Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.671/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
2C_671/2016        

Urteil vom 20. April 2017

II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Seiler, Präsident,
Bundesrichter Zünd,
Bundesrichter Donzallaz,
Gerichtsschreiberin Mayhall.

Verfahrensbeteiligte
A.________, vertreten durch Rechtsanwältin Andrea Meier,
Beschwerdeführer,

gegen

Amt für Migration und Integration des Kantons Aargau, Rechtsdienst.

Gegenstand
Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung
und Wegweisung,

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau, 2.
Kammer, vom 29. Juni 2016.

Sachverhalt:

A. 
A.________ ist serbischer Staatsangehöriger. Er heiratete am 15. September 2011
in Serbien eine schweizerische Staatsangehörige, worauf er am 23. Januar 2012
in die Schweiz einreiste und ihm eine letztmals bis 31. Januar 2016 verlängerte
Aufenthaltsbewilligung erteilt wurde. Am 12. Februar 2015 zog der
Beschwerdeführer aus der ehelichen Wohnung aus. Am 26. Mai 2015 teilte die
Ehefrau dem Amt für Migration und Integration des Kantons Aargau mit, sie habe
nach Einsicht in das Facebook-Konto von A.________ feststellen müssen, dass
dieser seit eineinhalb Jahren in Kroatien eine Freundin habe, mit welcher er
sich am 24. Oktober 2014 verlobt habe; gestützt auf diese Feststellungen müsse
sie davon ausgehen, dass es sich bei ihrer Ehe nur um eine Aufenthaltsehe
gehandelt habe. Nach Einsicht in Abbildungen, die A.________ auf seinem
Facebook-Profil gepostet hatte, und Gewährung des rechtlichen Gehörs verfügte
das kantonale Migrationsamt am 10. August 2015, dass die Aufenthaltsbewilligung
von A.________ nicht mehr verlängert werde, und setzte ihm eine Ausreisefrist
an.

B. 
A.________ erhob gegen diese Verfügung vom 10. August 2015 Einsprache beim
Rechtsdienst des kantonalen Migrationsamtes, die am 13. November 2015
abgewiesen wurde. Das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau wies seine dagegen
geführte Beschwerde mit Urteil vom 29. Juni 2016 ab, soweit es darauf eintrat.

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 2. August 2016 an
das Bundesgericht beantragt A.________, das Urteil des kantonalen
Verwaltungsgerichts vom 29. Juni 2016 sei kostenfällig aufzuheben, seine
Aufenthaltsbewilligung sei zu verlängern, und auf seine Wegweisung sei zu
verzichten, eventualiter sei die Angelegenheit zu neuem Entscheid an die
Vorinstanz zurückzuweisen. Er ersucht für das bundesgerichtliche Verfahren um
unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
Die Vorinstanz und das kantonale Migrationsamt schliessen auf Abweisung der
Beschwerde. Mit Verfügung vom 4. August 2016 erteilt der Präsident der II.
öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts der Beschwerde die
aufschiebende Wirkung.

Erwägungen:

1.

1.1. Der Beschwerdeführer hat frist- (Art. 100 Abs. 1 BGG) und formgerecht
(Art. 42 BGG) eine Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
eingereicht. Sie richtet sich gegen einen kantonalen Endentscheid (Art. 90 BGG)
auf dem Gebiet des Ausländerrechts. Der mit einer schweizerischen
Staatsangehörigen verheiratete, nicht mehr mit dieser zusammenwohnende
Beschwerdeführer macht in vertretbarer Weise einen Anspruch auf Verlängerung
seiner Aufenthaltsbewilligung (Art. 50 des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005
über die Ausländerinnen und Ausländer [AuG; SR 142.20]) geltend. Die Beschwerde
in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist zulässig (Art. 83 lit. c Ziff. 2
e contrario BGG; BGE 135 II 1 E. 1.2.1 S. 4). Die Wegweisung ist vom
Beschwerdeführer nur als Folge des Bewilligungswiderrufes angefochten.

1.2. Der Beschwerdeführer, der am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen hat
und mit seinen Anträgen unterlegen ist, hat ein schutzwürdiges Interesse an der
Aufhebung des angefochtenen Urteils, wodurch der Widerruf seiner
Niederlassungsbewilligung beseitigt würde. Er ist zur Beschwerde legitimiert
(Art. 89 Abs. 1 BGG).

1.3. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine
Rechtsverletzung nach Art. 95 und Art. 96 BGG gerügt werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), doch prüft es, unter
Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1
und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Vorbringen, sofern
allfällige weitere rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE
138 I 274 E. 1.6 S. 280 mit Hinweis). Die Verletzung von Grundrechten sowie von
kantonalem und interkantonalem Recht untersucht es in jedem Fall nur insoweit,
als eine solche Rüge in der Beschwerde präzise vorgebracht und begründet worden
ist (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 139 I 229 E. 2.2 S. 232; 134 II 244 E. 2.2 S.
246; 133 II 249 E. 1.4.2 S. 254; Urteil 2C_124/2013 vom 25. November 2013 E.
1.6).

