Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.620/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
2C_620/2016

Urteil vom 30. November 2016

II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Seiler, Präsident,
Bundesrichter Zünd,
Bundesrichterin Aubry Girardin,
Gerichtsschreiberin Mayhall.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführerin,

gegen

Aufsichtsbehörde über die Anwältinnen
und Anwälte des Kantons Luzern.

Gegenstand
Verletzung von Berufspflichten,

Beschwerde gegen das Urteil des
Kantonsgerichts Luzern, 1. Abteilung,
vom 17. Mai 2016.

Sachverhalt:

A.
Rechtsanwältin A.________ vertritt B.________ in mehreren Rechtsstreitigkeiten,
unter anderem im Ehescheidungsverfahren gegen seine Ehefrau. Rechtsvertreterin
der Ehefrau ist Rechtsanwältin C.________. Am 8. April 2015 schrieb
Rechtsanwältin A.________ an Rechtsanwältin C.________ eine E-Mail folgenden
Inhalts:

"We know that your client is presumably working in a tax evasion and money
laundering company here in Switzerland. We are ready to report to the relevant
instances in case your client is not cooperating with the child matter. I
expect your answer within a couple of days not longer than five days. [...]"

B.
Mit Eingabe vom 13. April 2015 zeigte Rechtsanwältin C.________ Rechtsanwältin
A.________ bei der Aufsichtsbehörde über die Anwältinnen und Anwälte
(nachfolgend: Aufsichtskommission) an. Mit Entscheid vom 9. November 2015
disziplinierte die Aufsichtskommission Rechtsanwältin A.________ wegen
Verletzung anwaltlicher Berufsregeln mit einer Busse von Fr. 500.-- und
auflegte ihr die Verfahrenskosten. Mit Urteil vom 17. Mai 2016 wies das
Kantonsgericht des Kantons Luzern kostenfällig eine von Rechtsanwältin
A.________ erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde ab, soweit es darauf eintrat.

C.
Mit Eingabe vom 4. Juli 2016 beantragt Rechtsanwältin A.________, das Urteil
des Kantonsgerichts des Kantons Luzern vom 17. Mai 2016 sei kostenfällig
aufzuheben, und die Beschwerdeführerin sei vom Vorwurf einer Verletzung von
Berufspflichten freizusprechen.
Die Vorinstanz und die Aufsichtskommission schliessen auf Abweisung der
Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Das Bundesamt für Justiz hat auf
eine Stellungnahme verzichtet.

Erwägungen:

1.

1.1. Angefochten ist ein Urteil des Kantonsgerichts des Kantons Luzern, mit dem
dieses als letzte kantonale Instanz eine Beschwerde gegen einen Entscheid der
Aufsichtskommission abgewiesen hat, soweit es darauf eingetreten ist. In der
Sache geht es um eine Angelegenheit des öffentlichen Rechts (Anwaltsrecht), die
unter keinen Ausschlussgrund gemäss Art. 83 BGG fällt. Der genannte kantonal
letztinstanzliche Endentscheid unterliegt daher der Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. d
und Abs. 2; Art. 90 BGG). Die Beschwerdeführerin ist ausserdem durch den
Disziplinarentscheid besonders berührt und verfügt über ein schutzwürdiges
Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung (Art. 89 Abs. 1 BGG). Auf die form-
und fristgerecht eingereichte Beschwerde ist unter dem Vorbehalt des
Nachstehenden einzutreten.

1.2. Soweit die Beschwerdeführerin über die Aufhebung des angefochtenen Urteils
hinaus beantragt, sie sei "vom Vorwurf der Verletzung des Berufsgeheimnisses
freizusprechen", kann auf ihre Beschwerde nicht eingetreten werden. Der im
bundesgerichtlichen Verfahren gestellte Antrag auf Kassation des angefochtenen
Urteils würde im Falle einer Gutheissung zur Aufhebung der Disziplinarbusse
führen. Inwiefern zur Wahrung ihres schutzwürdigen Interesses nicht nur die
Aufhebung der Disziplinarbusse, sondern eine eigentliche "Freisprechung" von
der Verletzung der anwaltlichen Berufsregeln erforderlich wäre, hat die
Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdeschrift nicht dargetan, weshalb in diesem
Umfang auf ihre Eingabe nicht einzutreten ist (Art. 89 Abs. 1 lit. c BGG; zur
Subsidiarität von Feststellungsanträgen im bundesgerichtlichen Verfahren vgl.
BGE 126 II 300 E. 2c S. 303; Urteil 2C_1138/2013 vom 5. September 2014).

1.3. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zu Grunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Deren
Sachverhaltsfeststellung kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Vorbehalten bleiben offensichtliche
Sachverhaltsmängel im Sinne von Art. 105 Abs. 2 BGG, die dem Richter geradezu
in die Augen springen (BGE 133 II 249 E. 1.4.3 S. 255).

1.4. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1
BGG). Allerdings prüft es, unter Berücksichtigung der allgemeinen
Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur
die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind. Die Verletzung von Grundrechten sowie von kantonalem und
interkantonalem Recht untersucht es in jedem Fall nur insoweit, als eine solche
Rüge in der Beschwerde präzise vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106
Abs. 2 BGG; BGE 139 I 229 E. 2.2 S. 232; 134 II 244 E. 2.2 S. 246).

