Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.94/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
2C_94/2016

Urteil vom 2. November 2016

II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Seiler, Präsident,
Bundesrichter Zünd,
Bundesrichterin Aubry Girardin,
Bundesrichter Stadelmann,
Bundesrichter Haag,
Gerichtsschreiberin Genner.

Verfahrensbeteiligte
Staatssekretariat für Migration,
Beschwerdeführer,

gegen

A.A.________,
Beschwerdegegner,
vertreten durch Advokat Oliver Borer,

Amt für Migration Basel-Landschaft,

Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft.

Gegenstand
Widerruf der Niederlassungsbewilligung
und Wegweisung aus der Schweiz,

Beschwerde gegen das Urteil des
Kantonsgerichts Basel-Landschaft,
Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht,
vom 21. Oktober 2015.

Sachverhalt:

A.
Der serbische Staatsangehörige A.A.________ wurde 1987 in der Schweiz geboren
und erhielt in der Folge die Niederlassungsbewilligung. Im Jahr 2012 verlobte
er sich mit B.A.________, welche Bürgerin der Schweiz und von
Bosnien-Herzegowina ist, und bezog mit ihr eine gemeinsame Wohnung. Nach der
Geburt des Sohnes C.A.________ am 13. Oktober 2014 heiratete das Paar am 30.
Januar 2015 in U.________.

A.a. A.A.________ ist strafrechtlich folgendermassen in Erscheinung getreten:

- Urteil des Bezirksstatthalteramts Arlesheim vom 30. Oktober 2006: Busse von
Fr. 1'000.-- wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln und Widerhandlung gegen
das Strassenverkehrsgesetz;
- Urteil des Strafgerichtspräsidenten Basel-Stadt vom 22. Oktober 2009:
Geldstrafe von 75 Tagessätzen zu je Fr. 90.--, bedingt aufgeschoben bei einer
Probezeit von zwei Jahren, wegen Nötigung und Sachbeschädigung;
- Urteil des Appellationsgerichts Basel-Stadt vom 11. Februar 2014 und 6. Mai
2014: Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren wegen mehrfacher Vergehen gegen
das Betäubungsmittelgesetz (begangen zwischen Januar 2010 und Mitte November
2010), mehrfacher einfacher Körperverletzung (begangen zwischen Ende September
2010 und Mitte Oktober 2010), Freiheitsberaubung und Entführung (begangen am 7.
November 2010) sowie schwerer Körperverletzung (begangen am 7. November 2010).
Am 17. Februar 2012 wurde A.A.________ aus der Untersuchungshaft entlassen und
trat am 23. März 2015 den Strafvollzug an.

B.
Am 2. September 2014 widerrief das Amt für Migration Basel-Landschaft die
Niederlassungsbewilligung und wies A.A.________ aus der Schweiz weg. Die
dagegen erhobene Beschwerde wies der Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft
am 3. März 2015 ab. Gegen den Regierungsratsbeschluss gelangte A.A.________ an
das Kantonsgericht Basel-Landschaft, welches die Beschwerde am 21. Oktober 2015
guthiess, den Regierungsratsbeschluss vom 3. März 2015 aufhob und A.A.________
förmlich verwarnte.

C.
Das Staatssekretariat für Migration erhebt am 28. Januar 2016 Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht mit dem Antrag, das
angefochtene Urteil aufzuheben.
Das Kantonsgericht verzichtet auf Vernehmlassung. Der Regierungsrat, handelnd
durch den Rechtsdienst von Regierungsrat und Landrat Basel-Landschaft,
schliesst auf Gutheissung der Beschwerde. A.A.________ beantragt am 20. April
2016, die Beschwerde abzuweisen. Am 30. April 2016 nimmt er noch Stellung zur
Vernehmlassung des Regierungsrates.
Die II. öffentlich-rechtliche Abteilung des Bundesgerichts hat die
Angelegenheit am 2. November 2016 an einer öffentlichen Sitzung beraten.

Erwägungen:

1.

