Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.764/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
2C_764/2016

Urteil vom 15. September 2016

II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Seiler, Präsident,
Bundesrichter Donzallaz,
Bundesrichter Haag,
Gerichtsschreiberin Mayhall.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Oliver Lücke,

gegen

Einwohnergemeinde Bern,

Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern.

Gegenstand
Widerruf der Niederlassungsbewilligung
und Wegweisung infolge Straffälligkeit,

Beschwerde gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 14. Juli 2016.

Erwägungen:

1.
A.________ (türkischer Staatsangehöriger, Jahrgang 1979) reiste am 1. März 1979
im Rahmen des Familiennachzuges in die Schweiz ein und erhielt die
Niederlassungsbewilligung. Im Zeitraum zwischen 2000 und 2003 wurde er mehrmals
wegen Verkehrsdelikten, Widerhandlungen gegen das Bundesgesetz über die
Betäubungsmittel und die psychotropen Stoffe vom 3. Oktober 1951 (BetmG; SR
812.121) und Hehlerei strafrechtlich verurteilt. Am 23. März 2009 wurde er
ausländerrechtlich verwarnt. Seit seiner Verhaftung vom 25. März 2009 befindet
er sich in Haft bzw. im Strafvollzug. Am 14. Februar 2013 verurteilte ihn die
Staatsanwaltschaft des Kantons Bern wegen Pornographie zu einer Geldstrafe von
45 Tagessätzen und einer Busse, unter Gewährung des bedingten Vollzugs. Am 30.
August 2013 verurteilte ihn das Regionalgericht Bern-Mittelland wegen
Widerhandlungen gegen das BetmG, mengen- und gewerbsmässig qualifiziert
(Einkauf von gesamthaft 41 kg Kokaingemisch), gewerbsmässig begangener
Geldwäscherei (Vereitelung der Einziehung von Gewinnen aus Drogenhandel im
Betrag von mindestens Fr. 1.5 Mio. über Investitionen und Transaktionen in der
Schweiz und der Türkei), mehrfacher Anstiftung zur Fälschung von Ausweisen,
mehrfacher Widerhandlungen gegen das Bundesgesetz über Waffen, Waffenzubehör
und Munition vom 20. Juni 1997 (Waffengesetz; SR 514.54) und mehrfachen Führens
eines Motorfahrzeuges trotz entzogenem Lernfahrausweis zu beiner
Freiheitsstrafe von 11 Jahren sowie Geldstrafe von 400 Tagessätzen, letztere
als Zusatzstrafe zum Strafbefehl der Staatsanwaltschaft des Kantons Bern vom
14. Februar 2013. Mit Verfügung vom 28. Mai 2015 widerrief die
Einwohnergemeinde Bern die Niederlassungsbewilligung von A.________, wies ihn
aus der Schweiz weg und ordnete seine Ausreise direkt nach Beendigung des
Strafvollzuges an. Die dagegen geführten kantonalen Rechtsmittel blieben
erfolglos.

2.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, die sich
ausschliesslich gegen den Widerruf der Niederlassungsbewilligung des
Beschwerdeführers richtet, ist zulässig (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG e contrario
; Art. 83 lit. c Ziff. 4 BGG; BGE 135 II 1 E. 1.2.1 S. 4), aber offensichtlich
unbegründet, weshalb sie im vereinfachten Verfahren unter Verweisung auf den
angefochtenen Entscheid nach Art. 109 Abs. 2 lit. a und Abs. 3 BGG abgewiesen
wird.

2.1. Nach Art. 63 Abs. 1 lit. a AuG kann die Niederlassungsbewilligung
widerrufen werden, wenn der Ausländer zu einer längerfristigen Freiheitsstrafe
verurteilt wurde. Als längerfristig gilt nach der gefestigten Rechtsprechung
eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr (BGE 135 II 377 E. 4.2 S. 379
ff.), wobei mehrere unterjährige Strafen bei der Berechnung nicht kumuliert
werden dürfen (BGE 139 I 31 E. 2.1 S. 32).

