Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.740/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
2C_740/2016

Urteil vom 13. Februar 2017

II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Seiler, Präsident,
Bundesrichter Donzallaz, Stadelmann,
Gerichtsschreiberin Petry.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Peter Pfammatter,

gegen

Dienststelle für Bevölkerung und Migration,

Staatsrat des Kantons Wallis.

Gegenstand
Widerruf der Niederlassungsbewilligung,

Beschwerde gegen das Urteil des Kantons-
gerichts Wallis, Öffentlichrechtliche Abteilung,
vom 23. Juni 2016.

Sachverhalt:

A.
A.________ (geb. 1985) ist türkischer Staatsangehöriger. Am 18. März 2000
reiste er im Rahmen des Familiennachzugs in die Schweiz ein und erhielt eine
Aufenthaltsbewilligung, welche in der Folge in eine Niederlassungsbewilligung
umgewandelt wurde. Er ist mit einer Landsfrau (geb. 1987) verheiratet, welche
seit November 2006 in der Schweiz lebt. Das Ehepaar hat zwei Töchter (geb. 2011
bzw. 2013). Die Ehefrau und die Töchter verfügen ebenfalls über
Niederlassungsbewilligungen.
Am 1. April 2014 verurteilte das erste Kreisgericht für die Bezirke des
Oberwallis A.________ wegen Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz zu
einer bedingten Freiheitsstrafe von 24 Monaten unter Ansetzung einer Probezeit
von drei Jahren.

B.
Mit Verfügung vom 22. Juli 2014 widerrief die kantonale Dienststelle für
Bevölkerung und Migration (hiernach: Migrationsamt) die
Niederlassungsbewilligung von A.________ und setzte ihm eine Ausreisefrist. Die
gegen die Verfügung eingereichte Beschwerde beim Staatsrat des Kantons Wallis
blieb erfolglos (Entscheid vom 16. September 2015). Die dagegen erhobene
Beschwerde wies das Kantonsgericht Wallis mit Urteil vom 23. Juni 2016
ebenfalls ab.

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 29. August 2016
beantragt A.________ die Aufhebung des angefochtenen Urteils. Vom verfügten
Widerruf der Niederlassungsbewilligung sei abzusehen.
Mit Präsidialverfügung vom 30. August 2016 wurde der Beschwerde antragsgemäss
die aufschiebende Wirkung erteilt.
Das Bundesgericht hat die vorinstanzlichen Akten eingeholt und auf einen
Schriftenwechsel verzichtet.

Erwägungen:

1.
Gegen den Entscheid eines oberen kantonalen Gerichts betreffend den Widerruf
der Niederlassungsbewilligung steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten offen (Art. 82 lit. a und Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2
BGG), weil grundsätzlich ein Anspruch auf den Fortbestand der
Niederlassungsbewilligung gegeben ist (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG e contrario;
BGE 135 II 1 E. 1.2.1 S. 4). Die Beschwerde wurde unter Einhaltung der
gesetzlichen Frist (Art. 100 Abs. 1 und Art. 46 Abs. 1 lit. b BGG) und Form
(Art. 42 BGG) eingereicht, und der Beschwerdeführer ist zur Erhebung des
Rechtsmittels legitimiert (Art. 89 Abs. 1 BGG). Auf die Beschwerde ist
einzutreten.

2.

2.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine
Rechtsverletzung nach Art. 95 und Art. 96 BGG gerügt werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist daher weder
an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der
Vorinstanz gebunden (BGE 139 II 404 E. 3 S. 415). In Bezug auf die Verletzung
von Grundrechten gilt indessen eine qualifizierte Rüge- und
Substanziierungspflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 139 I 229 E. 2.2 S. 232; 136
II 304 E. 2.5 S. 314).

2.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten
Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). "Offensichtlich
unrichtig" bedeutet dabei "willkürlich" (BGE 140 III 115 E. 2 S. 116 f.). Die
beschwerdeführende Partei kann die Feststellung des Sachverhalts unter den
gleichen Voraussetzungen beanstanden, wenn die Behebung des Mangels für den
Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Eine
entsprechende Rüge ist substanziiert vorzubringen (BGE 137 II 353 E. 5.1 S.
356; 136 II 304 E. 2.5 S. 314).

3.
Durch die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten ist der
Widerrufsgrund nach Art. 63 Abs. 2 AuG (SR 142.20) i.V.m. Art. 62 lit. b AuG
erfüllt, was der Beschwerdeführer anerkennt. Zu prüfen bleibt die
Verhältnismässigkeit der Massnahme im Sinn von Art. 96 Abs. 1 AuG bzw. Art. 8
Ziff. 2 EMRK, wobei insbesondere die Art und Schwere der vom Betroffenen
begangenen Straftaten und des Verschuldens, der Grad der Integration bzw. die
Dauer der bisherigen Anwesenheit in der Schweiz sowie die dem Betroffenen und
seiner Familie drohenden Nachteile zu berücksichtigen sind. Die Vorinstanz hat
die Rechtsprechung zur Interessenabwägung bei Betäubungsmitteldelinquenz
(insbesondere BGE 139 I 145 E. 2.4 und 2.5 S. 149 ff.; 139 I 31 E. 2 S. 32 ff.;
Urteil des EGMR  Koffi gegen Schweiz vom 15. November 2012 [Nr. 38005/07] § 65
ff.) zutreffend und ausführlich wiedergegeben; es kann darauf verwiesen werden
(vgl. E. 5.1 bis 5.6 des angefochtenen Entscheids).

