Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.822/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
2C_822/2016

Urteil vom 31. Januar 2017

II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Seiler, Präsident,
Bundesrichterin Aubry Girardin,
Bundesrichter Donzallaz, Stadelmann, Haag,
Gerichtsschreiber Hugi Yar.

Verfahrensbeteiligte
A.A.________,
Beschwerdeführerin,

gegen

Einwohnergemeinde U.________,

Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern.

Gegenstand
Widerruf der Niederlassungsbewilligung und Wegweisung infolge Straffälligkeit,

Beschwerde gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 12. August 2016.

Sachverhalt:

A.

A.a. B.A.________ (geb. 1961) ist kosovarischer Staatsangehöriger. Er arbeitete
ab 1987 als Saisonnier in der Schweiz; von 1993 an hielt er sich dauerhaft im
Land auf. Im Jahr 1997 zog seine kosovarische Gattin A.A.________ (geb. 1962)
mit ihren sechs Kindern (geb. zwischen 1985 und 1995) im Familiennachzug zu
ihm.

A.b. Am 12. Februar 2013 (begründet am 24. Juni 2013) sprach das
Regionalgericht Oberland des Kantons Bern A.A.________ des versuchten
gewerbsmässigen Betrugs zu Lasten der Invalidenversicherung (IV) und des
gewerbsmässigen Betrugs zu Lasten der Einwohnergemeinde U.________,
Sozialdienste, gemeinsam begangen mit ihrem Ehemann, für schuldig und
verurteilte sie zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten bei einer
Probezeit von zwei Jahren.

A.c. Ihr bereits früher straffällig gewordener Gatte wurde zu einem
Freiheitsentzug von 36 Monaten verurteilt, wovon 12 Monate unbedingt. Er wurde
nach einem Fluchtversuch von Albanien an die Schweiz ausgeliefert. Das Ehepaar
und eine ihrer Töchter hatten von Mai 2005 bis März 2009 nach ursprünglich
bestehenden Kniebeschwerden eine weitere Arbeitsunfähigkeit von B.A.________
simuliert, indem sie der Invalidenversicherung, der Sozialhilfe und
verschiedenen Ärzten gegenüber vorgaben, dieser sei nach einem Hirnschlag
gelähmt, völlig apathisch, mutistisch, nicht ansprechbar, der Sprache nicht
mächtig und umfassend pflegebedürftig. Die ärztlichen Beurteilungen und
Observationen seitens der Behörden ergaben, dass dies nicht der Fall war.

A.d. Die missbräuchlich bezogenen Sozialhilfeleistungen beliefen sich auf Fr.
235'640.85; hinsichtlich des versuchten Betrugs zum Nachteil der IV-Stelle
berechnete das Regionalgericht Oberland einen potentiellen Deliktsbetrag von
rund Fr. 652'924.--.

B.

B.a. Die Abteilung Sicherheit der Einwohnergemeinde U.________ widerrief am 14.
November 2014 die Niederlassungsbewilligungen von B.A.________ und seiner
Gattin A.A.________. Die Familie A.________ habe während Jahren die Behörden
getäuscht und sich darauf eingerichtet, sich ihren gesamten Lebensunterhalt
durch die öffentliche Hand finanzieren zu lassen; dabei hätten sie nicht
gezögert, auch ihre Tochter in die betrügerischen Handlungen miteinzubeziehen.
Ein solches arglistiges Vorgehen gegenüber den sozialen Einrichtungen könne
nicht geduldet werden.

B.b. Die von A.A.________ hiergegen eingereichten kantonalen Rechtsmittel
blieben ohne Erfolg. Die Polizei- und Militärdirektion sowie das
Verwaltungsgericht des Kantons Bern bestätigten am 16. Oktober 2015 bzw. 12.
August 2016 die Verfügung der Einwohnergemeinde U.________: A.A.________ habe
fortgesetzt strafbar gehandelt; generalpräventive Überlegungen und der Umstand,
dass sie leicht beeinflussbar sei, liessen auf eine gewisse Rückfallgefahr
schliessen; sie habe sich im Übrigen kaum in der Schweiz integriert; eine
Rückkehr in die Heimat sei ihr zumutbar, nachdem sie mehr als die Hälfte ihres
Lebens dort verbracht habe.

