Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.772/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
2C_772/2016

Urteil vom 15. September 2016

II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Seiler, Präsident,
Bundesrichterin Aubry Girardin,
Bundesrichter Donzallaz,
Gerichtsschreiberin Mayhall.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Häusermann,

gegen

Migrationsamt des Kantons Zürich,

Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich.

Gegenstand
Widerruf der Niederlassungsbewilligung,

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungs-
gerichts des Kantons Zürich, 4. Abteilung,
vom 25. Juli 2016.

Erwägungen:

1.
A.________ (Jahrgang 1946) ist serbischer Staatsangehöriger. Er reiste im März
1986 in die Schweiz ein und verfügt über eine Niederlassungsbewilligung. Seine
Ehefrau und die drei gemeinsamen Kinder leben in Serbien.
Wegen mehrfacher Vergewaltigung und sexueller Belästigung verurteilte das
Obergericht des Kantons Zürich A.________ zu einer (teilbedingten)
Freiheitsstrafe von 32 Monaten und einer Busse von Fr. 400.--. Das
Migrationsamt des Kantons Zürich widerrief seine Niederlassungsbewilligung mit
Verfügung vom 7. Januar 2016, wies ihn aus der Schweiz weg und setzte ihm eine
Ausreisefrist an. Dagegen geführte Rechtsmittel blieben erfolglos.

2.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, die in dem Umfang
zulässig ist, wie sie sich gegen den Widerruf der Niederlassungsbewilligung des
Beschwerdeführers richtet (Art. 83 lit. c Ziff. 2 e contrario BGG; Art. 83 lit.
c Ziff. 4 BGG; BGE 135 II 1 E. 1.2.1 S. 4), ist offensichtlich unbegründet,
weshalb sie im vereinfachten Verfahren unter Verweisung auf den angefochtenen
Entscheid nach Art. 109 Abs. 2 lit. a und Abs. 3 BGG abgewiesen wird. Nicht
eingetreten werden kann auf die Beschwerde, soweit sie sich gegen die
Wegweisung richtet, da insoweit die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten unzulässig ist (Art. 83 lit. c Ziff. 4 BGG) und die Eingabe
mangels detailliert erhobener Rügen (Art. 116 in Verbindung mit Art. 106 Abs. 2
BGG) auch nicht als Verfassungsbeschwerde entgegen genommen werden kann.

2.1. Nach Art. 63 Abs. 1 lit. a (in Verbindung mit Art. 62 lit. b) und Art. 63
Abs. 2 AuG kann die Niederlassungsbewilligung auch nach einem länger als 15
Jahre dauernden ununterbrochenen und ordnungsgemässen Aufenthalt in der Schweiz
widerrufen werden, wenn der Bewilligungsträger zu einer längerfristigen
Freiheitsstrafe verurteilt worden ist. Als längerfristig gilt nach der
gefestigten Rechtsprechung eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr (BGE
135 II 377 E. 4.2 S. 379 ff.). Diese Grenze gilt auch dann als erreicht, wenn
die Freiheitsstrafe bloss bedingt oder teilbedingt ausgesprochen wurde (BGE 139
I 16 E. 2.1 S. 18 f.; Urteil 2C_515/2009 vom 27. Januar 2010 E. 2.1). Mit
seiner Verurteilung zu einer (teilbedingten) Freiheitsstrafe von 32 Monaten hat
der Beschwerdeführer diesen Widerrufsgrund gesetzt.

