Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.575/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
2C_575/2016

Urteil vom 12. Juli 2016

II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Zünd, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Stadelmann,
Bundesrichter Haag,
Gerichtsschreiber Fellmann.

Verfahrensbeteiligte
A.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Dr. Nicolas Roulet,

gegen

Amt für Migration Basel-Landschaft.

Gegenstand
Ausschaffungshaft,

Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Einzelrichter
für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, vom 24. Mai 2016.

Sachverhalt:

A. 
A.________ (geb. 1982) ist tunesischer Staatsangehöriger und reiste im
September 2012 illegal in die Schweiz ein. Am 6. September 2012 stellte er ein
Asylgesuch, auf welches das Staatssekretariat für Migration (SEM, damals
Bundesamt für Migration BFM) mit Entscheid vom 26. November 2012 nicht eintrat,
weil die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens bei Italien lag.
Mit Urteil vom 1. Oktober 2013 sprach das Strafgericht Basel-Landschaft
A.________ des gewerbsmässigen und bandenmässigen Diebstahls, der mehrfachen
Sachbeschädigung sowie der Geldwäscherei schuldig und verurteilte ihn unter
Anrechnung von seit dem 21. November 2012 ausgestandenen 159 Tagen
Untersuchungshaft zu einer Freiheitsstrafe von 3 1/2 Jahren mit effektivem
Strafende am 20. Mai 2016.
Da A.________ nicht fristgerecht nach Italien überstellt wurde, verfügte das
SEM am 15. Januar 2014 die Aufhebung des asylrechtlichen
Nichteintretensentscheids vom 26. November 2012 und die Wiederaufnahme des
Asylverfahrens. Mit Entscheid vom 14. Februar 2014 lehnte es das Asylgesuch von
A.________ ab und wies ihn aus der Schweiz weg. Mit dem Wegweisungsvollzug
beauftragte das SEM den Kanton Basel-Landschaft.
Auf Gesuch von A.________ bewilligte die Sicherheitsdirektion des Kantons
Basel-Landschaft mit Verfügung vom 9. Februar 2015 seine bedingte Entlassung
aus dem Strafvollzug per 20. März 2015, "sofern [...] die Ausschaffung durch
das Amt für Migration Basel-Landschaft zu diesem Zeitpunkt vollzogen werden
kann. Der Strafrest richtet sich nach dem effektiven Datum der bedingten
Entlassung, bzw. dem Ausschaffungsdatum. A.________ bleibt bis zum Zeitpunkt
der Ausschaffung im Strafvollzug."

B. 
Mit Haftbefehl vom 20. Mai 2016 nahm das Amt für Migration des Kantons
Basel-Landschaft A.________ in Ausschaffungshaft und beantragte dem
Kantonsgericht Basel-Landschaft die Anordnung von Ausschaffungshaft zur
Sicherstellung der Durchführung des Wegweisungsverfahrens. Am 24. Mai 2016
bestätigte das Kantonsgericht die Anordnung der Ausschaffungshaft bis zum 19.
August 2016.

C. 
A.________ führt mit Eingabe vom 20. Juni 2016 Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht. Er beantragt die
Aufhebung des Urteils vom 24. Mai 2016 und seine sofortige Entlassung aus der
Haft. Weiter verlangt er eine Entschädigung für widerrechtlich ausgestandene
Ausschaffungshaft zulasten des Kantons Basel-Landschaft.
Während das Kantonsgericht auf eine Stellungnahme verzichtet, verweist das SEM
auf die Ausführungen im vorinstanzlichen Urteil. Das Amt für Migration
schliesst sinngemäss auf Abweisung der Beschwerde. Mit Eingabe vom 5. Juli 2016
hält der Beschwerdeführer an seinen Anträgen und der Begründung fest.

Erwägungen:

1. 
Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit und die weiteren
Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen (Art. 29 Abs. 1 BGG) und mit freier
Kognition (BGE 141 II 113 E. 1 S. 116).

