Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.539/2016
Zurück zum Index II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2016
Retour à l'indice II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2016


Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente
dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet.
Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem
Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
                                                               Grössere Schrift

Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
2C_539/2016

Urteil vom 15. November 2016

II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Seiler, Präsident,
Bundesrichter Zünd,
Bundesrichterin Aubry Girardin,
Gerichtsschreiberin Mayhall.

Verfahrensbeteiligte
A.A.________, Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Marcel Furrer, Anwaltskanzlei und Notariat Furrer,

gegen

Amt für Migration und Integration
des Kantons Aargau, Rechtsdienst.

Gegenstand
Widerruf der Niederlassungsbewilligung
und Wegweisung,

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau, 2.
Kammer, vom 11. Mai 2016.

Erwägungen:

1.

1.1. A.A.________, geboren 1976, aus dem Kosovo stammend, reiste am 30. März
1993 im Rahmen des Familiennachzugs in die Schweiz ein und erhielt die
Aufenthalts-, später am 23. Mai 2003 die Niederlassungsbewilligung. Er ist
verheiratet mit der in der Schweiz aufenthaltsberechtigten kosovarischen
Staatsangehörigen B.A.________, geboren 1977, mit der er zwei Söhne hat,
C.A.________, geboren 2002, und D.A.________, geboren 2007; die Söhne haben wie
er selber die Niederlassungsbewilligung.
Mit Verfügung vom 20. August 2002 ist A.A.________ ausländerrechtlich verwarnt
worden, dies nachdem er zwischen Juli 1995 und Mai 2002 wegen
Strassenverkehrsdelikten sowie wegen Raufhandels zu einer bedingten
Gefängnisstrafe von sieben Tagen sowie zu Bussen von insgesamt Fr. 1'360.--
verurteilt worden war. Nach dieser Verwarnung und der Erteilung der
Niederlassungsbewilligung am 23. Mai 2003 musste er wie folgt strafrechtlich
verurteilt werden:

