Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.161/2016
Zurück zum Index I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2016
Retour à l'indice I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2016


Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente
dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet.
Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem
Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
                                                               Grössere Schrift

Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_161/2016

Urteil vom 26. August 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Ursprung, Wirthlin,
Gerichtsschreiber Grunder.

Verfahrensbeteiligte
Bundesamt für Sozialversicherungen BSV, Effingerstrasse 20, 3003 Bern,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons St. Gallen,
Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
Beschwerdegegnerin,

A.________.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Assistenzbeitrag),

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 19. Januar 2016.

Sachverhalt:

A.

A.a. Der 1988 geborene A.________ leidet u.a. an einer beinbetonten spastischen
Tetraparese, einer zentralen Sehstörung und einer linkskonvexen
thorako-lumbalen Skoliose. Seit Oktober 2006 bezieht er eine ganze
Invalidenrente sowie eine Hilflosenentschädigung mittleren Grades (benötigte
Dritthilfe in den Lebensverrichtungen An-/Auskleiden, Aufstehen/Absitzen/
Abliegen, Körperpflege und Fortbewegung/ gesellschaftliche Kontakte). Im Rahmen
des Pilotversuchs "Assistenzbudget" sprach ihm die IV-Stelle des Kantons St.
Gallen ab 1. Mai 2007 ein monatliches Assistenzgeld, maximal bestehend aus der
Assistenzpauschale von Fr. 600.- und dem Assistenzbudget von Fr. 1'515.-, zu;
gleichzeitig sistierte sie die Ausrichtung der Hilflosenentschädigung
(Verfügungen vom 17. April 2007). Nachdem am 1. Januar 2012 die 6. IV-Revision
mit den gesetzlichen Bestimmungen über den Assistenzbeitrag in Kraft getreten
war, prüfte die Verwaltung einen Anspruch des Versicherten auf diese neue
Leistung. Nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren sprach sie ihm mit Verfügung
vom 22. März 2012 ab 1. Juli 2012 einen Assistenzbeitrag von monatlich
durchschnittlich Fr. 627.60 und von jährlich maximal Fr. 7'530.90 zu, wobei sie
auf den gleichen Zeitpunkt hin das Assistenzgeld aufhob und ankündigte, die
Hilflosenentschädigung von monatlich Fr. 1'160.- wieder auszurichten.

A.b. In teilweiser Gutheissung der hiegegen eingereichten Beschwerde hob das
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen die Verfügung vom 22. März 2012 auf
und wies die Angelegenheit zu weiteren Abklärungen im Sinne der Erwägungen an
die IV-Stelle zurück (Entscheid vom 8. Mai 2013). Das Bundesamt für
Sozialversicherungen (BSV) führte Beschwerde, auf die das Bundesgericht mangels
eines nicht wieder gutzumachenden Nachteils nicht eintrat (Urteil 8C_470/2013
vom 4. Juli 2013).

A.c. Die IV-Stelle veranlasste die vom kantonalen Gericht angeordnete Abklärung
der Verhältnisse im Haushalt an Ort und Stelle (Bericht Assistenzbeitrag vom 7.
November 2013) und holte am 19. November 2013 telefonische Auskünfte von der
B.________ ein, wo der Versicherte montags vollzeitlich und dienstags bis
freitags zu einem halben Pensum beschäftigt ist. Nach durchgeführtem
Vorbescheidverfahren sprach sie ihm ab 1. Juli 2012 Assistenzbeiträge von
monatlich durchschnittlich Fr. 1'507.07 (jährlich maximal Fr. 18'840.90) und ab
Januar 2013 von monatlich durchschnittlich Fr. 1'585.22 (jährlich maximal Fr.
19'022.68) zu (Verfügung vom 17. Januar 2014).

B. 
Hiegegen führte das BSV Beschwerde und beantragte, der Assistenzbeitrag sei
gestützt auf den in der ursprünglichen Verfügung der IV-Stelle vom 22. März
2012 zugesprochenen Betrag von monatlich durchschnittlich Fr. 627.60
beziehungsweise jährlich maximal Fr. 7'530.90 festzusetzen. Mit Entscheid vom
19. Januar 2016 sprach das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen dem zum
Verfahren beigeladenen A.________ ab 1. Juli 2012 einen maximalen
Assistenzbeitrag von monatlich Fr. 2'740.08 und ab 1. Januar 2013 von Fr.
2'766.02 zu.

