Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.791/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
2C_791/2016

Urteil vom 26. September 2016

II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Seiler, Präsident,
Bundesrichter Zünd,
Bundesrichter Haag,
Gerichtsschreiberin Mayhall.

Verfahrensbeteiligte
A.________, Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Julian Burkhalter,

gegen

Amt für Migration und Integration
des Kantons Aargau.

Gegenstand
Ausschaffungshaft gestützt auf Art. 76 AuG / Haftverlängerung,

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungs-
gerichts des Kantons Aargau, 2. Kammer,
vom 27. Juli 2016.

Sachverhalt:

A. 
A.________, ein im Jahr 1990 geborener Staatsangehöriger des Irak, reiste 2007
als Asylbewerber in die Schweiz ein. Das Bundesamt für Migration (heute:
Staatssekretariat für Migration) trat mit rechtskräftig gewordener Verfügung
vom 19. Dezember 2012 auf das Asylgesuch nicht ein und verfügte die Wegweisung.
Am 20. August 2015 wurde A.________ zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren
und neun Monaten verurteilt, namentlich wegen versuchter eventualvorsätzlicher
Tötung und Raufhandels. Am 12. Januar 2016 wurde er per 1. Februar 2016 bedingt
aus dem Strafvollzug entlassen. Am 1. Februar 2016 ordnete das Amt für
Migration und Integration des Kantons Aargau gegen ihn Ausschaffungshaft an,
welche das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau mit Urteil vom 4. Februar 2016
bis zum 30. April 2016 bestätigte. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten beantragte A.________ dem Bundesgericht, das Urteil des
Verwaltungsgerichts aufzuheben und ihn unverzüglich aus der Haft zu entlassen;
eventuell sei die Sache zur neuen Begründung und zur Sachverhaltsabklärung an
die Vorinstanz zurückzuweisen. Mit Urteil vom 18. März 2016 trat das
Bundesgericht mangels hinreichender Begründung im vereinfachten Verfahren
gemäss Art. 108 Abs. 1 lit. b BGG auf die Beschwerde nicht ein. Das SEM lehnte
das am 1. Februar 2016 von A.________ eingereichte Asylgesuch (Mehrfachgesuch)
am 15. März 2016 ab, wies ihn abermals aus der Schweiz weg, ordnete an, er habe
die Schweiz bis zum 1. April 2016 zu verlassen und beauftragte den Kanton
Aargau mit dem Vollzug.

B. 
Das kantonale Migrationsamt verlängerte nach Anhörung von A.________ am 18.
April 2016 dessen Ausschaffungshaft um weitere drei Monate und ordnete
eventualiter eine Durchsetzungshaft an. Mit Urteil vom 21. April 2016
bestätigte der Einzelrichter am Verwaltungsgericht des Kantons Aargau die am
18. April 2016 angeordnete Verlängerung der Ausschaffungshaft bis zum 30. Juli
2016, 12.00 Uhr, und wies damit implizit dessen Gesuch um unverzügliche
Haftentlassung ab. Das Bundesgericht wies die von A.________ gegen dieses
Urteil erhobene Beschwerde mit Urteil vom 21. Juni 2016 ab (Verfahren 2C_496/
2016).
Nach Anhörung von A.________ verlängerte das kantonale Migrationsamt dessen
Ausschaffungshaft um drei Monate bis zum 30. Oktober 2016, 12.00 Uhr;
eventualiter wurde Durchsetzungshaft angeordnet. Mit anlässlich einer
Verhandlung gefälltem Urteil vom 27. Juli 2016 bestätigte der Einzelrichter am
Verwaltungsgericht Aargau die Verlängerung der Ausschaffungshaft.

