Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.121/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     

{T 0/2}            
8C_121/2016

Urteil vom 2. September 2016

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Ursprung, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiberin Polla.

Verfahrensbeteiligte
Dienststelle Wirtschaft und Arbeit (wira), Arbeitslosenkasse des Kantons
Luzern, Bürgenstrasse 12, 6005 Luzern,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.________,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Arbeitslosenversicherung (Einstellung in der Anspruchsberechtigung;
Rückerstattung),

Beschwerde gegen den Entscheid des
Kantonsgerichts Luzern vom 12. Januar 2016.

Sachverhalt:

A. 
Der 1954 geborene A.________ war seit 1992 bei der B.________ AG angestellt.
Die B.________ AG kündigte das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der
ordentlichen Kündigungsfrist von drei Monaten am 17. Juli 2014 auf Ende Oktober
2014 und stellte A.________ per sofort frei. In der Zeit von Mitte August bis
Ende Oktober 2014 arbeitete er bei der C.________ AG. Am 29. Oktober 2014
meldete sich A.________ beim Arbeitsamt der Gemeinde D.________ zur
Arbeitsvermittlung an und erhob Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung ab 1.
November 2014. Mit Verfügung vom 8. Mai 2015 stellte ihn die Arbeitslosenkasse
des Kantons Luzern ab Anspruchserhebung für 36 Tage wegen selbstverschuldeter
Arbeitslosigkeit in der Anspruchsberechtigung ein. Ferner wurde A.________
rechtskräftig für die Dauer von weiteren 47 Tagen in der Anspruchsberechtigung
eingestellt. Nachdem die Kasse die Tilgung der 36 Einstelltage versehentlich
nicht vorgenommen hatte, forderte sie mit Verfügung vom 19. Mai 2015 zu viel
ausbezahlte Leistungen für die Kontrollperioden Januar bis April 2015 im Umfang
von Fr. 4'930.40 zurück. Mit Einspracheentscheid vom 28. Juli 2015 hielt sie
sowohl an der Einstellungsverfügung vom 8. Mai 2915 als auch an der
Rückforderungsverfügung vom 19. Mai 2015 fest.

B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Kantonsgericht des Kantons Luzern mit
Entscheid vom 12. Januar 2016 im Sinne der Erwägungen gut und hob den
Einspracheentscheid vom 28. Juli 2015 auf.

C. 
Die Arbeitslosenkasse führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten und beantragt, es sei unter Aufhebung des angefochtenen
Entscheids an der Einstellung von 36 Tagen infolge selbstverschuldeter
Arbeitslosigkeit sowie der daraus resultierenden Rückforderung von Fr. 4'930.40
festzuhalten.

D. 
Das Bundesgericht ordnete einen Schriftenwechsel an und gab den Parteien mit
Verfügung vom 22. April 2016 Gelegenheit, zur Frage der substituierten
Begründung gestützt auf Art. 30 Abs. 3 AVIG in Verbindung mit Art. 45 Abs. 1
AVIV Stellung zu nehmen. Die Vorinstanz und das Staatssekretariat für
Wirtschaft (SECO) verzichten auf eine Vernehmlassung, während die
Arbeitslosenkasse verneint, dass die Rückforderung wegen Ablauf der
sechsmonatigen Vollstreckungsfrist nicht mehr durchgesetzt werden kann und
A.________ sinngemäss Beschwerdeabweisung beantragt. Am 1. Juni 2016 reicht
A.________ eine weitere Eingabe ein.

Erwägungen:

1. 
Mit der Beschwerde kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt
werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1
BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem
Verfahren beanstandeten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E.
2.2.1 S. 389). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des
Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1
BGG in Verbindung mit Art. 105 Abs. 2 BGG). Die vorinstanzliche
Ermessensbetätigung ist im Verfahren vor Bundesgericht nur beschränkt
überprüfbar. Eine Angemessenheitskontrolle ist dem Gericht verwehrt; es hat nur
zu prüfen, ob die Vorinstanz ihr Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt, mithin
überschritten, unterschritten oder missbraucht hat (Art. 95 lit. a BGG; BGE 134
V 322 E. 5.3 S. 328; 132 V 393 E. 3.3 S. 399: Urteil 8C_165/2015 vom 20. Mai
2015 E. 1).