1.1. Nach Art. 89 Abs. 2 lit. a BGG in Verbindung mit Art. 14 Abs. 2 der
Organisationsverordnung vom 17. November 1999 für das Eidgenössische Justiz-
und Polizeidepartement (OV-EJPD; SR 172.213.1) ist das Staatssekretariat für
Migration (SEM) in den Bereichen des Ausländer- und Bürgerrechts berechtigt,
beim Bundesgericht Beschwerde gegen letztinstanzliche kantonale Entscheide zu
führen. Das Beschwerderecht der Bundesbehörden soll den richtigen und
rechtsgleichen Vollzug des Bundesverwaltungsrechts sicherstellen. Dabei muss
grundsätzlich kein spezifisches öffentliches Interesse an der Anfechtung der
Verfügung bzw. des Urteils nachgewiesen werden; erforderlich ist nur, dass es
der beschwerdeführenden Verwaltungseinheit nicht um die Behandlung abstrakter
Fragen des objektiven Rechts, sondern um konkrete Rechtsfragen eines
tatsächlich bestehenden Einzelfalls geht (BGE 129 II 1 E. 1.1 S. 3 f.; vgl.
auch Urteil 2C_343/2010 / 2C_344/2010 vom 11. April 2011, nicht publ. in: BGE
137 II 199). Dies ist hier der Fall, weshalb die Behördenbeschwerde zulässig
ist.

1.2. Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass,
so dass auf die Beschwerde einzutreten ist.

2.

2.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine
Rechtsverletzung nach Art. 95 und Art. 96 BGG gerügt werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es legt seinem
Urteil den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105
Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes
wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf
einer Rechtsverletzung im Sinn von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG; BGE
142 I 135 E. 1.6 S. 144). "Offensichtlich unrichtig" bedeutet dabei
"willkürlich" (BGE 140 III 115 E. 2). Es entspricht der Rolle des
Bundesgerichts als höchster gerichtlicher Instanz, dass es lediglich
Rechtsfragen mit voller Kognition zu überprüfen hat.

2.2. Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nur so weit vorgebracht werden, als
erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG).
Tatsachen oder Beweismittel, welche sich auf das vorinstanzliche Prozessthema
beziehen, sich jedoch erst nach dem angefochtenen Entscheid ereignet haben oder
entstanden sind, können von vornherein nicht durch das angefochtene Urteil
veranlasst worden sein (Urteil 2C_833/2011 vom 6. Juni 2012 E. 1.2 mit
Hinweis). Diese so genannten "echten Noven" sind im bundesgerichtlichen
Verfahren in jedem Fall unzulässig (BGE 139 III 120 E. 3.1.2 S. 123; 133 IV 342
E. 2.1 S. 344).

3.
Durch die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren ist der
Widerrufsgrund nach Art. 63 Abs. 2 AuG (SR 142.20) i.V.m. Art. 62 lit. b AuG
erfüllt.

3.1. Zu prüfen bleibt die Verhältnismässigkeit der Massnahme im Sinn von Art.
96 Abs. 1 AuG, wonach die öffentlichen Interessen und die persönlichen
Verhältnisse sowie der Grad der Integration zu berücksichtigen sind. Bei
Personen, die sich - wie der Beschwerdegegner - auf das Recht auf Achtung des
Familienlabens berufen können, entspricht diese Verhältnismässigkeitsprüfung
der Anwendung von Art. 8 Ziff. 2 EMRK. Danach sind die Art und Schwere der
begangenen Straftaten, das Alter im Zeitpunkt der Tatbegehung, die Dauer des
Aufenthalts im Land, die seit der Tatbegehung verstrichene Zeit und das
Verhalten der betroffenen Person während dieser, die sozialen, kulturellen und
familiären Bindungen zum Aufenthaltsstaat und zum Herkunftsland, der
gesundheitliche Zustand sowie die mit der aufenthaltsbeendenden Massnahme
verbundene Dauer der Fernhaltung zu berücksichtigen (BGE 139 I 31 E. 2.3.3 S.
34). Zudem sind die Dauer der ehelichen Beziehung und weitere Gesichtspunkte
relevant, welche Rückschlüsse auf deren Intensität zulassen (Geburt und Alter
allfälliger Kinder; Kenntnis der Tatsache, dass die Beziehung wegen der
Straftat unter Umständen nicht in der Schweiz gelebt werden kann). Von
Bedeutung sind auch die Nachteile, welche dem Ehepartner oder den Kindern
erwachsen würden, müssten sie dem Betroffenen in dessen Heimat folgen (BGE 135
II 377 E. 4.3 S. 381).

