Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.783/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
2C_783/2016

Urteil vom 20. Februar 2017

II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Seiler, Präsident,
Bundesrichter Zünd, Stadelmann,
Gerichtsschreiberin Mayhall.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Advokatin Elisabeth Maier,
Beschwerdeführer,

gegen

Amt für Migration Basel-Landschaft,
Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft.

Gegenstand
Widerruf der Niederlassungsbewilligung/Nichteintreten,

Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung
Verfassungs- und Verwaltungsrecht, vom 29. Juni 2016.

Erwägungen:

1.
A.________ ist ein niederlassungsberechtigter, in der Schweiz geborener
türkischer Staatsangehöriger. Nach mehreren strafrechtlichen Verurteilungen bot
ihm das Amt für Migration mit Schreiben vom 6. bzw. vom 24. Oktober 2014
Gelegenheit, sich zum beabsichtigten Widerruf seiner Niederlassungsbewilligung
vernehmen zu lassen. A.________ reichte darauf ein undatiertes Schreiben ein,
welches beim Amt am 11. November 2014 einging. Mit Verfügung vom 2. Februar
2015 widerrief das Amt die Niederlassungsbewilligung von A.________ und ordnete
dessen Wegweisung aus der Schweiz an. Gemäss Auszug "Track & Trace" vom 2. März
2015 wurde die Verfügung vom 2. Februar 2015 am 3. Februar 2015 der Post
übergeben und am 4. Februar 2015 zur Abholung mit einer Frist bis zum 11.
Februar 2015 versehen. Die Verfügung vom 2. Februar 2015 wurde innert Frist
nicht abgeholt, und mit entsprechendem Vermerk retourniert. Mit Schreiben vom
13. Februar 2015 wurde die Verfügung vom 2. Februar 2015 erneut mit
eingeschriebener Post und dem Hinweis darauf versandt, dass  "die
Rechtsmittelfrist mit dem letzten Tag der Abholfrist des ersten
Zustellversuchs, d.h. am 10. Februar 2015 zu laufen begonnen" habe. A.________
holte dieses Schreiben innert Frist ebenfalls nicht ab. Am 23. März 2015 wurde
A.________ polizeilich vorgeladen, und die Verfügung vom 2. Februar 2015 wurde
ihm persönlich ausgehändigt. Auf die von A.________ am 25. März 2015 erhobene
Beschwerde gegen die Verfügung vom 2. Februar 2015 trat der Regierungsrat des
Kantons Basel-Landschaft mit Beschluss vom 18. August 2015 nicht ein. Mit
Urteil vom 29. Juni 2016 wies das Kantonsgericht Basel-Landschaft die von
A.________ dagegen erhobene Beschwerde ab und ordnete an, er habe die Schweiz
bis spätestens 30 Tage nach Rechtskraft des Urteils zu verlassen. Innert
angesetzter Frist hat die Vorinstanz auf die Einreichung einer Vernehmlassung
verzichtet. Der Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft schliesst auf
Abweisung der Beschwerde, soweit Eintreten.

2.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen das angefochtene
Urteil, mit dem die Vorinstanz eine Beschwerde gegen einen unterinstanzlichen
(das Verfahren prozessual beendenden) Nichteintretensentscheid abgewiesen hat,
ist in dem Umfang zulässig, wie sich das Rechtsmittelverfahren materiell gegen
den Widerruf des Beschwerdeführers und nicht gegen seine Wegweisung gerichtet
hat (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG e contrario; Art. 83 lit. c Ziff. 4 BGG; BGE
135 II 1 E. 1.2.1 S. 4; THOMAS HÄBERLI, Basler Kommentar zum
Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2011, N. 9 zu Art. 83 BGG). Sie ist jedoch
offensichtlich unbegründet, weshalb sie im vereinfachten Verfahren unter
Verweisung auf den angefochtenen Entscheid nach Art. 109 Abs. 2 lit. a und Abs.
3 BGG abgewiesen wird, soweit darauf einzutreten ist.

2.1. Streitgegenstand des bundesgerichtlichen Beschwerdeverfahrens (vgl. BGE
136 II 165 E. 5 S. 174; Urteile 2C_961/2013 vom 29. April 2014 E. 3.3; 2C_1184/
2013 vom 17. Juli 2014 E. 1.2) ist einzig die Frage, ob die Vorinstanz zu Recht
eine Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Nichteintretensbeschluss des
Regierungsrates des Kantons Basel-Landschaft vom 18. August 2015 abgewiesen
hat. Der Eventualantrag, die Niederlassungsbewilligung sei dem Beschwerdeführer
zu belassen, geht über den Streitgegenstand hinaus, weshalb darauf nicht
eingetreten wird.

