Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.167/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_167/2016

Urteil vom 23. Mai 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin,
Gerichtsschreiberin Kopp Käch.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Max B. Berger,
Beschwerdeführerin,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung
(Kausalzusammenhang; psychisches Leiden),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 21. Januar 2016.

Sachverhalt:

A.

A.a. Die 1951 geborene A.________ war seit 1. Mai 2009 als Verkäuferin/
Tankwartin in einem Tankstellenshop tätig und dadurch bei der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen die Folgen von Unfällen
versichert. Am 19. Dezember 2011 wurde sie abends an ihrem Arbeitsplatz von
zwei Männern überfallen, wobei ein Täter sie mit einem Messer bedrohte und Geld
verlangte, während der andere am Eingang Wache stand. Nach der Behändigung von
Bargeld aus der Kasse flüchteten die beiden Männer. Die Versicherte blieb
unverletzt und nahm die Arbeit bereits am nächsten Tag wieder auf. Sie liess
sich in der Folge bei Dr. med. B.________, Psychiatrie und Psychotherapie FMH,
wegen einer partiellen posttraumatischen Belastungsstörung behandeln. Mitte
Mai, Mitte bis Ende Juni sowie Ende Oktober 2012 wurde A.________ jeweils
vorübergehend eine 100%ige Arbeitsunfähigkeit attestiert. Die SUVA erbrachte
die gesetzlichen Versicherungsleistungen.

A.b. A.________ bezog Leistungen der Arbeitslosenkasse und war erneut bei der
SUVA gegen die Folgen von Unfällen versichert, als sie am 26. Januar 2013
probeweise als Verkäuferin und Tankwartin bei demselben Tankstellenshop für
einen anderen Arbeitgeber tätig war, nachdem der frühere Arbeitgeber im
Spätherbst 2012 in Konkurs gefallen war. Am Abend dieses Tages betraten zwei
vermummte Personen den Tankstellenshop, bedrohten die Versicherte mit einem
Messer, erbeuteten Bargeld und Zigaretten und verliessen den Shop wieder.
Infolge eines psychophysischen Zusammenbruchs wurde A.________ gleichentags ins
Notfallzentrum des Spitals C.________ eingewiesen. Nach der Entlassung am 28.
Januar 2013 erfolgten weitere Behandlungen bei Dr. med. B.________, welche eine
depressive Störung mit Angstattacken sowie eine partielle posttraumatische
Belastungsstörung diagnostizierte. Die SUVA kam erneut für die entsprechenden
Heilungskosten auf und erbrachte aufgrund der ab 26. Januar 2013 attestierten
Arbeitsunfähigkeit wechselnden Grades Taggelder.

A.c. Nach einer Untersuchung der Versicherten bei Dr. med. D.________, Facharzt
für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, Versicherungspsychiatrischer Dienst
(Bericht vom 30. Juli 2014), stellte die SUVA die Versicherungsleistungen mit
Verfügung vom 21. Oktober 2014 per 30. November 2014 mangels adäquaten
Kausalzusammenhangs zwischen den geklagten psychischen Beschwerden und den
Ereignissen vom 19. Dezember 2011 sowie 26. Januar 2013 ein. An ihrem
Standpunkt hielt sie mit Einspracheentscheid vom 18. Mai 2015 fest.

B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
mit Entscheid vom 21. Januar 2016 ab.

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________
beantragen, es seien ihr in Aufhebung des angefochtenen Entscheids auch über
den 30. November 2014 hinaus das Taggeld aus UVG bzw. Heilungskosten, eine
Rente sowie gegebenenfalls eine Integritätsentschädigung zuzusprechen. Zudem
lässt A.________ ein Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und
Verbeiständung einreichen.
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit
verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Mit Eingabe vom 6. Mai 2016 lässt A.________ an ihrer Beschwerde festhalten.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann eine Beschwerde mit einer von
der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin
prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur
Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die
geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweis).

1.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von
Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht
an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden
(Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).

2.

