Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.655/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
2C_655/2016        

Urteil vom 17. Juli 2017

II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Seiler, Präsident,
Bundesrichterin Aubry Girardin,
Bundesrichter Stadelmann,
Gerichtsschreiberin Fuchs.

Verfahrensbeteiligte
A.________ AG in Liquid ation,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch B&P tax and legal AG,

gegen

Steuerverwaltung des Kantons Zug,
Dienststelle Steuern des Kantons Luzern.

Gegenstand
Staats- und Gemeindesteuern der Kantone Zug und Luzern für die Steuerperiode
1.7.2009 - 30.6.2010 (Verbot der interkantonalen Doppelbesteuerung),

Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Luzern, 4. Abteilung, vom 30.
Juni 2016.

Sachverhalt:

A.
Bei der A.________ AG handelte es sich um eine (inzwischen liquidierte)
Aktiengesellschaft mit Sitz in U.________, Kanton Luzern. Sie bezweckte im
Wesentlichen die Entwicklung, die Produktion und den Verkauf von Messanlagen,
Software und Geräten der Leckortungstechnik für Versorgungsunternehmen. Per 2.
Juli 2009 verlegte sie ihren statutarischen Sitz in den Kanton Zug, wobei eine
Betriebsstätte in U.________ verblieb.

B.

B.a. Für die Steuerperiode vom 1. Juli 2009 bis 30. Juni 2010 deklarierte die
A.________ AG in Liquidation gegenüber dem Kanton Zug einen steuerbaren
Reingewinn von Fr. 261'395.--. Die Steuererklärung enthielt keinen Hinweis auf
die Betriebsstätte im Kanton Luzern. Die Steuerverwaltung des Kantons Zug
veranlagte die A.________ AG in Liquidation mit Verfügung vom 30. Januar 2012
deklarationsgemäss mit einem steuerbaren Reingewinn von Fr. 261'300.-- zum Satz
von Fr. 260'600.-- sowie einem steuerbaren Eigenkapital von Fr. 871'000.-- zum
Satz von Fr. 869'000.--. Die Veranlagung ist unangefochten in Rechtskraft
erwachsen.

B.b. Am 19. August 2014 forderte die Dienststelle Steuern des Kantons Luzern,
Abteilung Unternehmenssteuer und Juristische Personen, verschiedene Unterlagen
von der A.________ AG in Liquidation ein. Mit Veranlagungsvorschlag vom 3.
Februar 2015 stellte sie ihr in Aussicht, sie für die Steuerperiode 1. Juli
2009 bis 30. Juni 2010 mit einem steuerbaren Reingewinn von Fr. 287'000.-- zum
Satz von Fr. 230'100.-- und einem steuerbaren Kapital von Fr. 840'000.-- zum
Satz von Fr. 0.-- zu veranlagen. Die A.________ AG in Liquidation ersuchte in
der Folge die Steuerverwaltung des Kantons Zug um Revision der
Veranlagungsverfügung vom 30. Januar 2012. Die Steuerverwaltung wies dieses
Gesuch mit Entscheid vom 6. März 2015 ab. Die A.________ AG in Liquidation hat
dagegen kein Rechtsmittel erhoben.

B.c. Die Dienststelle Steuern des Kantons Luzern veranlagte die A.________ AG
in Liquidation in der Folge am 15. Mai 2015 gemäss Ankündigung. In der
Steuerausscheidung wurden 20% des Gewinns für Sitz und Verwaltung an den
Hauptsitz ausgeschieden und der Restgewinn als Betriebsstätten-Ergebnis in
U.________ belassen. Zur Begründung führte die Dienststelle aus, die A.________
AG in Liquidation habe lediglich ihren formellen Sitz nach Zug verlegt, während
die betriebliche Tätigkeit in U.________ verblieben sei.

C.