2.2. Ist ein Prozessrechtsverhältnis entstanden (vgl. Urteil 5A_646/2015 vom 4.
Juli 2016 E. 2.2, E. 2.3, mit zahlreichen Hinweisen), wird - in casu gemäss
anwendbarem kantonalem Verfahrensrecht und unter Berücksichtigung allgemeiner
Rechtsgrundsätze - bei nicht abgeholten eingeschriebenen Postsendungen die
Eröffnung auf Ende der Abholfrist hin fingiert (BGE 127 I 31 E. 2a/aa S. 34; zu
Art. 138 Abs. 3 lit. a der Schweizerischen Zivilprozessordnung vom 19. Dezember
2008 [ZPO; SR 272] BGE 138 III 225 E. 3.1 S. 227; zu Art. 20 Abs. 2bis des
Bundesgesetzes über das Verwaltungsverfahren vom 20. Dezember 1968 [VwVG; SR
172.021] BGE 141 II 429 E. 3.1 S. 431; Urteil 2C_508/2016 vom 18. November
2016; zu Art. 44 Abs. 2 BGG Urteil 1C_85/2010 vom 4. Juni 2010 E. 1.4.2) : Das
Schriftstück gilt, vorbehältlich vertrauensschutzrechtlicher Aspekte, stets am
siebten (und letzten) Tag der am  Folgetag des erfolglosen Zustellungsversuchs
einsetzenden Abholfrist als zugestellt (BGE 141 II 429 E. 3.1 S. 432 ["le
dernier jour du délai de garde de sept jours  suivant la réception du pli par
l'office de poste du lieu de domicile du destinataire"]; vgl. auch BGE 130 III
396 E. 1.2.3 S. 399; diese Lösung befürwortend, aber abweichend zur älteren
bundesgerichtlichen Praxis YVES DONZALLAZ, Commentaire de la Loi sur le
Tribunal fédéral, 2008, N. 1113, S. 479). Ist die (fingierte) Zustellung
fristauslösend, beginnt die betreffende Frist am achten Tag nach dem
erfolglosen Zustellungsversuch zu laufen (BGE 131 V 305 E. 4.2.2 S. 310; zu
Art. 44 Abs. 2 BGG JEAN-MAURICE FRÉSARD, Commentaire de la LTF, 2. Aufl. 2014,
N. 11 zu Art. 44 BGG; zu Art. 20 Abs. 2bis VwVG PATRICIA EGLI, Praxiskommentar
VwVG, 2. Aufl. 2016, N. 46 zu Art. 20 VwVG). Der Beschwerdeführer musste seit
der Gewährung des rechtlichen Gehörs durch das Amt im Oktober 2014 zum
beabsichtigten Widerruf seiner Niederlassungsbewilligung nach Treu und Glauben
mit behördlichen Zustellungen in den nächsten Monaten rechnen, weshalb von
einem im Februar 2015 noch bestehenden Prozessrechtsverhältnis auszugehen ist
(vgl. Urteil 5A_646/2015 vom 4. Juli 2016 E. 2.2; zu den allgemeinen
Rechtsgrundsätzen bei fehlender kantonaler Regelung ausdrücklich BGE 127 I 31
E. 2a/aa S. 34). Die dem Beschwerdeführer mit Abholungseinladung am 4. Februar
2015 angesetzte Abholungsfrist begann demnach am 5. Februar 2015 zu laufen und
endete am 11. Februar 2015, weshalb die Verfügung vom 2. Februar 2015 als an
diesem Tag zugestellt gilt und eine weitere Zustellung, der keine
fristauslösende Funktion mehr zukommt, nicht notwendig gewesen wäre, aber im
Interesse des Beschwerdeführers unter ausdrücklichem Hinweis auf die laufende
Rechtsmittelfrist dennoch ausgeführt wurde. Die Zustellungsfiktion ist zwar
streng, dient jedoch einem geordneten Ablauf der Justiz, ansonsten Verfahren
beliebig verzögert oder umgangen werden könnten, weshalb sie weder das Verbot
des überspitzten Formalismus (Art. 29 Abs. 1 BV) noch die konventionsrechtliche
Garantie von Art. 6 Ziff. 1 EMRK (Urteil 1P.403/2001 vom 7. August 2001 E. 2b)
verletzt, zumal dem Beschwerdeführer die abstrakte Verwechslungsgefahr bei den
Briefkästen bekannt war (unten, E. 2.3) und er geeignete Vorsichtsmassnahmen
hätte treffen können. Die Rechtsmittelfrist für die Anfechtung der Verfügung
vom 2. Februar 2015 setzte demnach am 12. Februar 2015 ein und lief am 13. März
2015 ab. Die am 25. März 2015 erhobene Beschwerde gegen die Verfügung vom 2.
Februar 2015 erweist sich als weit verspätet, weshalb darauf zu Recht nicht
einzutreten war. Die Abweisung der gegen den Nichteintretensbeschluss
gerichteten Beschwerde im angefochtenen Urteil ist nicht zu beanstanden.

