Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.625/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
2C_625/2016

Urteil vom 12. Dezember 2016

II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Seiler, Präsident,
Bundesrichter Zünd,
Bundesrichterin Aubry Girardin,
Bundesrichter Donzallaz,
Bundesrichter Haag,
Gerichtsschreiber Winiger.

Verfahrensbeteiligte
Eidgenössisches Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung,
Beschwerdeführer,

gegen

X.________ AG,
Beschwerdegegnerin,

Volkswirtschaftsdirektion des Kantons Zürich,

Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich.

Gegenstand
Einreichung von Arbeitsverträgen, Lohnunterlagen und Arbeitszeitrapporten,

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungs-
gerichts des Kantons Zürich, 4. Abteilung,
vom 18. Mai 2016.

Sachverhalt:

A.
Die Arbeitskontrollstelle für den Kanton Zürich (im Folgenden: AKZ) führte am
16. Februar 2015 auf einer Baustelle in U.________/ZH eine Kontrolle der Lohn-
und Arbeitsbedingungen durch. Am Einsatzort angetroffen und kontrolliert wurde
unter anderem der portugiesische Staatsangehörige A.________, Angestellter der
X.________ AG (im Folgenden: X.________ AG) mit Sitz in V.________/ZH.
Bezugnehmend auf die Baustellenkontrolle vom 16. Februar 2015 forderte die AKZ
die X.________ AG am 4. März 2015 zur Edition diverser Unterlagen betreffend
die Lohn- und Arbeitsbedingungen von A.________ auf. Die mit diesem Schreiben
bzw. mit Ermahnungsschreiben vom 1. April 2015 angesetzten Fristen liess die
X.________ AG ungenutzt verstreichen.

B.
Mit Verfügung vom 19. Mai 2015 ordnete das Amt für Wirtschaft und Arbeit des
Kantons Zürich (AWA) an, B.________, einzelzeichnungsberechtigtes und einziges
Mitglied des Verwaltungsrates der X.________ AG, habe ihm bis spätestens 19.
Juni 2015 Kopien des Arbeitsvertrages, der Lohnabrechnungen der Monate Dezember
2014, Januar und Februar 2015 sowie der entsprechenden Arbeitszeitrapporte des
Arbeitnehmers A.________ zuzustellen (Dispositiv-Ziff. 1) und drohte ihm bei
Nichtbefolgung dieser Verfügung eine Strafanzeige wegen Ungehorsams gegen
amtliche Verfügungen an (Dispositiv-Ziff. 2).
Den dagegen erhobenen Rekurs wies die Volkswirtschaftsdirektion des Kantons
Zürich mit Verfügung vom 25. Januar 2016 ab und setzte der X.________ AG eine
neue Frist zur Einreichung der streitigen Unterlagen bis 1. März 2016. Das
Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 4. Abteilung, hiess die von der
X.________ AG dagegen erhobene Beschwerde mit Urteil vom 18. Mai 2016 gut,
soweit es darauf eintrat. Es hob Dispositiv-Ziff. 1 des Rekursentscheides vom
25. Januar 2016 (Bestätigung der Herausgabepflicht) sowie Dispositiv-Ziff. 1
der Verfügung des AWA vom 19. Mai 2015 auf und regelte die Kosten des
Rekursverfahrens (Dispositiv-Ziff. 2 des Rekursentscheides) neu.

C.
Mit Eingabe vom 4. Juli 2016 erhebt das Eidgenössische Departement für
Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten an das Bundesgericht. Es beantragt, das angefochtene Urteil des
Verwaltungsgerichts vom 18. Mai 2016 sei aufzuheben und die Verfügung des AWA
vom 19. Mai 2015 zu bestätigen. Der Beschwerdegegnerin sei eine neue Frist von
10 Tagen ab Rechtskraft des Bundesgerichtsurteils anzusetzen, um die in der
Verfügung des AWA vom 19. Mai 2015 genannten Unterlagen einzureichen.
Das AWA und die Volkswirtschaftsdirektion des Kantons Zürich beantragen die
Gutheissung der Beschwerde. Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich
verzichtet auf eine Vernehmlassung. Die X.________ AG hat sich nicht vernehmen
lassen.