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 8. September 2016
an das Bundesgericht beantragt A.________, das Urteil des Verwaltungsgerichts
des Kantons Aargau vom 27. Juli 2016 sei aufzuheben und er sei unverzüglich aus
der Haft zu entlassen; eventualiter sei das angefochtene Urteil aufzuheben und
zur neuen Begründung und zur Sachverhaltsergänzung an die Vorinstanz
zurückzuweisen. Er beantragt zudem unentgeltliche Rechtspflege, unter
Verbeiständung durch den unterzeichneten Rechtsanwalt.
Das kantonale Migrationsamt hält in seiner Vernehmlassung vollumfänglich an der
Ausschaffungshaft / Haftverlängerung fest, stützt die rechtliche Begründung des
angefochtenen Urteils und schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Die
Vorinstanz hat auf die Einreichung einer Vernehmlassung verzichtet und
beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen. Aus Sicht des Staatssekretariats SEM
bleibt der Vollzug der Wegweisung des Beschwerdeführers innerhalb der
gesetzlichen Haftdauer möglich. Mit Eingabe vom 20. September 2016 lässt sich
der Beschwerdeführer zu den eingegangenen Stellungnahmen vernehmen.

Erwägungen:

1. 
Der Betroffene kann gegen den kantonal letztinstanzlichen Entscheid betreffend
Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten an das Bundesgericht gelangen (Art. 82 i.V.m. Art. 86 Abs. 1
lit. d und Art. 89 Abs. 1 BGG; Urteile 2C_1072/2015 vom 21. Dezember 2015 E.
2.1; 2C_168/2013 vom 7. März 2013 E. 1.1; 2C_1089/20012 vom 22. November 2012
E. 1); dies gilt sowohl für die erstmalige Anordnung der Ausschaffungshaft
(Art. 80 Abs. 2 AuG; vgl. BGE 137 I 23 E. 2.4.4 S. 28) wie für deren
Verlängerung (Art. 79 Abs. 2 AuG; Urteile 2C_262/2016 vom 12. April 2016 E.
3.1; 2C_101/2013 vom 21. Februar 2013 E. 2.2.1). Das Bundesgericht wendet das
Recht in seinem Verfahren grundsätzlich von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1
BGG). Es ist weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an
die Erwägungen der Vorinstanz gebunden (vgl. BGE 132 II 257 E. 2.5 S. 262). Das
Bundesgericht ist aber nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle
sich stellenden rechtlichen Fragen zu untersuchen, wenn diese in seinem
Verfahren nicht mehr problematisiert werden (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 E. 254).
Deshalb prüft es, unter Berücksichtigung der Begründungspflicht des Betroffenen
(Art. 42 Abs. 2 BGG; für Grundrechte Art. 106 Abs. 2 BGG), nur die
vorgebrachten Rügen, es sei denn, die rechtlichen Mängel erschienen geradezu
offensichtlich. Die beschwerdeführende Person muss sich mit Bezug auf den
Verfahrensgegenstand in rechtlicher wie sachverhaltsmässiger Hinsicht
sachbezogen mit den Ausführungen im angefochtenen Entscheid auseinandersetzen
und darlegen, dass und inwiefern die Vorinstanz den Sachverhalt offensichtlich
falsch festgestellt bzw. willkürlich gewürdigt oder anderweitig Bundesrecht
verletzt hat (Art. 97 i.V.m. Art. 9 BV und Art. 106 Abs. 2 BGG; Art. 95 lit. a
BGG i.V.m. Art. 42 Abs. 2 BGG; für Grundrechte jedoch Art. 95 lit. a i.V.m.
Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 133 II 249 E. 1.4.3; 133 III 350 E. 1.3, 393 E. 7.1,
462 E. 2.4).