2.3. Gründe dafür, vom vorinstanzlich festgestellten Sachverhalt abzuweichen
(Art. 105 Abs. 2 BGG), bestehen nicht. Die Vorinstanz hat erwogen, es bestehe
eine natürliche Vermutung dafür, dass die Abholungseinladung am 4. Februar 2015
in den Briefkasten des Beschwerdeführers und nicht denjenigen der fast
gleichnamigen Nachbarn (Familie B.________) gelegt worden sei. Die allgemein
gehaltenen Ausführungen des Beschwerdeführers dazu, dass es fast täglich zu
Verwechslungen zwischen den Familien komme, seien deswegen, weil der
Beschwerdeführer das Schreiben des Amtes betreffend Ausübung rechtliches Gehör
sehr wohl bekommen habe, sich nie bei der Post über falsche Zustellungen
beschwert und von den Nachbarn über allfällige Fehlzustellungen wohl informiert
worden wäre, als wenig glaubwürdig anzusehen, weshalb dem Beschwerdeführer der
ihm grundsätzlich offen stehende Gegenbeweis (Urteil 1C_129/2015 vom 9. Juli
2015 E. 3) misslungen sei. Diese gerichtliche Beweiswürdigung und die sich
daraus ergebenden tatsächlichen Schlussfolgerungen sind Tatfragen (BGE 133 V
477 E. 6.1 S. 485, 504 E. 3.2 S. 507; Urteil 2C_270/2012 vom 1. Dezember 2012
E. 3.2), die vom Bundesgericht nur auf Willkür überprüft werden können (Art. 97
BGG; BGE 129 I 8 E. 2.1 S. 9). Willkür liegt nicht schon dann vor, wenn eine
andere Lösung ebenfalls in Betracht zu ziehen oder gar vorzuziehen wäre,
sondern nur, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist, mit
der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen
unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem
Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 138 IV 13 E. 5.1 S. 22; 134 II 124 E.
4.1 S. 133; 132 III 209 E. 2.1 S. 211). Dies ist insbesondere dann der Fall,
wenn das Sachgericht offensichtlich unhaltbare Schlüsse zieht, erhebliche
Beweise übersieht oder solche willkürlich ausser Acht lässt (vgl. BGE 129 I 8
E. 2.1 S. 9; 120 Ia 31 E. 4b S. 40). Durch die Wiederholung seiner eigenen
Sichtweise, wonach auf Grund der Ähnlichkeit der Familiennamen eine
Verwechslung der Briefkästen nicht als unwahrscheinlich, sondern als plausibel
anzusehen sei, und der unterlassenen Erwähnung der übrigen, ebenfalls
gewürdigten Umständen gelingt es dem Beschwerdeführer nicht, eine
offensichtlich unhaltbare Schlussfolgerung der Vorinstanz aufzuzeigen. Für die
tatsächlichen Grundlagen des Rechtsstreites kann vollumfänglich auf das
angefochtene Urteil verwiesen werden (Art. 109 Abs. 3 BGG).

3.
Bei diesem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer
aufzuerlegen (Art. 68 Abs. 1 BGG). Parteientschädigungen werden nicht
gesprochen (Art. 68 Abs. 1 BGG). Der Antrag auf Erteilung der aufschiebenden
Wirkung ist gegenstandslos.

 Das Bundesgericht erkennt:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Kantonsgericht
Basel-Landschaft und dem Staatssekretariat für Migration schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 20. Februar 2017

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Seiler

Die Gerichtsschreiberin: Mayhall

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