2.

2.1. Das Bundesgesetz über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte vom
23. Juni 2000 (Anwaltsgesetz, SR 935.61) regelt in Art. 12 deren
Berufspflichten. Insbesondere haben die Anwältinnen und Anwälte "ihren Beruf
sorgfältig und gewissenhaft auszuüben" (Art. 12 lit. a BGFA). Diese
Verpflichtung hat für die gesamte Berufstätigkeit Geltung und erfasst neben der
Beziehung zum eigenen Klienten sowohl die Kontakte mit der Gegenpartei als auch
jene mit den Behörden (BGE 130 II 270 E. 3.2 S. 276; Urteile 2C_103/2016 vom
30. August 2016 E. 3.1, 2C_652/2014 vom 24. Dezember 2014 E. 3.2; VALTICOS, in:
Commentaire romand de la Loi sur les avocats, 2010, N. 51 zu Art. 12 BGFA).

2.2. Als Berufspflicht obliegt den Anwältinnen und den Anwälten in erster
Linie, die Interessen ihres Klienten bestmöglich zu vertreten. Als Verfechter
von Parteiinteressen sind sie einseitig tätig. Dabei dürfen sie energisch
auftreten und sich den Umständen entsprechend scharf ausdrücken. Sie sind
insbesondere nicht verpflichtet, stets das für die Gegenpartei mildeste
Vorgehen zu wählen (BGE 131 IV 154 E. 1.3.2 S. 158; 130 II 270 E. 3.2.2 S.
278). Gleichwohl sind nicht sämtliche Mittel durch die Ausübung der
anwaltlichen Berufspflicht gerechtfertigt. Äusserungen einer Anwältin oder
eines Anwalts haben sachbezogen und nicht darauf ausgerichtet zu sein, den
Streit eskalieren zu lassen. Anwältinnen und Anwälte sollen die Gegenpartei
nicht unnötig verletzen und jedenfalls keine Äusserungen tätigen, welche in
keinem Zusammenhang zum Streitgegenstand stehen oder gar wider besseres Wissen
erfolgen (BGE 131 IV 154 E. 1.3.1 S. 157; Urteile 2C_103/2016 vom 30. August
2016 E. 3.2.2; 2C_551/2014 vom 9. Februar 2015 E. 4.1; 2C_652/2014 vom 24.
Dezember 2014 E. 3.2; FELLMANN, in: Kommentar zum Anwaltsgesetz, 2. Aufl. 2011,
N. 50 f zu Art. 12 lit. a BGFA; VALTICOS, a.a.O., N. 56 zu Art. 12 BGFA).
Verfassungsrechtlich sind die Äusserungen einer Anwältin oder eines   Anwalts
in Wahrnehmung der Interessen ihres Klienten in den Schranken der Rechtsordnung
durch die Meinungsfreiheit (Art. 16 BV) gedeckt (Urteile 2C_1138/2013 vom 5.
September 2014 E. 2.2; 2C_737/2008 vom 8. April 2009 E. 3.2). Soweit
Anwältinnen und Anwälte ihren Darlegungsrechten und -pflichten nachkommen und
sich im Rahmen sowie in den Formen des Prozesses äussern, ist bedeutsam, dass
die Entscheidung darüber, wie und mit welchen Worten die Interessen des
Klienten bestmöglich gewahrt werden, ihnen obliegt. Die Aufsichtsbehörden haben
sich entsprechend einer gewissen Zurückhaltung zu befleissigen wenn sie darüber
befinden, ob bestimmte Ausführungen wirklich nötig waren oder überzogen und
unnötig verletzend sind (Urteile 2C_103/2016 vom 30. August 2016 E. 3.2.2;
2C_55/2015 vom 6. August 2015 E. 2.2; 2C_551/2014 vom 9. Februar 2015 E. 4.1;
2C_652/2014 vom 24. Dezember 2014 E. 3.2; 2C_1138/2013 vom 5. September 2014 E.
2.2; zustimmend  BENOÎT CHAPPUIS, Devoir de diligence de l'avocat et critique
des autorités [arrêt 2C_55/2015], Revue de l'avocat 2016 S. 77 f.;  CHRISTOPH
AUER,  Urteilsbesprechung 2C_551/2014, ZBl 117/2016 S. 221 f.). Wenn der
Rechtsanwalt in guten Treuen davon ausgeht, das Verhalten der Gegenpartei oder
eines Dritten erfülle einen bestimmten Straftatbestand, darf er dies zwar
äussern, jedoch ist er gestützt auf Art. 12 lit. a BGFA verpflichtet, sich
zurückhaltender Formulierungen zu bedienen, solange kein rechtskräftiges
Strafurteil vorliegt (Urteile 2C_103/2016 vom 30. August 2016 E. 3.2.3; 2A.499/
2006 vom 11. Juni 2007 E. 3.2). Der Anwältin und dem Anwalt ist es
grundsätzlich auch erlaubt, der Gegenpartei die (mögliche) Einleitung eines
Strafverfahrens anzukünden (BGE 120 IV 17 E. 2bb S. 20; 101 IV 47 E. 2b S. 49;
Urteil 2C_103/2016 vom 30. August 2016 E. 3.2.3;  FELLMANN,  a.a.O., N. 49b zu
Art. 12 BGFA). Mit der Pflicht zur sorgfältigen und gewissenhaften
Berufsausübung (Art. 12 lit. a BGFA) sicher nicht mehr vereinbar ist hingegen
das Inaussichtstellen einer Strafanzeige zwecks Durchsetzung einer gestellten
Forderung, wenn zwischen dem Gegenstand der Drohung (Strafanzeige) und
demjenigen der Forderung ein sachlicher Zusammenhang fehlt (BGE 106 IV 125 E.
3a S. 129; 101 IV 47 E. 2b S. 49; 87 IV 13 E. 1. S. 14; Urteil 6S.77/2003 vom
6. Januar 2004 E. 3.1;  FELLMANN, a.a.O., N. 49b zu Art. 12 BGFA;  BOHNET/
MARTINET, Droit de la profession de l'avocat, 2009, S. 541 N. 1289).