Erwägungen:

1.

1.1. Der Beschwerdeführer hat frist- (Art. 100 Abs. 1 BGG) und formgerecht
(Art. 42 BGG) eine Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
eingereicht. Sie richtet sich gegen einen von einer letzten kantonalen Instanz
(Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG) gefällten Endentscheid (Art. 90 BGG) in einer
Angelegenheit des öffentlichen Rechts (Art. 82 lit. a BGG). Ein Ausschlussgrund
nach Art. 83 BGG liegt nicht vor. Auf die Beschwerde ist damit grundsätzlich
einzutreten.

1.2. Das WBF ist unmittelbar nach Art. 89 Abs. 2 lit. a BGG zur Beschwerde an
das Bundesgericht legitimiert, wenn der angefochtene Akt geeignet ist,
Bundesrecht in seinem Aufgabenbereich zu verletzen. Die Behördenbeschwerde als
abstraktes Beschwerderecht ermöglicht die gerichtliche Überprüfung hinsichtlich
der richtigen, rechtsgleichen und einheitlichen Anwendung des Bundesrechts (BGE
140 V 321 E. 2.2 S. 324). Das WBF macht geltend, das angefochtene Urteil des
Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 18. Mai 2016 verletze Art. 360b OR
bzw. Art. 7 des Bundesgesetzes vom 8. Oktober 1999 über die flankierenden
Massnahmen bei entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und über die
Kontrolle der in Normalarbeitsverträgen vorgesehenen Mindestlöhne
(Entsendegesetz, EntsG; SR 823.20). Es ist damit zur Behördenbeschwerde
legitimiert (vgl. Art. 17 der Verordnung vom 21. Mai 2003 über die in die
Schweiz entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (EntsV; SR 823.201).

1.3. Die Ausübung dieses Beschwerderechts setzt keine formelle Beschwer der
Behörde im Sinne einer Teilnahme am vorinstanzlichen Verfahren (Art. 89 Abs. 1
lit. a BGG) voraus. Um ungeachtet allfälliger, im vorinstanzlichen
Rechtsmittelverfahren eingetretener Einschränkungen des Streitgegenstandes ihre
Aufsichtsfunktion wahrnehmen zu können, muss eine Behörde die Möglichkeit
haben, eine Korrektur bzw. hier eine Bestätigung der durch die
Rechtsmittelentscheide ersetzten (Devolutiveffekt; BGE 134 II 142 E. 1.4 S.
144) erstinstanzlichen Verfügung zu verlangen, soweit eine
Bundesrechtsverletzung vorliegt (BGE 136 II 359 E. 1.2 S. 363 f.). Der Antrag
des WBF auf Aufhebung des angefochtenen Urteils und auf Bestätigung der
erstinstanzlichen Verfügung des AWA vom 19. Mai 2015, welche die
Beschwerdegegnerin zur Herausgabe von diversen Unterlagen verpflichtet, erweist
sich somit als zulässig.

1.4. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, wie ihn die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann diesen bloss
berichtigen oder ergänzen, wenn er offensichtlich unrichtig, unvollständig oder
in Verletzung wesentlicher Verfahrensrechte ermittelt wurde (Art. 105 Abs. 2
BGG).

1.5. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine
Rechtsverletzung nach Art. 95 und Art. 96 BGG gerügt werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), doch prüft es, unter
Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1
und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Vorbringen, sofern
allfällige weitere rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE
138 I 274 E. 1.6 S. 280 f. mit Hinweis). Es ist nicht gehalten, wie eine
erstinstanzliche Behörde auf alle sich stellenden rechtlichen Fragen
einzugehen, wenn diese ihm nicht mehr unterbreitet werden (BGE 135 II 384 E.
2.2.1 S. 389).

2.

