Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.404/2016
Zurück zum Index II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2016
Retour à l'indice II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2016


Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente
dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet.
Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem
Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
                                                               Grössere Schrift

Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
2C_404/2016        

Urteil vom 21. März 2017

II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Seiler, Präsident,
Bundesrichter Zünd,
Bundesrichterin Aubry Girardin,
Bundesrichter Stadelmann,
Bundesrichter Haag,
Gerichtsschreiberin Genner.

Verfahrensbeteiligte
A.________ AG,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Fürsprecher Alfred Meier,

gegen

Eidgenössische Steuerverwaltung.

Gegenstand
Verrechnungssteuer,

Beschwerde gegen den Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung I,
vom 28. Juni 2016.

Sachverhalt:

A.
Die A.________ AG mit Sitz in U.________ ist gemäss Handelsregistereintrag im
Bereich der Schiffahrt, dem Schiffbau und dem Schiffshandel tätig. Einziges
Mitglied des Verwaltungsrates ist der Aktionär B.________.

B.

B.a. Nach einer am 1. und 2. Mai 2012 am Domizil der A.________ AG
durchgeführten Buchprüfung richtete die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV),
Hauptabteilung Direkte Bundessteuer, Verrechnungssteuer, Stempelabgaben (DVS),
Abteilung Externe Prüfung, am 25. Mai 2012 ein Schreiben an die C.________ AG,
damals Revisionsstelle der A.________ AG, zuhanden von Herrn D.________. Darin
teilte die ESTV unter Bezugnahme auf die Buchprüfung und ein am Vortag mit
D.________ geführtes Telefongespräch mit, es würden geldwerte Leistungen im
Betrag von Fr. 63'669.80 aufgerechnet und davon die Verrechnungssteuer zum Satz
von 35%, ausmachend Fr. 22'284.45, erhoben. Nachdem die Verrechnungssteuer
nicht unaufgefordert 30 Tage nach Entstehung der Steuerforderung deklariert und
bezahlt worden sei, werde D.________ ersucht, dafür besorgt zu sein, dass der
Betrag von Fr. 22'284.45 im Lauf der nächsten 30 Tage an die ESTV überwiesen
werde. Die Steuer sei auf die leistungsbegünstigte Person, B.________, zu
überwälzen. Es sei nicht auszuschliessen, dass der erwähnte Sachverhalt auch
strafrechtliche Folgen nach sich ziehe. Sie - die ESTV - werde zu gegebener
Zeit orientieren.
Die A.________ AG bezahlte die Rechnung der ESTV vom 25. Mai 2012 am 14. Juni
2012.

B.b. In der Folge eröffnete die ESTV, Hauptabteilung DVS, Abteilung Strafsachen
und Untersuchungen, ein Strafverfahren gegen B.________ wegen fahrlässiger
Hinterziehung von Verrechnungssteuern. Im Rahmen dieses Verfahrens verlangte
die A.________ AG am 21. Februar 2013, dass die ESTV ihr eine anfechtbare
Verfügung bezüglich der Erhebung der Verrechnungssteuer eröffne. Am 30. Juli
2014 erging der Strafbescheid gegen B.________. In der dagegen erhobenen
Einsprache vom 12. August 2014 beantragte die A.________ AG die Sistierung des
Strafverfahrens, bis über "die anbegehrte Leistungsverfügung betreffend
Verrechnungssteuer (...) rechtskräftig entschieden" sei, und verlangte "die
Rückerstattung der zu Unrecht bezahlten Verrechnungssteuer samt Verzugszins".

B.c. Im Rahmen einer Aktennotiz vom 15. September 2014 hielt die ESTV,
Hauptabteilung DVS, Abteilung Externe Prüfung fest, die Erhebung der
Verrechnungssteuer sei rechtskräftig abgeschlossen, und stellte die Aktennotiz
am 14. Oktober 2014 der A.________ AG zu. Diese ersuchte die ESTV,
Hauptabteilung DVS, Abteilung Externe Prüfung, am 20. Oktober 2014 erneut um
"die baldige Eröffnung einer förmlichen und damit der gerichtlichen Überprüfung
zugänglichen Verfügung".