C. 
Mit Beschwerde beantragt das BSV, der vorinstanzliche Entscheid und die
Verfügung der IV-Stelle vom 17. Januar 2014 seien aufzuheben.
Die IV-Stelle beantragt, die Beschwerde sei gutzuheissen. A.________ und das
kantonale Gericht schliessen je auf Abweisung der Beschwerde.

D. 
Mit Verfügung vom 13. Juni 2016 hat der Instruktionsrichter des Bundesgerichts
das Gesuch des BSV um aufschiebende Wirkung der Beschwerde gutgeheissen.

Erwägungen:

1.

1.1. Anspruch auf einen Assistenzbeitrag haben Versicherte, denen eine
Hilflosenentschädigung der IV nach Artikel 42 Absätze 1-4 ausgerichtet wird,
die zu Hause leben und volljährig sind (Art. 42 ^quater Abs. 1 IVG). Ein
Assistenzbeitrag wird gewährt für Hilfeleistungen, die von der versicherten
Person benötigt und regelmässig von einer natürlichen Person (Assistenzperson)
unter bestimmten Voraussetzungen erbracht werden (Art. 42 ^quinquies IVG).
Grundlage für die Berechnung des Assistenzbeitrags ist die für die
Hilfeleistungen benötigte Zeit. Davon abgezogen wird die Zeit, die folgenden
Leistungen entspricht: (a) der Hilflosenentschädigung nach den Artikeln 42-42 
^ter; (b) den Beiträgen für Dienstleistungen Dritter anstelle eines
Hilfsmittels nach Artikel 21 ^ter Absatz 2; (c) dem für die Grundpflege
ausgerichteten Beitrag der obligatorischen Krankenpflegeversicherung an
Pflegeleistungen nach Artikel 25a KVG (Art. 42 ^sexies Abs. 1 IVG). Bei einem
Aufenthalt in stationären und teilstationären Institutionen wird der für
Hilfeleistungen im Rahmen des Assistenzbeitrags anrechenbare Zeitbedarf
entsprechend reduziert (Art. 42 ^sexies Abs. 2 IVG). Der Bundesrat legt u.a.
die Bereiche und die minimale und maximale Anzahl Stunden, für die ein
Assistenzbeitrag ausgerichtet wird, sowie die Pauschalen für Hilfeleistungen
pro Zeiteinheit im Rahmen des Assistenzbeitrags fest (Art. 42 ^sexies Abs. 4
lit. a und b IVG).

1.2. Nach Art. 39c IVV kann u.a. in den folgenden Bereichen Hilfebedarf
anerkannt werden: (a) alltägliche Lebensverrichtungen; (b) Haushaltsführung;
(c) gesellschaftliche Teilhabe und Freizeitgestaltung.
Dabei gelten für Hilfeleistungen in den Bereichen nach Artikel 39c Buchstaben
a-c pro alltägliche Lebensverrichtung, die bei der Festsetzung der
Hilflosenentschädigung festgehalten wurde, folgende monatliche Höchstansätze:
1. bei leichter Hilflosigkeit: 20 Stunden, 2. bei mittlerer Hilflosigkeit: 30
Stunden, 3. bei schwerer Hilflosigkeit: 40 Stunden (Art. 39e Abs. 2 lit. a
IVV). Die Höchstansätze werden für jeden Tag und jede Nacht, die die
versicherte Person pro Woche in einer Institution verbringt, um 10 Prozent
gekürzt (Art. 39e Abs. 4 IVV).
Der Assistenzbeitrag beträgt in der Regel Fr. 32.50 resp. Fr. 32.80 pro Stunde
(Art. 39f Abs. 1 IVV in der bis 31. Dezember 2012 resp. ab 1. Januar 2013
geltenden Fassung).

2.