C.
A.A.________ beantragt vor Bundesgericht, das Urteil des Verwaltungsgerichts
des Kantons Bern vom 12. August 2016 aufzuheben. Sie habe sich im Wesentlichen
von ihrem Mann in die ganze Geschichte "einspannen" lassen. Sie lebe heute von
ihm getrennt zusammen mit drei ihrer Kinder (geb. 1990, 1992 und 1995). Fünf
der sechs - teilweise eingebürgerten - Nachkommen lebten hier; sie nehme sich
gegen eine Leistung von Fr. 1'500.-- pro Monat ihrer Enkelkinder an, was deren
Eltern ermögliche, einer geregelten Arbeit nachzugehen. Die
aufenthaltsbeendende Massnahme ihr gegenüber sei unverhältnismässig. Für den
Fall des Unterliegens beantragt A.A.________, ihr die unentgeltliche
Rechtspflege zu gewähren.
Die Polizei- und Militärdirektion sowie das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
schliessen darauf, die Beschwerde abzuweisen. Das Staatssekretariat für
Migration (SEM) hat keine Stellungnahme eingereicht.
Der Abteilungspräsident legte der Beschwerde am 14. September 2016
antragsgemäss aufschiebende Wirkung bei.

Erwägungen:

1.

1.1. Gegen den Widerruf der Niederlassungsbewilligung steht die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten offen (BGE 135 II 1 E. 1.2.1 S. 4). Auf
die Eingabe der Beschwerdeführerin ist einzutreten, da und soweit sie die
gesetzlichen Begründungsanforderungen erfüllt (vgl. unten E. 1.2.2; Art. 42, 82
i.V.m. Art. 83 lit. c Ziff. 2 [e contrario], 86 Abs. 1 lit. d, 89 Abs. 1 und 90
BGG). Zur Diskussion steht ausschliesslich der Widerruf der
Niederlassungsbewilligung der Beschwerdeführerin; derjenige ihres Gatten blieb
unangefochten und ist in Rechtskraft erwachsen.

1.2.

1.2.1. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1
BGG), doch prüft es, unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und
Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und Abs. 2 BGG), grundsätzlich bloss die
geltend gemachten Vorbringen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254). Der Verletzung von
Grundrechten sowie von kantonalem und interkantonalem Recht geht es nur nach,
soweit eine entsprechende Rüge verfassungsbezogen vorgebracht und hinreichend
substanziiert begründet wird (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 139 I 229 E. 2.2 S. 232;
134 II 244 E. 2.2 S. 246). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, wie die Vorinstanz ihn festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG); es
kann diesen - soweit entscheidrelevant - nur berichtigen oder ergänzen, wenn er
offensichtlich unrichtig oder unvollständig festgestellt worden ist (Art. 105
Abs. 2 BGG; BGE 136 II 65 E. 1.4 S. 68, 134 V 53 E. 4.3 S. 62). Die
beschwerdeführende Person muss in Auseinandersetzung mit den Ausführungen der
Vorinstanz dartun, dass und inwiefern diese den Sachverhalt klar und eindeutig
mangelhaft ermittelt bzw. inwiefern sie Bundesrecht falsch angewendet hat
(Art.106 Abs. 2 BGG; vgl. BGE 133 II 249 E. 1.4.3; 133 III 350 E. 1.3). Rein
appellatorische Kritik an der Sachverhaltsermittlung und an der Beweiswürdigung
genügt den gesetzlichen Begründungs- und Rügeanforderungen nicht (vgl. BGE 139
II 404 E. 10.1 S. 445 mit Hinweisen).

1.2.2. Die Beschwerdeführerin beschränkt sich teilweise darauf, ihre bereits
vor dem Verwaltungsgericht erhobenen, von diesem jedoch verworfenen Einwände zu
wiederholen und zu behaupten, die Vorinstanz habe ihre
Niederlassungsbewilligung in Verletzung von Bundesrecht widerrufen. Mit den
Darlegungen im angefochtenen Entscheid zu ihren bereits im kantonalen Verfahren
vorgebrachten Argumenten setzt sie sich nur vereinzelt auseinander. Soweit sie
lediglich in appellatorischer Weise ihre Sicht der Dinge und Wertungen
derjenigen der Vorinstanz gegenüberstellt, ohne auszuführen, inwiefern diese
Bundesrecht verletzt haben soll, ist auf ihre Ausführungen nicht weiter
einzugehen. Der Beurteilung wird im Folgenden der durch das Verwaltungsgericht
für das Bundesgericht verbindlich festgestellte Sachverhalt zugrunde gelegt
(Art. 105 Abs. 1 BGG); dass der vom Gericht festgehaltene Sachverhalt nicht in
allen Punkten mit der Darstellung der beschwerdeführenden Person übereinstimmt,
begründet für sich allein noch keine Willkür (BGE 140 III 264 E. 2.3 S. 266 mit
Hinweisen).