2.1. Zur Abfederung der Auswirkungen des Abkommens zwischen der Schweizerischen
Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren
Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (Freizügigkeitsabkommen,
FZA; SR 0.142.112.681) auf den Arbeitsmarkt hat der schweizerische Gesetzgeber
so genannte flankierende Massnahmen erlassen. Diese bezwecken namentlich den
Schutz vor Sozial- und Lohndumping und sollen für die hiesigen Anbieter und
diejenigen der EU/EFTA-Staaten, die von der beschränkten
Dienstleistungsfreiheit des Freizügigkeitsrechts profitieren, gleiche
Bedingungen ("gleich lange Spiesse") schaffen (Urteil 2C_81/2010 vom 7.
Dezember 2010 E. 1.2; vgl. auch STREIFF/VON KAENEL/RUDOLPH, Arbeitsvertrag, 7.
Aufl. 2012, Art. 360a OR Rz. 1 und 2; JEANNERAT/ MAHON, in: Commentaire du
contrat de travail, 2013, Art. 360a OR Rz. 3).

2.2. Im Zusammenhang mit den flankierenden Massnahmen wurden unter anderem Art.
360a und Art. 360b OR (in der Fassung vom 8. Oktober 1999; AS 2003 1370; BBl
1999 6128) per 1. Juni 2003 (Art. 360b OR) bzw. 1. Juni 2004 (Art. 360a OR) in
Kraft gesetzt. Diese Mindestlohnvorschriften lauten wie folgt:
Art. 360a OR:  1. Voraussetzungen
  ^1 Werden innerhalb einer Branche oder einem Beruf die orts-, berufs- oder
branchenüblichen Löhne wiederholt in missbräuchlicher Weise unterboten und
liegt kein Gesamtarbeitsvertrag mit Bestimmungen über Mindestlöhne vor, der
allgemein verbindlich erklärt werden kann, so kann die zuständige Behörde zur
Bekämpfung oder Verhinderung von Missbräuchen auf Antrag der tripartiten
Kommission nach Artikel 360b einen befristeten Normalarbeitsvertrag erlassen,
der nach Regionen und gegebenenfalls Orten differenzierte Mindestlöhne
vorsieht.
(...)

Art. 360b OR:  2. Tripartite Kommissionen
1 Der Bund und jeder Kanton setzen eine tripartite Kommission ein, die sich aus
einer gleichen Zahl von Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern sowie
Vertretern des Staates zusammensetzt.

 2 (...)

 3 Die Kommissionen beobachten den Arbeitsmarkt. Stellen sie Missbräuche im
Sinne von Artikel 360a Absatz 1 fest, so suchen sie in der Regel eine direkte
Verständigung mit den betroffenen Arbeitgebern. Gelingt dies innert zwei
Monaten nicht, so beantragen sie der zuständigen Behörde den Erlass eines
Normalarbeitsvertrages, der für die betroffenen Branchen oder Berufe
Mindestlöhne vorsieht.

 4 Ändert sich die Arbeitsmarktsituation in den betroffenen Branchen, so
beantragt die tripartite Kommission der zuständigen Behörde die Änderung oder
die Aufhebung des Normalarbeitsvertrags.

 5 Um die ihnen übertragenen Aufgaben wahrzunehmen, haben die tripartiten
Kommissionen in den Betrieben das Recht auf Auskunft und Einsichtnahme in alle
Dokumente, die für die Durchführung der Untersuchung notwendig sind. Im
Streitfall entscheidet eine hierfür vom Bund beziehungsweise vom Kanton
bezeichnete Behörde.
(...)