1.1. Die frist- (Art. 100 Abs. 1 BGG) und formgerecht (Art. 42 Abs. 2 BGG)
eingereichte Beschwerde betrifft eine Angelegenheit des öffentlichen Rechts
(Art. 82 lit. a BGG) und richtet sich gegen den kantonal letztinstanzlichen
(Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG), verfahrensabschliessenden Entscheid (Art. 90 BGG)
eines oberen Gerichts (Art. 86 Abs. 2 BGG; vgl. zu den diesbezüglichen
Anforderungen an das kantonale Verfahren BGE 139 I 206 E. 1.2.2 S. 210; 135 II
94 E. 3 S. 96 f.). Der Anordnung ausländerrechtlicher Administrativhaft kommt
aufgrund ihres schweren Eingriffs in die persönliche Freiheit eigenständiger
Charakter zu; sie erscheint nicht als bloss untergeordnete Vollzugsmassnahme
zur Wegweisung. Die Beschwerde ist somit auch unter dem Blickwinkel von Art. 83
lit. c Ziff. 4 BGG zulässig (vgl. BGE 137 I 23 E. 1 S. 24 f.; 135 II 94 E. 5.5
S. 101; Urteil 2C_207/2016 vom 2. Mai 2016 E. 1.1.3 [zur Publikation
vorgesehen]). Auf die Beschwerde des vom angefochtenen Entscheid in
schutzwürdigen Interessen unmittelbar betroffenen Beschwerdeführers (Art. 89
Abs. 1 BGG) ist somit unter Vorbehalt der nachstehenden Erwägung einzutreten.

1.2. Vor Bundesgericht ersucht der Beschwerdeführer erstmals darum, ihm bei
einer Gutheissung der Beschwerde eine Entschädigung für unzulässige
Ausschaffungshaft zuzusprechen. Dieser Antrag geht über den vorinstanzlichen
Verfahrensgegenstand hinaus und bildet ein unzulässiges neues rechtliches
Begehren (Art. 99 Abs. 2 BGG), zumal Ansprüche auf Haftentschädigung nicht
bereits wegen Art. 5 Ziff. 5 EMRK Gegenstand des Haftprüfungsverfahrens bilden
(vgl. EGMR-Urteile  Jusic gegen Schweiz vom 2. Dezember 2010 [Nr. 4691/06] §§
103 ff.; BGE 137 I 296 E. 6 S. 303 f.; 129 I 139 E. 3 S. 142; Urteile 2C_539/
2015 vom 20. Juli 2015 E. 2.3; 2C_168/2013 vom 7. März 2013 E. 1.2). Soweit der
Beschwerdeführer mit seinem Rechtsmittel eine Entschädigung für die angeordnete
Ausschaffungshaft verlangt, erweist sich die Beschwerde somit als unzulässig
und ist auf sie nicht einzutreten.

2. 
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann namentlich
die Verletzung von Bundes- und Völkerrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a und
lit. b BGG). Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106
Abs. 1 BGG), doch prüft es, unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und
Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend
gemachten Vorbringen, sofern allfällige weitere rechtliche Mängel nicht
geradezu offensichtlich sind (BGE 138 I 274 E. 1.6 S. 280 f. mit Hinweis). Die
Verletzung von Grundrechten untersucht das Bundesgericht in jedem Fall nur
insoweit, als eine solche Rüge in der Beschwerde präzise vorgebracht und
begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 139 II 404 E. 3 S. 415; 139 I
229 E. 2.2 S. 232).

3.

3.1. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Eine Berichtigung oder
Ergänzung der vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen ist von Amtes wegen
(Art. 105 Abs. 2 BGG) oder auf Rüge hin (Art. 97 Abs. 1 BGG) möglich. Von den
tatsächlichen Grundlagen des vorinstanzlichen Urteils weicht das Bundesgericht
jedoch nur ab, wenn diese offensichtlich unrichtig sind oder sie auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen und die Behebung des Mangels
für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs.
2 BGG; BGE 140 III 16 E. 1.3.1 S. 17 f.).

3.2. Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen im bundesgerichtlichen Verfahren
nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu
Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG, Urteile 2C_347/2012 vom 26. März 2013 E. 2.5
und 2.6 [nicht publ. in: BGE 139 II 185]; 2C_1017/2012 vom 30. Oktober 2012 E.
2).

3.2.1. Zusammen mit der Beschwerde reicht der Beschwerdeführer eine Verfügung
vom 9. Februar 2015 ein, mit welcher die Sicherheitsdirektion des Kantons
Basel-Landschaft ihm unter Vorbehalt seiner gleichzeitigen Ausschaffung die
bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug per 20. März 2015 bewilligte (vgl.
Sachverhalt lit. A hiervor). Der Beschwerdeführer macht unter Hinweis auf die
Verfügung vom 9. Februar 2015 geltend, dass er entgegen der Feststellungen der
Vorinstanz, wonach er am 20. Mai 2016 vorzeitig aus dem Strafvollzug entlassen
worden sei, an diesem Datum die Strafe im Gegenteil bereits vollständig
verbüsst hatte.