B.d. Am 22. Januar 2015 erliess die ESTV, Hauptabteilung DVS, Abteilung Externe
Prüfung, folgenden Entscheid:

"Auf den Antrag der A.________ AG (...) - auf Erlass eines materiellen
Entscheides bezüglich der Verrechnungssteuererhebung von CHF 22'284.45,
aufgrund von in den Jahren 2007 bis 2010 an den Aktionär Herrn B.________
erbrachten geldwerten Leistungen von CHF 63'669.80 - wird nicht eingetreten."

Die dagegen erhobene Einsprache der A.________ AG wies die ESTV, Hauptabteilung
DVS, Abteilung Externe Prüfung, am 14. September 2015 ab. Das
Bundesverwaltungsgericht bestätigte diesen Entscheid auf Beschwerde hin mit
Urteil vom 28. Juni 2016.

C.
Die A.________ AG erhebt am 5. August 2016 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten beim Bundesgericht mit den Anträgen, das angefochtene Urteil
aufzuheben und die Sache an die Eidgenössische Steuerverwaltung zurückzuweisen
mit der Anweisung, auf das Begehren um Rückerstattung der Verrechnungssteuer
für die Jahre 2007-2010 im Betrag von Fr. 22'284.45 zuzüglich Zins einzutreten
und dieses materiell zu prüfen. Eventuell sei die Sache an das
Bundesverwaltungsgericht zurückzuweisen mit der Anweisung, Herrn D.________ als
Zeuge zu befragen und im Sinn der Erwägungen des Bundesgerichts neu zu
entscheiden.
Das Bundesverwaltungsgericht hat auf Vernehmlassung verzichtet. Die ESTV
schliesst auf Abweisung der Beschwerde.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen den
Endentscheid des Bundesverwaltungsgerichts in einem Verrechnungssteuerstreit
ist zulässig (Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. a, Art. 90 BGG). Die
Beschwerdeführerin ist zur Erhebung des Rechtsmittels legitimiert (Art. 89 Abs.
1 BGG). Auf die form- und fristgerecht eingereichte Beschwerde ist einzutreten
(Art. 42 und Art. 100 Abs. 1 BGG).

1.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten
Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinn von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). "Offensichtlich
unrichtig" bedeutet dabei "willkürlich" (BGE 140 III 115 E. 2). Die
beschwerdeführende Partei kann die Feststellung des Sachverhalts unter den
gleichen Voraussetzungen beanstanden, wenn die Behebung des Mangels für den
Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG).
Neue Tatsachen und Beweismittel, d.h. solche, die im vorinstanzlichen Verfahren
nicht vorgebracht worden sind, dürfen vor Bundesgericht nur soweit vorgebracht
werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1
BGG).

2.
Streitig ist, ob die Vorinstanz den Nichteintretensentscheid der ESTV
betreffend den Antrag der Beschwerdeführerin vom 21. Februar 2013, ihr eine
anfechtbare Verfügung zuzustellen, zu Recht bestätigt hat.

2.1. Die Eidgenössische Steuerverwaltung trifft alle Verfügungen und
Entscheide, welche die Erhebung der Verrechnungssteuer notwendig macht; sie
trifft einen Entscheid insbesondere dann, wenn der Steuerpflichtige oder
Mithaftende die gemäss Abrechnung geschuldete Steuer nicht entrichtet (Art. 41
lit. c des Bundesgesetzes vom 13. Oktober 1965 über die Verrechnungssteuer
[Verrechnungssteuergesetz, VStG; SR 642.21]).