Ebenfalls im Zusammenhang mit den flankierenden Massnahmen ist per 1. Juni 2004
das Entsendegesetz in Kraft getreten. Dieses regelt gemäss Art. 1 Abs. 1 EntsG
zunächst die minimalen Arbeits- und Lohnbedingungen für Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer, die ein Arbeitgeber mit Wohnsitz oder Sitz im Ausland in die
Schweiz entsendet, damit sie hier für einen bestimmten Zeitraum a) auf seine
Rechnung und unter seiner Leitung im Rahmen eines Vertragsverhältnisses
zwischen ihm und dem Leistungsempfänger eine Arbeitsleistung erbringen oder b)
in einer Niederlassung oder einem Betrieb arbeiten, der zur Unternehmensgruppe
des Arbeitgebers gehört. Gemäss dem am 1. Januar 2013 in Kraft getretenen Art.
1 Abs. 2 EntsG regelt das Entsendegesetz ebenfalls die Kontrolle der
Arbeitgeber, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Schweiz anstellen,
und die Sanktion gegen solche Arbeitgeber, wenn sie gegen Bestimmungen über den
Mindestlohn verstossen, die in einem Normalarbeitsvertrag im Sinne von Artikel
360a OR vorgeschrieben sind. Art. 7 Abs. 2 EntsG hält weiter fest, dass der
Arbeitgeber den tripartiten Kommissionen auf Verlangen alle Dokumente zustellen
muss, welche die Einhaltung der Arbeits- und Lohnbedingungen der
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer belegen.

2.3. In Bezug auf die Funktion und Aufgaben der tripartiten Kommission (vgl.
für den Kanton Zürich: Verordnung vom 30. Oktober 2002 über die tripartite
Kommission für arbeitsmarktliche Aufgaben und die Kontrollbehörde gemäss
Entsendegesetz [VTKP/ZH; LS 823.41]) sind sich die Verfahrensbeteiligten einig,
dass der Begriff "beobachten" in Art. 360b Abs. 3 Satz 1 OR nicht zur Annahme
verleiten darf, die tripartiten Kommissionen könnten sich auf ein passives
Beobachten beschränken; vielmehr sind diese mit breiten
Untersuchungskompetenzen ausgestattet (STREIFF/VON KAENEL/RUDOLPH, a.a.O., Art.
360b OR Rz. 3; JEANNERAT/MAHON, a.a.O., Art. 360b OR Rz. 15; Botschaft vom 23.
Juni 1999 zur Genehmigung der sektoriellen Abkommen zwischen der Schweiz und
der EG, BBl 1999 6407 Ziff. 276.23). Ebenfalls unbestritten ist, dass die
tripartiten Kommissionen ihre Kontrolltätigkeiten (vgl. § 4 VTPK) an
Hilfspersonen delegieren dürfen (STREIFF/ VON KAENEL/RUDOLPH, a.a.O., Art. 360b
OR Rz. 3; vgl. auch Art. 7a Abs. 1 EntsG).

2.4. Umstritten und im Folgenden näher zu prüfen ist die Frage, ob den
tripartiten Kommissionen und ihren Hilfspersonen gestützt auf Art. 360b Abs. 5
Satz 1 OR nicht nur ein Einsichtsrecht in alle Dokumente, die für die
Durchführung der Untersuchung notwendig sind, zusteht, sondern ob sie auch
berechtigt sind, die Arbeitgeber zu verpflichten, diese Dokumente an sie
herauszugeben. Aus der kantonalen Gesetzgebung (VTKP/ZH) lassen sich keine
Hinweise entnehmen, ob es sich um ein blosses Einsichtsrecht oder um ein
Herausgaberecht der tripartiten Kommissionen handelt.

