Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.579/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
2C_579/2016        

Urteil vom 24. August 2017

II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Seiler, Präsident,
Bundesrichter Zünd, Haag,
Gerichtsschreiber Errass.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Herren Amr Abdelaziz und Davide Loss, Rechtsanwälte,

gegen

Migrationsamt des Kantons Zürich,
Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich.

Gegenstand
Aufenthaltsbewilligung,

Beschwerde gegen die Verfügung des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 2.
Abteilung, vom 3. Mai 2016.

Sachverhalt:

A.
A.________ (1978; Algerier) heiratete am 9. Mai 2011 eine Schweizerin, weshalb
er in der Folge eine Aufenthaltsbewilligung erhielt. Ende 2014/anfangs 2015
wurde die eheliche Gemeinschaft aufgegeben. Am 27. November 2015 verweigerte
das Migrationsamt des Kantons Zürich A.________ den weiteren Aufenthalt und
wies ihn aus der Schweiz weg. Den dagegen gerichteten Rekurs wies die
Rekursabteilung der Sicherheitsdirektion am 14. März 2016 ab.

B.
Gegen den Entscheid der Sicherheitsdirektion erhob A.________ am "10.04.2016"
(Poststempel 30. März 2016) Beschwerde an das kantonale Verwaltungsgericht.
Weil die Beschwerdeschrift nicht unterzeichnet war und die einzelnen Seiten
wörtlich aus der Rekursschrift übernommen und lediglich anders angeordnet
worden waren, setzte der Abteilungspräsident mit Verfügung vom 6. April 2016
ihm eine Frist bis 2. Mai 2016, um die Beschwerde zu verbessern, ansonsten
darauf nicht eingetreten würde. Am 27. April 2016 reichte A.________ beim
Verwaltungsgericht eine originalunterzeichnete Beschwerde vom 18. April 2016
ein. Dieses trat mit Verfügung vom 3. Mai 2016 nicht darauf ein, da A.________
auch bei der "verbesserten" Beschwerde die einzelnen Seiten wörtlich aus der
Rekursschrift übernommen und lediglich anders angeordnet hatte.

C.
Vor Bundesgericht beantragt A.________, die Verfügung des Verwaltungsgerichts
des Kantons Zürich vom 3. Mai 2016 aufzuheben, die Angelegenheit zur
Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen und ihm die unentgeltliche
Prozessführung zu gewähren.
Das Bundesgericht hat die Akten eingeholt.

D.
Mit Verfügung vom 22. Juni 2016 hat der Präsident der II.
öffentlich-rechtlichen Abteilung der Beschwerde aufschiebende Wirkung
zuerkannt.

Erwägungen:

1.
Auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten des hierzu
legitimierten Beschwerdeführers ist einzutreten, da er gestützt auf seine
aufgelöste Ehe mit einer Schweizerin einen Bewilligungsanspruch nach Art. 50
Abs. 1 lit. a AuG in vertretbarer Weise geltend macht, was auch für einen
Nichteintretensentscheid in derselben Sache gilt (vgl. BGE 137 I 371 E. 1.1 S.
373), und auch die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind (Art. 42,
82 lit. a, Art. 83 lit. c Ziff. 2 e contrario, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs.
2, Art. 89 Abs. 1, Art. 90 und 100 Abs. 1 BGG; BGE 139 I 330 E. 1.1 S. 332).
Streitgegenstand bildet nur die Frage, ob die Vorinstanz zu Recht auf das
Rechtsmittel nicht eingetreten ist.
Nicht zu berücksichtigen sind die vor Bundesgericht eingereichten echten Noven
(Art. 99 Abs. 1 BGG).

2. 

2.1. Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass die bei ihr eingereichte
Beschwerdebegründung sich nur in unwesentlichen Punkten von derjenigen
unterscheide, welche der Beschwerdeführer bei der Sicherheitsdirektion
eingereicht habe. Es handle sich wortwörtlich um dieselben Passagen, welche
lediglich anders gegliedert seien. Eine Auseinandersetzung mit dem Entscheid
der Sicherheitsdirektion habe nicht stattgefunden. Die Vorinstanz trat nicht
auf die Beschwerde ein. Denn gestützt auf § 54 Abs. 1 des
Verwaltungsrechtspflegegesetzes (VRG) vom 24. Mai 1959 (SR ZH 175.2) müsse die
Beschwerdeschrift einen Antrag und dessen Begründung enthalten. Dabei sei
darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid an einem Rechtsmangel leide.
Dies setze voraus, dass sich die Beschwerde substanziiert mit den massgeblichen
Erwägungen des angefochtenen Entscheids auseinandersetze, was von vorneherein
nicht möglich sei, wenn die in der Rekursschrift vorgebrachten Rügen wörtlich
wiederholt würden.