2.1. Das kantonale Gericht hat die massgebenden Bestimmungen und Grundsätze
bezüglich des für die Leistungspflicht des obligatorischen Unfallversicherers
vorausgesetzten natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhangs zwischen dem
Unfall und dem Gesundheitsschaden im Allgemeinen (BGE 129 V 177 E. 3.1 und 3.2
S. 181, 402 E. 4.3.1 S. 406; je mit Hinweisen; vgl. auch BGE 134 V 109 E. 2.1
S. 111 f.) sowie der erforderlichen adäquaten Kausalität bei psychischer
Schädigung nach einem so genannten Schreckereignis im Besonderen (BGE 129 V 177
; SVR 2016 UV Nr. 11 S. 33, 8C_412/2015 E. 2.2) zutreffend dargelegt. Darauf
ist zu verweisen.

2.2. Zu betonen ist, dass das Begriffsmerkmal der Ungewöhnlichkeit nur
aussergewöhnliche Schreckereignisse, die mit einem ausserordentlichen
psychischen Schock verbunden sind, zu erfüllen vermögen (RUMO-JUNGO/HOLZER,
Bundesgesetz über die Unfallversicherung [UVG], 4. Aufl. 2012, S. 46). Die
seelische Einwirkung muss durch einen gewaltsamen, in der unmittelbaren
Gegenwart der versicherten Person sich abspielenden Vorfall ausgelöst werden
und in ihrer überraschenden Heftigkeit geeignet sein, auch bei einem gesunden
Menschen durch Störung des seelischen Gleichgewichts typische Angst- und
Schreckwirkungen (wie Lähmungen, Herzschlag etc.) hervorzurufen. In Frage
kommen Ereignisse wie etwa Brand- oder Erdbebenkatastrophen, Eisenbahn- oder
Flugzeugunglücke, schwere Autokollisionen, Brückeneinstürze, Bombenabwürfe,
verbrecherische Überfälle oder sonstige plötzliche Todesgefahren sowie
Seebeben, bei denen, anders als im Rahmen der üblichen Unfälle, die psychische
Stresssituation im Vordergrund steht, wogegen dem somatischen Geschehen keine
(entscheidende) Bedeutung beigemessen werden kann. An den Beweis der Tatsachen,
die das Schreckereignis ausgelöst haben, an die Aussergewöhnlichkeit dieses
Ereignisses sowie den entsprechenden psychischen Schock sind strenge
Anforderungen zu stellen (SVR 2016 UV Nr. 11 S. 33, 8C_412/2015 E. 2.1). Wie
das kantonale Gericht zutreffend dargelegt hat sind nach der Rechtsprechung
gewisse Schreckereignisse sodann nicht geeignet, einen dauernden, erheblichen
psychischen Schaden zu verursachen. Dies gilt namentlich, wenn weder das Opfer
noch eine Drittperson einen erheblichen Körperschaden erlitten und das
Schreckereignis nur relativ kurze Zeit gedauert hat. Die übliche und
einigermassen typische Reaktion auf ein solches Ereignis dürfte
erfahrungsgemäss darin bestehen, dass zwar eine Traumatisierung stattfindet,
diese aber vom Opfer in aller Regel innert einiger Wochen oder Monate
überwunden wird. Eine psychische Störung und lang andauernde Erwerbsunfähigkeit
könnten nicht mehr in einem weiten Sinne als angemessen oder einigermassen
typische Reaktion auf das Schreckereignis bezeichnet werden (BGE 129 V 177 E.
4.3 S. 185; Urteil 8C_2/2016 vom 29. Februar 2016 E. 4.1).

2.3. Bei der Beurteilung der Adäquanz zwischen einem Schreckereignis und den
nachfolgend aufgetretenen psychischen Störungen ist mit der Vorinstanz gemäss
Rechtsprechung nicht allein auf den psychisch gesunden Versicherten, sondern
auf eine weite Bandbreite der Versicherten abzustellen. In diesem Rahmen bilden
auch solche Versicherte Bezugspersonen für die Adäquanzbeurteilung, welche im
Hinblick auf die erlebnismässige Verarbeitung eines Unfalles zu einer Gruppe
mit erhöhtem Risiko gehören, weil sie aus versicherungsmässiger Sicht auf einen
Unfall nicht "optimal" reagieren (vgl. SVR 2016 UV Nr. 11 S. 33, 8C_412/2015 E.
2.2).