2.4.1. Aufgrund ihrer Auslegung von Art. 360b Abs. 5 OR kommt die Vorinstanz
zum Schluss, dass den tripartiten Kommissionen lediglich die Befugnis zukomme,
in den Betrieben Einsicht in alle Dokumente zu nehmen, die für die Durchführung
der Untersuchung notwendig seien. Aus Art. 360b Abs. 5 OR lasse sich indes kein
eigentlicher Herausgabeanspruch auf Lohnabrechnungen, Arbeitsverträge und
Arbeitszeitrapporte herauslesen; die Bestimmung bilde keine ausreichende
gesetzliche Grundlage für eine Editionsverpflichtung des kontrollierten
Arbeitgebers. Die Vorinstanz hat sodann geprüft, ob die Herausgabepflicht
gemäss Art. 7 Abs. 2 EntsG im vorliegenden Fall eine solche begründe und ob
sich diese Norm analog anwenden lasse. Sie verneint diese Frage und führt aus,
dass den tripartiten Kommissionen bei der Kontrolle lediglich ein Recht auf
Auskunft und Einsichtnahme in sämtliche für eine Untersuchung nach Art. 360b OR
erforderlichen Dokumente des kontrollierten Betriebs zukomme; dagegen bestehe
kein Recht auf Herausgabe dieser Unterlagen analog der Regelung von Art. 7 Abs.
2 EntsG. Aus diesen Gründen erweise sich die Editionsverfügung des AWA vom 19.
Mai 2015 zur Herausgabe der Kopie des Arbeitsvertrags, der Lohnabrechnungen und
der Arbeitszeitrapporte des auf der Baustelle angetroffenen und befragten
Arbeitnehmers als rechtswidrig und sei aufzuheben.

2.4.2. Das WBF macht dagegen geltend, die Herausgabe von Dokumenten sei vom
Wortlaut und Sinn von Art. 360b Abs. 5 OR gedeckt. Für die Auslegung von Art.
360b Abs. 5 OR sei das Entsendegesetz heranzuziehen. Gemäss Art. 7 Abs. 2 EntsG
müssten die Arbeitgeber den tripartiten Kommissionen auf Verlangen alle
Dokumente zustellen, welche die Einhaltung der Arbeits- und Lohnbedingungen
belegen würden. Die dem Urteil der Vorinstanz zu Grunde liegende Auslegung von
Art. 360b Abs. 5 OR hätte zur Folge, dass der Vollzug der
Arbeitsmarktbeobachtung erheblich eingeschränkt würde, weil keine schriftlichen
Kontrollen mehr durchgeführt werden könnten.

3.

3.1. Ausgangspunkt jeder Auslegung ist der Wortlaut des Gesetzes
(grammatikalisches Element). Vom klaren, eindeutigen und unmissverständlichen
Wortlaut darf nur ausnahmsweise abgewichen werden, so etwa dann, wenn triftige
Gründe dafür vorliegen, dass der Wortlaut nicht den wahren Sinn der Norm
wiedergibt. Solche Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte der
Bestimmung, aus ihrem Sinn und Zweck oder aus dem Zusammenhang mit anderen
Vorschriften ergeben. Ist der Text nicht klar und sind verschiedene
Interpretationen möglich, muss nach seiner wahren Tragweite gesucht werden
unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente. Dabei ist namentlich auf die
Entstehungsgeschichte (historisches Element), auf den Zweck der Norm
(teleologisches Element), auf die ihr zugrunde liegenden Wertungen und auf ihre
Bedeutung im Kontext mit anderen Bestimmungen (systematisches Element)
abzustellen (statt vieler: BGE 142 I 135 E. 1.1.1 S. 138 mit Hinweisen).

3.2. Ob das in Art. 360b Abs. 5 OR geregelte "Recht auf Auskunft und
Einsichtnahme in alle Dokumente, die für die Durchführung der Untersuchung
notwendig sind", einen Herausgabeanspruch der tripartiten Kommissionen
mitumfasst, ergibt sich nicht eindeutig aus dem Wortlaut des Gesetzes und
bedarf daher der Auslegung unter Einbezug sämtlicher erwähnter
Auslegungselemente.