C.a. Die dagegen erhobene Einsprache wies die Dienststelle Steuern,
Steuerkommission juristische Personen, mit Entscheid vom 19. August 2015 ab.
Gegen den Einspracheentscheid erhob die A.________ AG in Liquidation Beschwerde
an das Kantonsgericht Luzern mit folgenden Rechtsbegehren:

"1. Der Einspracheentscheid vom 19. August 2015 sei aufzuheben.
2. Die Veranlagungsverfügung des Kantons Zug für die Kantons- und
Gemeindesteuern 2010 vom 30. Januar 2012 sei aufzuheben.
3. Der im Kanton Luzern steuerbare Reingewinn für die Staats- und
Gemeindesteuern 2010 sei nach den Grundsätzen des Verbots der interkantonalen
Doppelbesteuerung auf Fr. 202'195.59 zum Satz von Fr. 287'754.-- festzulegen.
4. Der im Kanton Zug steuerbare Reingewinn für die Kantons- und Gemeindesteuern
2010 sei nach den Grundsätzen des Verbots der interkantonalen Doppelbesteuerung
auf Fr. 85'558.41 zum Satz von Fr. 287'754.-- festzulegen.
5. Der Kanton Zug sei anzuweisen, die für die Steuerperiode 2010 zu viel
bezogenen Steuern unter gleichzeitiger Ausrichtung eines Vergütungszinses nach
den jeweils gültigen Zinssätzen zurückzuerstatten.
- Unter Kosten- und Entschädigungsfolge."

C.b. Am 11. Mai 2016 hob die Dienststelle Steuern den angefochtenen Entscheid
auf und erliess einen neuen Einspracheentscheid, der den angefochtenen
Entscheid ersetzte. Mit dem neuen Entscheid entsprach sie dem Rechtsbegehren
Ziff. 3 der A.________ AG in Liquidation. In der Folge beantragte die
Dienststelle dem Kantonsgericht, das Verfahren als gegenstandslos
abzuschreiben. Die A.________ AG in Liquidation hielt dagegen an den übrigen
Rechtsbegehren (Ziff. 2, 4 und 5) fest.

C.c. Mit Urteil vom 30. Juni 2016 hat das Kantonsgericht Luzern die Beschwerde
gutgeheissen, soweit es darauf eingetreten ist, und die A.________ AG in
Liquidation für die Staats- und Gemeindesteuern der Steuerperiode 1. Juli 2009
bis 30. Juni 2010 wie folgt veranlagt:

+----------------------------------------------------------------------+
|                                             |Reingewinn|Kapital      |
|---------------------------------------------+----------+-------------|
|Gesamtfaktoren (Fr.)                         |287'700.00|   840'000.00|
|---------------------------------------------+----------+-------------|
|Steuerbar im Kanton Luzern (Fr.)             |202'200.00|         0.00|
|---------------------------------------------+----------+-------------|
|Steuersatz (%)                               |      3.00|         0.05|
|---------------------------------------------+----------+-------------|
|Einfache Steuern (Fr.)                       |  6'066.00|         0.00|
|---------------------------------------------+----------+-------------|
|Total Kapital- und Gewinnsteuer Kanton Luzern|          |Fr. 23'154.45|
+----------------------------------------------------------------------+