3.2. Die Verhältnismässigkeit - bejaht oder verneint - ist das Ergebnis einer
Interessenabwägung. Diese hat zwei Ebenen: eine faktische, um die Interessen zu
erfassen, und eine normative, um die vorhandenen Interessen gegeneinander
abzuwägen. Die Interessenabwägung bezieht sich auf die Gesamtheit der
relevanten Tatsachen im Einzelfall. Die Feststellung dieser Tatsachen überprüft
das Bundesgericht mit Willkürkognition (vgl. E. 2.1). Die Gewichtung der Fakten
und der darauf basierenden Interessen mit dem Ziel, die Frage der
Verhältnismässigkeit im Rahmen von Grundrechtseingriffen zu beantworten, ist
eine Rechtsfrage, welche das Bundesgericht als Rüge der Verletzung von Bundes-
oder Völkerrecht frei prüft (Art. 95 lit. a und b BGG). Der Unschärfe, die der
Verhältnismässigkeit eigen ist, kann und soll das Bundesgericht in Form eines
Wertungsspielraums Rechnung tragen, wenn ein kantonaler Gerichtsentscheid auf
erhöhter Sachnähe beruht. Eine erhöhte Sachnähe kann sich inbesondere daraus
ergeben, dass das kantonale Gericht die betroffene Person persönlich angehört
hat. Im vorliegenden Fall hat die Vorinstanz eine persönliche Anhörung
durchgeführt, weshalb in Bezug auf die Überprüfung der Verhältnismässigkeit
eine gewisse Zurückhaltung angebracht ist.

3.3. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts sind umso strengere
Anforderungen an eine fremdenpolizeiliche Massnahme zu stellen, je länger eine
ausländische Person in der Schweiz anwesend war. Die Niederlassungsbewilligung
eines Ausländers, der sich schon seit langer Zeit hier aufhält, soll zwar nur
mit besonderer Zurückhaltung widerrufen werden, doch ist dies bei wiederholter
bzw. schwerer Straffälligkeit selbst dann nicht ausgeschlossen, wenn er hier
geboren ist und sein ganzes bisheriges Leben im Land verbracht hat (BGE 139 I
16 E. 2.2.1 S. 19). Grundsätzlich aber unterliegt die Wegweisung eines
straffällig gewordenen Ausländers der sogenannten zweiten Generation erhöhten
Anforderungen (Urteil 2C_200/2013 vom 16. Juli 2013 E. 6.4.2). Diese
Zurückhaltung rechtfertigt sich auch mit Blick auf Art. 12 Abs. 4 UNO-Pakt II
(SR 0.103.2), wonach niemandem willkürlich das Recht entzogen werden darf, in
sein eigenes Land einzureisen. Der UN-Menschenrechtsausschuss hat im "General
Comment" Nr. 27 vom 2. November 1999 zu Art. 12 UNO-Pakt II (abrufbar unter:
http://www.refworld.org/docid/45139c394.html [besucht am 4. November 2016])
festgehalten, dass dieses Recht die besondere Beziehung bzw. Nähe zum eigenen
Land schützt, wobei der Wortlaut nicht zwischen Staatsangehörigen des
betreffenden Landes und "Fremden" unterscheidet (a.a.O., Rz. 19-21). Dem
entspricht die Praxis des UN-Ausschusses für Menschenrechte, wonach sich auf
diese Garantie nicht nur die eigenen Staatsangehörigen berufen können, sondern
auch Ausländerinnen und Ausländer, welche ihr Leben seit früher Jugend im Land
verbracht haben und zu jenem ihrer Staatsangehörigkeit kaum mehr Beziehungen
pflegen (vgl. ANDREAS ZÜND/THOMAS HUGI YAR, Aufenthaltsbeendende Massnahmen im
schweizerischen Ausländerrecht, insbesondere unter dem Aspekt des Privat- und
Familienlebens, EuGRZ 2013, S. 1 ff., Rz. 3).