2.

2.1. Die Niederlassungsbewilligung kann praxisgemäss widerrufen werden, wenn
die ausländische Person zu einer längerfristigen Freiheitsstrafe, d.h. zu einer
solchen von mehr als einem Jahr, verurteilt worden ist; dabei spielt keine
Rolle, ob die Sanktion bedingt, teilbedingt oder unbedingt ausgesprochen wurde
(Art. 63 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 62 lit. b AuG; BGE 139 I 31 E. 2.1 S. 32;
137 II 297 E. 2; 135 II 377 E. 4.2 S. 381; Urteile 2C_679/2015 vom 19. Februar
2016 E. 5.1 und 2C_685/2014 vom 13. Februar 2015 E. 4). Dasselbe gilt, wenn der
Ausländer in schwerwiegender Weise gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung
in der Schweiz oder im Ausland verstossen hat bzw. er diese gefährdet (Art. 63
Abs. 1 lit. b AuG). Die entsprechenden Widerrufsgründe sind auch auf
ausländische Personen anwendbar, die seit mehr als 15 Jahren in der Schweiz
leben (vgl. Art. 63 Abs. 3 AuG). Die aufenthaltsbeendende Massnahme muss
indessen immer verhältnismässig sein (vgl. Art. 96 AuG bzw. Art. 5 Abs. 2 BV).
Zu berücksichtigen sind dabei jeweils namentlich die Schwere des Delikts und
des Verschuldens des Betroffenen, der seit der Tat vergangene Zeitraum, das
Verhalten des Ausländers während diesem, der Grad seiner Integration bzw. die
Dauer der bisherigen Anwesenheit sowie die ihm und seiner Familie drohenden
Nachteile (BGE 135 II 377 E. 4.3 E. 4.3 S. 381 f.). Keines dieser Elemente ist
für sich allein ausschlaggebend; geboten ist eine Abwägung der gesamten
Umstände im Einzelfall (vgl. das Urteil 2C_846/2014 vom 16. Dezember 2014 E.
2.4).

2.2. Die Beschwerdeführerin kann sich vorliegend nicht auf den Anspruch auf
Schutz ihres Familienlebens (Art. 8 EMRK und Art. 13 Abs. 1 BV) berufen: Ihre
Kinder sind alle volljährig und es besteht zwischen ihnen und der
Beschwerdeführerin kein besonderes, über die normalen affektiven Beziehungen
hinausgehendes Abhängigkeitsverhältnis. Zwar nimmt sich die Beschwerdeführerin
den Enkelkindern an, was deren Eltern erleichtert, berufstätig zu sein, es
bestehen diesbezüglich indessen Betreuungsalternativen und die
Beschwerdeführerin kann ihre Beziehung zu den Enkelkindern gegebenenfalls auch
von ihrer Heimat aus besuchsweise oder über die modernen Kommunikationsmittel
leben. Zwar hält sie sich inzwischen seit rund 20 Jahren in der Schweiz auf,
doch ergibt sich aus dem Anspruch auf Schutz des Privatlebens ein Recht auf
Verbleib im Land nur unter besonderen Umständen. Eine lange Anwesenheit und die
damit verbundene normale Integration genügen hierzu nicht; erforderlich sind
besonders intensive, über eine gewöhnliche Integration hinausgehende private
Beziehungen beruflicher oder gesellschaftlicher Natur, woran es im vorliegenden
Fall fehlt (BGE 130 II 281 E. 3.2.1; Urteil 2C_725/2014 vom 23. Januar 2015 E.
3.2, je mit Hinweisen; Art. 105 Abs. 1 BGG: nur rudimentäre Sprachkenntnisse,
keine Erwerbstätigkeit auch nach Schulbesuch des jüngsten Kindes, keine soziale
Verankerung trotz Kontaktmöglichkeiten als mehrfache Mutter mit anderen Eltern
im Rahmen der schulischen Aktivitäten der Kinder, Straffälligkeit). Diese
Praxis deckt sich mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für
Menschenrechte (EGMR), wonach unabhängig davon, ob ein Familienleben im
klassischen Sinn vorliegt, eine aufenthaltsbeendende Massnahme gegen eine
eingewanderte Person, die einen sicheren Platz in der Gemeinschaft gefunden
hat, deren Recht auf Achtung des Privatlebens berühren kann; entscheidend ist
dabei wiederum der Grad der tatsächlich erreichten Integration im
Zuwanderungsstaat; diese ist vorliegend aus den bereits genannten Gründen kaum
von Bedeutung (vgl. ZÜND/HUGI YAR, Aufenthaltsbeendende Massnahmen im
schweizerischen Ausländerrecht, insbesondere unter dem Aspekt des Privat- und
Familienlebens, in: EuGRZ 40/2013 S. 1 ff. N. 14 mit Hinweisen).