2.1. Die Vorinstanz hat erwogen, das Bundesgericht habe in BGE 140 V 543 das
vom BSV entwickelte standardisierte Abklärungsinstrument FAKT zwar
grundsätzlich als geeignet bezeichnet, den gesamten Hilfebedarf einer
versicherten Person zu ermitteln. Wenn indessen - wie vorliegend - ein
ausführlicher und sorgfältiger Abklärungsbericht verfasst und darin bereits der
gesamte Hilfebedarf berechnet worden sei, sei die Ermittlung anhand des FAKT
nicht mehr zwingend notwendig. Daher habe die IV-Stelle zu Recht allein auf den
Abklärungsbericht Assistenzbeitrag vom 7. November 2013 abgestellt.

2.2. Weiter hat das kantonale Gericht erkannt, Sinn und Zweck der Kürzung
gemäss Art. 42 ^sexies Abs. 2 IVG bestehe darin zu verhindern, dass mit dem
Assistenzbeitrag zusätzlich Hilfeleistungen vergütet würden, die eine
Institution erbringe. Der Bundesrat habe zwar in seiner Botschaft geschützte
Werkstätten als Institutionen im Sinne des Art. 42 ^sexies Abs. 2 IVG
bezeichnet, doch dafür sei kein überzeugender Grund ersichtlich. Die
Beschäftigung in einer geschützten Werkstätte habe jedenfalls dann mit dem
Bedarf an Hilfe im Sinne des Art. 39c IVV nichts zu tun, wenn die versicherte
Person - wie vorliegend - keine nennenswerte Hilfe benötige. Die im
Kreisschreiben über den Assistenzbeitrag (KSAB) des BSV vorgesehene
schematische Kürzungsregelung führe dazu, dass eine versicherte Person, die an
fünf Tagen pro Woche in einer geschützten Werkstätte arbeite und dabei keine
Assistenz des Personals in Anspruch nehmen müsse, bloss mit 50 % des
Hilfebedarfs rechnen könne, wogegen ihr, wäre sie in der freien Wirtschaft
beschäftigt, der Assistenzbeitrag ungekürzt ausgerichtet werden müsse. Für eine
solch ungleiche Behandlung sei kein sachlicher Grund ersichtlich, weshalb die
vom BSV in den Rz. 4017, 4022 f., 4027 f., 4071 und 4077 des KSAB festgelegten
Weisungen gegen das Rechtsgleichheitsgebot verstiessen, und deren Anwendung
damit gesetzeswidrig sei. Laut Auskünften der B.________ vom 19. November 2013
habe der Beigeladene nur minimal Hilfe benötigt. Daher habe die IV-Stelle zu
Recht keine Kürzung gemäss Art. 42 ^sexies Abs. 2 IVG vorgenommen.

2.3. Schliesslich hat die Vorinstanz festgestellt, der Beigeladene sei in vier
alltäglichen Lebensverrichtungen auf die Hilfe Dritter angewiesen, weshalb der
Höchstansatz gemäss Art. 39e Abs. 2 lit. a IVV 120 Stunden (= 4 x 30) betrage.
Sinn und Zweck der Kürzungsregel von Art. 39e Abs. 4 IVV bestehe darin, eine
Doppeldeckung zu vermeiden (die Institutionen erhielten Betriebsbeiträge,
welche die von den Angestellten erbrachte Assistenz bereits entschädigten) und
einen negativen Anreiz für Aufenthalte in Institutionen zu schaffen. Halte sich
eine versicherte Person während eines ganzen Tages in einer Institution auf,
beziehe sie wesentlich mehr Hilfeleistungen, als wenn sie bloss während eines
halben Tages beschäftigt werde. Daher führe die Anwendung von Rz. 4099 KSAB,
wonach halbe wie ganze Tage zu verrechnen seien, zu einer stossenden
Schlechterstellung der sich halbtags in einer Institution aufhaltenden
Versicherten. Aus Gründen der Gleichbehandlung dränge sich eine lückenfüllende
Ergänzung des Art. 39e Abs. 4 IVV auf und der massgebende Höchstansatz bei
einem halbtägigen Aufenthalt in einer Institution sei nur um 5 statt um 10
Prozent zu kürzen. Folglich betrage vorliegend die Herabsetzung nicht 50,
sondern nur 30 % (10 % + [4 x 5] %). Allerdings sei bei der Kürzung der
Höchstansätze gemäss Art. 39e Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 2 IVV zu
berücksichtigen, ob der anerkannte Hilfebedarf überhaupt in Zusammenhang mit
dem Aufenthalt in einer Institution stehe, was im zu beurteilenden Fall zu
verneinen sei. Daher sei hier zur Ermittlung des Assistenzbeitrags von dem
höchstmöglichen Ansatz von 120 Stunden pro Monat, vermindert um die
aufwandmässig in Stunden umgerechnete Hilflosenentschädigung von Fr. 1'160.-,
auszugehen (84,31 Stunden für das Jahr 2012 bzw. 84,33 Stunden für 2013).