1.4. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten
Sachverhalt zu Grunde (Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn, dieser sei
offensichtlich unrichtig oder beruhe auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG (Art. 105 Abs. 2 BGG). Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz
kann von Amtes wegen oder auf Rüge hin berichtigt oder ergänzt werden, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art.
95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens
entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG). Offensichtlich
unrichtig festgestellt ist ein Sachverhalt, wenn er willkürliche Feststellungen
beinhaltet (BGE 137 I 58 E. 4.1.2 S. 62). Obwohl nicht ausdrücklich im Gesetz
erwähnt, beruht auch eine unvollständige Sachverhaltsfeststellung auf einer
Rechtsverletzung. Was rechtserheblich ist, bestimmt das materielle Recht; eine
in Verkennung der Rechtserheblichkeit unvollständige Erstellung der für die
rechtliche Beurteilung massgeblichen Tatsachen stellt demzufolge eine
Verletzung materiellen Rechts dar (BGE 136 II 65 E. 1.4 S. 68, 134 V 53 E. 4.3
S. 62; ULRICH MEYER, Wege zum Bundesgericht - Übersicht und Stolpersteine, ZBJV
146/2010 S. 857). Die dem Bundesgericht eingeräumte Befugnis zur
Sachverhaltsergänzung oder -berichtigung entbindet den Beschwerdeführer dennoch
nicht von seiner Rüge- und Substanziierungspflicht (BGE 133 IV 286 E. 6.2 S.
288). Der Beschwerdeführer muss rechtsgenügend dartun, dass und inwiefern der
festgestellte Sachverhalt in diesem Sinne mangelhaft erscheint und die Behebung
des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs.
1 in Verbindung mit Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG). Rein
appellatorische Kritik an der Sachverhaltsermittlung und an der Beweiswürdigung
genügt den Begründungs- bzw. Rügeanforderungen nicht (vgl. BGE 139 II 404 E.
10.1 S. 445 mit Hinweisen).

2. 
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 50 AuG. Er sei im Zeitpunkt
der Auflösung des gemeinsamen Haushalts seit über drei Jahren mit einer
schweizerischen Staatsangehörigen verheiratet gewesen und habe einen Anspruch
auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung, weil er sowohl erfolgreich
integriert sei (Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG) wie auch wichtige Gründe für seinen
weiteren Aufenthalt (Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG) in der Schweiz vorliegen
würden. Die Vorinstanz, die den Schluss gezogen habe, sein Ehewille sei vor
Ablauf der dreijährigen Frist erloschen, habe Art. 50 AuG und Art. 9 BV
verletzt. Die Nichtverlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung trotz bestehendem
Anspruch verletze deswegen, weil er einer Arbeitstätigkeit nachgehe, seine
Rechnungen bezahle und nicht von der Fürsorge abhängig sei, das
Verhältnismässigkeitsprinzip (Art. 96 AuG; Art. 5 Abs. 2 BV).

2.1. Die Vorinstanz hat einen Anspruch des Beschwerdeführers gestützt auf Art.
50 Abs. 1 AuG deswegen verneint, weil die Ehegemeinschaft des Beschwerdeführers
nicht die geforderten drei Jahre gedauert habe. Dass die Ehe nur (noch) formell
und ohne Aussicht auf Aufnahme bzw. Wiederaufnahme einer ehelichen Gemeinschaft
besteht, entzieht sich in der Regel einem direkten Beweis und ist oft nur auf
Grund von Indizien zu erstellen. Feststellungen über das Bestehen von solchen
Hinweisen können äussere Begebenheiten, aber auch innere psychische Vorgänge
betreffen. In beiden Fällen handelt es sich um tatsächliche Feststellungen, die
das Bundesgericht nur auf offensichtliche Unrichtigkeit und auf
Rechtsverletzungen hin (Art. 97 Abs. 1 BGG) überprüft; in die vorinstanzliche
Beweiswürdigung greift es nur ein, wenn diese willkürlich ist (BGE 129 I 8 E.
2.1 S. 9; Urteil 4A_56/2013 vom 4. Juni 2013 E. 2). Rechtsfrage ist
demgegenüber, ob die festgestellten Tatsachen (Indizien) darauf schliessen
lassen, die Berufung auf die Ehe sei rechtsmissbräuchlich; sie bezwecke
insbesondere die Umgehung fremdenpolizeilicher Vorschriften (BGE 128 II 145 E.
2.3 S. 152).

2.2.