2. 
Gemäss Art. 30 Abs. 1 lit. a AVIG ist der Versicherte in der
Anspruchsberechtigung einzustellen, wenn er durch eigenes Verschulden
arbeitslos ist. Die Arbeitslosigkeit gilt unter anderem dann als
selbstverschuldet, wenn der Versicherte durch sein Verhalten, insbesondere
wegen Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten, dem Arbeitgeber Anlass zur
Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegeben hat (Art. 44 Abs. 1 lit. a AVIV),
oder wenn er ein Arbeitsverhältnis von voraussichtlich längerer Dauer von sich
aus aufgelöst hat und ein anderes eingegangen ist, von dem er wusste oder hätte
wissen müssen, dass es nur kurzfristig sein wird, es sei denn, dass ihm das
Verbleiben an der vorherigen Arbeitsstelle nicht zugemutet werden konnte (Art.
44 Abs. 1 lit. c AVIV).

3.

3.1. Die Vorinstanz bestätigte, dass der Versicherte den Stellenverlust bei der
B.________ AG selbstverschuldete. Sie verneinte jedoch einen Kausalzusammenhang
zwischen diesem Arbeitsverlust und der Anmeldung zum Leistungsbezug bei der
Arbeitslosenversicherung, da er nachfolgend ein neues, unbefristetes
Arbeitsverhältnis eingegangen sei, welches die Arbeitgeberin ohne sein
Verschulden wieder beendet habe. Daher sei die Einstellung in der
Anspruchsberechtigung wegen selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit zu Unrecht
erfolgt.

3.2. Beschwerdeweise wird geltend gemacht, die Vorinstanz übersehe, dass der
Versicherte während der laufenden Kündigungsfrist eine Beschäftigung bei einer
Temporärfirma aufgenommen habe, welche auf das gleiche Datum beendet worden sei
wie die Anstellung bei der B.________ AG. Es handle sich nicht um nacheinander
eingegangene Anstellungen. Zudem liege gemäss Art. 44 Abs. 1 lit. c AVIV eine
selbstverschuldete Arbeitslosigkeit auch dann vor, wenn eine Stelle zu Gunsten
einer anderen aufgegeben werde, die voraussichtlich nur von kurzfristiger Dauer
sei.

4.

4.1. Der Tatbestand der selbstverschuldeten Arbeitslosigkeit nach Art. 30 Abs.
1 lit. a AVIG erfasst Verhaltensweisen der versicherten Person, die kausal (BGE
122 V 34 E. 3a S. 38) für den Eintritt der ganzen oder teilweisen
Arbeitslosigkeit sind und eine Verletzung der Pflicht, Arbeitslosigkeit zu
vermeiden, bedeuten (THOMAS NUSSBAUMER, Arbeitslosenversicherung, in:
Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, 3. Aufl.
2016, S. 2514 Rz. 836 mit Hinweisen).