4.

4.1. Den unbestrittenen Feststellungen der Vorinstanz zufolge hatte der
Beschwerdeführer im Zeitraum zwischen Sommer 2008 und April/Mai 2012 insgesamt
270 g Kokain erworben und rund 230 g weiterverkauft; 40 g hatte er während
dieser Zeit selbst konsumiert. In der Anklageschrift, welcher der
Beschwerdeführer zugestimmt hatte, wurde sein Verschulden als gross bezeichnet.
Er hatte aus eigenem Antrieb und ohne sich in einer persönlichen Notlage
befunden zu haben, mit dem Betäubungsmittelhandel begonnen und dabei die
Gefährdung der Gesundheit anderer Menschen in Kauf genommen. Zwar hat er auch
selbst Kokain konsumiert; weder aus dem vorinstanzlichen Urteil noch aus der
Beschwerdeschrift geht jedoch hervor, dass der Delinquenz des Beschwerdeführers
eine Suchterkrankung zugrunde liege. Zum weitaus grössten Teil diente der
Erwerb des Kokains denn auch dem Weiterverkauf und damit rein finanziellen
Interessen.

4.2. Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, vermag nicht zu überzeugen.
Zwar trifft zu, dass es sich beim verfahrensauslösenden Strafurteil um seine
erste Verurteilung handelt; dieser lag jedoch eine fortgesetzte Delinquenz von
fast vier Jahren zugrunde. Damit ist die Auffassung der Vorinstanz, der
Beschwerdeführer habe sich während mehrerer Jahre immer wieder dazu
entschieden, das Gesetz zu brechen, nicht zu beanstanden. Bei der Würdigung des
ausländerrechtlichen Verschuldens ist auch der Tatsache Rechnung zu tragen,
dass der Beschwerdeführer die strafbaren Handlungen nicht eigenständig
einstellte. Diese nahmen erst mit seiner Festnahme ein Ende.
Sodann kann - entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers - nicht davon
ausgegangen werden, dass aufgrund des vom Gericht gewährten Aufschubs des
Vollzugs der Freiheitsstrafe keine Rückfallgefahr bestehen würde. Es ist
durchaus nachvollziehbar, wenn die Vorinstanz ein gewisses Rückfallrisiko nicht
völlig auszuschliessen vermochte. Immerhin hatte der Beschwerdeführer ohne
Notlage und trotz stabiler Familienverhältnisse und fester Anstellung über
mehrere Jahre mit einer qualifizierten Menge an Kokain gehandelt. Hinzu kommt,
dass bei Drogendelikten aus rein finanziellen Motiven selbst ein geringes
Rückfallrisiko nicht in Kauf genommen werden muss und generalpräventive
Überlegungen mitberücksichtigt werden dürfen. Ergänzend kann darauf hin
gewiesen werden, dass nach Art. 66a Abs. 1 lit. o StGB eine Verurteilung - wie
hier - im Rahmen von Art. 19 Abs. 2 des Betäubungsmittelgesetzes (BetmG; SR
812.121) seit dem 1. Oktober 2016 als Anlasstat für eine obligatorische
strafrechtliche Landesverweisung gilt. Auch wenn die entsprechende Bestimmung
im vorliegenden Fall keine Anwendung findet, unterstreicht sie doch die
Bedeutung, welche der Verfassungs- und Gesetzgeber dem qualifizierten
Drogenhandel im Hinblick auf die Gefährdung der öffentlichen Gesundheit
beimisst (Umsetzung von Art. 121 Abs. 3-6 BV über die Ausschaffung krimineller
Ausländerinnen und Ausländer [AS 2016 2331]).

4.3. Insgesamt ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz das
sicherheitspolizeiliche Interesse an der Fernhaltung des Beschwerdeführers als
gewichtig einstufte.

5.
Dem öffentlichen Interesse an der Wegweisung des Beschwerdeführers sind die
privaten Interessen an dessen Verbleib in der Schweiz gegenüberzustellen. In
diesem Zusammenhang sind seine persönlichen Verhältnisse zu prüfen.