3.3. Die tripartiten Kommissionen haben den gesetzlichen Auftrag, den
Arbeitsmarkt zu beobachten und Abklärungen über die üblichen Löhne in einer
bestimmten Branche vorzunehmen (Art. 360b Abs. 3 i.V.m. Art. 360a Abs. 1 OR).
Die Botschaft vom 23. Juni 1999 zur Genehmigung der sektoriellen Abkommen
zwischen der Schweiz und der EG hält dazu Folgendes fest: "Damit die
tripartiten Kommissionen die ihnen übertragenen Aufgaben wahrnehmen können,
räumt ihnen der Entwurf ein Untersuchungsrecht in den Betrieben ein. Wenn sich
die Kommissionen ein genaues Bild der arbeitsmarktlichen Situation machen
wollen - sei dies vor Erlass eines Normalarbeitsvertrags oder in der
Beobachtungsphase nach dem Erlass eines solchen - so ist es notwendig, dass sie
sich die Informationen beschaffen können, die sie benötigen" (BBl 1999 6407
Ziff. 276.23). Der Botschaft vom 1. Oktober 2004 betreffend das Bundesgesetz
zur Revision der flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit kann sodann
entnommen werden, dass der betroffene Betrieb gemäss Art. 360b Abs. 5 OR
verpflichtet ist, die beantragten Dokumente  herauszugeben. Auch wenn diese
Formulierung nicht im Rahmen der Entstehung von Art. 360b OR verwendet worden
ist, sondern erst nachträglich im Zusammenhang mit einer Teilrevision der
flankierenden Massnahmen, liesse sich   schon daraus der Schluss ziehen, der
Gesetzgeber habe mit Art. 360b Abs. 5 OR einen eigentlichen Herausgabeanspruch
der tripartiten Kommissionen einführen wollen. Obwohl die Vorinstanz auf diese
recht eindeutige Formulierung in der Botschaft verwiesen hat (vgl.
angefochtener Entscheid E. 3.2), ist sie der Auffassung, Art. 360b Abs. 5 OR
bilde keine ausreichende gesetzliche Grundlage für eine Editionsverpflichtung,
wie sie vorliegend im Streit stehe.

3.4. Entscheidend ist hier nun aber Folgendes: Für eine historische und
systematische Auslegung von Art. 360b Abs. 5 OR ist auch das Entsendegesetz
heranzuziehen. Das Entsendegesetz ist am 1. Juni 2004 - zusammen mit Art. 360a
OR - in Kraft getreten; Art. 360b OR wurde bereits auf den 1. Juni 2003 in
Kraft gesetzt (AS 2003 1375). Das EntsG hat eine gemeinsame
Entstehungsgeschichte mit Art. 360a ff. OR. Bei beiden gesetzlichen Regelungen
handelt es sich um flankierende Massnahmen zur Einführung der
Personenfreizügigkeit, und sie sollten - zusammen mit der Erleichterung der
Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen - "eine gesetzliche
Grundlage schaffen, um ein Sozial- und/oder Lohndumping zu Lasten der
Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in der Schweiz zu verhindern" (Botschaft vom
23. Juni 1999 zur Genehmigung der sektoriellen Abkommen zwischen der Schweiz
und der EG, BBl 1999 6392 Ziff. 276.12). Die flankierenden Massnahmen sind -
mit Ausnahme von Art. 360b OR - am 1. Juni 2004 in Kraft getreten. Nach
sieben   Jahren Durchführung wurden Anpassungen nötig, die Gegenstand der
Botschaft vom 2. März 2012 zum Bundesgesetz über die Anpassung der
flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit waren (BBl 2012 3397). Was
das EntsG betrifft, wollte der Gesetzgeber die Kontrolle und die Sanktionen der
Bestimmungen über die von den Normalarbeitsverträgen gemäss Art. 360a OR
vorgesehenen Mindestlöhne auf alle Arbeitgeber ausweiten, die in der Schweiz
Arbeitnehmer beschäftigen, nicht nur auf diejenigen mit Sitz im Ausland, die
Arbeitnehmer in die Schweiz entsenden. Daher wurde eine Änderung des Titels,
des Anwendungsbereichs (Art. 1 Abs. 2 EntsG) sowie verschiedener anderer
Bestimmungen notwendig, die eben gerade die Kontrolle und die Sanktionen
betreffen (Botschaft vom 2. März 2012, BBl 2012 3407 Ziff. 1.1.3.2 und 3420 ff.
Ziff. 2.2). Seit dem Inkrafttreten dieser Gesetzesänderung am 1. Januar 2013
werden somit alle Arbeitgeber, die in der Schweiz Arbeitnehmer beschäftigen, ob
entsandt oder nicht, in Bezug auf die in Normalarbeitsverträgen vorgesehenen
Mindestlöhne, gleich behandelt (Urteil 4C_3/2013 und 4C_4/2013 vom 20. November
2013 E. 8.2 und 8.3, nicht publ. in: BGE 140 III 59).