3.

3.1. Zwischen den Parteien ist unbestritten, dass es sich bei den
Raubüberfällen vom 19. Dezember 2011 und 26. Januar 2013 um Schreckereignisse
im Sinne der dargestellten Rechtsprechung und damit um grundsätzlich
Versicherungsleistungen nach UVG auslösende Unfälle gemäss Art. 4 ATSG handelt.
Ebenfalls einig sind sich die Verfahrensbeteiligten darüber, dass die beiden
Vorfälle mindestens teilweise natürlich kausal verantwortlich zeichnen für die
noch bestehenden psychischen Probleme der Beschwerdeführerin. Schliesslich wird
auch nicht in Frage gestellt, dass von einer Fortsetzung der Heilbehandlung
spätestens im Zeitpunkt der Leistungseinstellung Ende November 2014 keine
namhafte Besserung des Gesundheitszustands mehr zu erwarten war, weshalb die
von der Beschwerdegegnerin vorgenommene Adäquanzprüfung nicht verfrüht erfolgt
ist. Auf die entsprechenden Erwägungen des angefochtenen Entscheids kann
mangels offensichtlicher Mängel ohne Weiteres abgestellt werden (vgl. E. 1.1
hievor).

3.2. Streitig und zu prüfen ist demgegenüber, ob aufgrund der Überfälle vom 19.
Dezember 2011 und 26. Januar 2013 über den 30. November 2014 hinaus eine
Leistungspflicht des obligatorischen Unfallversicherers für die psychischen
Beschwerden besteht. Dies setzt voraus, dass die noch vorhandenen psychischen
Leiden als adäquat kausale Folge der Ereignisse anzusehen sind. Nach dem
Gesagten ist hierzu die Frage zu beantworten, ob die beiden Überfälle gemessen
an der allgemeinen Lebenserfahrung - unter Berücksichtigung der weiten
Bandbreite der Versicherten - geeignet sind, auch nach dem 30. November 2014
eine psychische Störung zu bewirken.

4.

4.1. Das kantonale Gericht hat unter Hinweis auf die praxisgemäss hohen
Anforderungen an die Adäquanz zwischen psychischen Beschwerden und
Schreckereignissen erkannt, es lägen keine Umstände vor, welche zur Bejahung
der adäquaten Kausalität zwischen den noch bestehenden psychischen Beschwerden
und den beiden Raubüberfällen vom 19. Dezember 2011 und 26. Januar 2013 führen
würden. Zur Begründung wies es insbesondere darauf hin, dass die Versicherte
bei beiden Überfällen weder geschlagen, misshandelt, gefesselt noch eingesperrt
worden sei, dass sie keine erheblichen somatischen Verletzungen erlitten habe
und dass die Bedrohungssituation bei beiden Ereignissen lediglich von sehr
kurzer Dauer gewesen sei. Anhand der Rechtsprechung zeigte die Vorinstanz auf,
dass die den beiden Vorfällen zugrunde liegenden Bedrohungselemente in ihrer
Summe und ihrer qualitativen Ausprägung keine Aussergewöhnlichkeit im
adäquanzrechtlichen Sinne aufweisen würden. Sie legte sodann einlässlich dar,
dass in Anbetracht der 100%igen Arbeitsfähigkeit im Zeitpunkt des zweiten
Überfalls nicht von einem derart beeinträchtigenden Vorzustand ausgegangen
werden könne, der adäquanzrechtlich zwingend eine Fehlverarbeitung des wieder
Erlebten zu begründen vermöchte. Der Umstand allein, dass die
Beschwerdeführerin im Verlaufe von 13 Monaten zweimal überfallen worden sei, so
die Vorinstanz schliesslich, begründe für sich genommen noch keine
Aussergewöhnlichkeit.