2.2. Verfügungen und Entscheide der Eidgenössischen Steuerverwaltung können
innert 30 Tagen nach der Eröffnung mit Einsprache angefochten werden (Art. 42
Abs. 1 VStG). Der Einspracheentscheid ist zu begründen und hat eine
Rechtsmittelbelehrung zu enthalten (Art. 42 Abs. 5 VStG).
Die Eröffnungsregeln in Bezug auf Verwaltungsverfügungen sind auf Bundesebene
in erster Linie im VwVG (SR 172.021) niedergelegt. Die Spezialgesetze können
abweichende Regelungen enthalten, welche jenen des VwVG vorgehen ( lex
specialis derogat legi generali). Gemäss Art. 35 Abs. 1 VwVG sind schriftliche
Verfügungen, auch wenn die Behörde sie in Briefform eröffnet, als solche zu
bezeichnen, zu begründen und mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen. Die
Rechtsmittelbelehrung muss das zulässige ordentliche Rechtsmittel, die
Rechtsmittelinstanz und die Rechtsmittelfrist nennen (Art. 35 Abs. 2 VwVG).
Diese Regeln werden - jedenfalls in Bezug auf die Rechtsmittelbelehrung - nicht
eingeschränkt durch Art. 42 Abs. 5 VStG. Art. 35 VwVG (erlassen am 20. Dezember
1968) ergänzt die noch lückenhafte Regelung des älteren
Verrechnungssteuergesetzes (erlassen am 13. Oktober 1965). Zudem wäre es wenig
zielführend, wenn die ESTV ihre Verfügungen nicht mit dem Hinweis auf die
Möglichkeit der Einsprache versehen müsste. Art. 35 Abs. 2 VwVG gilt somit -
zumindest was die Rechtsmittelbelehrung betrifft - auch für das
Verrechnungssteuerverfahren.

2.3. Art. 12 Abs. 1 der Verordnung vom 19. Dezember 1966 über die
Verrechnungssteuer (VStV; SR 642.211) sieht vor, dass bezahlte Steuern und
Zinsen, die nicht durch Entscheid der Eidgenössischen Steuerverwaltung
festgesetzt worden sind, zurückerstattet werden, sobald feststeht, dass sie
nicht geschuldet waren. Um diese Rückzahlung einer zu Unrecht erhoben Steuer
von der dem Verrechnungssteuerrecht systembedingt eigenen (ordentlichen)
Rückerstattung der Verrechnungssteuer im Sinn von Art. 21 ff. VStG abzugrenzen,
wird in der Lehre der Begriff "Rückvergütung" verwendet (MICHAEL BEUSCH, Der
Untergang der Steuerforderung, 2012, S. 57 ff.; BLUMENSTEIN/LOCHER, System des
schweizerischen Steuerrechts, 7. Auf. 2016, S. 410). Das vorliegende Urteil
folgt dieser Terminologie.

2.4. Im Bereich der Verrechnungssteuer kommt das Selbstveranlagungsprinzip zur
Anwendung. Danach hat die steuerpflichtige Person die Steuerforderung selbst
festzustellen und den Betrag der nach ihrer Ansicht geschuldeten Steuer unter
Beifügung einer Abrechnung fristgerecht einzubezahlen (MARKUS KÜPFER, in:
Zweifel/Beusch/Bauer-Balmelli [Hrsg.], Bundesgesetz über die Verrechnungssteuer
[VStG], 2. Aufl. 2012, N. 9 zu Art. 38 VStG). Nach einer weit zurückliegenden,
seither nicht bestätigten Rechtsprechung des Bundesgerichts hat die ohne
Vorbehalt geleistete Zahlung der selbst veranlagten Steuer für die
steuerpflichtige Person die Wirkungen eines rechtskräftigen Entscheids, den
diese nur bei Vorliegen eines Revisionsgrundes anfechten kann (Urteil des
Bundesgerichts vom 1. Oktober 1965, ASA 34 S. 269 E. 2 S. 271 f.; Urteil des
Bundesgerichts vom 4. Juli 1958, ASA 27 S. 276 E. 1 S. 279; KÜPFER, a.a.O., N.
12 zu Art. 38 VStG). In der Lehre ist umstritten, ob der Verordnungsgeber mit
Art. 12 Abs. 1 VStV eine Abkehr von der erwähnten Praxis beabsichtigt hat
(zustimmend WALTER ROBERT PFUND, Die eidgenössische Verrechnungssteuer, I.
Teil, 1971, N. 5.3 zu Vorbemerkungen zu Art. 17 VStG; ablehnend KÜPFER, a.a.O.,
N. 13 zu Art. 38 VStG).
Eine analoge Regel zu Art. 43 Abs. 1 lit. b MWSTG (SR 641.20), wonach die
Steuerforderung rechtskräftig wird durch die schriftliche Anerkennung oder die
vorbehaltlose Bezahlung einer Einschätzungsmitteilung durch die
steuerpflichtige Person, kennt das Verrechnungssteuerrecht nicht.