2.3. Die Niederlassungsbewilligung eines Ausländers, der sich schon seit langer
Zeit im Land aufhält, soll indessen auch ausserhalb des Anwendungsbereichs von
Art. 8 EMRK bzw. Art. 13 Abs. 1 BV nur mit Zurückhaltung widerrufen werden
(vgl. Art. 96 AuG). Bei wiederholter bzw. schwerer Straffälligkeit ist dies
jedoch selbst dann nicht ausgeschlossen, wenn die ausländische Person hier
geboren ist und ihr ganzes bisheriges Leben im Land verbracht hat (vgl. das
Urteil 2C_562/2011 vom 21. November 2011 E. 3.3 [Widerruf der
Niederlassungsbewilligung eines hier geborenen 43-jährigen Türken] und die
Entscheide des EGMR i.S.  Saljia gegen Schweiz vom 10. Januar 2017 [Nr. 55470/
19] § 36 ff. [Anwesenheit von 20 Jahren und Verurteilung wegen vorsätzlicher
Tötung] sowie  Trabelsi gegen Deutschland vom 13. Oktober 2011 [Nr. 41548/06],
Ziff. 53 ff. [Ausweisung eines in Deutschland geborenen, wiederholt straffällig
gewordenen Tunesiers]). Soweit dies zu keinem Widerspruch zu übergeordnetem
Recht - und insbesondere der EMRK - führt, berücksichtigt das Bundesgericht bei
seiner Interessenabwägung auch die verfassungsrechtlichen Vorgaben von Art. 121
Abs. 3 BV; danach sollen gewisse schwere Delikte losgelöst von der
Anwesenheitsdauer zum Verlust des Aufenthaltsrechts und weiteren Sanktionen
(Einreiseverbot) führen (vgl. BGE 139 I 16 E. 5.3 S. 31; Urteile 2C_679/2015
vom 19. Februar 2016 E. 6.2.3 [mit Hinweisen] und 2C_576/2014 vom 13. Januar
2015 E. 2.5).

3.

3.1. Die Beschwerdeführerin hält sich seit fast 20 Jahren und somit seit langer
Zeit in der Schweiz auf. Sie wurde als Ersttäterin am 12. Februar 2013 wegen -
gemeinsam mit ihrem Ehemann begangenen - gewerbsmässigen Betrugs gegenüber den
Sozialdiensten der Einwohnergemeinde U.________ sowie des versuchten
gewerbsmässigen Betrugs gegenüber der Eidgenössischen Invalidenversicherung
(IV) zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt, womit sie
unbestrittenermassen den Widerrufsgrund von Art. 63 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art.
62 lit. b AuG erfüllt. Mit der Vorinstanz ist im Rahmen der erforderlichen
Gesamtwürdigung davon auszugehen, dass die daran geknüpfte aufenthaltsbeendende
Massnahme auch verhältnismässig ist.

