Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.949/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
2C_949/2016

Urteil vom 30. Dezember 2016

II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Seiler, Präsident,
Bundesrichter Zünd,
Bundesrichter Haag,
Gerichtsschreiber Nabold.

Verfahrensbeteiligte
A.________, c/o C.________,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Advokat Guido Ehrler,

gegen

Migrationsamt des Kantons Basel-Stadt,
Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Basel-Stadt, Bereich Recht.

Gegenstand
Vorsorgliche Massnahmen im Rahmen des Familiennachzugs, Aufschiebende Wirkung,

Beschwerde gegen das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt
als Verwaltungsgericht vom 26. August 2016.

Sachverhalt:

A. 
Die 1994 in El Salvador geborene A.________, Bürgerin von U.________ AR,
heiratete am 12. Juni 2015 in San Salvador den gleichaltrigen kolumbianischen
Bürger B.________. Nach ihrer Einreise in die Schweiz am 12. Juli 2015 stellte
sie am 30. September 2015 ein Gesuch um Familiennachzug für ihren Ehemann. Das
Migrationsamt Basel-Stadt wies dieses Gesuch mit Verfügung vom 27. Mai 2016 ab,
worauf der Ehemann die Schweiz verliess. Am 2. Juni 2016 erhob sie beim Justiz-
und Sicherheitsdepartement des Kantons Basel-Stadt Rekurs gegen die ablehnende
Verfügung und verlangte gleichzeitig, ihrem Ehemann sei der Aufenthalt in der
Schweiz während des laufenden Verfahrens im Sinne einer vorsorglichen Massnahme
zu bewilligen. Das Departement wies das Gesuch um Anordnung einer vorsorglichen
Massnahme mit Entscheid vom 10. Juni 2016 ab.

B. 
Den von A.________ hiegegen erhobenen Rekurs wies das Appellationsgericht des
Kantons Basel-Stadt mit Entscheid vom 26. August 2016 ab.

C. 
Mit Beschwerde an das Bundesgericht beantragt A.________ sinngemäss, es sei
unter Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides ihrem Ehemann der Aufenthalt
in der Schweiz für die Dauer des Verfahrens zu erlauben. Gleichzeitig stellt
sie ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege sowie ein Gesuch um aufschiebende
Wirkung der Beschwerde.
Das Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Basel-Stadt beantragt die
Abweisung der Beschwerde. Das Appellationsgericht hat auf Vernehmlassung
verzichtet.
In ihrer Eingabe vom 7. November 2016 hält A.________ an ihren Begehren fest.

Erwägungen:

1. 

1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist unzulässig
gegen Entscheide auf dem Gebiet des Ausländerrechts, die Bewilligungen
betreffen, auf die weder das Bundesrecht noch das Völkerrecht einen Anspruch
einräumen (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG), sowie gegen die Wegweisung (Art. 83
lit. c Ziff. 4 BGG). Angefochten ist ein Entscheid darüber, dass der Ehemann
der Beschwerdeführerin den Ausgang des ausländerrechtlichen
Bewilligungsverfahrens nicht in der Schweiz abwarten darf (Art. 17 Abs. 2 AuG);
dazu ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegeben,
falls in vertretbarer Weise ein potenzieller Anspruch auf die beantragte
Bewilligung geltend gemacht wird (Urteil 2C_76/2013 vom 23. Mai 2013 E. 1.1;
BGE 139 I 330 E. 1.1 S. 332; 136 II 177 E. 1.1 S. 179; hier: Art. 42 AuG und
Art. 8 EMRK). Beim angefochtenen Entscheid handelt es sich um einen
Zwischenentscheid über eine vorsorgliche Massnahme, der - bei einem Eingriff in
das Familienleben - einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil zur Folge haben
könnte (vgl. Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG). Das Bundesgericht prüft einen
derartigen Zwischenentscheid nur darauf hin, ob er verfassungsmässige Rechte
verletzt (vgl. Art. 98 BGG); deren Missachtung muss ausdrücklich und spezifisch
begründet dargetan werden (Art. 106 Abs. 2 BGG; "qualifizierte Rügepflicht",
vgl. BGE 138 I 274 E. 1.6 S. 280 f.; 137 II 305 E. 33. S. 311; spezifisch im
Zusammenhang mit Art. 98 BGG s. Urteil 2C_76/2013 vom 23. Mai 2013 E. 1.1).

1.2. Die Beschwerdeführerin hat als Schweizer Bürgerin ohne Weiteres ein
Aufenthaltsrecht in der Schweiz; dadurch, dass ihr ausländischer Ehemann den
Ausgang des Bewilligungsverfahrens nicht in der Schweiz abwarten darf, wird
aber auch in ihr Familienleben eingegriffen. Sie ist daher selbstständig
legitimiert, den entsprechenden Entscheid anzufechten.

2. 
Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzt hat, als sie
den unterinstanzlichen Entscheid, wonach der Ehemann der Beschwerdeführerin den
Entscheid über seine Aufenthaltsbewilligung im Ausland abzuwarten hat,
bestätigt hat.