3.

3.1. Die Vorinstanz begründet ihre Schlussfolgerung, wonach die
Zahlungsaufforderung vom 25. Mai 2012 rechtskräftig geworden sei,
folgendermassen: Mit dem Begriff "Entscheid" in Art. 12 Abs. 1 VStV sei ein
rechtskräftiger Entscheid gemeint. Der Wortlaut erscheine zwar klar, sei aber
insoweit zu eng, als nicht nur Verfügungen im Sinn von Art. 5 VwVG als
Entscheide im Sinn von Art. 12 Abs. 1 VStV zu gelten hätten, sondern auch
Entscheidsurrogate wie eine formelle Einigung zwischen der steuerpflichtigen
Person und der ESTV oder die vorbehaltlose Bezahlung einer von der ESTV
aufgrund einer Kontrolle ausgestellten Rechnung.
Entgegen ihrem Vorbringen habe die Beschwerdeführerin bei der Bezahlung der
Rechnung keinen Vorbehalt angebracht. Es lasse sich nicht erstellen, dass die
Beschwerdeführer in die Verrechnungssteuerforderung aufgrund von Irreführung
und Druck seitens der ESTV bezahlt habe. Die Konstellation sei daher so zu
behandeln, als ob die ESTV einen Entscheid erlassen hätte, der in Rechtskraft
erwachsen sei. Dies schliesse eine Rückvergütung aus.

3.2. Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Rechtskraft der
Zahlungsaufforderung könne schon deswegen nicht eingetreten sein, weil ein
Entscheid oder eine Verfügung der ESTV nicht vorliege. Mit "Entscheid" sei eine
Verfügung im Sinn von Art. 5 VwVG gemeint. Aufgrund der Klarheit des Wortlauts
habe die Vorinstanz zu Unrecht geprüft, ob ausnahmsweise davon abzuweichen sei.
Da kein Entscheid im Sinn von Art. 12 Abs. 1 VStV vorliege, sei das Fehlen
eines ausdrücklichen Vorbehalts bei der Bezahlung der Verrechnungssteuer
unschädlich.
Selbst wenn entgegen dem klaren Wortlaut von Art. 12 Abs. 1 VStV die Auslegung
der Vorinstanz herangezogen würde, wäre die Forderung nicht rechtskräftig
festgelegt, da die Bezahlung nicht vorbehaltlos erfolgt sei. Sie - die
Beschwerdeführerin - habe die Rechnung vom 25. Mai 2012 nur bezahlt, weil
E.________ von der ESTV ihr für den Fall, dass sie mit den Aufrechnungen nicht
einverstanden sei, mit einem Strafverfahren gedroht habe. Dies gehe eindeutig
aus der E-Mail von D.________ vom 7. Februar 2013 an B.________ hervor. Darin
werde der Inhalt des Telefongesprächs vom 24. Mai 2012 zwischen D.________ und
E.________ wiedergegeben. Letzterer habe angekündigt, er werde gewisse
Positionen aufrechnen und falls die Beschwerdeführerin nicht einverstanden sei,
müsse sicherlich mit einem Strafverfahren gerechnet werden. Daraufhin habe sie
- die Beschwerdeführerin - ihr Einverständnis zur Aufrechnung der fraglichen
Positionen gegeben, um ein Strafsteuerverfahren zu vermeiden. Sie habe somit
vor der Wahl gestanden, die geforderte Verrechnungssteuer zu bezahlen oder ein
Steuerstrafverfahren zu gewärtigen. Ein Einverständnis mit der Steuerforderung
in materieller Hinsicht habe zu keinem Zeitpunkt bestanden. Es sei einzig darum
gegangen, die Angelegenheit ohne das angedrohte Strafverfahren zu erledigen.
Damit sei die Bezahlung irrtümlich, ja sogar unter Zwang erfolgt. Die Erwägung
der Vorinstanz, wonach sie - die Beschwerdeführerin - selbst bei Ausübung von
Druck durch die ESTV aufgrund des Hinweises in der Zahlungsaufforderung vom 25.
Mai 2012 ohnehin mit einem Strafverfahren habe rechnen müssen, sei
rechtsstaatlich bedenklich.
In diesem Zusammenhang stellt die Beschwerdeführerin den Beweisantrag, einen
Amtsbericht der ESTV, Hauptabteilung DVS, einzuholen, in dem die Praxis zur
Überweisung der durch die Abteilung Externe Prüfung behandelten Fälle an die
Abteilung Strafsachen und Untersuchungen in den Jahren 2007 bis 2010 klar
beschrieben werde. Damit will die Beschwerdeführerin die ihrer Ansicht nach
zentrale Begründung der Vorinstanz widerlegen, wonach eine allfällige
Zusicherung, auf die Einleitung eines Strafverfahrens zu verzichten, wegen der
Anzeigepflicht bei Widerhandlungen gegen Verwaltungsgesetze des Bundes gemäss
Art. 19 Abs. 2 VStrR (SR 313.0) bedeutungslos gewesen wäre. Weiter beantragt
die Beschwerdeführerin die Einvernahme von D.________ als Zeugen. Dieser Antrag
war bereits vor der Vorinstanz gestellt und von dieser in antizipierter
Beweiswürdigung abgewiesen worden.