D.
Mit Eingabe vom 19. Juli 2016 erhebt die A.________ AG in Liquidation
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht und
beantragt die Aufhebung des Urteils des Kantonsgerichts Luzern vom 30. Juni
2016 (Rechtsbegehren 1). Die interkantonale Doppelbesteuerung zwischen den
Kantonen Luzern und Zug sei zu beseitigen und die Veranlagungsverfügung des
Kantons Zug vom 30. Januar 2012 aufzuheben (Rechtsbegehren 2). Der im Kanton
Zug steuerbare Reingewinn für die Kantons- und Gemeindesteuern 2010 sei nach
den Grundsätzen des Verbots der interkantonalen Doppelbesteuerung auf Fr.
85'558.41 zum Satz von Fr. 287'754.-- festzulegen (Rechtsbegehren 3). Der
Kanton Zug sei anzuweisen, die für die Steuerperiode 2010 zu viel bezogenen
Steuern unter gleichzeitiger Ausrichtung eines Vergütungszinses nach den
jeweils gültigen Zinssätzen zurückzuerstatten (Rechtsbegehren 4). Schliesslich
sei die von der Vorinstanz für den Kanton Luzern verfügte Veranlagung eines
steuerbaren Reingewinns von Fr. 202'195.59 zum Satz von Fr. 287'754.-- zu
bestätigen (Rechtsbegehren 5). In verfahrensrechtlicher Hinsicht beantragt die
Beschwerdeführerin zudem, der Beschwerde sei, soweit den Kanton Luzern
betreffend, die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen (Rechtsbegehren 6). Mit der
Beschwerde wird eine Verletzung von Art. 127 Abs. 3 BV gerügt, indem der Kanton
Zug auf dem von der A.________ AG in Liquidation in der Steuerperiode 2010
erzielten steuerbaren Reingewinn einen Steueranspruch erhebe, der eine
unzulässige Doppelbesteuerung nach sich ziehe.
Die Dienststelle Steuern des Kantons Luzern und das Kantonsgericht Luzern
schliessen auf Abweisung der Beschwerde, soweit sich diese gegen das Urteil des
Kantonsgerichts richtet. Der Kanton Zug beantragt die Abweisung der Beschwerde
infolge Verwirkung des Beschwerderechts der A.________ AG in Liquidation.
Eventualiter sei die Beschwerde infolge Verwirkung des Besteuerungsrechts des
Kantons Luzern abzuweisen, jeweils soweit darauf einzutreten sei. Die
Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) hat in ihrer Vernehmlassung auf einen
Antrag verzichtet.
Mit Verfügung vom 25. Juli 2016 wurde das Gesuch um aufschiebende Wirkung
abgewiesen.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerde richtet sich gegen den verfahrensabschliessenden Entscheid
einer letzten kantonalen Instanz in einer Angelegenheit des öffentlichen
Rechts. Die Voraussetzungen der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten liegen vor (Art. 82 lit. a, Art. 83, Art. 86 Abs. 1 lit. d und
Abs. 2, Art. 89 Abs. 1, Art. 90 BGG i.V.m. Art. 73 des Bundesgesetzes vom 14.
Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und
Gemeinden [StHG; SR 642.14]). Auf die Beschwerde ist - mit nachfolgender
Einschränkung (E. 1.2) - einzutreten.

1.2. Bei Beschwerden wegen interkantonaler Kompetenzkonflikte kann auch eine
allenfalls bereits rechtskräftige Veranlagung eines anderen Kantons für
dieselbe Steuerperiode mitangefochten werden (vgl. Art. 100 Abs. 5 BGG), obwohl
es sich dabei in der Regel nicht um ein Urteil im Sinne von Art. 86 BGG handelt
(BGE 133 I 300 E. 2.4 S. 307; 133 I 308 E. 2.4 S. 313). Im vorliegenden Fall
richtet sich die Beschwerde gegen ein Urteil des Kantonsgerichts Luzern. Die
Beschwerdeführerin stellt zudem den Antrag, es sei die bereits rechtskräftige
Veranlagungsverfügung des Kantons Zug für die Kantons- und Gemeindesteuern 2010
vom 30. Januar 2012 aufzuheben (Rechtsbegehren 2) und der im Kanton Zug
steuerbare Reingewinn nach den Grundsätzen des Verbots der interkantonalen
Doppelbesteuerung festzulegen (Rechtsbegehren 3). Ausserdem sei der Kanton Zug
anzuweisen, die für die fragliche Steuerperiode zu viel bezogenen Steuern unter
Ausrichtung eines Vergütungszinses zurückzuerstatten (Rechtsbegehren 4). Damit
gilt die Veranlagungsverfügung des Kantons Zug als mitangefochten und richtet
sich die vorliegende Beschwerde materiell auch gegen den Kanton Zug, welcher
aus diesem Grund zur Vernehmlassung eingeladen wurde.
Allerdings folgt aus dem Doppelbesteuerungsverbot nicht auch die Verpflichtung
zur Leistung eines Vergütungszinses. Ein entsprechender Anspruch müsste sich
aus dem massgebenden kantonalen Recht ergeben. Dass dies für den Kanton Zug
zutrifft, wird in der Beschwerde nicht dargetan, weshalb auf dieses Begehren
nicht eingetreten werden kann (Urteile 2C_204/2016 vom 9. Dezember 2016 E. 1.2,
in: StR 72/2017 S. 232, ASA 85 S. 502; 2P.65/2006 vom 31. August 2006 E. 1.2,
in: RDAF 2006 II S. 518; vgl. auch Urteil 2C_411/2008 vom 28. Oktober 2008 E.
3.2; je mit Hinweisen).