4.2. Was beschwerdeweise dagegen vorgebracht wird, vermag an der Beurteilung
des kantonalen Gerichts mit Blick auf vergleichbare Fälle nichts zu ändern.

4.2.1. Das Bundesgericht hat sich eingehend in BGE 129 V 177 zum
Schreckereignis im Zusammenhang mit deliktischen Handlungen wie Raub, Drohung
oder Erpressung geäussert. Zu beurteilen war ein Raubüberfall auf die
Betriebsleiterin eines Spielsalons mit einer Faustfeuerwaffe, aber ohne
Handgreiflichkeiten oder Schussabgabe. Das Bundesgericht hat erkannt, dass ein
solches Ereignis nicht geeignet sei, einen dauernden, erheblichen psychischen
Schaden mit anhaltender Erwerbsunfähigkeit zu verursachen. Die übliche und
einigermassen typische Reaktion auf einen solchen Überfall dürfte
erfahrungsgemäss darin bestehen, dass zwar eine Traumatisierung stattfinde,
diese aber vom Opfer in aller Regel innert einiger Wochen oder Monate
überwunden werde. Eine psychische Störung und lang andauernde
Erwerbsunfähigkeit könnten nicht mehr in einem weiten Sinne als angemessene und
einigermassen typische Reaktion auf das Schreckereignis bezeichnet werden (BGE
129 V 177 E. 4.3 S. 185).
Gleiches galt im Fall einer Versicherten, die als Aufsicht in einem Spielsalon
bei Arbeitsschluss von drei maskierten Männern überfallen wurde, wobei einer
von ihnen mit den Fäusten auf sie einschlug und ein anderer eine Pistole auf
sie richtete (Urteil U 2/05 vom 4. August 2005; vgl. auch Urteil U 549/06 vom
8. Juni 2007 E. 4.2), beim Barkeeper, der bei Aufräumarbeiten nach
Betriebsschluss von zwei maskierten Männern mit Schusswaffen bedroht sowie mit
Faustschlägen ins Gesicht und Fusstritten in den Bauch traktiert wurde, während
sich ein dritter um den ebenfalls anwesenden Geschäftsführer kümmerte, und
danach im Büro des Betriebs eingeschlossen wurde (Urteil U 593/06 vom 14. April
2008 E. 3 und 4), bei der Kioskverkäuferin, die hinter dem Verkaufstresen von
zwei maskierten Männern bedroht wurde, wobei einer der Täter sie an der
Schulter festhielt und eine Pistole mit einem Abstand von etwa sieben bis zehn
Zentimetern gegen ihre Stirn richtete (Urteil 8C_266/2013 vom 4. Juni 2013 E.
3.2.1), und beim Tankstellenwart, der mit einer Pistole bedroht wurde und mit
der Faust beziehungsweise mit der Pistole Schläge gegen den Kopf erhielt
(Urteil 8C_44/2015 vom 19. Mai 2015 E. 3). Im jüngst ergangenen Urteil 8C_2/
2016 vom 29. Februar 2016 schliesslich verneinte das Bundesgericht die
Angemessenheit einer länger als vier Jahre dauernden psychischen
Gesundheitsschädigung nach einem Überfall in einem Tankstellen-Shop, anlässlich
welchem ein mit einer Sturmhaube maskierter Täter die Angestellte mit einer
Soft-Air-Waffe bedroht, ihr diese in den Rücken gerammt und Geld verlangt
hatte, wobei der Täter dann im Shop überwältigt werden konnte.