3.4. Bei Angehörigen der zweiten Generation, welche mehrmals straffällig
geworden sind, deren Verurteilung (en) aber (noch) keinen Widerrufsgrund im
Sinn von Art. 62 lit. b oder c AuG darstellt bzw. darstellen, sollte in der
Regel eine Verwarnung ausgesprochen werden (vgl. Urteil 2C_453/2015 vom 10.
Dezember 2015 E. 5.3) mit dem Ziel, eine aufenthaltsbeendende Massnahme zu
vermeiden. Sodann kann eine Verwarnung auch im Sinn einer "letzten Chance"
ergehen, wenn der Widerrufsgrund zwar erfüllt ist, die Interessenabwägung den
Entzug der Bewilligung aber als unverhältnismässig erscheinen lässt. Sowohl
Migrationsbehörden als auch Gerichte können ausländerrechtliche Verwarnungen
aussprechen.

4.

4.1. Ausgangspunkt für das migrationsrechtliche Verschulden ist die vom
Strafgericht ausgesprochene Strafe (BGE 134 II 10 E. 4.2 S. 23; 129 II 215 E.
3.1 S. 216). Im vorliegenden Fall geht es um eine Freiheitsstrafe von
viereinhalb Jahren, der schwere Delikte zugrundeliegen. In Bezug auf
Drogendelinquenz, wenn sie - wie hier - rein finanziellen Motiven entspringt,
gilt eine strenge Praxis (BGE 139 I 31 E. 2.3.3. S. 34). Noch schwerwiegender
ist die Begehung der weiteren Taten, welche zu dieser Verurteilung führten: Der
Beschwerdegegner verprügelte sein Opfer, welches ihm Geld für Kokain schuldete,
in der Zeit zwischen Ende September und Mitte Oktober 2010 zweimal, um es
einzuschüchtern. Am 6./7. November 2010 machte der Beschwerdegegner den
Aufenthaltsort des Opfers (welches mittlerweile Angst vor ihm hatte) mit Hilfe
seiner damaligen Freundin B.A.________ als Lockvogel ("Tamara") ausfindig und
entführte es mit Hilfe zweier Bekannter in einen Wald. Nachdem der
Beschwerdegegner sein Opfer bereits während der Autofahrt geschlagen hatte,
richtete er dieses, im Wald angekommen, mit einem Holzstock und mit Schlägen
gegen den Kopf dermassen zu, dass es potenziell lebensbedrohliche Verletzungen
erlitt und einige Tage später notoperiert werden musste (vgl. Urteil des
Appellationsgerichts Basel-Stadt vom 11. Februar und 6. Mai 2014; Urteil des
Strafgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 17. Februar 2012).

4.2. Der Beschwerdegegner war kein Ersttäter. Die verfahrensauslösende
Verurteilung war nach den Feststellungen der Vorinstanz bereits die dritte
Verurteilung, wobei die Schwere der Taten jeweils deutlich zunahm. Aus den
Akten geht zudem hervor, dass die Staatsanwaltschaft Solothurn den
Beschwerdegegner am 26. Oktober 2010 zu einer Busse von Fr. 360.-- verurteilt
hat, weil dieser am 8. September 2010 die zulässige Höchstgeschwindigkeit von
80 km/h um 27 km/h (nach Abzug der Toleranz) überschritten hatte. Sodann fällt
negativ ins Gewicht, dass der Beschwerdegegner die verfahrensauslösenden
Delikte in der Probezeit im Nachgang zur Verurteilung wegen Nötigung und
Sachbeschädigung vom 22. Oktober 2009 begangen hat. Der ihm gewährte bedingte
Strafvollzug hatte ihn nicht davor abgehalten, nur ein Jahr danach die schweren
Straftaten gegen die körperliche Integrität und die Freiheit zu begehen.

