
Ottostrasse 24, 7000 Chur,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente; Revision),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden
vom 15. Dezember 2015.

Sachverhalt:

A. 
Die IV-Stelle des Kantons Graubünden sprach der 1957 geborenen A.________ ab 1.
November 1998 eine halbe, ab 1. April 1999 eine ganze und ab 1. Dezember 1999
wiederum eine halbe Invalidenrente zu (Verfügung vom 4. Januar 2001). Mit
Verfügung vom 24. März 2004 und Mitteilung vom 13. September 2009 bestätigte
sie den Anspruch auf eine halbe Invalidenrente. Im Rahmen eines im Jahre 2014
eingeleiteten Revisionsverfahrens stellte sie fest, dass die Versicherte seit
1. Oktober 2011 bei der B.________ als Aushilfsverkäuferin auf Abruf und im
Stundenlohn arbeitete und damit ein den Anspruch auf Invalidenrente
ausschliessendes Einkommen erzielte. Nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren
hob sie die Invalidenrente ab 1. September 2012 auf (Verfügung vom 29. Januar
2015).

B. 
Die hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons
Graubünden mit Entscheid vom 15. Dezember 2015 ab.

C. 
Mit Beschwerde lässt A.________ beantragen, unter Aufhebung des
vorinstanzlichen Entscheids sei ihr weiterhin eine halbe Invalidenrente
auszurichten; eventualiter sei die Sache an die IV-Stelle zurückzuweisen, damit
sie den Invaliditätsgrad neu berechne.
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.

1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung
des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97   Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann
die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

1.2. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an         (Art. 106
Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten
Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine
Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann
sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung
abweisen (BGE 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Immerhin prüft das Bundesgericht,
unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde (Art.
42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die
rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 133 II 249 E. 1.4.1
S. 254).

2. 
Prozessthema bildet die Frage, ob sich der Invaliditätsgrad seit der
Rentenverfügung vom 4. Januar 2001 bis zur verfügungsweisen Neuprüfung am 29.
Januar 2015 in revisionsrechtlich erheblicher Weise verändert hatte (Art. 17
Abs. 1 ATSG). Anlass zur Rentenrevision gibt jede wesentliche Änderung in den
tatsächlichen Verhältnissen seit Zusprechung der Rente, die geeignet ist, den
Invaliditätsgrad und damit den Anspruch zu beeinflussen. Insbesondere ist die
Rente bei einer wesentlichen Änderung des Gesundheitszustandes revidierbar.
Weiter sind, auch bei an sich gleich gebliebenem Gesundheitszustand, veränderte
Auswirkungen auf den Erwerbs- oder Aufgabenbereich von Bedeutung (BGE 134 V 131
E. 3 S. 132); dazu gehört die Verbesserung der Arbeitsfähigkeit aufgrund einer
Angewöhnung oder Anpassung an die Behinderung (Urteile 9C_349/2013 24. Oktober
2013      E. 3.1 und 9C_292/2012 vom 7. August 2012 E. 2.3). Hingegen ist die
lediglich unterschiedliche Beurteilung eines im Wesentlichen gleich gebliebenen
Sachverhalts im revisionsrechtlichen Kontext unbeachtlich (BGE 112 V 371 E. 2b
S. 372; SVR 2011 IV Nr. 1 S. 1, 8C_972/2009 E. 3.2; Urteil 8C_133/2013 vom 29.
Mai 2013 E. 4.1). Praxisgemäss ist die Invalidenrente auch dann revidierbar,
wenn sich die erwerblichen Auswirkungen des an sich gleich gebliebenen
Gesundheitszustands erheblich verändert haben (BGE 133 V 545      E. 6.1 S.
546; 130 V 343 E. 3.5 S. 349 f. mit Hinweisen).

3. 
Unbestritten ist, dass mit der Aufnahme der Arbeitstätigkeit bei der B.________
eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten und
damit ein Revisionsgrund gegeben war. Daher hatte die Verwaltung den
Rentenanspruch in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht umfassend
("allseitig"), mithin ohne Bindung an frühere Beurteilungen zu prüfen (BGE 141
V 9 E. 2.3 S. 11 mit Hinweisen und E. 6.1 S. 13).

4.

4.1.

4.1.1. Die Vorinstanz hat erkannt, dass die Versicherte bei der B.________
durchschnittlich einen Jahreslohn von Fr. 35'402.60 verdiente. Dem
unbestrittenen Einkommen gegenüber gestellt, das sie erzielen könnte, wäre sie
nicht invalid geworden (Fr. 52'907.60; vgl. Art. 16 ATSG), ergab sich ein
Invaliditätsgrad von 33 %, weshalb kein Anspruch auf Invalidenrente mehr
bestand.

4.1.2. Die Beschwerdeführerin bringt vor, das kantonale Gericht habe ein
Valideneinkommen, das auf Monatslöhnen basiert habe, mit einem
Invalideneinkommen, welches sie im Stundenlohn erziele, verglichen. Sie habe
das jährliche Valideneinkommen in 46 Wochen erwirtschaften können, da sie sechs
Wochen Ferien zugute gehabt habe. Wenn die Vorinstanz nun das tatsächliche
Invalideneinkommen inklusive Ferien- und Feiertagsentschädigungen von 13.8 %
herbeiziehe, vergleiche sie einen Jahreslohn, den sie in 52 Wochen erziele. Sie
sei nach wie vor lediglich zu 50 % arbeitsfähig und benötige die arbeitsfreie
Zeit zur Erholung. Das kantonale Gericht habe den sich aus    Art. 16 ATSG
ergebenden Grundsatz der Gleichartigkeit der Vergleichseinkommen verletzt.
Daher müsse entweder das Valideneinkommen auf 52 Wochen aufgerechnet werden
oder aber beim tatsächlichen Invalideneinkommen müssten die Ferien- und
Feiertagsentschädigungen unberücksichtigt bleiben.