3.

3.1. Ausländische Ehegatten und ledige Kinder unter 18 Jahren von
Schweizerinnen und Schweizern haben nach Art. 42 Abs. 1 AuG Anspruch auf
Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung, wenn sie mit diesen
zusammenwohnen. Gemäss Art. 51 Abs. 1 lit. b AuG erlöschen die Ansprüche nach
Art. 42 AuG unter anderem dann, wenn Widerrufsgründe nach Art. 63 AuG
vorliegen. Als Widerrufsgrund nach dieser Bestimmung gilt unter anderem ein
dauerhaftes und erhebliches Angewiesensein auf Sozialhilfe für sich oder für
eine Person, für die sie oder er zu sorgen hat (Art. 63 Abs. 1 lit. c AuG).

3.2. Ausländerinnen und Ausländer, die für einen vorübergehenden Aufenthalt
rechtmässig eingereist sind und die nachträglich eine Bewilligung für einen
dauerhaften Aufenthalt beantragen, haben den Entscheid nach Art. 17 Abs. 1 AuG
im Ausland abzuwarten. Werden die Zulassungsvoraussetzungen offensichtlich
erfüllt, so kann die zuständige kantonale Behörde in Anwendung von Art. 17 Abs.
2 AuG den Aufenthalt während des Verfahrens gestatten.

3.3. Ziel des prozeduralen Aufenthalts ist, die grundsätzliche Ausreisepflicht
nach Art. 17 Abs. 1 AuG dann zu mildern, wenn sie keinen Sinn macht, weil
vermutlich die Bewilligung zu erteilen sein wird (BGE 139 I 37 E. 3.4.4 S. 46;
MARC SPESCHA, in: Spescha et al. [Hrsg.], Kommentar Migrationsrecht, 4. Aufl.
2015, N. 2 zu Art. 17 AuG). Ob diese offensichtlich gewährt werden kann, ist in
einer summarischen Würdigung der Erfolgsaussichten (sog. "Hauptsachenprognose")
zu beurteilen, wie dies bei der Anordnung vorsorglicher Massnahmen regelmässig
der Fall ist (BGE 139 I 37 E. 2.2 S. 40). Die Pflicht, nach Art. 17 AuG den
Bewilligungsentscheid im Ausland abwarten zu müssen, ist dabei
grundrechtskonform zu konkretisieren (BGE 139 I 37 E. 2.2 S. 41). Wenn Art. 17
Abs. 2 AuG verlangt, dass die Zulassungsvoraussetzungen offensichtlich erfüllt
sein müssen, ist der betroffenen Person die Anwesenheit im Anwendungsbereich
von Art. 8 EMRK bereits dann zu gestatten, wenn die Chancen, dass die
Bewilligung zu gewähren sein wird, bedeutend höher einzustufen sind als jene,
sie verweigern zu müssen (BGE 139 I 37 E. 4.1 S. 49; Urteil 2C_76/2013 vom 23.
Mai 2013 E. 2.3.2). Die Bewilligungsbehörde ist dabei nicht verpflichtet,
bereits vertiefte Abklärungen vorzunehmen; umgekehrt darf sie aber auch nicht
schematisch entscheiden und im Rahmen von Art. 96 AuG die ihr bekannten
Umstände des Einzelfalls übergehen. Bei Bewilligungen, auf deren Erteilung ein
Anspruch besteht, bedarf es hinreichender konkreter Indizien für das Vorliegen
von Verweigerungsgründen, um das Erfüllen der Zulassungsvoraussetzungen im
Sinne von Art. 17 Abs. 2 AuG verneinen zu können; vage, nicht konkretisierte
Annahmen genügen hierzu nicht (BGE 139 I 37 E. 4.2 S. 49 f.; Urteil 2C_76/2013
vom 23. Mai 2013 E. 2.3.2; vgl. SPESCHA, a.a.O., N. 3a zu Art. 17 AuG).

3.4. Aus Art. 8 EMRK bzw. Art. 13 BV ergibt sich weder ein Recht auf Einreise
oder Aufenthalt in einem bestimmten Staat noch auf Wahl des für das
partnerschaftliche Zusammenleben am geeignetsten erscheinenden Orts (vgl. das
Urteil 2C_581/2014 vom 12. August 2014 E. 2.2 mit Hinweisen). Es lässt sich
daraus grundsätzlich auch kein Anspruch darauf ableiten, den Ausgang eines
ausländerrechtlichen Bewilligungs- oder Rechtsmittelverfahrens - entgegen der
Grundsatzregelung in Art. 17 Abs. 1 AuG - im Land abwarten zu dürfen (BGE 139 I
37 E. 3.5.1 S. 47; Urteile 2C_483/2009 vom 18. September 2009 E. 4.2 S. 8
unten; 2C_476/2009 vom 3. August 2009 E. 2; 2C_11/2008 vom 21. Juni 2007 E.
2.3.3). Dennoch sind beim Bestehen eines potenziellen Bewilligungsanspruchs
konkrete öffentliche Interessen erforderlich (Indizien für Scheinehe,
Straffälligkeit, bestehende Sozialhilfeabhängigkeit usw.), um im Rahmen einer
verfassungs- bzw. konventionskonformen Anwendung von Art. 17 AuG die betroffene
ausländische Person zu verpflichten, den Ausgang des Bewilligungsverfahrens im
Ausland abzuwarten; ein negativer Zwischenentscheid verstiesse andernfalls
gegen das Verhältnismässigkeitsgebot (Art. 5 Abs. 2 BV: Erforderlichkeit und
Übermassverbot im Hinblick auf das durch die Massnahme verfolgte öffentliche
Interesse) sowie die im Rahmen von Art. 8 EMRK bzw. 13 BV gebotene
Interessenabwägung (vgl. BGE 139 I 37 E. 3.5 S. 47 ff.; Urteil 2C_76/2013 vom
23. Mai 2013 E. 2.2.3 in fine und E. 2.2.4).