2.2.1. Die Vorinstanz ist ihrer aus der Untersuchungsmaxime fliessenden Pflicht
zur Sachverhaltsabklärung (vgl. dazu Urteil 2C_2/2015 vom 13. August 2015 E.
2.3 mit zahlreichen Hinweisen) sorgfältig nachgekommen. Sie hat in
tatsächlicher Hinsicht festgestellt, die ehelichen Probleme hätten ihren Anfang
bereits Ende Dezember 2013 genommen, als der Ehefrau die IV-Rente entzogen
worden sei. Ab 2014 habe der Beschwerdeführer seinen in Serbien lebenden Sohn
zwei bis dreimal pro Monat besucht, weshalb angesichts seines Arbeitspensums
und des Reisewegs davon ausgegangen werden müsse, dass er ab 2014 den
überwiegenden Anteil seiner Freizeit in Serbien und nicht bei seiner Ehefrau in
der Schweiz verbracht habe. Nicht in Abrede gestellt sei, dass der
Beschwerdeführer im Oktober 2014 eine (flüchtige) aussereheliche Beziehung
geführt und wegen Streitigkeiten mehrmals bei Freunden übernachtet habe. Zudem
sei der Beschwerdeführer bereits 20 Tage nach Ablauf der gemäss Art. 50 Abs. 1
Aug geforderten Mindestdauer des ehelichen Zusammenlebens aus der gemeinsamen
Wohnung ausgezogen. Aus diesen tatsächlichen Feststellungen schloss die
Vorinstanz auf einen ab 2014 fehlenden Ehewillen des Beschwerdeführers.

2.2.2. Die Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach seine Ehefrau ab Entzug der
IV-Rente "streitbereit" geworden sei, die Eheprobleme darauf und nicht auf
seine flüchtige aussereheliche Beziehung zurückzuführen seien, er auch nach
Auszug aus der gemeinsamen ehelichen Wohnung noch Kontakt mit seiner Ehefrau
gehabt und sich bis heute nicht von ihr habe scheiden lassen, was auf einen
dauerhaften Ehewillen schliessen lasse, lassen keine Anzeichen für eine
willkürliche vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung erkennen (vgl. oben E.
1.4). Willkür liegt nicht schon dann vor, wenn eine andere Lösung ebenfalls in
Betracht zu ziehen oder gar vorzuziehen wäre, sondern nur, wenn der
angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen
Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen
Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem
Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 138 IV 13 E. 5.1 S. 22; 134 II 124 E.
4.1 S. 133; 132 III 209 E. 2.1 S. 211). Dies ist insbesondere dann der Fall,
wenn das Sachgericht offensichtlich unhaltbare Schlüsse zieht, erhebliche
Beweise übersieht oder solche willkürlich ausser Acht lässt (vgl. BGE 129 I 8
E. 2.1 S. 9; 120 Ia 31 E. 4b S. 40). Durch die Wiederholung seiner eigenen
Sichtweise gelingt es dem Beschwerdeführer nicht aufzuzeigen, dass der
tatsächliche Schluss der Vorinstanz von den festgestellten Umständen auf einen
ab 2014 erloschenen Ehewillen (als einer inneren Tatsache) willkürlich sein
soll.

2.3. Ist in sachverhaltsmässiger Hinsicht davon auszugehen, dass der
Beschwerdeführer ab 2014 keinen Ehewillen mehr hatte, liegt in der Verweigerung
der Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung des Beschwerdeführers keine
Verletzung von Bundesrecht. Wie die Vorinstanz zutreffend erkannte, setzt Art.
50 Abs. 1 AuG voraus, dass die Ehegemeinschaft im Zeitpunkt ihrer Auflösung
mehr als drei Jahre gedauert hat, was nicht der Fall ist, wenn der innere
Ehewille vor Ablauf dieser Frist erloschen ist und die Eheleute nur noch der
Form halber zusammen gewohnt haben (THOMAS HUGI YAR, Von Trennungen,
Härtefällen und Delikten - Ausländerrechtliches rund um die Ehe- und
Familiengemeinschaft, Jahrbuch für Migrationsrecht 2012/2013, 2013, S. 70 f.).
Ebensowenig verletzt die Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung des
Beschwerdeführers, der in seinem Heimatstaat geboren, aufgewachsen und
sozialisiert worden ist sowie dort über enge Familienangehörige (etwa seinen
Sohn) verfügt und nur vier Jahre in der Schweiz verbracht hat, das
Verhältnismässigkeitsprinzip von Art. 96 AuG oder Art. 5 Abs. 2 BV. Die
Beschwerde erweist sich als unbegründet und ist abzuweisen.

3. 
Bei diesem Verfahrensausgang wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 68
Abs. 1 BGG). Seinem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung im
bundesgerichtlichen Verfahren kann wegen Aussichtslosigkeit nicht entsprochen
werden (Art. 64 BGG). Parteientschädigungen werden nicht gesprochen (Art. 68
Abs. 1 und Abs. 3 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung im bundesgerichtlichen Verfahren wird abgewiesen.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4. 
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des
Kantons Aargau und dem Staatssekretariat für Migration schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 20. April 2017

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Seiler

Die Gerichtsschreiberin: Mayhall

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