Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.169/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_169/2016

Urteil vom 1. September 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Ursprung, Frésard,
Gerichtsschreiberin Riedi Hunold.

Verfahrensbeteiligte
 A.________, vertreten durch die Rechtsanwälte Dr. Kaspar Saner und/oder Silvio
Riesen,
Beschwerdeführerin,

gegen

 Spital B.________, Spitaldirektion, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bruno
Derrer,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Öffentliches Personalrecht,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom
27. Januar 2016.

Sachverhalt:

A. 
A.________, geboren 1964, war seit 1. April 2001 beim Spital B.________ als
diplomierte Pflegefachfrau angestellt. Im August 2008 stellte das Spital
B.________ in der Dialysestation, wo A.________ als Gruppenleiterin tätig war,
auf das Desinfektionsmittel Terralin Protect um. In der Folge war sie
wiederholt ganz oder teilweise arbeitsunfähig. Die SUVA erklärte A.________ am
23. November 2009 ab 1. November 2009 als nicht geeignet für Arbeiten mit
Exposition gegenüber Terralin Protect. Am 26. März 2010 beendete das Spital
B.________ das Arbeitsverhältnis per 30. April 2010.
 A.________ liess am 15. März 2011 bei der Spitaldirektion des Spitals
B.________ Schadenersatz wegen den Folgen des Einsatzes des Mittels Terralin
Protect in der Höhe von mindestens Fr. 100'000.- zuzüglich Genugtuung geltend
machen. Mit Schreiben vom 27. Mai 2014 erhöhte sie ihre Schadenersatzforderung
auf Fr. 1'597'670.-. Die Spitaldirektion lehnte dieses Begehren am 14. Januar
2015 ab. Am 24. August 2015 wies der Spitalrat den Rekurs von A.________ ab.

B. 
Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich wies die dagegen erhobene Beschwerde
mit Entscheid vom 27. Januar 2016 ab.

C. 
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Antrag, es sei der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben und das Spital
B.________ zu verpflichten, ihr mindestens den Betrag von Fr. 1'116'150.- zu
bezahlen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz
zurückzuweisen.
Das Spital B.________ lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen. Mit
Eingaben vom 3. Juni 2016 und vom 13. Juni 2016 halten die Parteien an ihren
Standpunkten fest.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt, da die Beschwerde unter
Einhaltung der gesetzlichen Frist (Art. 100 Abs. 1 BGG) und Form (Art. 42 BGG)
von einer durch die Entscheidung besonders berührten Partei mit einem
schutzwürdigen Interesse an deren Aufhebung oder Änderung (Art. 89 Abs. 1 BGG)
eingereicht wurde und sich das Rechtsmittel gegen einen von einer letzten
kantonalen Instanz (Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG) gefällten Endentscheid (Art. 90
BGG) in einer Angelegenheit des öffentlichen Rechts (Art. 82 lit. a BGG)
richtet, keine der in Art. 83 BGG erwähnten Ausnahmen greift und die
Streitwertgrenze von Art. 85 Abs. 1 lit. a BGG überschritten ist.

1.2. Die II. öffentlich-rechtliche Abteilung behandelt grundsätzlich die
Beschwerden in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zu Fragen der
Staatshaftung (Art. 30 Abs. 1 lit. c Ziff. 1 des Reglementes des Bundesgerichts
vom 20. November 2006 [BGerR; SR 173.110.131]). Da im vorliegenden Fall das dem
Staat vorgeworfene Fehlverhalten im Wesentlichen in einer Verletzung seiner
Fürsorgepflicht als Arbeitgeber besteht, ist auf Grund des engen Zusammenhangs
zwischen Haftungsbegehren und öffentlich-rechtlichem Arbeitsverhältnis die I.
sozialrechtliche Abteilung zuständig (Art. 34 lit. h BGerR und Urteil 8C_900/
2013 vom 5. Mai 2014 E. 1; vgl. auch das Urteil 8C_771/2015 vom 29. Februar
2016).

2. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft
das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur
Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die
geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).

3. 
Auf die unaufgefordert eingereichte Eingabe des Spitals B.________ vom 13. Juni
2016 ist nicht weiter einzugehen.

4. 
Vor Bundesgericht ist die Rechtzeitigkeit des Haftungsbegehren nicht mehr
streitig (vgl. E. 3 des vorinstanzlichen Entscheids). Hingegen sind sich die
Parteien uneins, ob eine Verletzung der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers
vorliegt und dieser gestützt auf das Haftungsgesetz des Kantons Zürich vom 14.
September 1969 (LS 170.1) schadenersatzpflichtig wird.