2.2. Der Widerruf der Niederlassungsbewilligung muss zudem verhältnismässig
sein (Art. 5 Abs. 2 BV; Art. 96 AuG). Massgebliche Kriterien sind die Schwere
des Delikts, wobei besonders ins Gewicht fällt, ob diese Taten als Jugendlicher
oder als Erwachsener begangen wurden und ob es sich dabei um Gewaltdelikte
handelte, das Verschulden des Betroffenen, der seit der Tat vergangene Zeitraum
und das Verhalten des Betroffenen während diesem, der Grad seiner Integration
bzw. die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Aufenthaltsstaat
und zum Heimatstaat, die Dauer der bisherigen Anwesenheit, die ihm und seiner
Familie drohenden Nachteile, insbesondere unter gesundheitlichen Aspekten,
sowie die mit der aufenthaltsbeendenden Massnahme verbundene Dauer der
Fernhaltung (BGE 139 I 16 E. 2.2.1 S. 19, E. 2.2.2 S. 20; 139 I 31 E. 2.3.1 S.
33, E. 2.3.3 S. 34 f.). Generalpräventive Gesichtspunkte dürfen berücksichtigt
werden, sofern die ausländische Person vom Anwendungsbereich des
Freizügigkeitsabkommens (FZA; SR 0.142.112.681) ausgenommen ist (BGE 136 II 5
E. 4.2 S. 20; 130 II 176 E. 3.4.1 S. 183; je zum FZA). Die Prüfung der
Verhältnismässigkeit der staatlichen Anordnung des Widerrufs (Art. 5 Abs. 2 BV;
Art. 96 AuG) entspricht inhaltlich jener, welche bei eröffnetem Schutzbereich
für die rechtmässige Einschränkung der konventionsrechtlichen Garantie gemäss
Art. 8 Ziff. 2 EMRK vorausgesetzt wird (vgl. BGE 139 I 16 E. 2.2.1 S. 19, E.
2.2.2 S. 20; 139 I 31 E. 2.3.1 S. 33, E. 2.3.3 S. 34 f.). In Übereinstimmung
mit der Praxis des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) stuft
das Bundesgericht in ständiger Praxis Betäubungsmitteldelikte aus rein
finanziellen Motiven als schwere Straftaten und das damit verbundene
öffentliche Interesse an einer Wegweisung des Straftäters als hoch ein (BGE 139
I 31 E. 2.3.2 S. 34). Bei Betäubungsmitteldelikten (ohne Konsum) überwiegt,
falls keine besonderen persönlichen oder familiären Bindungen im
Aufenthaltsstaat bestehen, regelmässig das öffentliche Interesse an der
Beendigung des Aufenthalts; das öffentliche Fernhalteinteresse setzt sich bei
ledigen und kinderlosen Personen tendenziell durch, sofern das Strafmass drei
Jahre Freiheitsstrafe erreicht oder wesentliche weitere Delikte hinzukommen (
BGE 139 I 16 E. 2.2.2 S. 20). Bei Verurteilungen zu Freiheitsstrafen in dieser
Grössenordnung für Betäubungsmitteldelikte hat das Bundesgericht den
Bewilligungswiderruf aber auch schon dann geschützt, wenn der betroffene
Ausländer in der Schweiz Ehefrau und Kinder hatte (vgl. ausführlich BGE 139 I
16 E. 2.2.3 S. 21 f.).

2.3.

2.3.1. Der Beschwerdeführer bestreitet, dass der Widerruf seiner
Niederlassungsbewilligung verhältnismässig (Art. 5 Abs. 2 BV; Art. 96 AuG) sei.
Zu Unrecht: Der Beschwerdeführer hat auf einer oberen Hierarchiestufe
Betäubungsmittelhandel im grossen Stil und gewerbsmässige Geldwäscherei
betrieben; in mengenmässiger Hinsicht ist nach den vorinstanzlichen
Sachverhaltsfeststellungen von insgesamt 41 kg eingekauftem Kokaingemisch
auszugehen. Die Professionalität, mit welcher er vorging, zeigt sich
insbesondere darin, dass er den Import per Granit- und Keramikplatten plante
(wobei die in den Platten enthaltenen Aussparungen mit Kokain aufgefüllt werden
sollten), Scheinfirmen gründete und über Investitionen und Transaktionen in der
Schweiz und in der Türkei die Einziehung von aus dem Drogenhandel stammenden
Geldern im Betrag von mindestens Fr. 1.5 Mio. verhinderte. Die Vorinstanz ist
zutreffend davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer die
Betäubungsmitteldelikte ausschliesslich zur Finanzierung seines hohen
Lebensstandards beging und er somit die Gesundheit einer Vielzahl von Menschen
aus rein egoistischen Motiven schwer gefährdet hat. Für eine ausführliche
Darstellung der Umstände, die ein öffentliches Interesse an der Ausreise des
Beschwerdeführers begründen, kann vollumfänglich auf das angefochtene
vorinstanzliche Urteil verwiesen werden (Art. 109 Abs. 3 BGG).