4.

4.1. Soweit die Beschwerdeführerin zunächst geltend macht, bereits das Recht
auf eine wirksame Beschwerde verleihe ihrem Ehemann das Recht, den Entscheid in
der Hauptsache in der Schweiz abwarten zu dürfen, ist auf die Rechtsprechung
hinzuweisen, wonach der wirksamen Beschwerde nach Art. 13 EMRK im
Anwendungsbereich von Art. 8 EMRK nicht zwingend aufschiebende Wirkung zukommen
muss (vgl. Urteil 2C_819/2016 vom 14. November 2016 E. 3.5 mit weiteren
Hinweisen).

4.2. Da weder die Beschwerdeführerin noch ihr Ehemann Bürger eines
Mitgliedstaates der Europäischen Union sind, können sie aus dem Abkommen
zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen
Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit vom
21. Juni 1999 (SR.142.112.681) für die vorliegend streitigen Belange keine
Rechte ableiten.

4.3. Das kantonale Gericht hat erwogen, aufgrund der Sozialhilfeabhängigkeit
der Beschwerdeführerin bestünden konkrete Indizien, welche den
Bewilligungsanspruch als nicht hinreichend gesichert erscheinen liessen. Die
Beschwerdeführerin macht demgegenüber geltend, die bisher bezogenen
Sozialhilfeleistungen seien nicht als erheblich und dauernd im Sinne von Art.
63 Abs. 1 lit. c AuG zu qualifizieren. Mit ihrer Argumentation verkennt die
Beschwerdeführerin, dass es im Hauptverfahren nicht darum geht, dem Ehemann
eine bereits erteilte Erlaubnis zum dauernden Aufenthalt in der Schweiz zu
entziehen, sondern um die erstmalige Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung.
Die Frage, ob die Eheleute erheblich und dauernd auf Sozialhilfe angewiesen
sind, ist daher notwendigerweise prognostisch zu beurteilen. Dass in eine
prognostische Beurteilung auch Elemente einfliessen, die von den Betroffenen
als spekulativ empfunden werden, lässt sich dabei nicht vollständig vermeiden.

4.4. Die Beschwerdeführerin hat ihren Ehemann einen Monat vor der Einreise in
die Schweiz geheiratet; vor der Hochzeit haben sie keinen gemeinsamen Haushalt
geführt. Die Ehe ist bisher kinderlos geblieben. Seit ihrer Einreise in die
Schweiz muss die Ehefrau durch die Sozialhilfe unterstützt werden, obwohl sie
sich um Arbeit bemühte und teilweise erwerbstätig war. Der Ehemann hat in der
Schweiz keine konkrete Arbeitsstelle in Aussicht. Auch wenn aufgrund seiner
Ausbildung die nachvollziehbare Hoffnung besteht, sich bei einem gemeinsamen
Aufenthalt in der Schweiz von der Sozialhilfeabhängigkeit lösen zu können, so
ist doch damit die Prognose für das Hauptverfahren nicht hinreichend eindeutig.
Somit erscheint es nicht als unverhältnismässiger Eingriff in das im
Wesentlichen erst geplante Familienleben, wenn der Ehemann verpflichtet wird,
den Ausgang des Verfahrens im Ausland abzuwarten. Der kantonale Entscheid
besteht demnach zu Recht; die Beschwerde ist abzuweisen.

5.

5.1. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten der
Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Ihrem Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege ist stattzugeben, da die entsprechenden
gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Es wird
indessen ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG aufmerksam gemacht, wonach die
begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie
später dazu in der Lage ist.

5.2. Mit diesem Entscheid in der Sache wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung
gegenstandslos.

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Der Beschwerdeführerin wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und Advokat
Guido Ehrler wird als unentgeltlicher Anwalt bestellt.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt,
indes vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen.

4. 
Dem Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin wird aus der Bundesgerichtskasse
eine Entschädigung von Fr. 2'000.- ausgerichtet.

5. 
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Appellationsgericht des
Kantons Basel-Stadt als Verwaltungsgericht und dem Staatssekretariat für
Migration schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 30. Dezember 2016

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Seiler

Der Gerichtsschreiber: Nabold

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