1.3. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann
insbesondere die Verletzung von Bundes- und Völkerrecht gerügt werden (Art. 95
lit. a und b BGG). Bei der Prüfung verfügt das Bundesgericht über volle
Kognition und wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist
daher weder an die in der Beschwerde vorgebrachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann die Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann eine Beschwerde mit einer von
der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen
(Motivsubstitution; BGE 141 V 234 E. 1 S. 236). Die Verletzung von Grundrechten
und von kantonalem (einschliesslich kommunalem) und interkantonalem Recht prüft
das Bundesgericht hingegen nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde
vorgebracht und begründet worden ist (qualifizierte Rüge- und
Begründungspflicht gemäss Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 139 I 229 E. 2.2 S. 232).
Das Bundesgericht prüft die Anwendung des harmonisierten kantonalen
Steuerrechts durch die kantonalen Instanzen grundsätzlich gleich wie
Bundesrecht mit freier Kognition (Art. 95 lit. a BGG). In den Bereichen, in
denen das Steuerharmonisierungsgesetz den Kantonen einen gewissen
Gestaltungsspielraum belässt oder keine Anwendung findet, beschränkt sich die
Kognition des Bundesgerichts auf Willkür (BGE 134 II 207 E. 2 S. 209 f.; 130 II
202 E. 3.1 S. 205 f.; Urteil 2C_837/2014 vom 23. Februar 2015 E. 2.2).

1.4. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten
Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig, das heisst willkürlich, ist oder
auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2
BGG; BGE 140 III 115 E. 2 S. 117). Die beschwerdeführende Partei kann die
Feststellung des Sachverhalts unter den gleichen Voraussetzungen beanstanden,
wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein
kann (Art. 97 Abs. 1 BGG).

2.

2.1. Eine gegen Art. 127 Abs. 3 BV verstossende Doppelbesteuerung liegt vor,
wenn eine steuerpflichtige Person von zwei oder mehreren Kantonen für das
gleiche Steuerobjekt und für die gleiche Zeit zu Steuern herangezogen wird
(aktuelle Doppelbesteuerung) oder wenn ein Kanton in Verletzung der geltenden
Kollisionsnormen seine Steuerhoheit überschreitet und eine Steuer erhebt, die
einem anderen Kanton zusteht (virtuelle Doppelbesteuerung). Im vorliegenden
Fall wurde die Beschwerdeführerin mit der Verlegung ihres statutarischen Sitzes
am 2. Juli 2009 im Kanton Zug unbeschränkt steuerpflichtig (vgl. Art. 20 Abs. 1
StHG; § 51 des Steuergesetzes des Kantons Zug vom 25. Mai 2000 [StG/ZG; BGS
632.1]). Da sie die Betriebsstätte in U.________ behielt, blieb sie im Kanton
Luzern weiterhin, neu aber beschränkt, steuerpflichtig (vgl. Art. 21 Abs. 1
lit. b StHG; § 65 Abs. 1 lit. b des Steuergesetzes des Kantons Luzern vom 22.
November 1999 [StG/LU; SRL Nr. 620]). Damit waren sowohl der Kanton Luzern als
auch der Kanton Zug befugt, in der Steuerperiode vom 1. Juli 2009 bis 30. Juni
2010 von der Beschwerdeführerin Staats- und Gemeindesteuern zu erheben. Während
die Steuerverwaltung des Kantons Zug die interkantonalen Verhältnisse nur
insofern berücksichtigte, als sie infolge des Zeitpunktes der Sitzverlegung (1
Tag nach Beginn der Steuerperiode) eine Ausscheidung pro rata temporis vornahm,
erfolgte die Ausscheidung des Kantons Luzern anhand der Erwerbsfaktoren Kapital
und Arbeit und unter Zuweisung eines Präzipuums an den Kanton Zug. Entsprechend
weichen die Steuerausscheidungen stark voneinander ab: Gemäss vorinstanzlichem
Urteil beansprucht der Kanton Zug rund 99.7% der Aktiven für sich, der Kanton
Luzern, unter Zuweisung eines Präzipuums von 20% des Gewinns an den Kanton Zug,
rund 70% des Gewinns und 0% des Kapitals. Damit liegt - unbestrittenermassen -
eine aktuelle Doppelbesteuerung vor.