2. 
Der Beschwerdeführer rügt, seine Rückführung in den Irak sei rechtlich
unzulässig (Art. 3 EMRK; Art. 83 Abs. 3 AuG) bzw. unzumutbar (Art. 83 Abs. 4
AuG) wie auch aus tatsächlichen Gründen (Art. 83 Abs. 2 AuG) unmöglich. Selbst
falls sich seine Rückführung nicht geradezu als unzulässig, jedoch als
unzumutbar erweisen sollte, würden die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise
Ausschaffung (Art. 83 Abs. 7 AuG) nicht vorliegen. Die Vorinstanz habe den
unter diesen Gesichtspunkten rechtserheblichen Sachverhalt unvollständig
festgestellt (Art. 97 BGG), womit sie diese materiellen Bestimmungen und Art.
29 Abs. 2 BV verletzt habe. Zudem habe sich die Vorinstanz nicht eingehend mit
den im vorinstanzlichen Verfahren vorgetragenen rechtlichen Argumenten
auseinandergesetzt, was Art. 29 Abs. 2 BV sowie Art. 112 BGG verletze. Weil
seine Rückführung in den Irak aus den genannten Gründen nicht vollzogen werden
könne, sei der Haftgrund der Ausschaffungshaft nicht gegeben, weshalb deren
Verlängerung in Verletzung von Art. 76 AuG erfolgt sei und das Verfahren gegen
das Beschleunigungsgebot (Art. 29 Abs. 1 BV) sowie Art. 6 EMRK verstosse. Die
unterlassene Beendigung seiner Haft, für welche kein Haftgrund vorliege und
deren Zweck (Ausschaffung) undurchführbar sei, verletze Art. 80 Abs. 6 lit. a
AuG.
Die Ausschaffungshaft soll den Vollzug der Entfernungsmassnahme sicherstellen.
Sie darf nur angeordnet oder aufrechterhalten werden, wenn der Vollzug der
Wegweisung nicht aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen undurchführbar ist
(Art. 80 Abs. 6 lit. a AuG); andernfalls lässt sie sich nicht mehr mit einem
hängigen Weg- oder Ausweisungsverfahren rechtfertigen und verstösst gegen Art.
5 Ziff. 1 lit. f EMRK (BGE 139 I 206 E. 2.3 S. 212). In  tatsächlicher Hinsicht
(vgl. unten, E. 5.1) unmöglich ist ein Vollzug einer Wegweisung, wenn von einer
faktischen Undurchführbarkeit auszugehen ist;  rechtliche Gründe (vgl. unten,
E. 3., E. 4.), die einer Ausschaffung entgegen stehen können, sind insbesondere
eine (vorab durch das Refoulementverbot, Art. 3 EMRK) begründete 
Unzulässigkeit (Art. 83 Abs. 3 AuG) oder die  Unzumutbarkeit (Art. 83 Abs. 4
AuG) des Vollzugs (Urteile 2C_496/ 2016 vom 21. Juni 2016 E. 2; 2C_112/2016 vom
19. Februar 2016 E. 2.2; ANDREAS ZÜND, Kommentar zum Migrationsrecht, 4. Aufl.
2015, N. 8 zu Art. 81 AuG; MARTIN BUSINGER, Ausländerrechtliche Haft, Diss.
2015, S. 58, 82). Die Ausschaffungshaft muss ernsthaft und in guten Treuen
geeignet sein, ihren Zweck zu erreichen, was nicht mehr der Fall ist, wenn die
Weg- oder Ausweisung trotz tatsächlich erfolgenden behördlichen Bemühungen
nicht in einem dem konkreten Fall angemessenen Zeitraum vollzogen werden kann
(Urteil des EGMR  Saadi gegen Vereinigtes Königreich vom 29. Januar 2008 [Nr.
13229/ 03], § 72; vgl. auch Urteil  Sidikovy gegen Russland vom 20. Juni 2013
[Nr. 73455/11], §§ 162, 234; BGE 130 II 56 E. 1 S. 57 f.; zum Zusammenhang
zwischen Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK und dem Beschleunigungsgebot ausdrücklich
BGE 124 II 49 E. 3a S. 50). Was als dem Einzelfall angemessen gilt, ist unter
Würdigung der gesamten Umstände zu eruieren (BGE 130 II 56 E. 4.1.3 S. 4.1.3,
E. 4.2.3 S. 63; 122 II 148 E. 3 S. 152 f.); als Richtschnur gilt, dass die
Ausschaffungshaft den Zeitraum nicht überschreiten soll, der zur Erreichung
ihres Zweck vernünftigerweise erforderlich ist (zit. Urteil  Saadi, § 73 f.;
Urteil 2C_496/2016 vom 21. Juni 2016 E. 3.1).

3.