2.2. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz hätte auf sein
Rechtsmittel eintreten müssen. Denn die Beschwerdeschrift mit seinen
handschriftlichen Ergänzungen würden die wesentlichsten Gründe in
Auseinandersetzung mit dem vorinstanzlichen Entscheid nennen. § 54 VRG sei
nicht so restriktiv wie Art. 42 BGG. Sodann gelte nach § 60 VRG der
Untersuchungsgrundsatz. Insgesamt seien die Ausführungen genügend, da er der
deutschen Sprache nicht mächtig sei und sich keinen Anwalt habe leisten können.

2.3. Die Überprüfung der Anwendung und Auslegung der kantonalen
Verfahrensbestimmungen durch das Bundesgericht ist nur zulässig, wenn sie
zugleich eine Bundesrechtsverletzung darstellt (Art. 95 BGG; vgl. BGE 141 I 36
E. 1.3 S. 41).
Diesbezüglich wirft der Beschwerdeführer der Vorinstanz überspitzten
Formalismus vor, was eine Verletzung des bundesrechtlichen Anspruchs auf
gleiche und gerechte Behandlung (Art. 29 Abs. 1 BV) darstellen würde. Daneben
macht er eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV) geltend.
Prozessuale Formen sind unerlässlich, um die ordnungsgemässe Abwicklung des
Verfahrens sowie die Durchsetzung des materiellen Rechts zu gewährleisten.
Eingaben an Behörden, vor allem Rechtsmittelschriften, haben daher im
Allgemeinen bestimmten formellen Anforderungen zu genügen: Es soll aus ihnen
hervorgehen, dass und weshalb der Rechtssuchende einen Entscheid anficht und
inwieweit dieser geändert oder aufgehoben werden soll. Wird daher die
Gültigkeit eines Rechtsmittels kraft ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung
davon abhängig gemacht, dass es eine minimale Begründung enthält, so liegt
darin weder eine Verweigerung des Anspruchs auf rechtliches Gehör noch kann
darin ein überspitzter Formalismus gesehen werden (BGE 134 II 244 E. 2.4.2 S.
248; Urteil 2C_286/2017 vom 29. Mai 2017 E. 3.2).
Im vorliegenden Fall enthält der Entscheid der Sicherheitsdirektion eine dem
rechtlichen Gehör genügende Begründung. Dem Beschwerdeführer waren deshalb die
zum Entscheid führenden wesentlichen Überlegungen bekannt, um sich damit
entsprechend auseinander zu setzen. Es ist den dargelegten Grundsätzen zufolge
weder überspitzt formalistisch noch wird dadurch der Anspruch auf rechtliches
Gehör verletzt, wenn die Vorinstanz im Einklang mit den anwendbaren kantonalen
Verfahrensbestimmungen auf das Rechtsmittel mangels genügender Begründung nicht
eintritt. Das Bundesgericht hat dies zuletzt mit Bezug auf § 54 VRG im Urteil
2C_286/2017 vom 29. Mai 2017 festgehalten (siehe zuvor bereits Urteil 2C_221/
2016 vom 21. März 2016).

2.4. In den beiden genannten Fällen waren die Beschwerdeführer durch
Rechtsanwälte bzw. juristische Fachpersonen vertreten worden. Der
Beschwerdeführer macht nun geltend, diese Rechtsprechung liesse sich nicht auf
ihn übertragen, da er nicht vertreten gewesen und der deutschen Sprache kaum
mächtig sei.
Warum dies so sein soll, führt der Beschwerdeführer nicht näher aus. § 54 VRG
macht keinen Unterschied zwischen vertretenen und nicht vertretenen
Beschwerdeführern bzw. Beschwerdeführerinnen - wie im Übrigen auch Art. 42 Abs.
2 BGG. Jedenfalls ist im konkreten Fall keine Verletzung des Verbots des
überspitzten Formalismus nach Art. 29 Abs. 1 BV ersichtlich, nachdem die
Vorinstanz dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 7. April 2016 eine Nachfrist
bis 2. Mai 2016 setzte, um die Beschwerde erstens zu unterzeichnen und zweitens
zu verbessern. Die Vorinstanz machte bereits in diesem Schreiben ausdrücklich
darauf aufmerksam, dass die Beschwerdeschrift beinahe eine wörtliche Kopie der
Beschwerdeschrift an die Sicherheitsdirektion darstelle und dies entsprechend §
54 VRG nicht zulässig sei. Sie drohte auch an, dass auf die Beschwerde nicht
eingetreten werde, wenn der Beschwerdeführer "bis 2. Mai 2016 keine
Beschwerdeschrift einreicht, die eigenhändig unterzeichnet ist und sich
substanziiert mit der Begründung des angefochtenen Entscheids
auseinandersetzt".