4.2. Die Vorinstanz stellte fest, dass der Beschwerdegegner arbeitsvertragliche
Pflichten verletzte und durch sein Verhalten Anlass zur Auflösung des
Arbeitsverhältnisses durch die B.________ AG gab. Somit ist der Versicherte
hinsichtlich dieser Anstellung durch eigenes Verschulden arbeitslos geworden.
Es steht jedoch ebenso fest, dass ihn am 12. August 2014 die
Personalverleihfirma C.________ AG anstellte und er bei der E.________ AG ab
18. August 2014 unbefristet eingesetzt wurde. Der Versicherte hielt sich zwar -
gemäss Einwand der Beschwerdeführerin - nicht an die mit der Freistellung
verknüpfte Bedingung der ehemaligen Arbeitgeberin, einen allfälligen
Stellenantritt während der Dauer der Freistellung zu melden, da er sich den
Lohn, den er in dieser Zeit dadurch anderweitig verdienen würde, anrechnen
lassen müsse. Dies ändert aber nichts am Umstand, dass mit der sofortigen
Freistellung nach Kündigungserhalt das Arbeitsverhältnis faktisch hinsichtlich
der geschuldeten Arbeitsleistung beendet wurde und der Versicherte daraufhin
ein neues Arbeitsverhältnis einging. Dass dieser Stellenverlust bei der
C.________ AG per 31. Oktober 2014 betriebswirtschaftlichen und somit
objektiven Faktoren zuzuschreiben war, wie das kantonale Gericht feststellte,
wird von der Arbeitslosenkasse nicht bestritten. Die im angefochtenen
Gerichtsentscheid zur unbefristeten Dauer des Einsatzes bei der E.________ AG
als Mechaniker in der Komponenten-Montage getroffenen Feststellungen sind
sodann nicht offensichtlich unrichtig. Auch wenn der Versicherte als
Temporärarbeiter eingesetzt wurde, war dieser Einsatz ohne zeitliche Befristung
vereinbart worden. Mit dem allgemeinen Hinweis auf den typischerweise
vorübergehenden Charakter einer Temporärarbeit vermag die Beschwerdeführerin
nicht darzutun, dass der Beschwerdegegner wusste oder hätte wissen müssen, dass
der laut Einsatzvertrag unbefristete Einsatz nur kurzfristig sein wird und auf
Ende Oktober 2014 hin aufgelöst würde, zumal es sich auch nicht um einen
Einsatz in einem Betrieb mit saisonal schwankender Auftragslage handelte. Der
Versicherte gibt in seiner Stellungnahme vom 30. Juni 2016 denn auch an, nach
der Übernahme der E.________ AG durch die F.________, wieder am gleichen
Arbeitsort unbefristet tätig zu sein.
Zusammenfassend legt die Beschwerdeführerin nicht überzeugend dar noch ergeben
sich dafür Hinweise aus den Akten, dass der Beschwerdegegner von einer
befristeten Tätigkeit bei der E.________ AG und nicht von einem Einsatz von
voraussichtlich längerer Dauer hätte ausgehen müssen. Hieraus lässt sich keine
selbstverschuldete Arbeitslosigkeit ableiten. Die Ausführungen in der
Beschwerdeschrift sind insgesamt nicht geeignet, die Sachverhaltsfeststellung
des kantonalen Gerichts als klar unrichtig oder unvollständig und dessen
rechtliche Würdigung als bundesrechtswidrig erscheinen zu lassen. Wenn die
Vorinstanz zum Schluss gelangte, der erste, verschuldete Stellenverlust habe
die hier interessierende Arbeitslosigkeit weder hervorgerufen noch deren
Eintritt begünstigt, weshalb es am Kausalzusammenhang zwischen der gemeldeten
Arbeitslosigkeit und diesem sanktionierten Stellenverlust mangle, lässt sich
dies nicht beanstanden. Damit ist der Tatbestand der selbstverschuldeten
Arbeitslosigkeit nicht erfüllt und eine Rückerstattungspflicht der
ausgerichteten Taggelder entfällt.

4.3. Nachdem der Vorinstanz in materiell-rechtlicher Hinsicht vollumfänglich
gefolgt wird, kann die Frage der Verwirkung der Rückforderung aufgrund der
sechsmonatigen Vollstreckungsfrist nach Art. 30 Abs. 3 letzter Satz AVIG offen
gelassen werden (vgl. Sachverhalt lit. D).

5. 
Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten der
Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Dem nicht anwaltlich
vertretenen Beschwerdegegner steht trotz seines Obsiegens keine
Parteientschädigung nach Art. 68 Abs. 2 BGG zu.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Luzern, 3. Abteilung, und
dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 2. September 2016

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Die Gerichtsschreiberin: Polla

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