2.2. Eine aufenthaltsbeendende Massnahme muss, wie jedes staatliche Handeln,
verhältnismässig sein (Art. 5 Abs. 2 BV; Art. 96 AuG). Massgebliche Kriterien
sind die Schwere des Delikts, das Verschulden des Betroffenen, der seit der Tat
vergangene Zeitraum und das Verhalten des Betroffenen während diesem, der Grad
seiner Integration bzw. die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum
Aufenthaltsstaat und zum Heimatstaat, die Dauer der bisherigen Anwesenheit, die
ihm und seiner Familie drohenden Nachteile, insbesondere unter gesundheitlichen
Aspekten, sowie die mit der aufenthaltsbeendenden Massnahme verbundene Dauer
der Fernhaltung (BGE 139 I 145 E. 2.4 S. 149; 139 I 16 E. 2.2.1 S. 19, E. 2.2.2
S. 20; 139 I 31 E. 2.3.1 S. 33, E. 2.3.3 S. 34 f.); die Prüfung der
Verhältnismässigkeit der staatlichen Anordnung des Widerrufs (Art. 5 Abs. 2 BV;
Art. 96 AuG) entspricht inhaltlich jener, welche bei eröffnetem Schutzbereich
für die rechtmässige Einschränkung der konventionsrechtlichen Garantie gemäss
Art. 8 Ziff. 2 EMRK vorausgesetzt wird (vgl. BGE 139 I 16 E. 2.2.1 S. 19, E.
2.2.2 S. 20; 139 I 31 E. 2.3.1 S. 33, E. 2.3.3 S. 34 f.). Während es bei Art. 5
Anhang I des Freizügigkeitsabkommens (FZA; SR 0.142.112.681) wesentlich auf das
Rückfallrisiko ankommt, ist die Prognose über das künftige Wohlverhalten im
Rahmen der Interessenabwägung nach rein nationalem Ausländerrecht zwar
mitzuberücksichtigen, aber nicht ausschlaggebend (BGE 136 II 5 E. 4.2 S. 20;
130 II 176 E. 4.2 S. 185 mit Hinweisen). In Übereinstimmung mit der Praxis des
Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte EGMR stuft das Bundesgericht in
ständiger Rechtsprechung insbesondere Sexualdelikte an Kindern und Jugendlichen
als schwere Straftaten im Sinne des bei der Verhältnismässigkeitsprüfung
anzuwendenden Kriteriums und das damit verbundene öffentliche Interesse an
einer Wegweisung des Straftäters als entsprechend hoch ein (BGE 137 II 297 E.
3.3 S. 303; Urteile 2C_502/2011 vom 10. April 2012 E. 3.3; 2C_473/2011 vom 17.
Oktober 2011 E. 2.2, E. 4.2; zum Begriff der schweren Straftaten vgl. die
Übersicht in Urteil 2C_361/2014 vom 22. Oktober 2015 E. 4.2). Obwohl nicht
unmittelbar anwendbar (vgl. dazu BGE 139 I 16 E. 4.3 S. 26 ff.), können der in
Kraft stehenden verfassungsrechtlichen Bestimmung von Art. 121 Abs. 3 BV
Hinweise auf eine Qualifikation einer Straftat als schwer entnommen werden,
sollen doch ausländische Personen, welche wegen einer der enumerierten
strafbaren Handlungen und damit insbesondere wegen Vergewaltigung oder einem
anderen schweren Sexualdelikt verurteilt worden sind, grundsätzlich (dazu BGE
139 I 16 E. 4 und 5 S. 23 ff.) aus der Schweiz ausgewiesen werden (Urteil
2C_361/2014 vom 22. Oktober 2015 E. 4.2).