3.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, seine Ausschaffungshaft sei deswegen
zu beenden, weil die Rückführung in den Irak und insbesondere in die Stadt
Kirkuk auf Grund von völkerrechtlichen Verpflichtungen (Art. 3 EMRK) 
unzulässig sei (Art. 80 Abs. 6 lit. a AuG). Im Falle einer Rückkehr in den
Irak, wo täglich Menschenrechtsverletzungen drohten, wäre er einer
unmenschlichen Behandlung oder sogar dem sicheren Tod ausgesetzt. Da sich seine
Heimat momentan in einem Brennpunkt des Konflikts befinde, und dort ein
besonders krasser Ausnahmezustand herrsche, sei eine Gefährdung umso mehr zu
bejahen, und eine Verbesserung der Sicherheitslage sei nicht in Sicht. Wenn er
in den Irak zurückkehre, müsse er in einem Zelt schlafen. Die einzige
Arbeitsmöglichkeit wäre ein Kriegseinzug. Er habe überdies seit 2007 keinen
Kontakt mehr zu seinem einzig übrig gebliebenem Familienmitglied, seiner
Schwester. Die Vorinstanz habe sich im vorinstanzlichen Verfahren nicht
eingehend mit diesen Argumenten auseinandergesetzt, wodurch sie nicht nur Art.
80 Abs. 6 lit. a AuG und Art. 83 AuG, sondern auch Art. 29 Abs. 2 BV und Art.
112 lit. b BGG verletzt habe.

3.2. Gemäss Art. 3 EMRK, Art. 10 Abs. 3 und Art. 25 Abs. 3 BV darf niemand der
Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung
unterworfen werden (BGE 141 I 141 E. 6.3.1 S. 144; 140 I 246 E. 2.4.1 S. 249;
139 II 65 E. 6.4 S. 76), wofür konkrete und auf den Einzelfall bezogene
Anhaltspunkte einer gewissen Schwere geltend gemacht werden müssen.
Vollzugshindernisse  rechtlicher Art wie konkrete Anzeichen für eine Verletzung
von Art. 25 Abs. 3 BV und Art. 3 EMRK im Einzelfall können von jedem aus- oder
weggewiesenen Ausländer gegenüber jeder wegweisenden Behörden (BGE 137 II 305
E. 3.2 S. 309) und grundsätzlich auch im Rahmen eines Entlassungsgesuch aus der
Ausschaffungshaft (Art. 80 Abs. 5 i.V.m. Art. 80 Abs. 6 lit. a AuG) vorgebracht
werden. Angesichts der kurzen Frist, innert welcher die richterliche Behörde
über das Gesuch um Haftüberprüfung zu entscheiden hat, setzt eine Überprüfung
insbesondere der Zulässigkeit der Aus- oder Wegweisung konkrete und auf den
Einzelfall bezogene Vorbringen des Gesuchstellers voraus (Urteil 2C_243/ 2016
vom 18. März 2016 E. 2.3 mit Hinweisen; grundlegend Urteile des EGMR  J.K. et
al gegen Schweden vom 4. Juni 2015 [Nr. 59166/ 12], N. 51;  Saadi gegen Italien
 vom 28. Februar 2008 [Nr. 37201/06], N. 129), wobei die richterliche Behörde
zumindest bei der Haftüberprüfung an der mündlichen Verhandlung (Art. 80 Abs. 5
AuG) durch geeignete Fragen auf die Abklärung solcher Punkte hinwirken kann.