2.5. Der Beschwerdeführer macht ferner geltend, dass ihm ein Rechtsvertreter
hätte beigestellt werden müssen, dem Richter komme in diesem Fall eine
Fürsorge- und Aufklärungspflicht zu. Will der Beschwerdeführer damit eine
notwendige Verbeiständung sowie eine Fürsorge- und Aufklärungspflicht für das
vorliegende Verfahren reklamieren, so ist darauf hinzuweisen, dass diese nur
für bestimmte Strafverfahren vorgesehen sind (vgl. Art. 31 und 32 BV; BGE 143 I
164 E. 2.3.1 S. 167; 131 I 350 E. 4.2 S. 361). Hier handelt es sich indes um
ein Verwaltungsverfahren. Gründe für eine Ausdehnung dieses Rechtsinstituts auf
Verwaltungsverfahren werden keine genannt und sind nicht ersichtlich. Auch aus
Art. 29 Abs. 3 BV ergibt sich zudem kein Anspruch auf eine notwendige
Verbeiständung (vgl. BGE 143 I 164; 131 I 350). Will der Beschwerdeführer damit
hingegen zum Ausdruck bringen, dass er infolge der mangelnden Sprachkenntnisse
nicht postulationsfähig und ihm deshalb ein Rechtsvertreter beizustellen
gewesen wäre (allgemeiner Rechtsgrundsatz aus Art. 41 BGG abgeleitet [Urteil
2E_2/2013 vom 30. Oktober 2014 E. 5.4.3]), so kann er daraus ebenfalls nichts
zu seinen Gunsten ableiten: Dem Gericht muss sich die Situation als
offensichtlich präsentieren. Indem der Beschwerdeführer eine an sich
verständliche Beschwerdebegründung einreichte, deren Mangel einzig darin lag,
dass sie mit der Eingabe beim Sicherheitsdepartement beinahe identisch war,
musste die Vorinstanz eine fehlende Postulationsfähigkeit nicht in Betracht
ziehen. Kommt hinzu, dass das Bundesgericht im Rahmen von Art. 41 BGG nicht von
einer offensichtlichen Postulationsunfähigkeit ausgegangen ist, wenn die
beschwerdeführende Person der deutschen Sprache nicht mächtig ist (Urteil 6P.95
/2002 vom 2. Juni 2003 E. 9.3 i.f.).

2.6. Schliesslich liegt im vorinstanzlichen Verfahren auch keine Verletzung des
Anspruchs auf unentgeltliche Rechtspflege und unentgeltliche Verbeiständung
nach Art. 29 Abs. 3 BV vor. Die Unentgeltlichkeit verlangt, dass u.a. die
Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheinen. Zwar setzt sich der
Beschwerdeführer mit dem vorinstanzlichen Urteil nicht auseinander, weshalb
sich daraus auch nicht die Nichtaussichtslosigkeit beurteilen lässt. In
Konstellationen wie der vorliegenden, in welchen der Beschwerdeführer "zur
Wahrung seiner Rechte" (Art. 29 Abs. 3 Satz 2 BV) aufgrund seiner
Sprachkenntnisse (vgl. BGE 123 I 145 E. 2b/cc S. 147) auf einen Rechtsbeistand
angewiesen wäre, muss die Vorinstanz neben den Eingaben auch den Entscheid der
Sicherheitsdirektion berücksichtigen, um sich in die Lage zu versetzen, die
Nichtaussichtslosigkeit der Rechtsbegehren beurteilen zu können. Ob die
Ablehnung des Begehrens durch die Vorinstanz wegen Aussichtslosigkeit auf einer
Hauptsachenprognose beruht oder - was unzulässig wäre - lediglich darauf, dass
die Rechtsschrift als ungenügend betrachtet wurde, ergibt sich nicht aus dem
vorinstanzlichen Entscheid. Eine Durchsicht des Entscheides der
Sicherheitsdirektion zusammen mit dem Rechtsstandpunkt, den der
Beschwerdeführer vor dieser vorgetragen und vor Verwaltungsgericht bloss
wiederholt hat, ergibt jedoch, dass ohne Verfassungsverletzung die
Erfolgsaussichten einer Beschwerde in der Hauptsache als bescheiden betrachtet
werden durften und folglich die unentgeltliche Rechtspflege nicht geboten war.

3.
Demnach erweist sich die Beschwerde als unbegründet und ist abzuweisen. Bei
diesem Verfahrensausgang hat der Beschwerdeführer die Kosten des
bundesgerichtlichen Verfahrens zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG), da seinem Gesuch
um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege vor Bundesgericht infolge
Aussichtslosigkeit nicht zu entsprechen ist (Art. 64 BGG). Eine
Parteientschädigung ist nicht zuzusprechen (Art. 68 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4. 
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des
Kantons Zürich, 2. Abteilung, und dem Staatssekretariat für Migration
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 24. August 2017

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Seiler

Der Gerichtsschreiber: Errass

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