- mit Strafbefehl des Bezirksamts Kulm vom 28. Oktober 2005 wegen Widerhandlung
gegen das inzwischen aufgehobene Bundesgesetz vom 26. März 1931 über Aufenthalt
und Niederlassung der Ausländer (ANAG; BS 1 121), begangen am 27. und 30. Mai
2005, zu einer Busse von Fr. 400.--;
- mit Strafbefehl des Bezirksamts Kulm vom 14. Dezember 2005 wegen
Widerhandlung gegen das ANAG, begangen im November 2005, zu einer Busse von Fr.
1'500.--;
- mit Strafbefehl des Bezirksamts Kulm vom 9. Oktober 2006 wegen Ungehorsams im
Betreibungs- und Konkursverfahren, begangen am 22. Juni und 13. Juli 2006, zu
einer Busse von Fr. 200.--;
- mit Strafbefehl des Bezirksamts Baden vom 3. September 2007 wegen Verwendens
eines Telefons ohne Freisprecheinrichtung während der Fahrt, begangen am 28.
Juni 2007, zu einer Busse von Fr. 100.--;
- mit Strafbefehl des Bezirksamts Lenzburg vom 9. Oktober 2007 wegen
Ungehorsams im Betreibungsverfahren, begangen am 17. Juni und 24. September
2007, zu einer Busse von Fr. 200.--;
- mit Strafbefehl des Bezirksamts Kulm vom 23. November 2007 wegen
Misswirtschaft, Unterlassung der Buchführung, Ungehorsams gegen amtliche
Verfügungen, Ungehorsams des Schuldners im Betreibungs- und Konkursverfahren,
begangen im Zeitraum November 2005 bis August 2007, zu einer Geldstrafe von 60
Tagessätzen zu je Fr. 50.--, bedingt, bei einer Probezeit von drei Jahren, und
zu einer Busse von Fr. 500.--;
- mit Strafbefehl des Bezirksamts Lenzburg vom 24. Juni 2008 wegen Ungehorsams
im Betreibungs- und Konkursverfahren, begangen am 13. Mai 2008, zu einer Busse
von Fr. 300.--;
- mit Strafbefehl des Bezirksamts Lenzburg vom 11. November 2008 wegen
Verfügung über mit Beschlag belegte Vermögenswerte sowie wegen Ungehorsams
gegen amtliche Verfügungen, begangen im Frühjahr 2008, zu einer Geldstrafe von
30 Tagessätzen zu je Fr. 50.--, unbedingt;
- mit Strafbefehl des Bezirksamts Lenzburg vom 16. Juni 2009 wegen Ungehorsams
im Betreibungs- und Konkursverfahren, begangen am 30. März 2009, zu einer Busse
von Fr. 400.--;
- mit Strafbefehl des Bezirksamts Baden vom 9. September 2009 wegen Vornahme
einer Verrichtung, welche die Bedienung des Fahrzeugs erschwert, begangen am
21. Juli 2009, zu einer Busse von Fr. 400.--;
- mit Strafverfügung des Amtsstatthalteramts Sursee vom 3. August 2010 wegen
ungenügenden Abstandhaltens mit Lieferwagen beim Hintereinanderfahren sowie
wegen Nichtbeherrschens des Fahrzeuges, begangen am 15. Juni 2010, zu einer
Busse von Fr. 350.--;
- mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern vom 8. Februar 2011
wegen nicht bzw. nicht gut sichtbaren Anbringens der Parkscheibe am Fahrzeug,
begangen am 13. September 2010, zu einer Busse von Fr. 40.--;
- mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau vom 21. März 2011 wegen
Ungehorsams des Schuldners im Betreibungs- und Konkursverfahren, begangen am 8.
Dezember 2010, zu einer Busse von Fr. 300.--;
- mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Emmenbrücke vom 23. März 2011 zu einer
bedingten Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je Fr. 60.-- (Straftatbestand nicht
aktenkundig);
- mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm vom 29. Juli 2011 wegen
Nichtbeachtens des Signals Allgemeines Fahrverbot, begangen am 9. Juli 2001, zu
einer Busse von Fr. 100.--;
- mit Urteil des Bezirksgerichts Lenzburg vom 22. Mai 2014 wegen bandenmässigen
Diebstahls, mehrfachen Betrugs, mehrfacher Urkundenfälschung, Vergehens gegen
das Bundesgesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (Bundesgesetz
vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung [AHVG; SR
831.10; gemäss der bis 31. Dezember 2011 geltenden Fassung], Widerhandlung
gegen das Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer vom 16. Dezember
2005 (AuG; SR 142.20) durch Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern
ohne Bewilligung sowie wegen Ungehorsams im Betreibungs- und Konkursverfahren,
begangen im Zeitraum Januar 2006 bis Juni 2012, zu einer Freiheitsstrafe von 30
Monaten (abzüglich 109 Tage Untersuchungshaft) sowie der Ersatzfreiheitsstrafe
von 40 Tagen wegen Uneinbringlichkeit der Busse von Fr. 4'000.--;
- mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Frauenfeld vom 22. Januar 2015 wegen
mehrfacher Gehilfenschaft zu banden- und gewerbsmässigem Diebstahl (Versuch)
sowie zu Sachbeschädigung, begangen im Februar 2014, zu einer unbedingten
Freiheitsstrafe von fünf Monaten als Zusatzstrafe zum Urteil des
Bezirksgerichts Lenzburg vom 22. Mai 2014, unter Anrechnung von vier Monaten
und 14 Tagen Untersuchungshaft.

1.2. Schon vor der letzten Verurteilung widerrief das Amt für Migration und
Integration des Kantons Aargau am 13. Januar 2015 die Niederlassungsbewilligung
und ordnete an, dass A.A.________ auf den Termin der Haftentlassung die Schweiz
zu verlassen habe; sollte die Verfügung zu diesem Zeitpunkt noch nicht
rechtskräftig sein, habe er die Schweiz 90 Tage nach Rechtskraft zu verlassen.

1.3. Eine gegen diese Verfügung gerichtete Beschwerde wies das
Verwaltungsgericht des Kantons Aargau mit Urteil vom 11. Mai 2016 ab, soweit es
darauf eintrat.