2.3. Ungeachtet dessen, dass sich der geforderte Sachzusammenhang in
spezifischen Konstellationen auch aus einem anderen, inhaltlich
zusammenhängenden und zwischen denselben Parteien anhängigen Verfahren ergeben
kann (vgl. Urteil 2C_1138/2013 vom 5. September 2014 E. 2.3), besteht ein
solcher jedenfalls nicht zwischen der (angeblich) strafrechtlich relevanten
Tätigkeit der Arbeitgeberin der Kindesmutter und deren fehlenden
Kooperationsbereitschaft in Kindesbelangen. Die (grundsätzlich erlaubte)
Ankündigung einer Strafanzeige im E-Mail der Beschwerdeführerin vom 8. April
2015 zum Zwecke der Erlangung der (grundsätzlich sogar wünschenswerten)
Kooperationsbereitschaft der Gegenpartei in Kindesbelangen ist
rechtsmissbräuchlich und kommt einer berufsrechtlich unzulässigen Druckausübung
gleich, die nicht durch eine entsprechende Instruktion des Klienten
gerechtfertigt werden kann (Art. 12 lit. b BGFA; Urteil 2A.600/2003 vom 11.
August 2004 E. 3.2.3). Im Übrigen bestreitet die Beschwerdeführerin nicht, dass
die ausgesprochene Disziplinarbusse von Fr. 500.-- als verhältnismässige
Sanktion ihrer Berufspflichtverletzung anzusehen ist. Die Beschwerde erweist
sich diesbezüglich als unbegründet.

2.4. Als unbegründet erweist sich auch die Rüge, die der Beschwerdeführerin
erstinstanzlich auferlegten und mit dem angefochtenen Urteil bestätigten Kosten
des Verfahrens vor der Aufsichtsbehörde seien angesichts des geringen Aufwandes
der Aufsichtsbehörde und der fehlenden Berücksichtigung der besonderen Umstände
des Falles zu reduzieren. Die der Beschwerdeführerin auferlegten
Verfahrenskosten der Aufsichtskommission haben als Kausalabgaben ihre
gesetzliche Grundlage unbestrittenermassen im kantonalen Recht (§ 15 des
Gesetzes des Kantons Luzern über das Anwaltspatent und die Parteivertretung vom
4. März 2002). Die Behörden verfügen bei der Festsetzung solcher
Verfahrenskosten über einen grossen Ermessensspielraum, in welchen das
Bundesgericht erst bei Verletzungen des Bundesrechts eingreift (BGE 141 I 105
E. 3.3.2 S. 109; 137 V 71 E. 5.1 S. 72 f.). Ob die einer kantonalen
Gesetzesvorschrift gegebene Auslegung zulässig ist, beurteilt das Bundesgericht
auch bei Anrufung des speziellen abgaberechtlichen Legalitätsprinzips nur unter
dem Gesichtswinkel der Willkür; mit freier Kognition prüft es dagegen auf
entsprechende Rüge hin, ob die aus der Bundesverfassung folgenden Anforderungen
an die Ausgestaltung und Bestimmtheit der formellgesetzlichen Vorgaben und die
damit zusammenhängenden Delegationsschranken eingehalten sind (BGE 132 I 157 E.
2.2 S. 159 f.; 126 I 180 E. 2a/aa S. 182; Urteile 2C_958/2015, 2C_959/2015 vom
6. Juni 2016 E. 2.1). Anzeichen dafür, dass die Kosten des
Disziplinarverfahrens von Fr. 1'500.-- mit den bundesrechtlichen Vorgaben,
insbesondere mit dem Äquivalenzprinzip, nicht vereinbar wären, sind nicht
erkennbar.

3.
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der
Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Parteientschädigungen
werden nicht gesprochen (Art. 68 Abs. 3 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Kantonsgericht Luzern und dem
Bundesamt für Justiz BJ schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 30. November 2016

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Seiler

Die Gerichtsschreiberin: Mayhall

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