4.3. Entgegen den Vorbringen des Beschwerdeführers hat die Vorinstanz
berücksichtigt, dass der Beschwerdegegner durch das Appellationsgericht
Basel-Stadt zu einer Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren verurteilt werden
musste und dass diesen ein erhebliches Verschulden traf. Sie hat auch die
Vorstrafen nicht ausser Acht gelassen. Schliesslich hat sie in die Abwägung
einbezogen, dass der Beschwerdegegner die letzte und schwerwiegendste Tat
während der Probezeit der vorherigen Verurteilung begangen hat. Insgesamt ist
die Vorinstanz von einer schweren Straffälligkeit und einem schweren
Verschulden ausgegangen, woraus sie - zu Recht - ein gewichtiges öffentliches
Interesse am Widerruf der Niederlassungsbewilligung abgeleitet hat.

5.
Dem sicherheitspolizeilichen Interesse an der Beendigung des Aufenthalts hat
die Vorinstanz die privaten Interessen des Beschwerdegegners am Verbleib in der
Schweiz gegenübergestellt.

5.1. Sie hat zunächst berücksichtigt, dass der Beschwerdegegner im Jahr 1987 in
der Schweiz geboren wurde und sein ganzes Leben hier verbracht hat. Aufgrund
der langen Aufenthaltsdauer hat die Vorinstanz ein gewichtiges privates
lnteresse des Beschwerdegegners an einem Verbleib in der Schweiz bejaht. Dies
steht im Einklang mit den erhöhten Anforderungen im Zusammenhang mit der
Wegweisung von hier geborenen ausländischen Personen, die hier aufgewachsen
sind (vgl. E. 3.3). Liegt eine deutlich erkennbare positive Entwicklung der
ausländischen Person vor, kann sich daraus mittelbar auch ein öffentliches
Interesse am Verbleib in der Schweiz ergeben: Bei einer Person, die ihr ganzen
Leben in der Schweiz verbracht hat und glaubhaft dartut, dass sie sich
dauerhaft gebessert hat, würden durch eine allzu leichtfertig ausgesprochene
Wegweisung der Resozialisierungsgedanke des Strafrechts bzw. die im
Strafvollzug unternommenen Bemühungen zunichte gemacht.

5.2. Die Vorinstanz ging von einer insgesamt guten Integration des
Beschwerdegegners in der Schweiz aus. So beherrscht er die deutsche Sprache und
verfügt aktenkundig über ein grosses soziales Beziehungsnetz. Mit wenigen
Ausnahmen lebt seine gesamte Verwandtschaft in der Schweiz. Mit dem Einwand,
die Integration des Beschwerdegegners könne in beruflicher Hinsicht
"bestenfalls als durchschnittlich" gelten, vermag der Beschwerdeführer nicht
aufzuzeigen, dass die Feststellungen der Vorinstanz in Bezug auf die
Integration willkürlich wären (vgl. E. 2.1). Nach den verbindlichen
Feststellungen der Vorinstanz wurde der Beschwerdegegner von seinem Arbeitgeber
von April bis Mai 2012 temporär und aufgrund guter Leistungen ab Juni 2012 in
einer Festanstellung beschäftigt und erhielt eine durchwegs positive
Beurteilung. Diese Tatsache hat der Beschwerdeführer kaum gewürdigt.

5.3. Auch der Familiengründung des Beschwerdegegners, namentlich der Geburt des
Sohnes, misst der Beschwerdeführer zu wenig Bedeutung bei. Aufgrund der
Darlegungen des Beschwerdegegners anlässlich der Parteiverhandlung würdigte die
Vorinstanz dessen Umzug mit seiner langjährigen Freundin in eine gemeinsame
Wohnung, die Verlobung mit ihr, die Geburt des gemeinsamen Sohnes am 13.
Oktober 2014 und die Heirat als sehr prägend. Auch erfahre er grossen Rückhalt
von seiner Ehefrau. Die Vorinstanz kam zum Schluss, der Beschwerdegegner habe
sein gesamtes Leben neu ausgerichtet und sich in den letzten Jahren insgesamt
von einem abtrünnigen Jugendlichen zu einem verantwortungsbewussten
Familienvater geläutert.