3.

3.1.

3.1.1. Das BSV bringt zunächst vor, die vom kantonalen Gericht mit Entscheid
vom 8. Mai 2013 angeordnete Abklärung an Ort und Stelle sei nicht zulässig
gewesen, weshalb zur Beurteilung des Streitgegenstands nicht auf den Bericht
Assistenzbeitrag vom 7. November 2013 abgestellt werden dürfe. Dem ist zu
entgegnen, dass gemäss BGE 140 V 543 E. 3.2.1 S. 546 und E. 3.4.4 S. 553
namentlich mit Blick auf den Anspruch auf rechtliches Gehör Abklärungen
angezeigt sind, wenn ein wesentlicher Aspekt der Hilflosigkeit nicht oder nicht
neu in die Beurteilung eines möglichen Anspruchs auf Assistenzbeitrag
eingeflossen ist. Diese Voraussetzung lag hier vor. Das kantonale Gericht hielt
im Rückweisungsentscheid vom 8. Mai 2013 unbestritten fest, dass der
Versicherte, der bis Ende 2011 bei seinem ihm erhebliche Hilfe leistenden
Patenonkel wohnte, Anfang Januar 2012 eine eigene Wohnung bezog. Unter diesen
Umständen ist ohne Weiteres anzunehmen, dass eine abklärungsbedürftige
Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse, nicht zuletzt auch in
Berücksichtigung des Umstands, dass der Patenonkel die früher erbrachte Hilfe
künftig nicht mehr bzw. nicht mehr im gleichen Umfang wird leisten können,
eingetreten war.

3.1.2.

3.1.2.1. Gemäss BGE 140 V 543 hat ein Abklärungsbericht unter dem Aspekt der
Hilflosigkeit oder des Pflegebedarfs folgenden Anforderungen zu genügen: Als
Berichterstatterin wirkt eine qualifizierte Person, welche Kenntnis der
örtlichen und räumlichen Verhältnisse sowie der aus den seitens der Mediziner
gestellten Diagnosen sich ergebenden Beeinträchtigungen und
Hilfsbedürftigkeiten hat. Bei Unklarheiten über physische und psychische
Störungen und/oder deren Auswirkungen auf alltägliche Lebensverrichtungen sind
Rückfragen an die medizinischen Fachpersonen nicht nur zulässig, sondern
notwendig. Weiter sind die Angaben der Hilfe leistenden Personen zu
berücksichtigen, wobei divergierende Meinungen der Beteiligten im Bericht
aufzuzeigen sind. Der Berichtstext schliesslich muss plausibel, begründet und
detailliert bezüglich der einzelnen alltäglichen Lebensverrichtungen sowie den
tatbestandsmässigen Erfordernissen der dauernden Pflege und der persönlichen
Überwachung und der lebenspraktischen Begleitung gemäss sein. Schliesslich hat
er in Übereinstimmung mit den an Ort und Stelle erhobenen Angaben zu stehen.
Das Gericht greift, sofern der Abklärungsbericht eine zuverlässige
Entscheidungsgrundlage darstellt, in das Ermessen der die Abklärung tätigenden
Person nur ein, wenn klar feststellbare Fehleinschätzungen vorliegen. Das
gebietet insbesondere der Umstand, dass die fachlich kompetente
Abklärungsperson näher am konkreten Sachverhalt steht als das im Beschwerdefall
zuständige Gericht. Diese Rechtsprechung ist auch massgeblich beim Eruieren des
gesamten Hilfebedarfs mit Blick auf den Assistenzbeitrag (BGE 140 V 543 E.
3.2.1 S. 547 mit Hinweisen).