2.2. Der Kanton Zug macht geltend, die Beschwerdeführerin habe ihr
Beschwerderecht verwirkt, indem sie die Zuger Steuererklärung 2009/2010 vom 6.
September 2011 vorbehaltlos eingereicht, keine Steuerausscheidung vorgenommen
oder auf andere Weise zum Ausdruck gebracht habe, dass im Kanton Luzern eine
beschränkte Steuerpflicht aufgrund der Betriebsstätte verbleibe. Eventualiter
bringt der Kanton Zug vor, der Kanton Luzern habe sein Besteuerungsrecht
verwirkt, indem er die Einforderungshandlung erst mit Schreiben vom 19. August
2014, und damit verspätet, vorgenommen habe, obwohl ihm die interkantonale pro
rata temporis Steuerausscheidung des Kantons Zug bereits unmittelbar nach der
definitiven Veranlagung vom 30. Januar 2012 zugesandt worden war.
Die Verwirkungseinrede ist vorweg zu klären; stellt sie sich als begründet dar,
ist die Beschwerde abzuweisen. Andernfalls ist der Frage nachzugehen, ob die
Veranlagungsverfügung des Kantons Zug vom 30. Januar 2012 aufzuheben und der
steuerbare Reingewinn neu festzulegen ist und der Beschwerdeführerin die zu
viel bezogenen Steuern zurückzuerstatten sind.

2.3.

2.3.1. Die Beschwerdeführerin macht geltend, keines der gemäss Rechtsprechung
verlangten Kriterien sei erfüllt, weshalb die Verwirkung ihres Beschwerderechts
nicht eingetreten sei. Im Übrigen werde in der Lehre gar die Meinung geäussert,
dass die Verwirkungsfolge unter dem neuen Verfahrensrecht nicht mehr anwendbar
sei.

2.3.2. Gemäss der bisherigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung verwirkte die
steuerpflichtige Person das Recht zur Anfechtung der Veranlagung eines Kantons,
wenn sie ihre dortige Steuerpflicht in Kenntnis des kollidierenden
Steueranspruchs eines andern Kantons vorbehaltlos anerkannte, indem sie sich
etwa ausdrücklich oder stillschweigend der Veranlagung unterwarf, die
Steuererklärung abgab, auf eine Einsprache oder weitere Rechtsmittel
verzichtete und den veranlagten Steuerbetrag bezahlte. Die Verwirkung konnte
sich auch daraus ergeben, dass der Pflichtige im Veranlagungsverfahren seiner
Mitwirkungspflicht nicht nachkam, z.B. wenn er die verlangte Steuererklärung,
die Bilanz und Erfolgsrechnung sowie die Belege seiner Buchhaltung nicht
einreichte oder andere für die Bemessung und die Ausscheidung der
Steuerfaktoren notwendige Angaben verweigerte, so dass zur Ermessensveranlagung
geschritten werden musste (BGE 137 I 273 E. 3.3.3 S. 278; 123 I 264 E. 2d S.
267).

2.3.3. In der Lehre wird dagegen vorgebracht, eines Verwirkungsgrundes
betroffener Personen bedürfe es unter der Herrschaft des BGG nicht mehr. Diese
Verwirkung sei in engstem Zusammenhang mit der Spezialität gestanden, dass im
Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde der kantonale Instanzenzug nicht
ausgeschöpft zu werden brauchte. Den geschilderten Verhaltensweisen könne ohne
Weiteres in den - nun zwingend durchzuführenden - vorinstanzlichen Verfahren
gebührend Rechnung getragen werden (PETER LOCHER, Einführung in das
interkantonale Steuerrecht, 4. Aufl. 2015, S. 153; MICHAEL BEUSCH, in: Zweifel/
Beusch/Mäusli-Allenspach [Hrsg.], Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht,
Interkantonales Steuerrecht, 2011, § 42 Rz. 10). Art. 100 Abs. 5 BGG lasse dem
Beschwerdeführer die Wahl, den ersten Entscheid anzufechten oder den zweiten
kantonalen Entscheid abzuwarten (XAVIER OBERSON, Droit fiscal suisse, 4. Aufl.
2012, § 23 Rz. 82). Es wird aber auch die Auffassung vertreten, dass es sich um
eine Besonderheit des interkantonalen Doppelbesteuerungsrechts handle, die auch
unter dem BGG weiterhin Anwendung finde (DANIEL DE VRIES REILINGH, La double
imposition intercantonale, 2. Aufl. 2013, Rz. 1382).