5.4. Weiter ergibt sich aus dem angefochtenen Entscheid, dass sich der
Beschwerdegegner seit der Tatbegehung nicht nur wohl verhalten, sondern
gebessert hat. Er hat sich im Strafvollzug bewährt, wie das Arbeitszeugnis der
Strafanstalt Wauwilermoos vom 1. März 2015 belegt. Die übrigen vom
Beschwerdegegner eingereichten Beweismittel zur Untermauerung der positiven
Entwicklung datieren nach dem angefochtenen Urteil und sind deshalb als echte
Noven unbeachtlich (vgl. E. 2.2).
Auch in beruflicher Hinsicht verhielt sich der Beschwerdegegner in der Zeit
zwischen Untersuchungshaft und Strafantritt tadellos (vgl. E. 5.2 am Ende).
Nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft nahm er eine Arbeitstätigkeit auf
und zahlte seine Steuerrückstände und offenen Betreibungen ab. Zur finanziellen
Abgeltung der Tat zahlte der Beschwerdegegner seinem Opfer monatlich Fr.
300.--. Die monatlichen Genugtuungszahlungen wurden vom Strafgericht
festgesetzt und durch das Appellationsgericht bestätigt. Die Vorinstanz hat
berücksichtigt, dass nicht von einer freiwilligen Genugtuungsleistung
ausgegangen werden kann. Nach ihren Feststellungen hat aber der
Beschwerdegegner schon vor dem Entscheid des Appellationsgerichts mit den
Zahlungen begonnen.
Sodann ist dem Beschwerdegegner zugute zu halten, dass er - wenn auch erst
nachdem das erstinstanzliche Strafurteil ergangen war - freiwillig die
Beratungen des Männerbüros der Region Basel in Anspruch nahm. Das Männerbüro
bestätigt in seinem Bericht vom 12. August 2014, dass der Beschwerdegegner die
Sitzungen sehr ernst nehme und auch ausserhalb der Beratung in Gesprächen mit
seiner Ehefrau die Thematik aufarbeite. Er beschönige die Tat nicht, was darauf
hinweise, dass er sein Verhalten überdacht habe.
Entscheidend in diesem Zusammenhang ist, dass sowohl das Appellationsgericht
als auch die Vorinstanz - beide aufgrund mündlicher Anhörung - dem
Beschwerdegegner eine günstige Prognose ausgestellt haben aufgrund der
Überzeugung, dass dieser seine Taten ernsthaft bereute und seinem Leben eine
neue Richtung zu geben bereit war. An der Parteiverhandlung vor der Vorinstanz
führte der Beschwerdegegner aus, dass er einen Mann lebensgefährlich verletzt
habe, wofür er sich schäme und was er bereue. Es sei ihm wichtig gewesen, sich
bei seinem Opfer zu entschuldigen, was er in schriftlicher Form getan habe. Er
versuche auch während des Strafvollzuges eine reduzierte, monatliche
Genugtuungszahlung zu leisten. Im Strafvollzug nahm der Beschwerdegegner - auf
eigenen Wunsch - eine deliktsorientierte Behandlungsmassnahme auf und liess
sich auf Begegnungen mit Jugendlichen ein, denen er über seine Tat und die
Folgen berichtete.

5.5. Der Einwand des Beschwerdeführers, der Beschwerdegegner habe sich nur
deshalb wohl verhalten, weil er unter dem Einfluss der straf- und
ausländerrechtlichen Verfahren gestanden habe, greift damit zu kurz. Die aktive
Aufarbeitung der Straffälligkeit, die Präventionsarbeit mit Jugendlichen, die
Einsicht in das Unrecht und die Reue, die Leistung von Genugtuungszahlungen
auch während des Strafvollzugs sowie die Entschuldigung beim Opfer gehen weit
über ein unauffälliges Wohlverhalten unter dem Eindruck des Strafverfahrens
bzw. des Strafvollzugs hinaus. Nach den verbindlichen Feststellungen der
Vorinstanz hatte die positive Entwicklung bereits vor Einleitung des
ausländerrechtlichen Verfahrens eingesetzt. Aufgrund der genannten Umstände
würdigte die Vorinstanz den geltend gemachten Gesinnungswandel als glaubwürdig.
Die Bemühungen des Beschwerdegegners, ein geregeltes und konfliktfreies Leben
zu führen, bezeichnete die Vorinstanz als ernsthaft. Vor diesem Hintergrund
durfte sie dem Läuterungsprozess des Beschwerdeführers im Rahmen der
lnteressenabwägung grosses Gewicht beimessen.