4.1.3. Die IV-Stelle wendet ein, sie habe sowohl das monatlich als auch das im
Stundenlohn abgerechnete Einkommen bezogen auf ein ganzes Jahr ermittelt.
Entgegen der irrigen Auffassung der Beschwerdeführerin basiere der
festgestellte Validenlohn nicht auf 46 Wochen.

4.2.

4.2.1. Das Bundesgericht hat mit Urteil 8C_193/2013 vom 4. Juni 2013 E. 3.1.3
erkannt, dass die im Stundenlohn entlöhnte versicherte Person zu einem Soll von
2184 Jahresstunden angestellt gewesen war. Diese Jahresarbeitszeit umfasste
auch Zeiten, an welchen - etwa wegen Ferien oder Feiertagen - keine Arbeit
geleistet und für welche den im Stundenlohn entlöhnten Angestellten daher kein
Lohn ausbezahlt wurde. Würden nur die tatsächlichen Arbeitsstunden
berücksichtigt, wäre als Ausgleich zum gesetzlich vorgesehenen Ferienanspruch
ein Zuschlag zum Stundenlohn zu gewähren. Wird hingegen bei Einkommensangaben -
rein rechnerisch - auch der in der arbeitsfreien Zeit zumindest theoretisch
mögliche Lohn - obschon er nicht zur Ausrichtung gelangt ist -
mitberücksichtigt, verbleibt für solche prozentualen Zuschläge unter dem Titel
"Ferien- und Feiertagsentschädigung" kein Raum. Solche rechtfertigen sich nur,
so lange der Lohn während des Bezugs von Ferien und an Feiertagen nicht
ausbezahlt und auch rechnerisch nicht berücksichtigt wird. Nur unter dieser
Voraussetzung ist der während der effektiven Arbeitszeit erzielte Stundenlohn
um einen prozentualen Zuschlag zu erhöhen. Laut Urteil I 446/01 des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts (heute Schweizerisches Bundesgericht) vom
4. April 2002 E. 2b müssen, wenn im Lohn Ferien- und Feiertagsentschädigungen
enthalten sind, die entsprechenden Zeiten für Ferien und Feiertage von der
(gesamtarbeitsvertraglich) vereinbarten Jahresarbeitszeit abgezogen werden, um
das massgebende Erwerbseinkommen ermitteln zu können.

4.2.2. So liegen die Verhältnisse hier nicht. Gemäss Arbeitsvertrag vom 8.
September 2011 wurde die Beschwerdeführerin in zeitlicher Hinsicht auf Abruf
angestellt, wobei sich die Parteien absprechen würden. Es wurde mithin keine
jährliche Arbeitszeit im Sinne einer "Brutto-Sollarbeitszeit... vor Abzug der
allgemeinen Nichtleistungsstunden" definiert (erwähntes Urteil I 446/01 E. 2b).
Die IV-Stelle ermittelte anhand des Arbeitsvertrages sowie der Lohnabrechnungen
die monatlich geleisteten Arbeitsstunden und das sich daraus ergebende Pensum
(Case Report vom 19. Dezember 2014). Im Jahr 2011 arbeitete die
Beschwerdeführerin durchschnittlich zu einem Pensum von (gerundet) 66 %, 2012
von 53 %, 2013 und 2014 von 66 %. Weiter ist ersichtlich, dass sie zum Beispiel
im Januar und Juli 2012 zu einem Pensum von 26 bzw. 35 %, im Januar 2013 von 40
% und im Mai, Juni sowie September 2014 von 14, 29 bzw. 11 % beschäftigt war.
Daraus ist im Gesamtkontext zu schliessen, dass die Beschwerdeführerin entgegen
ihren Vorbringen ihre Ferien- und Feiertageguthaben bezog. Soweit sie auf die
Praxis hinweist, wonach das hypothetische Invalideneinkommen nur unter strengen
Voraussetzungen anhand des tatsächlich erzielten Lohnes zu bestimmen sei, wird
nicht ersichtlich, welche Schlüsse daraus zu ziehen sind, räumt sie doch
explizit ein, vorliegend seien die bei der B.________ erwirtschafteten
Verdienste massgeblich. Zudem benennt sie keinen Arztbericht, der bestätigte,
sie habe aus medizinischer Sicht über das ihr zumutbare Mass hinaus gearbeitet,
weshalb sie sich während der arbeitsfreien Tage (auch während der Ferien) habe
erholen müssen.

4.2.3. Insgesamt ist festzuhalten, dass die Vorinstanz in Bestätigung der
Verfügung der IV-Stelle vom 29. Januar 2015 zu Recht erkannt hat, die
Beschwerdeführerin vermöge nunmehr ein Einkommen zu erzielen, das den früher
bestandenen Anspruch auf eine Invalidenrente ausschloss.

5. 
Die Gerichtskosten sind der Beschwerdeführerin als unterliegender Partei
aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden,
3. Kammer als Versicherungsgericht, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen
schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 14. Juni 2016

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Der Gerichtsschreiber: Grunder

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