3.5. Diese Ausführungen sprechen - wie auch die Vorinstanz an sich richtig
erkannt hat (vgl. angefochtener Entscheid E. 3.3.2) - für einen möglichst
breiten Anwendungsbereich des Entsendegesetzes. Auch in der Literatur herrscht
die Auffassung vor, die Bestimmungen des Entsendegesetzes seien auf die
arbeitsmarktlichen Kontrollen solcher Arbeitgeber anzuwenden, d.h. Art. 7 Abs.
2 EntsG könne - direkt oder analog - auf die Tätigkeit der tripartiten
Kommissionen bei der Arbeitsmarktbeobachtung angewendet werden (STREIFF/VON
KAENEL/RUDOLPH, a.a.O., Art. 360b OR Rz. 3 und 13; PORTMANN/RUDOLPH, in: Basler
Kommentar, Obligationenrecht I, 6. Aufl. 2015, Art. 360b Rz. 13; G IACOMO
RONCORONI, Handbuch zum kollektiven Arbeitsrecht, 2009, Art. 360b Rz. 120;
BRUNNER/BÜHLER/WAEBER/ BRUCHEZ, Kommentar zum Arbeitsvertragsrecht, 3. Aufl.
2005, S. 381; WYLER/HEINZER, Droit du travail, 3. Aufl. 2014, S. 140; KARIN
KAUFMANN, Missbräuchliche Lohnunterbietung im Rahmen der flankierenden
Massnahmen, 2010, S. 70 f.; vgl. auch Staatssekretariat für Wirtschaft SECO,
Kommentar Flankierende Massnahmen zur Personenfreizügigkeit, 2008, S. 74; offen
gelassen bei JEANNERAT/MAHON, a.a.O., Art. 360b OR Rz. 15 und 16).

3.6. Für einen breiten Anwendungsbereich von Art. 7 Abs. 2 EntsG sprechen
weiter auch die Ausführungsbestimmungen in Art. 11 ff. EntsV. Das dritte
Kapitel über die tripartiten Kommissionen (Art. 10 -16e EntsV) bezieht sich
sowohl auf die Kontrollaufgaben gemäss Art. 7 Abs. 1 lit. b EntsG (Einhaltung
der durch Normalarbeitsverträge erlassenen Mindestlöhne) als auch auf die
Arbeitsmarktbeobachtung gemäss Art. 360b OR (Art. 11 Abs. 1 lit. c und f
EntsV). Die Arbeit der   tripartiten Kommissionen im Rahmen der
Arbeitsmarktbeobachtung ist in Art. 16c EntsV näher definiert. Die
Inspektorentätigkeit umfasst dabei u.a. die Einforderung, Evaluierung und
Nachbearbeitung der für die Kontrolltätigkeit notwendigen Dokumente (lit. c)
sowie die Abklärung von Zweifelsfällen, namentlich durch das Einholen von
ergänzenden Dokumenten (lit. f). Auch aus diesen Bestimmungen ergibt sich, dass
der Gesetzgeber nicht die Absicht hatte, die Kontrolle bei der
Arbeitsmarktbeobachtung auf eine blosse Einsichtnahme in den Räumlichkeiten des
betroffenen Arbeitgebers zu beschränken; vielmehr sollten die Arbeitgeber auch
dazu verpflichtet werden können, die beantragten Dokumente an die tripartiten
Kommission herauszugeben.