5.1. Der Beschwerdeführer lebt seit März 2000 in der Schweiz. Aufgrund dieser
langen Aufenthaltsdauer stellt der Widerruf der Niederlassung zweifellos eine
besondere Härte dar. Diese wird aber dadurch relativiert, dass er erst im Alter
von 15 Jahren in die Schweiz gekommen ist. Er hat somit prägende Kinder- und
Jugendjahre in der Türkei verbracht und ist mit der Sprache, Kultur und den
Gepflogenheiten seines Heimatlandes vertraut. Seine Behauptung, es verbinde ihn
nichts mehr mit seinem Heimatland, ist offensichtlich unzutreffend. Den
unbestrittenen vorinstanzlichen Feststellungen zufolge hat der Beschwerdeführer
seine Frau in der Türkei kennen gelernt und dort geheiratet. Zwar leben seine
Eltern und Geschwister in der Schweiz. Ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis
zu ihnen, welches seine Anwesenheit in der Schweiz erforderlich machen würde,
ist jedoch nicht dargetan. Andere vertiefte soziale Bindungen zur Schweiz sind
nicht ersichtlich und werden vom Beschwerdeführer auch nicht vorgebracht. Auch
in beruflicher Hinsicht würde er durch die Wegweisung nicht aus einem stabilen
Umfeld gerissen. Er hat keine Berufsausbildung abgeschlossen und bisher meist
nur befristete Arbeitsverträge erhalten. Zwar verfügte er zwischen September
2010 und November 2012 über eine feste Anstellung; diese hat er jedoch aufgrund
der Untersuchungshaft verloren. Dass der Beschwerdeführer die politischen
Entwicklungen in der Türkei nicht gutheisst, lässt eine Rückkehr in sein
Heimatland nicht unzumutbar erscheinen. Dasselbe gilt - wie die Vorinstanz mit
Verweis auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung zutreffend festhält - für den
Militärdienst, den er im Falle einer Rückkehr in die Türkei angeblich zu
absolvieren hätte. Insgesamt stehen daher einer Wiedereingliederung des
Beschwerdeführers im Heimatland keine unüberwindlichen Hindernisse entgegen,
zumal er mit 31 Jahren noch vergleichsweise jung ist.

5.2. Auch die Würdigung der familiären Verhältnisse führt nicht zu einem
anderen Ergebnis. Die 2006 in die Schweiz nachgezogene Ehefrau des
Beschwerdeführers stammt ebenfalls aus der Türkei, wo sie aufgewachsen ist.
Ihre Anwesenheitsberechtigung bleibt durch die Wegweisung des Beschwerdeführers
unangetastet. Dessen ungeachtet wäre es der Ehefrau nicht unzumutbar, dem
Beschwerdeführer in die gemeinsame Heimat zu folgen. Da sie keiner
Erwerbstätigkeit nachgeht, wäre auch für sie eine Ausreise nicht mit der
Aufgabe eines stabilen beruflichen Umfelds verbunden. Die 2011 bzw. 2013
geborenen gemeinsamen Kinder sind noch in einem anpassungsfähigen Alter und
haben ausserhalb der Familie in der Schweiz keinen wesentlichen eigenen Bezugs-
und Integrationsrahmen aufgebaut. Auch ihnen ist zuzumuten, ihren Eltern in die
gemeinsame Heimat zu folgen, falls die Mutter dem Vater in die Türkei folgen
sollte. Dass die Familie unbedingt in der Schweiz die Familiengemeinschaft
fortsetzen möchte, wie der Beschwerdeführer geltend macht, genügt nicht, um
eine Rückkehr in die Heimat als unzumutbar einzustufen.

5.3. In Anbetracht aller Umstände hat die Vorinstanz kein Bundes- oder
Konventionsrecht verletzt, indem sie das öffentliche Interesse am Schutz der
Bevölkerung vor weiteren Straftaten dem Interesse des Beschwerdeführers, in der
Schweiz verbleiben zu können, hat vorgehen lassen. Der Widerruf der
Niederlassungsbewilligung erweist sich als verhältnismässig.

5.4. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass eine strafrechtliche Verurteilung
die Erteilung einer neuen Aufenthaltsbewilligung nicht zwingend ein für allemal
verunmöglicht. Soweit die ausländische Person, gegen die Entfernungsmassnahmen
ergriffen wurden, nach wie vor einen Rechtsanspruch auf Erteilung einer
Aufenthaltsbewilligung hat, kann nach einer gewissen Zeit, in der Regel nach
fünf Jahren, eine Neubeurteilung angezeigt sein, sofern die betreffende Person
das Land verlassen und sich in dieser Zeit bewährt hat (Urteil 2C_1224/2013 vom
12. Dezember 2014 E. 5.1.2, mit Hinweisen).

5.5. Die Beschwerde ist abzuweisen. Der unterliegende Beschwerdeführer trägt
die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Eine Parteientschädigung ist nicht
zuzusprechen (Art. 68 Abs. 3 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Kantonsgericht Wallis,
Öffentlichrechtliche Abteilung, und dem Staatssekretariat für Migration
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 13. Februar 2017

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Seiler

Die Gerichtsschreiberin: Petry

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