2.3.2. Ungeachtet dessen, ob die Verhältnismässigkeit der aufenthaltsbeendenden
Massnahme wegen eröffnetem Schutzbereich von Art. 8 EMRK (vgl. zur
Rechtsprechung hinsichtlich volljähriger Personen BGE 139 II 393 E. 5.1 S. 402;
137 I 154 E. 3.4.2 S. 159; Urteil 2C_151/2015 vom 10. Februar 2016 E. 4.2.2)
nach konventionsrechtlichen Kriterien (Art. 8 Ziff. 2 EMRK) oder ansonsten
ausschliesslich nach nationalem Recht (Art. 5 Abs. 2 BV; Art. 96 AuG; vgl. zur
inhaltlichen Übereinstimmung beider Verhältnismässigkeitsprüfungen oben, E.
2.2) durchzuführen ist, vermögen die privaten Interessen des Beschwerdeführers
am Verbleib in der Schweiz das sicherheitspolizeiliche Interesse an seiner
Ausreise keineswegs zu überwiegen, weshalb ein Eingriff in die
konventionsrechtliche Garantie (Art. 8 Ziff. 2 EMRK) auf jeden Fall
gerechtfertigt werden könnte. Mangels Erheblichkeit des zu untermauernden
Sachverhaltselements für den Verfahrensausgang - Indizien, die auf ein
Abhängigkeitsverhältnis des Bruders zum Beschwerdeführer schliessen lassen -
dringt auch die Rüge des Beschwerdeführers nicht durch, die Vorinstanz habe
seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV; BGE 138 V 125 E. 2.1
S. 127; 137 I 86 E. 7.3.3.3 S. 100; 134 I 140 E. 5.3 S. 148) dadurch verletzt,
dass sie das Schreiben der Stiftung X.________ vom 27. November 2014 nicht
beachtet habe, welches die besondere Beziehungsnähe zwischen dem
Beschwerdeführer und seinem Bruder belege.

2.3.3. Hinsichtlich der Verhältnismässigkeitsprüfung (Art. 5 Abs. 2 BV; Art. 96
AuG; Art. 8 Ziff. 2 EMRK) verkennt das Bundesgericht nicht, dass der
Beschwerdeführer kurz nach seiner Geburt in die Schweiz eingereist ist und hier
sein ganzes Leben verbracht hat. Ins Gewicht fällt weiter, dass die Eltern des
Beschwerdeführers früh verstorben sind und er sowohl für seine Schwester wie
auch für seinen unter psychischen oder geistigen Beeinträchtigungen leidenden
Bruder eine Elternrolle eingenommen hat. Gemäss den Feststellungen der
Vorinstanz lebt der Bruder in einer Einrichtung und seine finanziellen
Angelegenheiten werden durch einen Beistand besorgt; zudem nimmt ihn die
Schwester gelegentlich zu sich nach Hause. Die Anwesenheit des
Beschwerdeführers ist somit für seinen Bruder nicht unabdingbar. Nach der
Beurteilung des Strafgerichts wäre der mittlerweile volljährige, ledige und
kinderlose Beschwerdeführer zudem jederzeit und ohne Einschränkung in der Lage
gewesen, sich rechtsgetreu zu verhalten und seinen Lebensunterhalt legal zu
verdienen. Weder die Verurteilung zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 16
Monaten im Februar 2002 noch die im August 2003 unbedingt ausgesprochene
Freiheitsstrafe von 60 Tagen oder die ausländerrechtliche Verwarnung vom März
2004 vermochten aber den Beschwerdeführer nachhaltig zu beeindrucken oder davon
abzuhalten, ab dem Jahr 2004 den Betäubungsmittelhandel noch auszubauen und
Gelder vor der Einziehung in Sicherheit zu bringen; die Schwester hat sich
ebenfalls an den Betäubungsmitteldelikten beteiligt, wofür sie zu einer
Freiheitsstrafe von 22 Monaten verurteilt wurde. Die zusätzlichen
Verurteilungen wegen Hehlerei, Pornografie, Anstiftung zur Fälschung von
Ausweisen, Widerhandlungen gegen das Waffengesetz und Führens eines
Motorfahrzeugs trotz Entzug des Lernfahrausweises zeigen, dass der
Beschwerdeführer nicht gewillt ist, die Rechtsordnung zu respektieren, und
selbst falls der Rückfallgefahr im vorliegenden Fall die in der
Beschwerdeschrift zugemessene Bedeutung zukommen sollte, klarerweise von einer
solchen auszugehen wäre. Die Vorinstanz, auf deren Entscheid auch in diesem
Punkt vollumfänglich verwiesen wird (Art. 109 Abs. 3 BGG), konnte somit zu
Recht davon ausgehen, dass das sicherheitspolizeiliche Interesse an einer
Ausreise des mit der türkischen Sprache, Kultur und Gepflogenheiten hinreichend
vertrauten, unverheirateten und kinderlosen Beschwerdeführers sein privates
Interesse an einem Verbleib in der Schweiz überwiegt, weshalb sich der Widerruf
seiner Niederlassungsbewilligung als verhältnismässig erweist (Art. 5 Abs. 2
BV; Art. 96 AuG; Art. 8 Ziff. 2 EMRK).

3.
Mit diesem Urteil wird das Gesuch um Erteilung der aufschiebenden   Wirkung
gegenstandslos. Angesichts des Verfahrensausgangs sind die Gerichtskosten dem
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Parteientschädigungen
werden nicht gesprochen (Art. 68 Abs. 1 und Abs. 3 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 1'500.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des
Kantons Bern und dem Staatssekretariat für Migration schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 15. September 2016

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Seiler

Die Gerichtsschreiberin: Mayhall

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