2.3.4. Das Bundesgericht hatte diese Frage bisher nicht zu klären. Sie kann
allerdings auch im vorliegenden Verfahren offenbleiben, da sich das Vorgehen
der Beschwerdeführerin, wie sogleich zu sehen ist, als treuwidrig erweist und
ihr Verhalten damit schon deswegen keinen Rechtsschutz verdient.

2.4.

2.4.1. Der Kanton Zug macht geltend, die Beschwerdeführerin habe sich dem
Veranlagungsverfahren vorbehaltlos unterworfen und sämtliche Steuerfaktoren
unter die Steuerhoheit des Kantons Zug gestellt. Ein solches Verhalten stelle
eine Anerkennung des zuerst erhobenen Steueranspruchs auf die Gefahr doppelter
Besteuerung dar. Dabei verweist er insbesondere darauf, dass die
Beschwerdeführerin die Steuererklärung des Kantons Zug vorbehaltlos eingereicht
und dabei keine Steuerausscheidung vorgenommen habe. Die Steuerrechnungen habe
sie nach einer ersten Mahnung ebenfalls vorbehaltlos bezahlt. Obwohl sie sich
stets darüber bewusst gewesen sei, dass im Kanton Luzern auch nach dem
Sitzwechsel eine Betriebsstätte verbleibe, habe sie es somit unterlassen, im
Kanton Zug eine Steuerausscheidung einzureichen oder zumindest auf das Bestehen
einer Betriebsstätte hinzuweisen. Der Kanton Zug weist zudem auf die
Organisation und die Vertretungsverhältnisse der Beschwerdeführerin hin:
Verwaltungsratspräsident der Beschwerdeführerin sei ab 2004 B.________,
Rechtsanwalt und diplomierter Steuerexperte, gewesen. Der Sitz der
Beschwerdeführerin habe sich an derselben Adresse wie die Anwaltskanzlei von
B.________ befunden. Zumindest seit dem Zuzug in den Kanton Zug sei diese zudem
durch die B&P tax and legal AG, vertreten. Die zuständige Person, C.________,
sei ebenfalls Rechtsanwalt und Steuerexperte. Auch die B&P tax and legal AG
verfüge über eine Niederlassung im Kanton Zug und zwar an derselben Adresse wie
die Anwaltskanzlei von B.________. Die Beschwerdeführerin verfüge somit nicht
nur über eine steuerrechtlich bestens versierte Vertreterin, sondern in der
Person ihres Verwaltungsratspräsidenten auch über ein steuerrechtlich bestens
versiertes Organ. Angesichts der gegenseitigen Verknüpfungen dürfe unterstellt
werden, dass die Definition der Betriebsstätte sowie die Ausscheidungsregeln
des interkantonalen Steuerrechts umfassend bekannt gewesen seien. Dasselbe
gelte für die operativen Verhältnisse der Beschwerdeführerin in Bezug auf die
Fragen, welches Personal an welchen Orten in welchen Räumlichkeiten Tätigkeiten
für sie verrichtet habe und wo die entsprechenden Lohn- und Mietaufwendungen
angefallen seien. Das gelte umso mehr, als das Firmendomizil an die
Geschäftsadresse des Verwaltungsratspräsidenten verlegt worden sei.