2. 
Die von A.A.________ hiergegen am 13. Juni 2016 beim Bundesgericht erhobene
Beschwerde kann, soweit sie sich gegen den Widerruf der
Niederlassungsbewilligung richtet, als Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten entgegen genommen, und, weil offensichtlich unbegründet, im
vereinfachten Verfahren mit summarischer Begründung abgewiesen werden (Art. 109
lit. a BGG). Soweit sich die Eingabe gegen die Wegweisung richtet, kann sie
wegen Ausschlusses der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten auf
diesem Gebiet (Art. 83 lit. c Ziff. 4 AuG) nicht als solche und mangels
detailliert erhobener Verfassungsrügen nicht als subsidiäre
Verfassungsbeschwerde entgegen genommen werden (Art. 113, Art. 116, Art. 106
Abs. 2 in Verbindung mit Art. 117 BGG).
Gemäss Art. 63 Abs. 1 lit. a in Verbindung mit Art. 62 lit. b AuG (in der bis
30. September 2016 geltenden, vorliegend noch massgeblichen Fassung) kann die
Niederlassungsbewilligung unter anderem dann widerrufen werden, wenn ein
Ausländer zu einer längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Als
längerfristige Freiheitsstrafe gilt eine solche von mehr als einem Jahr (BGE
139 I 16 E. 2.1 S. 18 f.; 139 I 31 E. 2.1 S. 32 f.; 139 I 145 E. 2.1 S. 147;
137 II 297 E. 2.1 S. 299; 135 II 377 E. 4.2 S. 379 f.). Diese Voraussetzung
eines Widerrufs ist aufgrund der Verurteilung vom 22. Mai 2014 zu einer
Freiheitsstrafe von dreissig Monaten durch das Bezirksgericht Lenzburg erfüllt.
Allerdings rechtfertigt sich der Widerruf der Bewilligung nur, wenn die im
Einzelfall vorzunehmende Interessenabwägung diese Massnahme als
verhältnismässig (Art. 96 AuG; Art. 5 Abs. 2 BV) und mit dem Grundrecht auf
Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 13 Abs. 1 BV; Art. 8 EMRK)
vereinbar erscheinen lässt (BGE 139 I 145 E. 2.2 S. 147; 135 II 377 E. 4.3 S.
381 f.).
Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass das öffentliche
Interesse am Widerruf der Bewilligung angesichts der zahlreichen
strafrechtlichen Verurteilungen, die zwar zu Beginn Bagatelldelikte betrafen,
dann aber schwerer wurden, gross ist. Was die privaten Interessen am weiteren
Verbleib in der Schweiz betrifft, hat das Verwaltungsgericht zunächst die Dauer
der Anwesenheit in der Schweiz von mehr als zwanzig Jahren in Rechnung
gestellt, alsdann auch die familiäre Beziehung zu Ehefrau und Kindern. Während
der Ehefrau aufgrund ihrer Sozialisierung im Kosovo eine Rückkehr zumutbar
schiene, ebenso dem jüngeren Sohn, der sich noch in einem anpassungsfähigen
Alter befindet, trifft dies für den älteren, mehr als vierzehn Jahre alten Sohn
nicht zu. Aufgrund dessen kann nicht erwartet werden, dass die Familie dem
Beschwerdeführer in den Kosovo folgen würde. Das Verwaltungsgericht hat
gleichwohl - und ohne Bundesrecht zu verletzen - angenommen, dass der Widerruf
der Bewilligung einer fairen Interessenabwägung entspricht. Dafür war
ausschlaggebend, dass der Beschwerdeführer sich weder von der allerdings einige
Zeit zurückliegenden ausländerrechtlichen Verwarnung noch vor allem von der
Strafuntersuchung, welche mit Untersuchungshaft von 109 Tagen verbunden war und
zur Freiheitsstrafe von dreissig Monaten führte, beeindrucken liess, sondern
sich im Februar 2014, kurz vor Abschluss des Strafverfahrens, noch als Gehilfe
an banden- und gewerbsmässigem Diebstahlsversuch und Sachbeschädigung
beteiligte, was zu einer Zusatzstrafe von fünf Monaten führte. Es kann auf die
sorgfältige Begründung des angefochtenen Urteils verwiesen werden (Art. 109
Abs. 3 BGG).
Auf das Eventualbegehren, es sei dem Beschwerdeführer eine Ausreisefrist von
180 Tagen anzusetzen, ist das Verwaltungsgericht nicht näher eingegangen. Diese
Anordnung steht in Zusammenhang mit der Wegweisung und kann bei Bundesgericht
nur mit subsidiärer Verfassungsbeschwerde überprüft werden (oben, E. 2.) Wegen
fehlender, klar detailliert erhobener Verfassungsrügen ist darauf nicht weiter
einzugehen.

3. 
Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die
bundesgerichtlichen Kosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Zwar hat er ein Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege gestellt (Art. 64 BGG), den Bedürftigkeitsnachweis
aber nicht erbracht und den verlangten Kostenvorschuss geleistet, weshalb über
das Gesuch nicht mehr zu befinden ist. Bei der Bemessung der Gerichtsgebühr ist
immerhin seiner finanziellen Lage Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG).
Parteientschädigungen werden nicht gesprochen (Art. 68 Abs. 3 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird abgewiesen,
soweit darauf einzutreten ist.

2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird als gegenstandslos
abgeschrieben.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4. 
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des
Kantons Aargau, und dem Staatssekretariat für Migration schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 15. November 2016

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Seiler

Die Gerichtsschreiberin: Mayhall

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Drucken nach oben