3.1.2.2. Das BSV vermag nicht aufzuzeigen, inwieweit der Abklärungsbericht
Assistenzbeitrag vom 7. November 2013 den genannten Anforderungen nicht genügt.
Sein Einwand, er beruhe auf den subjektiven Angaben sowie den individuellen
Präferenzen des Versicherten, ist nicht stichhaltig. Anlässlich der Abklärung
an Ort und Stelle war auch der Patenonkel anwesend, welcher den Versicherten
während Jahren in seiner eigenen Wohnung betreute. Es gibt keine Hinweise
darauf, dass er irgendwelche Präferenzen des Versicherten hinsichtlich der von
ihm erbrachten oder anderweitig in Anspruch genommenen Hilfe verschwieg.
Vielmehr hat die Abklärungsperson die Angaben des Versicherten wie auch des
Patenonkels kritisch hinterfragt, wie sich ohne Weiteres aus ihrem
ausführlichen Bericht ergibt.

3.1.2.3. Allerdings ist dem BSV insoweit beizupflichten, dass es selbst für die
betroffene und die Hilfe leistende Person schwierig ist, den jeweils benötigten
Zeitbedarf zuverlässig einzuschätzen. Daher ist es notwendig, den Hilfebedarf
zusätzlich anhand des standardisierten Abklärungsinstruments FAKT zu ermitteln.
Dieses Vorgehen ermöglicht, die allenfalls von persönlichen bzw. subjektiv
gefärbten Einschätzungen der Versicherten oder der Hilfe leistenden Personen
anhand von wissenschaftlich evaluierten und praxiserprobten Minutenwerten
gleichsam einer Plausibilitätskontrolle zu unterziehen. Würde stets unbesehen
einer Gegenprüfung auf die Angaben der Versicherten und/oder der Hilfe
leistenden Personen abgestellt, könnte dies je nach Wahrnehmung der Beteiligten
bei ähnlich gelagerten Beschwerdebildern und vergleichbaren funktionellen
Einschränkungen zu unterschiedlichen Ergebnissen und damit zu einer nicht zu
rechtfertigenden Ungleichbehandlung von Versicherten führen (vgl. Urteil 8C_226
/2014 vom 21. November 2014 E. 8.2).

3.2.

3.2.1. Soweit das kantonale Gericht anzunehmen scheint, bei einer geschützten
Werkstätte handle es sich um keine Institution im Sinne von Art. 42 ^
sexies Abs. 2 IVG und Art. 39e Abs. 4 IVV, weshalb eine Kürzung des
Assistenzbeitrags von vornherein unzulässig sei, kann ihm nicht gefolgt werden.
Was unter einer Institution zu verstehen ist, ergibt sich gemäss BGE 140 V 543
E. 3.5.2 S. 554 f. in erster Linie aus Art. 3 des Bundesgesetzes vom 6. Oktober
2006 über die Institutionen zur Förderung der Eingliederung von invaliden
Personen (IFEG; SR 831.26); dafür sprechen insbesondere Sinn und Zweck von Art.
42 ^sexies Abs. 2 IVG als auch die Gesetzessystematik. Als Institutionen gelten
insbesondere Werkstätten, die dauernd intern oder an dezentral ausgelagerten
Arbeitsplätzen invalide Personen beschäftigen, die unter den üblichen
Bedingungen keine Erwerbstätigkeit ausüben können (Art. 3 Abs. 1 lit. a IFEG).
Voraussetzung für die Anerkennung als Institution in diesem Sinne ist u.a.,
dass sie über ein den Bedürfnissen der betroffenen Person entsprechendes
Infrastruktur- und Leistungsangebot sowie über das nötige Fachpersonal verfügen
(Art. 5 Abs. 1 lit. a IFEG). Die B.________ ist unbestritten eine (inter)
kantonal anerkannte Institution gemäss Art. 3 und 5 IFEG, die u.a. auf die
Beschäftigung und Betreuung von Sehbehinderten ausgerichtet ist
(www.B.________.ch [besucht am 23. August 2016]). Der anrechenbare Zeitaufwand
für den Hilfebedarf ist daher grundsätzlich zu reduzieren.