3.7. Schliesslich hat die tripartite Kommission auch gestützt auf Art. 7 Abs. 1
des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über Massnahmen zur Bekämpfung der
Schwarzarbeit (BGSA; SR 822.41) die Kompetenz, von den Arbeitgebern sowie den
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern alle erforderlichen Auskünfte zu verlangen
(lit. a) sowie alle erforderlichen Unterlagen zu konsultieren und zu kopieren
(lit. b). Gemäss Art. 8 BGSA sind die kontrollierten Personen und Betriebe
verpflichtet, den mit der Kontrolle betrauten Personen auf Verlangen alle für
den Kontrollauftrag erforderlichen Unterlagen herauszugeben und Auskünfte zu
erteilen. Sie müssen ihnen freien Zutritt zu Betrieben und Arbeitsplätzen
während der Arbeitszeit der dort tätigen Personen gewähren. Im Kanton Zürich
führen gemäss § 2 der Vollzugsverordnung vom 30. Januar 2008 zum Bundesgesetz
gegen die Schwarzarbeit (VVSA/ZH; LS 823.44) auch die tripartiten Kommissionen
nach Art. 360b OR die Kontrollen gemäss BGSA im Auftrag des AWA durch. Es ist
nicht ersichtlich, warum der Gesetzgeber im Bereich der
Schwarzarbeitsbekämpfung andere Befugnisse der Kontrolleure als im Bereich des
damit eng zusammenhängenden Schutzes   der schweizerischen Lohn- und
Arbeitsbedingungen hätte vorsehen wollen. Auch im Zusammenhang mit Art. 8 BGSA
ist damit von einem Herausgabeanspruch der tripartiten Kommissionen gestützt
auf Art. 360a OR auszugehen.

3.8. Werden die Entstehungsgeschichte von Art. 360b Abs. 5 OR, die
systematische Einordnung der Norm und die entsprechende Bestimmung von Art. 7
Abs. 2 EntsG miteinbezogen, führt die Auslegung von Art. 360b Abs. 5 OR zum
Ergebnis, dass eine Verpflichtung der kontrollierten Unternehmen besteht, den
tripartiten Kommissionen alle notwendigen Unterlagen, die für die Durchführung
der Untersuchung notwendig sind, herauszugeben bzw. zuzustellen.

4.
Die Beschwerde erweist sich als begründet und ist gutzuheissen. Das
angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich ist aufzuheben
und die Verfügung des AWA vom 19. Mai 2015 zu bestätigen. Die vom AWA
ursprünglich angesetzte Frist (19. Juni 2015, d.h. rund einen Monat ab
Eröffnung der Verfügung) ist inzwischen abgelaufen. Es rechtfertigt sich,
antragsgemäss der X.________ AG eine entsprechende neue Frist anzusetzen, um
die in der Verfügung des AWA vom 19. Mai 2015 genannten Unterlagen
einzureichen. (vgl. Urteil 2C_905/2010 vom 22. März 2011 E. 4)
Mit dem Entscheid in der Sache selber wird schliesslich das Gesuch um
aufschiebende Wirkung gegenstandslos.

5.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die unterliegende Beschwerdegegnerin
kostenpflichtig. Ihr sind die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens
aufzuerlegen (Art. 65 und 66 Abs. 1 BGG). Parteientschädigungen werden nicht
zugesprochen (Art. 68 Abs. 3 BGG). Da der angefochtene Entscheid aufgehoben
wird und die Höhe der vorinstanzlichen Gerichtskosten feststeht, kann das
Bundesgericht die Kosten des vorangegangen Entscheides anders verteilen (Art.
67 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen, das angefochtene Urteil des
Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 18. Mai 2016 aufgehoben und die
Verfügung des Amts für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich vom 19. Mai
2015 bestätigt. Der X.________ AG wird eine neue Frist  bis  zum 16. Januar
2017angesetzt, um die in der Verfügung des Amts für Wirtschaft und Arbeit des
Kantons Zürich vom 19. Mai 2015 genannten Unterlagen einzureichen.

2. 
Die Gerichtskosten für das bundesgerichtliche Verfahren von Fr. 2'000.-- und
für das vorangegangene Verfahren von Fr. 3'100.-- werden der X.________ AG
auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des
Kantons Zürich, 4. Abteilung, und dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO)
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 12. Dezember 2016

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Seiler

Der Gerichtsschreiber: Winiger

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