3.2. Die Beschwerdeführerin kam erst im Alter von 35 Jahren in die Schweiz; sie
wurde somit in der Heimat sozialisiert und verfügt dort noch über mindestens
zwei Geschwister mit ihren Familien. Soweit sie einwendet, diese würden sie
nicht aufnehmen und seien ihr gegenüber kritisch eingestellt, belegt sie diese
Behauptung entgegen ihrer Mitwirkungspflicht nicht weiter. Nach dem Strafende
wird ihr Ehemann in den Kosovo zurückkehren, womit das Eheleben allenfalls dort
wieder wird aufgenommen werden können, sollte es nicht zur Scheidung kommen,
wie die Beschwerdeführerin dies derzeit in Aussicht stellt. Die
Beschwerdeführerin ist nach wie vor in ihrer heimatlichen Kultur verwurzelt; in
der Schweiz beschränken sich ihre Kontakte weitgehend auf den familiären,
häuslichen Rahmen, wo sie sich ihren Enkelkindern annimmt; die
Beschwerdeführerin hat nie ausser Haus gearbeitet und sich kaum in die hiesigen
gesellschaftlichen Verhältnisse einzuleben vermocht; sie hat sich weder sozial
noch sprachlich der Dauer ihres Aufenthaltes entsprechend integriert.

3.3.

3.3.1. Zwar hat sich ihr strafbares Verhalten nicht gegen Leib und Leben oder
ein anderes grundlegendes Rechtsgut gerichtet, dessen Verletzung im Sinne der
bundesgerichtlichen Praxis einer Gewalttat gleich kommt, doch fällt in der
Interessenabwägung ins Gewicht, dass sie eine Anlasstat im Sinne von Art. 121
Abs. 3 lit. b BV begangen hat, die bei einem entsprechenden Handeln nach dem 1.
Oktober 2016 im Rahmen der Konkretisierung der Ausschaffungsinitiative
grundsätzlich obligatorisch zu einer strafrechtlichen Landesverweisung führen
würde. Gerade Verhaltensweisen, wie sie die Beschwerdeführerin und ihre Familie
über Jahre hinweg an den Tag gelegt haben, wurden vom Verfassungs- und
Gesetzgeber als besonders verwerflich erachtet und bildeten Anlass zu der heute
- unter Vorbehalt der Härtefallklausel (Art. 66a Abs. 2 StGB) - im
Strafgesetzbuch vorgesehenen Pflicht, entsprechend straffällig gewordene
ausländische Personen des Landes zu verweisen (Art. 66a Abs. 1 lit. e StGB).
Art. 66a Abs. 1 lit. e StGB darf zwar nicht rückwirkend angewendet werden, da
dies weder mit dem Grundsatz "nulla poena sine lege" (Art. 1 StGB und Art. 7
EMRK), noch mit dem Legalitätsprinzip (Art. 5 Abs. 1 BV) oder dem
Verhältnismässigkeitsgrundsatz (Art. 5 Abs. 2 BV) vereinbar wäre;
auslegungsweise darf im Rahmen von Art. 63 Abs. 1 lit. a in Verbindung mit Art.
62 lit. b und Art. 96 Abs. 1 AuG der darin zum Ausdruck gebrachten Wertung
indessen im Rahmen der ausländerrechtlichen Interessenabwägung dennoch Rechnung
getragen werden (vgl. BGE 141 II 297 E. 5.5.3 S. 305 f. sowie das Urteil 2C_787
/2015 vom 29. März 2016 E. 3.2).

3.3.2. Das verpönte Verhalten der Beschwerdeführerin dauerte von 2005 bis 2009
und somit über mehrere Jahre hinweg, was den Umstand relativiert, das sie nur
einmal verurteilt und zuvor nie verwarnt worden ist. Mit ihrem Gatten spiegelte
sie den Sozialdiensten und der IV gegenüber vor, ihr Ehemann sei nach einem
Arbeitsunfall (2003) und einem Hirnschlag (2005) gelähmt, völlig apathisch,
mutistisch, nicht ansprechbar, der Sprache nicht mächtig, umfassend
pflegebedürftig und daher nicht mehr arbeitsfähig, um sich auf Kosten der
Allgemeinheit das Familienleben unrechtmässig über die IV bzw. mittels
Sozialhilfeleistungen finanzieren zu lassen. Der Tatbeitrag der
Beschwerdeführerin war nicht nur weitgehend untergeordneter Natur. Nach der
Urteilsbegründung des Strafgerichts legten die Eheleute eine "richtige
Inszenierung" an den Tag, welche sie anlässlich von sieben Arztterminen,
zahlreichen Kontakten mit den Sozialdiensten und selbst im
Rechtsmittelverfahren bezüglich der Leistungsverweigerung vor
Verwaltungsgericht noch aufrecht erhielten, was für ein fehlendes
Unrechtsbewusstsein und eine nicht zu unterschätzende kriminelle Energie
spricht. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Eheleute nicht davor scheuten,
eines ihrer Kinder in ihre Machenschaften einzubeziehen, um ihr Lügengebäude
aufrechtzuerhalten und ihre Täuschungen glaubhafter erscheinen zu lassen. Die
missbräuchlich bezogenen Sozialhilfeleistungen, welche allenfalls mit der
IV-Rente verrechnet worden wären, beliefen sich auf Fr. 235'640.85;
hinsichtlich des versuchten Betrugs der IV-Stelle gegenüber ist von einem
Deliktsbetrag von Fr. 652'924.-- auszugehen, was neben dem dreisten Vorgehen
für ein ausländerrechtlich relevantes Verschulden spricht.