2.4.2. Die Beschwerdeführerin bringt dagegen zwar vor, der Kanton Luzern habe
die Veranlagungsverfügung für die Steuerperiode 2010 erst am 14. Mai 2015
erlassen, weshalb sie erst zu diesem Zeitpunkt, und damit lange nachdem die
Veranlagungsverfügung des Kantons Zug in Rechtskraft erwachsen sei, von einem
kollidierenden Steueranspruch des Kantons Luzern gesicherte Kenntnis erlangt
habe. Angesichts der soeben dargelegten Verhältnisse vermögen ihre Ausführungen
allerdings nicht zu überzeugen. Vielmehr kann nicht davon ausgegangen werden,
dass der Beschwerdeführerin - unbestrittenermassen ein Fabrikationsunternehmen
- das Bestehen der Betriebsstätte im Kanton Luzern entgangen ist, dies umso
weniger, als die Betriebsstätte gemäss Jahresrechnung in der fraglichen
Steuerperiode die gesamten Lohnkosten von über 1.9 Mio. Franken ausschliesslich
im Kanton Luzern aufwies sowie - gemäss Beschwerdeführerin - ein Mietaufwand an
der Betriebsstätte in der Höhe von Fr. 60'000.-- hinzukam. Nachdem im Kanton
Zug einzig der Sitz der Gesellschaft an der Adresse des
Verwaltungsratspräsidenten bestand, die Produktion dagegen an der
Betriebsstätte im Kanton Luzern erfolgte, ist es angesichts dieses Umsatzes
nicht glaubwürdig, dass es der Beschwerdeführerin, deren
Verwaltungsratspräsident wie auch Rechtsvertreter Anwälte und diplomierte
Steuerexperten sind, entgangen sein soll, die Betriebsstätte in der
Steuererklärung des Hauptsteuerdomizils zu deklarieren. Im Gegenteil entsteht
der Eindruck, sie habe versucht, sich zumindest teilweise der Steuerpflicht zu
entziehen. Aus der Bilanz per 30. Juni 2010 ist ersichtlich, dass keine
Sachanlagen mehr vorlagen, weshalb der Kanton Zug annehmen durfte, dass es im
Zusammenhang mit dem Sitzwechsel zu einer Umstrukturierung bzw. Reduktion der
Geschäftstätigkeit gekommen war. Hinweise auf eine verbleibende substantielle
Aktivität im Kanton Luzern liessen sich der Jahresrechnung nicht entnehmen. Es
ist somit davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin sehr wohl wissen
musste, dass nicht der gesamte Reingewinn allein im Kanton Zug steuerbar sein
kann und sie somit die Betriebsstätte ganz bewusst nicht im Kanton Zug
deklariert hat. Ihr Verhalten ist daher nicht zu schützen. Dahingestellt
bleiben kann, ob sie damit auch eine Besteuerung im Kanton Luzern zu vermeiden
versuchte.

2.5. Ebenfalls offengelassen werden kann, ob der Kanton Luzern sein
Besteuerungsrecht verwirkt hat. Ein Kanton, der die für die Steuerpflicht
massgeblichen Tatsachen kennt oder kennen kann, verwirkt sein Recht auf
Besteuerung, wenn er trotzdem mit der Erhebung des Steueranspruchs ungebührlich
lange zuwartet und wenn bei Gutheissung des erst nachträglich erhobenen
Anspruchs ein anderer Kanton zur Rückerstattung von Steuern verpflichtet werden
müsste, die er formell ordnungsgemäss in guten Treuen und in Unkenntnis des
kollidierenden Steueranspruchs bezogen hat. Diese Regelung bezweckt, den die
Einrede erhebenden Kanton davor zu bewahren, schon bezogene Steuern aufgrund
eines an sich vorrangigen, aber erst ungebührlich spät erhobenen
Steueranspruches des anderen Kantons zurückerstatten zu müssen (BGE 139 I 64 E.
3.2 S. 67; 137 I 273 E. 3.3.4 S. 279 f.).
Die Beschwerdeführerin bestreitet die Veranlagung des Kantons Luzern nicht.
Zwar beantragt sie in Rechtsbegehren 1 die Aufhebung des angefochtenen Urteils
(des Kantons Luzern), doch geht aus Rechtsbegehren 5, mit dem sie um
Bestätigung der Veranlagung des Kantons Luzern ersucht, und der
Beschwerdebegründung klar hervor, dass sie diese Veranlagung anerkennt. Auf die
Frage, ob der Kanton Luzern sein Besteuerungsrecht verwirkt hat, wie der Kanton
Zug mit seinem Eventualbegehren einwendet, braucht somit nicht weiter
eingegangen zu werden.

2.6. Das treuwidrige Verhalten der Beschwerdeführerin verdient nach dem
Gesagten keinen Schutz; vielmehr hat diese die Konsequenzen der
Doppelbesteuerung hinzunehmen. Die Beschwerde erweist sich damit als
unbegründet und ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist (E. 1.2).

3.
Bei diesem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten der Beschwerdeführerin
aufzuerlegen (Art. 65 und 66 Abs. 1 BGG). Eine Parteientschädigung ist nicht
auszurichten (Art. 68 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde gegen den Kanton Luzern wird abgewiesen.

2. 
Die Beschwerde gegen den Kanton Zug wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'500.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

4. 
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Kantonsgericht Luzern, 4.
Abteilung, und der Eidgenössischen Steuerverwaltung schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 17. Juli 2017

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Seiler

Die Gerichtsschreiberin: Fuchs

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