3.2.2. Das Amt für Migration ist als Empfänger auf der Verfügung vom 9. Februar
2015 vermerkt. Aus unerfindlichen Gründen ist diese in den Verfahrensakten
jedoch nicht vorhanden. Worauf sich die Vorinstanz in ihrer Annahme stützt,
wonach der Beschwerdeführer am 20. Mai 2016 vorzeitig und nicht definitiv aus
dem Strafvollzug entlassen worden sei, ist sodann nicht ersichtlich. Der
Beschwerdeführer war somit erst durch das vorinstanzliche Urteil veranlasst,
die Verfügung vom 9. Februar 2015 im bundesgerichtlichen Verfahren
vorzubringen. Seine diesbezüglich neuen Ausführungen in tatsächlicher Hinsicht
und die Verfügung vom 9. Februar 2015 als neues Beweismittel sind zulässig
(Art. 99 Abs. 1 BGG).

3.2.3. Gestützt auf die rechtsgenüglich begründete Rüge des Beschwerdeführers
(vgl. zu den Anforderungen bei Sachverhaltsrügen BGE 139 I 72 E. 9.2.3.6 S. 96;
133 II 249 E. 1.4.3 S. 254 f.) und die Verfügung vom 9. Februar 2015 ist im
Übrigen davon auszugehen, dass seine Darstellung zutrifft und eine bedingte
Entlassung bereits am 20. März 2015 möglich gewesen wäre. Die diesbezüglich
anders gelagerte Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz erweist sich mangels
anders lautender Hinweise in den Akten (Art. 105 Abs. 2 BGG) oder
Stellungnahmen der Verfahrensbeteiligten als offensichtlich unrichtig und ist
entsprechend zu korrigieren. Auszugehen ist somit vom eingangs dargelegten
Sachverhalt (vgl. Sachverhalt lit. A).

4.

4.1. Wurde ein erstinstanzlicher Weg- oder Ausweisungsentscheid eröffnet, kann
die zuständige Behörde den betroffenen Ausländer zur Sicherstellung des
Vollzugs namentlich dann in Ausschaffungshaft nehmen, wenn er wegen eines
Verbrechens verurteilt worden ist (Art. 76 Abs. 1 lit. b Ziff. 1 i.V.m. Art. 75
Abs. 1 lit. h AuG; Urteile 2C_112/2016 vom 19. Februar 2016 E. 2.1; 2C_749/2012
vom 28. August 2012 E. 1, 2C_455/2009 vom 5. August 2009 E. 2.1, je mit
Hinweisen). Der Wegweisungsentscheid muss dabei nicht bereits rechtskräftig
sein; es genügt, dass sein Vollzug (z.B. wegen fehlender Papiere) noch nicht
möglich, jedoch absehbar erscheint. Der Vollzug der Weg- oder Ausweisung darf
sich nicht aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen als undurchführbar
erweisen (vgl. Art. 80 Abs. 6 lit. a AuG) und muss mit dem nötigen Nachdruck
verfolgt werden (Art. 76 Abs. 4 AuG: "Beschleunigungsgebot"). Die
ausländerrechtliche Festhaltung muss zudem insgesamt verhältnismässig sein (BGE
134 I 92 E. 2.3.2 S. 97; Urteile 2C_765/2015 vom 18. September 2015 E. 5.3;
2C_334/2015 vom 19. Mai 2015 E. 2.2; 2C_218/2013 vom 26. März 2013 E. 5.1).

4.2. Dass die Haftvoraussetzungen nach Art. 76 Abs. 1 lit. b Ziff. 1 i.V.m.
Art. 75 Abs. 1 lit. h AuG (eröffneter Wegweisungsentscheid, Verurteilung zu
einem Verbrechen) vorliegend erfüllt sind, wird von keiner Seite bestritten.
Der Beschwerdeführer rügt die angeordnete Ausschaffungshaft jedoch als
unverhältnismässig und macht zudem eine Verletzung des Beschleunigungsgebots
geltend.
Letzteres begründet der Beschwerdeführer damit, dass aus den Akten keinerlei
Vorkehrungen ersichtlich seien, die das Amt für Migration seit dem
Wegweisungsentscheid des SEM vom 14. Februar 2014 im Hinblick auf den Vollzug
der Wegweisung getroffen habe. Obwohl die Sicherheitsdirektion des Kantons
Basel-Landschaft grundsätzlich die bedingte Entlassung per 20. März 2015
bewilligt habe, sei er erst am 20. Mai 2016 zum ordentlichen Strafende aus dem
Strafvollzug entlassen und sogleich in Ausschaffungshaft versetzt worden. Aus
dem angefochtenen Entscheid gehe zudem hervor, dass die Vorbereitungen für den
Wegweisungsvollzug erst noch anhand genommen werden müssten. Mit diesem
Vorgehen habe das Amt für Migration das Beschleunigungsgebot verletzt.
Das Amt für Migration legt in seiner Stellungnahme vom 1. Juli 2016 dar, dass
es das SEM am 15. März 2016 um Unterstützung beim Vollzug der Wegweisung
ersucht habe. Der Antrag um Identifizierung des Beschwerdeführers sei vom SEM
alsdann zusammen mit weiteren Identifizierungsanträgen am 14. Juni 2016
zuhanden der zuständigen tunesischen Behörde an die schweizerische Vertretung
in Tunesien weitergeleitet worden. Die Abklärungen betreffend die Identität des
Beschwerdeführers seien somit zwei Monate vor dessen Entlassung aus dem
Strafvollzug am 20. Mai 2016 an die Hand genommen worden.