3.4. Soweit das Strafgericht zugunsten der Beschwerdeführerin davon ausging,
dass ihr Tatbeitrag im Vergleich zu jenem ihres Gatten weniger bedeutsam
gewesen sei und sie sich aufgrund ihrer kulturell bedingten Stellung in der
Familie nur schwerlich gegen dessen Pläne habe wenden können, wurden die
entsprechenden entlastenden Aspekte bereits im Strafurteil berücksichtigt.
Gerade bei einer betrügerischen Ausbeutung der Sozialeinrichtungen, wie sie die
Beschwerdeführerin mit ihrer Familie hier gewerbsmässig und fortgesetzt
betrieb, sind ausländerrechtlich auch generalpräventive Überlegungen zu
berücksichtigen (Urteile 2C_681/2016 vom 5. Januar 2017 E. 3.2; 2C_1195/2013
vom 4. Juli 2014 E. 4.4). Nicht nur die Beschwerdeführerin und ihr Gatte,
sondern auch dessen Bruder und seine Ehefrau versuchten in gleicher Weise, sich
im Rahmen eines systematischen Vorgehens in der Grossfamilie betrügerisch den
Aufenthalt im Land finanzieren zu lassen (vgl. hierzu das Urteil 2C_861/2016
vom 21. Dezember 2016). Die Beweggründe der Beschwerdeführerin waren
egoistischer Natur. Sie hat von ihrem täuschenden Verhalten nie aufgrund
besserer Einsicht abgesehen; nur dank der behördlichen Kontrollen konnte der
Betrug gestoppt und ein (noch) grösserer Schaden vermieden werden.

3.5. Was die Beschwerdeführerin weiter einwendet, ändert an der Rechtmässigkeit
des Widerrufs ihrer Niederlassungsbewilligung nichts: Soweit sie geltend macht,
es sei ihrem Mann teilweise gelungen, sie von der Echtheit seiner Leiden zu
überzeugen, weshalb sie ihn dann "euphorisch" und "mit aller Kraft unterstützt"
habe, entspricht dies nicht den Ausführungen im Strafurteil vom 12. Februar
2013. Selbst wenn sie sich in einem Konflikt zwischen rechtskonformem Handeln
und der Loyalität ihrem Mann gegenüber sah, musste ihr bewusst sein, dass die
sozialen Institutionen nicht dazu dienen konnten, für die Kosten ihrer
achtköpfigen Familie in der Schweiz aufzukommen, obwohl sie und ihr Gatte
arbeitsfähig waren und im privaten Bereich gesundheitlich keinerlei Probleme
zeigten, wie die behördlichen Abklärungen ergaben. Dies konnte der
Beschwerdeführerin nicht verborgen bleiben. Ihr Hinweis auf die kulturell
bedingt (schwache) Rolle der Frau gegenüber dem Familienoberhaupt im Kosovo
belegt die Annahme der Vorinstanz und des Strafgerichts, das sie offenbar
"leicht beeinflussbar" und im kulturellen Denken ihrer Heimat verwurzelt
geblieben ist. Unter diesen Umständen kann nicht zum Vornherein ausgeschlossen
werden, dass sie erneut mit dem Gesetz in Konflikt geraten wird, zumal ihre
finanzielle Situation wegen der grundsätzlich bestehende Rückzahlungspflicht
der missbräuchlich bezogenen Sozialhilfeleistungen nicht gesichert erscheint.
Ein Rückfallrisiko im Bereich der Vermögensdelikte ist in ihrer
wirtschaftlichen Situation nicht auszuschliessen, auch wenn die Gefahr eines
erneuten Sozialversicherungsbetrugs der bisherigen Art wenig wahrscheinlich
erscheinen mag. Der Hinweis sie habe nie Schulden gehabt und immer alles
bezahlt, was angefallen sei, ist insofern zu relativieren, als dies über Jahre
hinweg in erster Linie dank der ertrogenen Mittel der Sozialhilfe der Fall
gewesen ist. Trotz der Verantwortung für ihre Kinder liess sich das Ehepaar
A.________ nicht davon abhalten, während langer Zeit betrügerisch die hiesigen
sozialstaatlichen Institutionen zu täuschen, weshalb der Hinweis der
Beschwerdeführerin auf die enge, sie stabilisierende Verbundenheit mit ihren
(volljährigen) Kindern und den Enkelkindern das generalpräventive Interesse
nicht zu überwiegen vermag, dass sie das Land verlässt. Ihre Kinder können sie
in der Heimat finanziell und psychisch unterstützen; eine dauernde Anwesenheit
der Beschwerdeführerin in der Schweiz ist hierfür nicht erforderlich. Die
familiären Beziehungen können besuchsweise bzw. mittels der modernen
Kommunikationsmittel über die Grenzen hinweg regelmässig, wenn nicht sogar
täglich, aufrecht erhalten werden.