3.2.2. Im Übrigen dringt die Argumentation des kantonalen Gerichts, in
geschützten Werkstätten arbeitende Versicherte seien gegenüber auf dem freien
Arbeitsmarkt beschäftigten benachteiligt, nicht durch. Denn für die während des
Aufenthalts in der Institution erbrachten Hilfeleistungen muss der Versicherte,
anders als auf dem regulären Arbeitsmarkt, nicht selber aufkommen.

3.3.

3.3.1. Zur vorinstanzlichen Auffassung, Art. 39e Abs. 4 IVV sei lückenfüllend
zu ergänzen, ist zunächst auf BGE 140 V 543 E. 3.5.4 S. 556 f. hinzuweisen.
Danach liegt es gemäss Art. 42 ^sexies Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 2 IVG in
der Kompetenz des Bundesrates, zeitliche Höchstgrenzen für die Abgeltung der
Assistenz festzulegen. In diese Bestimmung schloss der Gesetzgeber auch die
Regelungskompetenz in Bezug auf den fraglichen Abzug ein. Über die Art und
Weise der Umsetzung durch den Bundesrat gibt es keine gesetzliche Vorgabe.
Praktikabilität und Rechtssicherheit sprechen für eine pauschale Kürzung des
anrechenbaren Zeitbedarfs in dem Sinn, als ein prozentualer Abzug auf der
Grundlage des regelmässigen Aufenthalts in einer Institution vorzunehmen ist.
Somit ist die Regelung gemäss Art. 39e Abs. 4 IVV nicht gesetzwidrig.

3.3.2. Das BSV bringt im Lichte dieser Rechtsprechung zu Recht vor, dass eine
konkrete Ermittlung der massgeblichen Bereiche des Hilfebedarfs in Bezug auf
die Tätigkeit in einer Institution sehr aufwändig und praktisch nicht
durchführbar sei, da das jeweilige Hilfsangebot jeder einzelnen Institution
sowohl im Allgemeinen als auch im konkreten Einzelfall überprüft und abgeklärt
werden müsste. Das kantonale Gericht übersieht, dass der Beigeladene auch
deshalb eine Hilflosenentschädigung mittleren Grades erhält, weil er u.a. in
den alltäglichen Lebensverrichtungen An- und Auskleiden, Aufstehen/Absitzen/
Abliegen sowie Fortbewegung/gesellschaftliche Kontakte eingeschränkt ist.
Daraus ist zu schliessen, dass er sowohl bei halb- als auch ganztägiger
Beschäftigung auf Hilfe angewiesen ist. Jedenfalls kann aufgrund der konkreten
Umstände nicht ohne Weiteres geschlossen werden, der Versicherte bedürfe in der
geschützten Werkstätte keiner Hilfe. Unter den vorinstanzlichen Annahmen
betrachtet, müsste der Versicherte auf dem regulären Arbeitsmarkt eine
Anstellung finden können, ohne für die Beschäftigungszeit einen Anspruch auf
Assistenzbeitrag zu haben.

3.4. Im Sinne des Gesagten ist die Sache an die IV-Stelle zurückzuweisen, damit
sie nach Neuprüfung des Anspruchs auf Assistenzbeitrag gemäss E. 3 hievor neu
verfüge.

4. 
Die IV-Stelle hat als teilweise unterliegende Partei die hälftigen
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Dem BSV dürfen keine Kosten
auferlegt werden (Art. 66 Abs. 4 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des
Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 19. Januar 2016 und die
Verfügung der IV-Stelle des Kantons St. Gallen vom 17. Januar 2014 werden
aufgehoben. Die Sache wird an die IV-Stelle zurückgewiesen, damit sie über den
Anspruch des Versicherten auf Assistenzbeitrag neu verfüge. Im Übrigen wird die
Beschwerde abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 400.- werden der IV-Stelle des Kantons St. Gallen
auferlegt.

3. 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten des vorangegangenen Verfahrens an
das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen zurückgewiesen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, A.________ und dem Versicherungsgericht des
Kantons St. Gallen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 26. August 2016
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Der Gerichtsschreiber: Grunder

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Drucken nach oben