4.3. Die Freiheit darf einer Person nach Art. 31 Abs. 1 BV nur in den vom
Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene
Weise entzogen werden (vgl. auch Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK). Im Hinblick auf
die Modalitäten der Ausschaffungshaft präzisiert Art. 76 Abs. 4 AuG diese
Verfassungsbestimmung dahingehend, dass die für den Vollzug der Weg- oder
Ausweisung notwendigen Vorkehren  umgehend zu treffen sind. Das so verankerte
Beschleunigungsgebot gilt als verletzt, wenn während mehr als zwei Monaten
keinerlei Vorkehren mehr im Hinblick auf den Vollzug der Wegweisung getroffen
wurden (Untätigkeit der Behörden), ohne dass die Verzögerung in erster Linie
auf das Verhalten ausländischer Behörden oder des Betroffenen selber zurückgeht
(BGE 139 I 206 E. 2.1 S. 211; 124 II 49 E. 3a S. 50 f.; Urteile 2C_1182/2014
vom 20. Januar 2015 E. 3.2.1, je mit Hinweisen).
Befindet sich der weggewiesene Ausländer in Untersuchungshaft oder im
Strafvollzug, so ist die für den Vollzug der Entfernungsmassnahme zuständige
Behörde verpflichtet, die notwendigen Schritte nach Möglichkeit schon vor der
Entlassung einzuleiten, damit der Betroffene nicht mehr unnötig oder nicht
unnötig lange in Ausschaffungshaft genommen werden muss (BGE 130 II 488 E. 4.1
S. 492; 124 II 49 E. 3a S. 50 f.; Urteil 2C_112/2016 vom 19. Februar 2016 E.
2.2.2). Eine Vorbereitung des Wegweisungsvollzugs bereits während dem
Strafvollzug oder der Untersuchungshaft ist nicht nur im Interesse des Schutzes
der persönlichen Freiheit der inhaftierten Person (Art. 10 Abs. 2 BV)
erforderlich, sondern dient auch der Verringerung der Vollzugskosten und damit
dem haushälterischen Umgang mit öffentlichen Mitteln.

4.3.1. Im vorliegenden Fall bewilligte die Sicherheitsdirektion des Kantons
Basel-Landschaft mit Verfügung vom 9. Februar 2015 die bedingte Entlassung des
Beschwerdeführers per 20. März 2015, "sofern sein Verhalten im Vollzug
weiterhin klaglos verläuft und die Ausschaffung durch das Amt für Migration
Basel-Landschaft zu diesem Zeitpunkt vollzogen werden kann. Der Strafrest
richtet sich nach dem effektiven Datum der bedingten Entlassung, bzw. dem
Ausschaffungsdatum". Ob das Vorgehen der Sicherheitsdirektion vor Art. 86 Abs.
1 StGB standhält, zumal sie bei der Bewährungsprognose keine Unterscheidung
nach dem Aufenthaltsort des Beschwerdeführers in der Schweiz oder in seiner
Heimat traf (vgl. CORNELIA KOLLER, in: Basler Kommentar, Strafrecht I, 3. Aufl.
2013, N. 20 zu Art. 86 StGB) erscheint fraglich, ist jedoch nicht Gegenstand
des bundesgerichtlichen Verfahrens.