4.2.2. Mit Blick auf die geschilderten Fälle sind bei den Abläufen der zu
beurteilenden Raubüberfälle keine besonderen Umstände auszumachen, die eine
andere Beurteilung der adäquaten Kausalität rechtfertigen würden. Soweit sich
die Beschwerdeführerin wiederum auf das Urteil 8C_522/2007 vom 1. September
2008 beruft, in welchem das Bundesgericht die Leistungspflicht des
Unfallversicherers für die psychischen Folgen eines Raubüberfalls ausnahmsweise
bejahte, vermag sie - wie das kantonale Gericht zu Recht erkannt hat - daraus
nichts zu ihren Gunsten abzuleiten. In jenem Fall war die Mitarbeiterin in der
Schnittblumenabteilung eines Blumengrosshandels morgens um halb vier Uhr als
erste am Arbeitsplatz eingetroffen und sah bei einer geballten Übermacht von
drei schwarz gekleideten, vermummten und bewaffneten Einbrechern keinerlei
Chance, sich zu wehren oder zu fliehen. Sie wurde gezwungen, sich auf den Boden
zu legen, während sich die Männer an ihr zu schaffen machten, um sie an Armen
und Beinen zu fesseln und danach in eine Toilette einzuschliessen. Sie musste
aus objektiv verständlichen Gründen während dreissig Minuten ständig
befürchten, dass es zu sexueller Gewalt kommen könnte, und auch mit dem Tod
rechnen. Im hier zu beurteilenden Fall sind keine solch erschwerenden Elemente
zu erkennen. Die Beschwerdeführerin wurde - wie bereits erwähnt - weder
gefesselt noch eingesperrt. Die Bedrohungssituation dauerte viel kürzer, am 19.
Dezember 2011 knapp eine und am 26. Januar 2013 knapp eine halbe Minute, wobei
die Täter anschliessend jeweils flohen. Weder mit Bezug auf die Dauer noch auf
die Intensität der Gewalteinwirkung bzw. Bedrohungselemente liegt daher ein
vergleichbarer Fall vor. Die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte
besondere Heftigkeit und Aussergewöhnlichkeit der seelischen Einwirkungen lässt
sich daraus nicht folgern.