3.6. Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass nach der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung bei einer Verurteilung zu einer
Freiheitsstrafe von 24 Monaten und mehr in der Regel der Widerruf der
Niederlassungsbewilligung zulässig erscheint, selbst wenn den (schweizerischen)
Angehörigen nicht zugemutet werden kann, mit der betroffenen ausländischen
Person das Land zu verlassen. Diese als "Reneja"-Praxis bezeichnete
Rechtsprechung (BGE 139 I 145 E. 2.3 S. 148; 135 II 377 E. 4.4 S. 381; 110 Ib
201 ff.) gilt bei der erstmaligen Erteilung oder bei einer
Bewilligungsverlängerung nach kurzer Aufenthaltsdauer. Sie kommt an sich nicht
für ausländische Personen zum Tragen, die sich - wie die Beschwerdeführerin -
bereits seit langer Zeit im Land aufhalten. Umgekehrt handelt es sich bei der
Zweijahresregel um keine feste Vorgabe, sondern lediglich um einen Richtwert (
BGE 139 I 145 E. 3 S. 148; Urteil 2C_963/2015 vom 29. Februar 2016 E. 4.2).
Wenn die kantonalen Behörden im vorliegenden Fall trotz der langen Anwesenheit
der Beschwerdeführerin davon ausgegangen sind, es treffe sie ausländerrechtlich
gesamthaft betrachtet ein erhebliches Verschulden, ist dies vertretbar, selbst
wenn "nur" eine bedingte Freiheitsstrafe von 18 Monaten gegen sie ausgesprochen
wurde. Der Fall ist nicht mit dem im Verfahren 2C_369/2015 vom 22. November
2015 beurteilten vergleichbar, in dem den Grosseltern ein Anwesenheitsrecht
zugestanden wurde, da sie sich an Stelle der verstorbenen Mutter um ihre
Enkelkinder kümmerten, wobei - entgegen der vorliegenden Ausgangslage - kein
überwiegendes öffentliches Interesse bestand, ihnen die Anwesenheit im Land zu
verweigern (keine Straffälligkeit; finanziell gesichertes Auskommen).

4.

4.1. Die Beschwerde erweist sich als unbegründet und ist deshalb abzuweisen.
Für die weiteren Aspekte kann ergänzend auf die Ausführungen des
Verwaltungsgerichts des Kantons Bern in seinem Urteil vom 12. August 2016
verwiesen werden. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung wird dort zutreffend
wiedergegeben und rechtsfehlerfrei auf den konkreten Sachverhalt angewandt.

4.2. Da die Eingabe der mittellosen, ohne Rechtsvertreter handelnden
Beschwerdeführerin im Hinblick auf die Beziehung zu ihren inzwischen hier
eingebürgerten Kindern bzw. Enkelkindern nicht als zum Vornherein aussichtslos
gelten konnte, ist ihrem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege zu entsprechen
(Art. 64 BGG). Es werden keine Kosten erhoben und keine Parteientschädigungen
zugesprochen (Art. 68 Abs. 3 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen und es werden keine
Kosten erhoben.

3. 
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des
Kantons Bern und dem Staatssekretariat für Migration schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 31. Januar 2017

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Seiler

Der Gerichtsschreiber: Hugi Yar

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