4.3.2. Aufgrund der Verfügung vom 9. Februar 2015 steht immerhin fest, dass die
Haftentlassung des Beschwerdeführers ab dem 20. März 2015 bei gleichzeitiger
Ausschaffung  unverzüglich oder zu jedem späteren Zeitpunkt hätte erfolgen
können. Dennoch gelangte das Amt für Migration ohne nachvollziehbaren Grund
erst am 15. März 2016 und damit rund ein Jahr später mit einem Gesuch um
Vollzugsunterstützung an das SEM. Dass das Amt für Migration vor dem 15. März
2016 irgendwelche Vorkehrungen im Hinblick auf den Wegweisungsvollzug getroffen
hätte, ist nicht ersichtlich. Vielmehr vermerkte das Amt für Migration in
seinem Gesuch um Vollzugsunterstützung vom 15. März 2016 an das SEM, dass die
kantonalen Behörden bislang noch keine Vollzugsmassnahmen getroffen hätten. Von
untergeordneter Bedeutung erscheint dabei, dass der Beschwerdeführer selber
offenbar keine Reisedokumente vorlegt oder vorlegen kann: Neben dem Umstand,
dass es dem seit mehr als 3 1/2 Jahren inhaftierten Beschwerdeführer bereits
aus praktischen Gründen schwer fallen dürfte, selbständig aktuelle Dokumente zu
besorgen (vgl. BGE 134 I 92 E. 2.3.2 S. 97), ist nicht zu erkennen, inwiefern
er einen Vollzug der Wegweisung in seine Heimat aktiv zu verhindern suchte.
Hinzu kommt, dass die allenfalls fehlende Mitwirkung des Ausländers die
Behörden nicht von der Pflicht entbindet, den Wegweisungsvollzug ernsthaft und
mit Nachdruck voran zu treiben (vgl. BGE 139 I 206 E. 2.3 S. 212).

4.3.3. Somit wurde das Beschleunigungsgebot (Art. 76 Abs. 4 AuG) mit der
Untätigkeit des Amts für Migration zwischen der verfügten bedingten Entlassung
am 9. Februar 2015 und dem Gesuch um Vollzugsunterstützung am 15. März 2016
offenkundig verletzt. Bei dieser Sachlage ist nicht weiter zu prüfen, ob mit
Blick auf die zitierte bundesgerichtliche Rechtsprechung (vgl. E. 4.3) eine
Verletzung des Beschleunigungsgebots auch darin zu erblicken ist, dass das SEM
den Antrag um Identifizierung des Beschwerdeführers an die tunesischen Behörden
erst am 14. Juni 2016 und damit rund drei Monate nach dem kantonalen Gesuch um
Vollzugsunterstützung an die schweizerische Vertretung in Tunesien
weitergeleitet hat.
Die Verletzung des Beschleunigungsgebots führt zur Haftentlassung, zumal
gestützt auf die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz keine Hinweise auf
ein nennenswertes Sicherheitsrisiko bestehen (vgl. BGE 139 I 206 E. 2.4 S. 212
f.; Urteil 2A.115/2002 vom 19. März 2002 E. 4a). Ob der vorinstanzliche
Entscheid, wie vom Beschwerdeführer geltend gemacht, neben dem
Beschleunigungsgebot auch das Verhältnismässigkeitsprinzip verletzt, ist bei
diesem Verfahrensausgang nicht näher zu prüfen.

4.3.4. Den Behörden bleibt es derweil unbenommen, dem Beschwerdeführer
gegenüber eine Ein- oder Ausgrenzung anzuordnen, soweit die gesetzlichen
Voraussetzungen dafür erfüllt sind (Art. 74 Abs. 1 lit. a und lit. b AuG).
Zweck dieser Massnahme ist es, den Verbleib der ausländischen Person zu
kontrollieren sowie ihre Verfügbarkeit für die Vorbereitung des Vollzugs der
Wegweisung weiterhin sicherzustellen. Sie ist milderes Mittel zur
Administrativhaft und darf analog diesem auch eine gewisse Druckwirkung zur
Durchsetzung der Ausreisepflicht enthalten. Die Missachtung einer Ein- oder
Ausgrenzung kann mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe
geahndet werden (Art. 119 AuG; vgl. zum Ganzen BGE 139 I 206 E. 2.4 S. 213).

5. 
Nach dem Dargelegten ist die Beschwerde gutzuheissen, soweit auf sie
einzutreten ist. Bei diesem Verfahrensausgang wird der Kanton Basel-Landschaft
entschädigungspflichtig (Art. 68 Abs. 2 BGG). Gerichtskosten werden nicht
erhoben (Art. 66 Abs. 4 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist und das Urteil
des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Einzelrichter, vom 24. Mai 2016, wird
aufgehoben. Der Beschwerdeführer ist unverzüglich aus der Haft zu entlassen.

2.

2.1. Es werden keine Kosten erhoben.

2.2. Der Kanton Basel-Landschaft hat den Beschwerdeführer für das
bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen.

3. 
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Kantonsgericht
Basel-Landschaft, Einzelrichter für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, und dem
Staatssekretariat für Migration schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 12. Juli 2016

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Zünd

Der Gerichtsschreiber: Fellmann

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