3.3. Nach ständiger Rechtsprechung begründet die allgemeine, in einem
spezifischen Land vorherrschende soziale, humanitäre oder wirtschaftliche
Situation ohne Hinweise auf eine konkrete Gefährdung der Einzelperson (wie etwa
gemäss zit. Urteil  Saadi gegen Italien, §§ 142-146; Urteil  Jabari gegen
Türkei vom 11. Juli 2000 [Nr. 40035/98], §§ 33-42) keinen Grund für die
Eröffnung des Anwendungsbereichs des konventionsrechtlich garantierten
Refoulementverbots, wobei jedoch nicht zum Vornherein ausgeschlossen werden
kann, dass insbesondere eine kriegerische Auseinandersetzung eine solche
Intensität an Gewalt und Brutalität mit sich bringen kann, dass die blosse
zwangsweise durchgeführte Rückkehr eines Betroffenen einer durch Art. 3 EMRK
untersagten Behandlung gleichkommt (zit. Urteil  J.K. gegen Schweden, § 53).
Das Bundesgericht stellt hinsichtlich der tatsächlichen Grundlagen in aller
Regel auf den vorinstanzlich festgestellten Sachverhalt ab (Art. 105 Abs. 1
BGG), wobei ebenfalls nicht zum Vornherein ausgeschlossen werden kann, dass für
die Anwendung von Art. 25 Abs. 3 BV und Art. 3 EMRK rechtserhebliche
Sachverhaltselemente im Laufe des Verfahrens eine selbst ungeachtet des
bundesgesetzlich verankerten Verbots (echter) Noven (Art. 99 Abs. 1 BGG) zu
berücksichtigende Veränderung erfahren können (zum Vorrang der
konventionsrechtlichen Garantie gemäss publizierter Praxis vgl. BGE 125 II 417
E. 4d S. 424 ff.; Urteil 2C_496/2016 vom 21. Juni 2016 E. 4.3; zur spezifischen
Praxis zum Haftgrund bei ausländerrechtlicher Haft Urteil 2C_1017/2012 vom 30.
Oktober 2012 E. 2; BERNARD CORBOZ, Commentaire de la LTF, 2. Aufl. 2014, N. 25d
zu Art. 99 BGG; anders allerdings noch Urteil 2C_538/2010 vom 19. Juli 2010 E.
3.3), würde doch andernfalls eine im Lichte von Art. 25 Abs. 3 BV und Art. 3
EMRK unvollständige Sachverhaltsfeststellung einer Verletzung dieser Bestimmung
gleichkommen (zur unter dem Aspekt der Rechtserheblichkeit unvollständigen
Sachverhaltsfeststellung als materieller Rechtsverletzung BGE 136 II 65 E. 1.4
S. 68, 134 V 53 E. 4.3 S. 62; MEYER, Wege zum Bundesgericht - Übersicht und
Stolpersteine, ZBJV 146/2010 S. 857).

3.4. Der Beschwerdeführer hat im vorinstanzlichen Verfahren insbesondere
vorgetragen, die Sicherheitslage in Kirkuk sei sehr schlecht und es würden nach
wie vor regelmässig terroristische Anschläge vor Ort verübt, weshalb er bei
einer Rückführung konkret gefährdet wäre (angefochtenes Urteil, S. 6 f.). Die
Vorinstanz hat in diesem Punkt die Feststellung getroffen, die politische Lage
im Irak sei momentan zweifellos sehr angespannt und in Teilen des Iraks müsse
die menschenrechtliche Situation als prekär bezeichnet werden. Die Überprüfung
der Zulässigkeit der Wegweisung insbesondere sei jedoch im Rahmen der
Haftprüfung nur dann vorzunehmen, wenn der Inhaftierte in konkreter Weise und
auf den Einzelfall bezogene Unzulässigkeitsgründe vorbringe. Nachdem der
Beschwerdeführer jedoch praktisch die gleichen Argumente wie im
bundesgerichtlichen Verfahren 2C_496/2016 geltend mache, und damit in jenem
Verfahren keine individuelle Gefährdung substanziiert dargelegt worden sei,
könne im vorliegenden Verfahren von einer solchen nicht ausgegangen werden.

3.5. Mit dem Beschwerdeführer ist davon auszugehen, dass die Vorinstanz sich
mit dem (im Verfahren 2C_496/2016 nicht vorgetragenen) Sachverhaltselement, es
würden in Kirkuk nach wie vor regelmässig terroristische Anschläge verübt,
weshalb er bei einer Rückführung konkret gefährdet wäre, nicht ausdrücklich
auseinandergesetzt hat, obwohl dieses im Lichte von Art. 25 Abs. 3 BV und Art.
3 EMRK rechtserheblich werden kann (oben, E. 3.3).
Grundsätzlich ist es Aufgabe des Bundesgerichts als oberste Recht sprechende
Behörde (Art. 1 Abs. 1 BGG), die angefochtenen Entscheide auf die richtige
Rechtsanwendung zu überprüfen; für ergänzende Tatsachen- und Beweiserhebungen
sind hingegen die Sachgerichte zuständig. Vorliegend gebietet jedoch das
Beschleunigungsgebot (Art. 31 Abs. 4 BV, Art. 5 Ziff. 4 EMRK; zum Zusammenhang
zwischen Beschleunigungsgebot und Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK vgl. oben, E. 2.),
den rechtserheblichen Sachverhalt, soweit möglich, im bundesgerichtlichen
Verfahren selbst und von Amtes wegen zu ergänzen (Art. 105 Abs. 2 BGG). Die
Sicherheitslage in Kirkuk ist, soweit sie aus unabhängigen, für jedermann
zugänglichen Quellen hervorgeht, eine nicht unter das Novenverbot von Art. 99
Abs. 1 BGG fallende gerichtsnotorische Tatsache (BGE 135 III 88 E. 4.1 S. 89
f.); insofern aus Gründen der Aktualität auf nach dem angefochtenen Urteil
entstandene Beweismittel abgestellt werden muss, ergibt sich deren Zulässigkeit
aus dem Vorrang der absolut zentralen und keiner Einschränkung zugänglichen
Grundrechtsgarantie von Art. 3 EMRK gegenüber Art. 99 BGG (oben, E. 3.3).