5. 
Das Begehren der Beschwerdeführerin beruht auf dem kantonalen Haftungsgesetz
sowie auf kantonalem öffentlichem Personalrecht. Das Bundesgericht überprüft
die Anwendung des kantonalen Rechts - von den hier nicht gegebenen Fällen
gemäss Art. 95 lit. c-e BGG abgesehen - nur insofern, als diese eine Verletzung
von Bundesrecht im Sinne von Art. 95 lit. a BGG oder von Völkerrecht im Sinne
von Art. 95 lit. b BGG darstellt (BGE 140 I 320 E. 3.1 S. 321; 133 II 249 E.
1.2.1 S. 251; vgl. auch BGE 136 I 241 E. 2.4 S. 249). Dabei steht die
willkürliche Anwendung von kantonalem Recht (Art. 9 BV) im Vordergrund, so wie
es auch die Beschwerdeführerin rügt.
Eine willkürliche Anwendung kantonalen Rechts liegt vor, wenn der angefochtene
Entscheid offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in
klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz
krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken
zuwiderläuft. Das Bundesgericht hebt einen Entscheid jedoch nur auf, wenn nicht
bloss die Begründung, sondern auch dessen Ergebnis unhaltbar ist. Dass eine
andere Lösung ebenfalls als vertretbar oder gar als zutreffender erscheinen
mag, genügt nicht (BGE 141 I 70 E. 2.2 S. 72 mit Hinweisen).

6.

6.1. Das rechtliche Gehör nach Art. 29 Abs. 2 BV verlangt, dass die Behörde die
Vorbringen des vom Entscheid in seiner Rechtsstellung Betroffenen auch
tatsächlich hört, prüft und in der Entscheidfindung berücksichtigt. Daraus
folgt die Verpflichtung der Behörde, ihren Entscheid zu begründen. Dabei ist es
nicht erforderlich, dass sie sich mit allen Parteistandpunkten einlässlich
auseinandersetzt und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt. Vielmehr
kann sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken. Die
Begründung muss so abgefasst sein, dass sich der Betroffene über die Tragweite
des Entscheids Rechenschaft geben und ihn in voller Kenntnis der Sache an die
höhere Instanz weiterziehen kann. In diesem Sinne müssen wenigstens kurz die
Überlegungen genannt werden, von denen sich die Behörde hat leiten lassen und
auf die sich ihr Entscheid stützt (BGE 136 I 184 E. 2.2.1 S. 188, 229 E. 5.2 S.
236).

6.2. Soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung des Anspruchs auf
rechtliches Gehör durch die Vorinstanz geltend macht, weil diese nicht alle
ihrer Vorbringen geprüft habe, kann ihr nicht gefolgt werden. Das
Verwaltungsgericht hat in seinem Entscheid dargelegt, von welchen Überlegungen
es sich hat leiten lassen und diese auch hinreichend begründet, so dass es der
Beschwerdeführerin möglich war, diesen Entscheid sachgerecht anzufechten.
Ebenso wenig war die Vorinstanz gehalten, alle beantragten Beweisofferten
abzunehmen. Vielmehr durfte sie im Rahmen der grundsätzlich zulässigen
antizipierten Beweiswürdigung (BGE 136 I 229 E. 5.3 S. 236 mit weiteren
Hinweisen) darauf verzichten.

7.

7.1. Beim Desinfektionsmittel Terralin Protect handelt es sich um ein Präparat,
welches seit Jahren im Spitalbereich eingesetzt wird, u.a. auch im Spital
B.________. Es ist für den vom Spital B.________ vorgesehenen Gebrauch
zugelassen (vgl. Präparateinformation). Terralin Protect kann - wie wohl jedes
hochwirksame Desinfektionsmittel - bei falscher Anwendung zu
Gesundheitsstörungen führen. Zu solchen Beschwerden kommt es bei korrektem
Einsatz (namentlich bei Einhaltung der Dosierungsvorschriften) jedoch nur in
Ausnahmefällen. Das Spital B.________ hatte als Arbeitgeberin der
Beschwerdeführerin somit dafür zu sorgen, dass das Mittel vorschriftsgemäss
verwendet wird.