4.2.3. Wie bereits im kantonalen Verfahren begründet die Beschwerdeführerin die
Aussergewöhnlichkeit sodann insbesondere damit, dass sie das Ereignis, aufgrund
dessen sie psychisch vorbelastet gewesen sei, noch ein zweites Mal habe erleben
müssen. Diesbezüglich ist vorab darauf hinzuweisen, dass entgegen der
Auffassung der Beschwerdeführerin auch dieser Umstand nicht ohne Weiteres auf
eine Aussergewöhnlichkeit schliessen lässt. So hat das Bundesgericht im Fall
einer Versicherten, bei welcher es innerhalb eines Zeitraums von rund zwei
Wochen zu drei, hinsichtlich ihres Gewaltpotentials unterschiedlich heftigen
körperlichen Übergriffen des damaligen Partners gekommen war, entschieden, dass
die einzelnen Bedrohungselemente in ihrer Gesamtheit trotz unbestrittener
Eindrücklichkeit kein Bild ergäben, welches nach dem gewöhnlichen Lauf der
Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung als geeignet erscheine, langjährige,
die Arbeitsfähigkeit erheblich beeinträchtigende psychische Beschwerden
auszulösen (Urteil 8C_1062/2009 vom 31. August 2010 E. 4.3.2). Bezüglich der
Beschwerdeführerin hat die Vorinstanz sodann in einlässlicher Würdigung der
Aktenlage aufgezeigt, dass keine Hinweise auf eine erhöhte psychische
Vulnerabilität schon vor dem ersten Überfall bestehen. Bereits am Tag nach dem
Überfall sei die Versicherte wieder an ihrem Arbeitsplatz tätig gewesen. Wohl
habe sie sich in der Folge psychiatrisch behandeln lassen, doch sei sie bis zum
zweiten Überfall praktisch durchgehend vollumfänglich arbeitsfähig gewesen. Die
erwähnten kurzfristigen Arbeitsunfähigkeiten - so das kantonale Gericht - seien
nicht Folge des Traumas gewesen, sondern hätten überwiegend in Zusammenhang mit
Auseinandersetzungen mit der Arbeitgeberin bzw. deren Tochter gestanden. Selbst
wenn von einem im Zeitpunkt des zweiten Überfalls (noch) labilen psychischen
Gleichgewicht ausgegangen würde, könne in Anbetracht der aktenkundigen 100%igen
Arbeitsfähigkeit nicht von einem derart beeinträchtigenden Vorzustand
gesprochen werden, der adäquanzrechtlich zwingend eine Fehlverarbeitung des
anlässlich des zweiten Überfalls (wieder) Erlebten zu begründen vermöchte.
Diesen überzeugenden Erwägungen der Vorinstanz kann vollumfänglich
beigepflichtet werden. Es zeigen sich schliesslich auch gegenüber
vergleichbaren Fällen keine Besonderheiten, die eine Abweichung von der
dargestellten Rechtsprechung als angezeigt erscheinen liessen. Das
Bundesgericht hat im bereits erwähnten Fall der Kioskverkäuferin geprüft, ob
die für eine "weite Bandbreite" von Versicherten geltende Rechtsprechung (BGE
129 V 177 E. 4.3 S. 185) auch dann anzuwenden sei, wenn das Opfer des
Raubüberfalls weit mehr als durchschnittlich psychisch belastet sei. Von einem
massiv beeinträchtigten Vorzustand war jedoch nicht auszugehen. Aber auch die
lange Leidensgeschichte, die bei der Kioskverkäuferin im Zeitpunkt des
Ereignisses aus anderen Gründen bereits bestand, liess ihre Reaktion auf den
Überfall nicht als adäquat einstufen. Vielmehr erwog das Bundesgericht, dass
der Unfallversicherer der besonderen Situation mit der Ausrichtung von
Versicherungsleistungen während mehr als drei Jahren in ausgeprägtem Masse
Rechnung getragen habe. Entscheidend war die allgemeine Erfahrung, dass ein
Opfer ein solches Erlebnis in der Regel mit fortlaufender Zeit überwinde,
insbesondere wenn weder es selbst noch eine Drittperson erhebliche körperliche
Schäden erlitten habe und das Schreckerlebnis nur von relativ kurzer Dauer war.
Der Vorfall war deshalb auch unter Berücksichtigung der überdurchschnittlichen
psychischen Belastung nicht als derart aussergewöhnlich zu qualifizieren, dass
die Adäquanz ausnahmsweise hätte bejaht werden müssen (Urteil 8C_266/2013 vom
4. Juni 2013 E. 3.2.2). Auch vorliegend ist - wie oben dargelegt - nicht von
einem massiv beeinträchtigenden psychischen Vorzustand auszugehen und sind
keine besonderen Umstände ersichtlich, die ein Abweichen von der allgemeinen
Erfahrung rechtfertigen würden. Es bestand deshalb kein Anlass für weitere
Abklärungen des psychischen Gesundheitszustandes.

4.3. Zusammenfassend hat das kantonale Gericht nach Gesagtem die Adäquanz des
Kausalzusammenhangs zwischen den Raubüberfällen vom 19. Dezember 2011 sowie 26.
Januar 2013 und den über den 30. November 2014 hinaus geklagten psychischen
Beschwerden zu Recht verneint. Beim angefochtenen Entscheid hat es sein
Bewenden.

5. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden der
unterliegenden Beschwerdeführerin auferlegt (Art. 65 Abs. 4 lit. a in
Verbindung mit Art. 66 Abs. 1 BGG). Die unentgeltliche Rechtspflege (im Sinne
der vorläufigen Befreiung von den Gerichtskosten und der unentgeltlichen
Verbeiständung, Art. 64 Abs. 1 und Abs. 2 BGG) kann gewährt werden, weil die
Bedürftigkeit aktenkundig ist. Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4
BGG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Bundesgerichtskasse
Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu in der Lage ist.

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Der Beschwerdeführerin wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und
Rechtsanwalt Max B. Berger wird als unentgeltlicher Anwalt bestellt.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt, indes
vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen.

4. 
Dem Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin wird aus der Bundesgerichtskasse
eine Entschädigung von Fr. 2'800.- ausgerichtet.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit
schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 23. Mai 2016
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Die Gerichtsschreiberin: Kopp Käch

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