3.6. Mit dem Beschwerdeführer ist davon auszugehen, dass Kirkuk zur Zeit zu
einer durch Peshmerga kontrollierten Zone zählt und die Sicherheitslage
schwierig ist. Unabhängigen Organisationen wurden in der Vergangenheit
insbesondere Entführungen von Zivilpersonen durch Milizen, deren Tötung bei
Fluchtversuchen, eine schlechte Versorgungslage mit Elektrizität und
Nahrungsmitteln, Verletzungen ziviler Opfer durch fehlgeleitete Luftangriffe,
die mutwillige Zerstörung von zivilen Unterkünften und die Tötung eines
hochrangigen Justizmitglieds gemeldet (UK Visas and Immigration, Country
information and guidance, Iraq: Security situation in the 'contested' areas,
Version 1.0, August 2016, S. 11-14, 16, 23 f.; https://www.gov.uk/government/
uploads/system/uploads/attachment_data/file/546950/
CIG_Iraq_contested_regions_security.pdf [nachfolgend: Country information and
guidance], besucht am 22. September 2016). Seit Mitte 2015 hat sich die Anzahl
ziviler Opfer jedoch auf einem verhältnismässig niedrigen Niveau stabilisiert;
insbesondere Kirkuk (mit Ausnahme von Hawija und Umgebung) weist aktuell eine
gegenüber anderen Provinzen deutlich bessere Sicherheitslage auf (Country
information and guidance, S. 6). Die Reise von Bagdad nach Kirkuk führt zudem
nicht zwingend durch ein durch DAECH kontrolliertes Gebiet (Country information
and guidance, S. 11). Konkrete Hinweise für eine zwangsweise Rekrutierung durch
Peshmerga-Milizen liegen nicht vor. Ohne die Schwierigkeiten unterschätzen zu
wollen, mit denen die Rückreise des Beschwerdeführers in den Irak zweifelsohne
verbunden sein werden, präsentiert sich die aktuelle Lage in Kirkuk zumindest
zur Zeit nicht in einer Weise, dass die blosse Anwesenheit des
Beschwerdeführers einer durch Art. 3 EMRK und Art. 10 Abs. 3 BV verbotenen
unmenschlichen Behandlung gleichkäme. Die Beschwerde erweist sich in diesem
Punkt als unbegründet.

4.

4.1. Der Beschwerdeführer rügt, die Voraussetzungen für eine Rückführung
ungeachtet deren  Unzumutbarkeit (Art. 83 Abs. 4 und Abs. 7 lit. a AuG) würden
nicht vorliegen. Nur ein besonders schweres Verbrechen vermöge den
Rückschiebeschutz aufzuheben. Eine Ausnahme vom Non-Refoulement-Prinzip
rechtfertige sich bloss, wenn der Täter für die Allgemeinheit des
Zufluchtstaates eine Gefahr bilde. Auf eine solche Gemeingefährlichkeit dürfe
nicht allein auf Grund einer Verurteilung wegen eines besonders schweren
Verbrechens geschlossen werden; es müsse zusätzlich vielmehr eine konkrete
Wiederholungsgefahr bestehen. Von einer solchen könne beim Beschwerdeführer,
der sich im Freiheitsentzug durchwegs positiv und ruhig verhalten sowie sehr
speditiv und sorgfältig gearbeitet habe, keine Rede sein. Die Rückführung
verletze aus diesem Grund auch Art. 33 des Abkommens über die Rechtsstellung
der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (SR 0.142.30).