2.3. Der Beschwerdeführer bestreitet die Verhältnismässigkeit der
aufenthaltsbeendenden Massnahme. Zu Unrecht: Gemäss der für das   Bundesgericht
verbindlichen vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellung (Art. 105 Abs. 2 BGG)
hatte sich der mittlerweile 70-jährige Beschwerdeführer zunächst auf perfide
Weise das Vertrauen seiner 17-jährigen Nachbarin erschlichen, um diese
anschliessend mit der Drohung unter Druck zu setzen, sie mit seinem Wissen über
sie bei ihren Eltern anzuschwärzen. Auf diese Weise nötigte er die Jugendliche,
zweimal gegen ihren Willen den Geschlechtsverkehr mit ihm zu vollziehen, und
nahm in Kauf, das jugendliche Opfer in seiner persönlichen und sexuellen
Entwicklung schwer zu beeinträchtigen. Das durch an einer Jugendlichen
begangene Sexualdelikt begründete gewichtige öffentliche Interesse an einer
Ausreise des Sexualstraftäters wird, wie im vorinstanzlichen Urteil, auf
welches vollumfänglich verwiesen wird (Art. 109 Abs. 3 BGG), zutreffend
erkannt, weder durch dessen lange Aufenthaltsdauer noch dessen hohes Alter
aufgewogen, zumal in dessen Vorbringen gemäss den verbindlichen (Art. 105 Abs.
2 BGG) Feststellungen der Vorinstanz keine Spur von Reue und Einsicht in die
Schwere seiner Verfehlungen zu erkennen ist und er sein Opfer trotz
erdrückender Beweislage auch noch der falschen Anschuldigung bezichtigte. Die
(angebliche) Demenzkrankheit des trotz seiner langen Aufenthaltsdauer in der
Schweiz wenig integrierten Beschwerdeführers begründet angesichts der in
Serbien unbestrittenermassen vorhandenen Behandlungsmöglichkeiten dieser
Krankheit kein überwiegendes privates Interesse an seinem Verbleib in der
Schweiz, weshalb die Vorinstanz wegen fehlender Rechtserheblichkeit des zu
belegenden Sachverhalts ohne Weiteres auf die Einholung eines ärztlichen
Gutachtens verzichten konnte und den Gehörsanspruch (Art. 29 Abs. 2 BV) des
Beschwerdeführers nicht verletzt hat (BGE 138 V 125 E. 2.1 S. 127; 137 I 86 E.
7.3.3.3 S. 100; 134 I 140 E. 5.3 S. 148). Ins Gewicht fällt weiter, dass die
nahen Familienangehörigen des Beschwerdeführers - seine Ehefrau und seine drei
Töchter - allesamt in Serbien leben, weshalb ihm die Rückkehr in seinen
Heimatstaat, mit dessen Sprache und kulturellen Gegebenheiten er zudem bestens
vertraut ist, ohne Weiteres als zumutbar erscheint. Angesichts des klar
überwiegenden, durch die Schwere der Straftat und seinem Verschulden
begründeten öffentlichen Interesse an seiner Ausreise, welchem angesichts
seiner geringen Integration und fehlenden nahen Familienangehörigen in der
Schweiz nur wenig entgegenzusetzen ist, kommt einer allfälligen Rückfallgefahr
in der Interessenabwägung kein massgebliches Gewicht zu. Die Rückfallgefahr als
Sexualstraftäter ist in der Interessenabwägung zwar zu berücksichtigen, ihr
kommt aber wegen fehlender Anwendbarkeit des FZA nicht die ausschlaggebende
Bedeutung zu, welche der Beschwerdeführer ihr beimessen möchte (oben, E. 2.2).
Wegen fehlender Erheblichkeit für den Verfahrensausgang (Art. 97 Abs. 1 e
contrario BGG) ist die unterlassene vorinstanzliche Abklärung der
sachverhaltsmässigen Grundlagen betreffend Rückfallgefahr durch ein ärztliches
Gutachten nicht zu beanstanden. Die Vorinstanz konnte ohne Verletzung von
Bundesrecht davon ausgehen, dass die Ausreise in seinen Heimatstaat, in welchem
er 40 Jahre seines Lebens verbracht hat, wo sich seine nahen
Familienangehörigen aufhalten und seine (angebliche) Demenzkrankheit behandelt
werden kann, dem Beschwerdeführer zumutbar ist, und das öffentliche, durch
seine Sexualdelikte begründete Interesse sein privates an einem Verbleib in der
Schweiz überwiegt. Für alles weitere kann auf das zutreffend begründete
vorinstanzliche Urteil verwiesen werden (Art. 109 Abs. 3 BGG).

3.
Mit diesem Urteil wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos. Dem
Gesuch auf Erteilung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung kann
wegen Aussichtslosigkeit nicht entsprochen werden (Art. 64 Abs. 1 BGG). Die
Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens sind dem unterliegenden
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Parteientschädigungen
werden nicht gesprochen (Art. 68 Abs. 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann

2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4. 
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des
Kantons Zürich und dem Staatssekretariat für Migration schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 15. September 2016

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Seiler

Die Gerichtsschreiberin: Mayhall

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