5.6. Schliesslich weist die Vorinstanz zutreffend darauf hin, dass die Ehefrau
und der Sohn des Beschwerdegegners die Schweizer Staatsbürgerschaft besitzen,
weshalb es ihnen nicht zuzumuten ist, nach Serbien auszuwandern. Eine
Wegweisung des Beschwerdegegners ginge folglich mit der Trennung der Familie
einher und wäre für alle Beteiligten, nicht zuletzt für das Kind, mit
beträchtlichen Nachteilen verbunden. Die Schweiz verlassen zu müssen, würde
also nicht nur den Beschwerdeführer selbst, sondern auch dessen familiäres
Umfeld hart treffen. Auch unter diesem Gesichtspunkt hat die Vorinstanz das
grosse private Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in der Schweiz
zu Recht bejaht.

6.

6.1. In Berücksichtigung all dieser Umstände gelangte die Vorinstanz zum
Schluss, dass der Widerruf der Niederlassungsbewilligung mit Blick auf die
privaten Interessen unverhältnismässig sei. Ausserdem trug sie der Tatsache
Rechnung, dass der Beschwerdegegner ausländerrechtlich noch nie verwarnt worden
war. In Anwendung von Art. 96 Abs. 2 AuG sprach die Vorinstanz mit dem
angefochtenen Entscheid eine Verwarnung aus. Sie stellte dem Beschwerdegegner
für den Fall, dass er in absehbarer Zeit erneut in relevanter Weise straffällig
werden sollte, ausdrücklich in Aussicht, dass er dann trotz seiner langen
Anwesenheit mit dem Widerruf seiner Niederlassungsbewilligung rechnen müsse.

6.2. Die Vorinstanz hat gestützt auf die mündliche Anhörung des
Beschwerdegegners alle relevanten Tatsachen eingehend gewürdigt und die
widerstreitenden Interessen sorgfältig gegeneinander abgewogen. Was die Fakten
betrifft, weist der Beschwerdegegner zutreffend darauf hin, dass - entgegen der
Meinung des Regierungsrates - der dem Urteil 2C_1166/2013 vom 9. Oktober 2014
zugrunde liegende Sachverhalt (Betroffener erst im Alter von 13 Jahren in die
Schweiz gekommen, ausländerrechtlich verwarnt, keine Ehe, kein Kind) mit dem
hier zu beurteilenden nicht verglichen werden kann. Die Vorinstanz hat kein
Bundesrecht verletzt, wenn sie den Gesinnungswandel des Beschwerdegegners und
dessen Bemühungen zur Wiedergutmachung des begangenen Unrechts als glaubwürdig
eingeschätzt und in Berücksichtigung aller Umstände die privaten Interessen des
Beschwerdegegners höher gewichtet hat als das öffentliche Interesse am Widerruf
der Bewilligung.

7.
Die Beschwerde ist abzuweisen, und das angefochtene Urteil ist zu bestätigen.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind keine Gerichtskosten aufzuerlegen
(Art. 66 Abs. 4 BGG). Das Staatssekretariat für Migration hat den
Beschwerdegegner für das Verfahren vor dem Bundesgericht angemessen zu
entschädigen (Art. 68 Abs. 2 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3. 
Das Staatssekretariat für Migration hat dem Beschwerdegegner für das
bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 2'500.-- zu
bezahlen.

4. 
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Kantonsgericht
Basel-Landschaft, Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 2. November 2016

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Seiler

Die Gerichtsschreiberin: Genner

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