4.2. Angesichts der seit Mitte 2015 eingetretenen Verbesserung der
Sicherheitslage (vgl. oben, E. 3.6) in Kirkuk fehlen die sachverhaltsmässigen
Grundlagen dafür, die Rückführung des Beschwerdeführers aus Gründen einer
konkreten Gefährdung wegen Krieg, Bürgerkrieg oder allgemeiner Gewalt  als
unzumutbar im Sinne von Art. 83 Abs. 4 AuG zu qualifizieren (vgl. ebenso die
Beurteilung durch britische Behörden im Lichte von Art. 15 lit. c der
Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.
Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder
Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen
einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf
subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes [Country
information and guidance, S. 6, N. 2.3.14]). Die Frage, ob dem Beschwerdeführer
eine vorläufige Aufnahme ungeachtet einer  Unzumutbarkeiteiner Rückführung
wegen seiner rechtskräftigen Verurteilung zu einer längerfristigen
Freiheitsstrafe zu verweigern ist (Art. 83 Abs. 7 lit. a AuG) - womit noch
nichts über die allfällige Beendigung einer Haft gestützt auf Art. 80 Abs. 6
lit. a AuG ausgesagt ist - stellt sich aus diesem Grund gar nicht. Weil eine
Unzumutbarkeit der Rückführung des Beschwerdeführers vorliegend nicht
entgegensteht, muss, entgegen den Ausführungen des Beschwerdeführers, auch
nicht geprüft werden, ob (wie für Art. 5 Abs. 2 des Asylgesetzes vom 26. Juni
1998 [AsylG; SR 142.31] vgl. dazu BGE 135 II 110 E. 2.2.2 S. 114) die fehlende
Anwendbarkeit des Rückschiebeverbots von einer Gefährdung der Sicherheit oder
(alternativ) der Einstufung eines Beschwerdeführers als gemeingefährlich
abhängt. Auf die geltend gemachte Verletzung von Art. 33 des Abkommens über die
Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 ist deswegen nicht weiter
einzugehen, weil dem Beschwerdeführer mit Asylentscheid vom 15. März 2016
unbestrittenermassen die Flüchtlingseigenschaft verweigert und die Wegweisung
verfügt worden ist. Die Beschwerde erweist sich auch in diesem Punkt als
unbegründet.

5.

5.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, seine Haft sei auch deswegen zu
beenden, weil seine Rückführung aus tatsächlichen Gründen nicht möglich sei
(Art. 80 Abs. 6 lit. a AuG). Er weigere sich, freiwillig in den Irak
zurückzukehren, und eine zwangsweise Ausschaffung per Sonderflug nach Bagdad
sei zur Zeit nicht möglich. Seine Rückführung scheitere zudem daran, dass die
Behörden in der Schweiz auf eine Dienstreise in den Irak angewiesen seien, um
die Ausstellung eines Ersatzreisepapiers zu prüfen, dürften doch solche
Ersatzpapiere durch die irakische Botschaft in Bern auf Anweisung der
irakischen Zentralregierung hin nicht mehr ausgestellt werden; der Hinweis der
schweizerischen Behörden auf eine Ausstellung solcher Papiere in einem ähnlich
gelagerten Fall sei auf Grund fehlender, sich in den Akten befindlicher
Unterlagen unbeachtlich. Die Dienstreise sei nun aber mehrmals verschoben
worden und befinde sich nur noch in Planung, weshalb nicht davon ausgegangen
werden könne, dass in nächster Zeit die für die Ausreise erforderlichen Papiere
vorliegen werden. Indem die Vorinstanz trotz klarer Aktenlage davon ausgehe,
dass bis im Oktober 2016 eine Ausschaffung möglich sein sollte, sei sie gemäss
Art. 97 Abs. 1 BGG in Willkür verfallen (Art. 9 BV). Das Vorgehen der
schweizerischen Behörden verletze zudem das Beschleunigungsgebot (Art. 29 Abs.
2 BV) und Art. 6 EMRK.