7.2. Das Spital B.________ hat die Mitarbeitenden der Dialyseabteilung bei der
Umstellung auf das Desinfektionsmittel Terralin Protect vorgängig informiert.
Angesichts der Ausbildung als diplomierte Pflegefachfrau, ihrer
Zusatzausbildung als Hygienefachperson sowie ihrer langjährigen beruflichen
Erfahrung durfte das Spital B.________ von guten Kenntnissen der
Beschwerdeführerin über die Risiken von Desinfektionsmitteln ausgehen. Dabei
ist auch festzuhalten, dass sie - anders als das Reinigungspersonal - nicht
selbst das Desinfektionsmittel anzuwenden hatte, sondern lediglich wie alle
anderen Mitarbeitenden der Abteilung der mit diesem Mittel desinfizierten
Umgebung ausgesetzt war. Das Spital B.________ hatte sie demnach nicht so
umfassend über den Umgang mit dem Präparat zu instruieren wie etwa das
Reinigungspersonal. Die Annahme der Vorinstanz, dass das Spital B.________ die
Beschwerdeführerin unter diesen Umständen nicht auf die bei allen
Desinfektionsmitteln möglichen Reizungen der Atemwege speziell hinzuweisen
hatte, zumal beim verwendeten Produkt diesbezüglich keine erhöhte Gefahr vom
Hersteller deklariert wird, ist nicht als willkürlich zu qualifizieren.

7.3. Entgegen der Behauptungen der Beschwerdeführerin wurde das
Desinfektionsmittel in der vom Hersteller als zulässig erklärten Dosierung von
2 % verwendet (vgl. Präparateinformation). Dass auch eine weniger hohe
Dosierung möglich und allenfalls wirksam gewesen wäre, spielt keine Rolle.
Weiter ist das Produkt nicht nur für die Oberflächen- sondern auch für die
Bodendesinfektion zugelassen (vgl. Präparateinformation). Zudem ist in Betracht
zu ziehen, dass das Spital B.________ Terralin Protect bereits während 15
Jahren in anderen Abteilungen ohne ernsthafte Folgen eingesetzt hatte. Die
vorinstanzliche Beurteilung, es liege kein vorschriftswidriges Verhalten des
Spitals B.________ vor, ist unter diesen Umständen nicht als willkürlich zu
bezeichnen. Daran ändert nichts, dass die Dosierung nach Bekanntwerden der
Probleme der Beschwerdeführerin herabgesetzt wurde; dies mag zweckmässig sein,
ist aber kein rechtsgenüglicher Beleg für dessen vorgängig widerrechtliche
Anwendung.

7.4. Die Einwände der Beschwerdeführerin zur Herkunft des "Merkblatts" können
offen bleiben, da das Spital B.________ die darauf beschriebenen
Vorsichtsmassnahmen und Dosierungen eingehalten hat und sich die von ihr
gerügte unterlassene Information auf Personen bezieht, welche das Präparat
selbst anwenden ("Bei der 2 %igen Gebrauchslösung sind die Anwender auf die
schleimhautreizenden Wirkungen hinzuweisen."), wozu sie aber nicht gehört.
Somit ist unerheblich, ob das Spital B.________ überhaupt Kenntnis von diesem
"Merkblatt" hatte oder ob es sich um ein internes Dokument des Herstellers
handelt. Im Übrigen wird auch auf diesem "Merkblatt" explizit festgehalten,
dass bei sachgerechtem Umgang keine chronischen Wirkungen auf das Personal zu
erwarten seien, worauf sich das Spital B.________ verlassen durfte.

7.5. Schliesslich vermögen auch die Rügen bezüglich der Aerosolbildung keine
willkürliche Anwendung des kantonalen Rechts zu belegen. Namentlich bezieht
sich die Anweisung zur Aufbewahrung in dicht verschlossenen Behältern gemäss
Sicherheitsdatenblatt auf das Originalprodukt (= Konzentrat) und nicht auf die
im Verhältnis 1:50 verdünnte Gebrauchslösung. Im Übrigen kann auf die
Ausführungen im kantonalen Entscheid verwiesen werden.

7.6. Nach dem Gesagten stellt die Verneinung einer Verletzung der
Arbeitgeberfürsorgepflicht durch das Spital B.________ keine willkürliche
Anwendung des kantonalen Rechts durch das Verwaltungsgericht dar (vgl. E. 5).

8. 
Da es bereits an der Haftungsvoraussetzung eines widerrechtlichen Verhaltens -
d.h. einer Fürsorgepflichtverletzung durch den Arbeitgeber - mangelt, ist auf
die Ausführungen in der Beschwerde zu den weiteren Erfordernissen des Schadens
und der Kausalität nicht weiter einzugehen.

9. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig. Dem Verfahrensausgang entsprechend hat die
Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Das Spital B.________ hat keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung, da es
im Rahmen seines amtlichen Wirkungskreises tätig war (Art. 68 Abs. 3 BGG; vgl.
etwa die Urteile 8C_151/2010 vom 31. August 2010 E. 6.2 und 8C_771/2015 vom 29.
Februar 2016 E. 5).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 7'500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 4.
Abteilung, und dem Spitalrat des Spitals B.________ schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 1. September 2016

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Die Gerichtsschreiberin: Riedi Hunold

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