5.2. Gemäss der für das Bundesgericht grundsätzlich (Art. 105 Abs. 1 BGG)
verbindlichen vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellung hatte der irakische
Botschafter anlässlich eines Treffens vom 30. Juni 2016 das SEM darum ersucht,
ihm nach seiner Rückkehr aus dem Irak (Ende August 2016) den Fall des
Beschwerdeführers zu unterbreiten. Demnach sei zu erwarten, dass entweder der
irakische Botschafter in der Schweiz im August/September 2016 ein
Ersatzreisepapier ausstelle oder im Oktober 2016 mit den zuständigen Behörden
vor Ort eine zufriedenstellende Lösung gefunden werden könne, um die
zwangsweise Wegweisung straffälliger irakischer Personen aus der Schweiz in den
Irak schnellstmöglich wieder sicherstellen zu können.

5.3. Gemäss der Stellungnahme des SEM (zu deren Berücksichtigung unter
novenrechtlichen Gesichtspunkten vgl. oben, E. 3.3) stehen die schweizerischen
Behörden mit den irakischen Behörden vor Ort und in Bern in Kontakt. Die
Ausstellung eines Ersatzpapiers sei grundsätzlich zugesichert worden. Sobald
dieses Ersatzreisepapier vorliege, könne das SEM unverzüglich eine Flugbuchung
nach Bagdad tätigen; eine zwangsweise Rückführung des Beschwerdeführers sei
auch per Linienflug möglich.

5.4. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten
Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn, dieser sei
offensichtlich unrichtig oder beruhe auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG (Art. 105 Abs. 2 BGG). Offensichtlich unrichtig festgestellt ist
ein Sachverhalt, wenn er willkürliche Feststellungen enthält (BGE 137 I 58 E.
4.1.2 S. 62), d.h. offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen
Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen
Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem
Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft.
Die Ausführungen des Beschwerdeführers sind nicht geeignet, eine offensichtlich
unrichtige (Art. 97 BGG) (d.h. willkürliche, BGE 137 I 58 E. 4.1.2 S. 62)
vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung aufzuzeigen (zu den
Begründungsanforderungen siehe BGE 133 II 249 E. 1.4.3 S. 255). Insbesondere
hat der Beschwerdeführer nicht dargetan, inwiefern die Vorinstanz bei ihrer
Annahme, die Ersatzpapiere könnten gegebenenfalls auch durch den irakischen
Botschafter in der Schweiz ausgestellt werden, und dieser sich kooperativ
verhalte, in Willkür verfallen sein soll. Unbestritten blieb auch, dass eine
Rückschaffung des Beschwerdeführers nicht nur durch einen begleiteten
Sonderflug, sondern bei Vorliegen der entsprechenden Papiere durch einen
Linienflug erfolgen könnte. Gestützt darauf erscheint die Wahrscheinlichkeit
einer Rückführung des Beschwerdeführers in den Irak während der Dauer seiner
Ausschaffungshaft zwar als reduziert, aber nicht als ausgeschlossen. Das
öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und
Sicherheit lässt die  Verlängerung der Ausschaffungshaft unter Berücksichtigung
der Verurteilung des Beschwerdeführers und der andauernden behördlichen
Bemühungen zum vorliegenden Zeitpunkt selbst angesichts der zwar reduzierten,
aber nach wie vor bestehenden Wahrscheinlichkeit eines Vollzugs der Wegweisung
noch nicht als unangemessen erscheinen. Die Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 80 Abs. 6 lit. a AuG infolge tatsächlicher Vollzugshindernisse und wegen
Verletzung des Beschleunigungsgebots erweist sich als unbegründet.

6. 
Das Gesuch des bedürftigen Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung wird gutgeheissen. Demnach sind keine Kosten zu erheben und dem
Rechtsvertreter des Beschwerdeführers ist eine angemessene Entschädigung aus
der Bundesgerichtskasse auszurichten (Art. 64 BGG).

 Das Bundesgericht erkennt:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen, und es wird dem
Beschwerdeführer Rechtsanwalt Julian Burkhalter als unentgeltlicher
Rechtsbeistand beigegeben.

3. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

4. 
Rechtsanwalt Julian Burkhalter wird mit Fr. 2'000.-- aus der
Bundesgerichtskasse entschädigt.

5. 
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des
Kantons Aargau und dem Staatssekretariat für Migration schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 26. September 2016

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Seiler

Die Gerichtsschreiberin: Mayhall

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