4.

4.1. Die ESTV erliess am 25. Mai 2012 eine Steuerrechnung und stellte diese der
damaligen Revisionsstelle der Beschwerdeführerin zu, zuhanden von D.________,
mit dem der zuständige Revisor der ESTV tags zuvor ein Telefongespräch geführt
hatte. Darauf leitete D.________ die Rechnung an die Beschwerdeführerin weiter,
welche sie am 14. Juni 2012 beglich.
Es ist unbestritten, dass die Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit der
Bezahlung keinen ausdrücklichen Vorbehalt angebracht hat.

4.2. Für eine Steuerrückvergütung gestützt auf Art. 12 Abs. 1 VStV ist in
erster Linie vorausgesetzt, dass eine Nichtschuld bezahlt wurde. Der Nachweis
der zugrunde liegenden Tatsachen (hier: Ausübung von Druck durch einen
Mitarbeiter der ESTV) steht jedoch nur offen, wenn die Feststellung der
Steuerforderung nicht auf einem (rechtskräftigen) Entscheid der Steuerbehörde
beruht (vgl. E. 2.3 hiervor).

4.2.1. Zu prüfen ist somit die Grundsatzfrage, ob die (formlose)
Zahlungsaufforderung vom 25. Mai 2012, der vorbehaltlos Folge geleistet wurde,
als Verfügung im Sinn von Art. 5 Abs. 1 VwVG und Art. 41 lit. c VStG gilt.
Entgegen den Ausführungen der Vorinstanz bedarf es keines "formellen
Entscheids": Die Einhaltung der Eröffnungsregeln nach Art. 34 ff. VwVG betrifft
den Verfügungscharakter nicht; eine materielle Verfügung ist grundsätzlich
ausreichend.
Wird der Verfügungscharakter bejaht, wäre zu prüfen, ob die Verfügung trotz der
Eröffnungsmängel (fehlende Bezeichnung als Verfügung, Eröffnung an eine nicht
vertretungsbefugte Drittperson, fehlende Rechtsmittelbelehrung) in formelle
Rechtskraft erwachsen ist. Diesfalls wäre die Beschwerde abzuweisen, weil die
Rechtskraft der Erhebung eines Rechtsmittels entgegensteht.
Wird der Verfügungscharakter verneint, wäre zu prüfen, ob die Vorinstanz in
teleologischer Reduktion von Art. 12 Abs. 1 VStV die vorbehaltlose Zahlung zu
Recht als Verfügungssurrogat qualifiziert hat und gestützt darauf von einem
rechtskräftigen Entscheid ausgegangen ist, welcher der Rückvergütung
entgegensteht. Wird dies bejaht, wäre die Beschwerde ebenfalls abzuweisen.

4.2.2. Rechnungsstellungen oder Zahlungsaufforderungen des Gemeinwesens können
Verfügungscharakter haben; dies ist aber nicht zwingend (Urteil 2C_444/2015 vom
4. November 2015 E. 3.2.3). Im Bereich der Selbstveranlagungssteuern ergeht im
Normalfall gar keine Verfügung (BLUMENSTEIN/LOCHER, a.a.O., S. 411); auf diese
Fälle ist Art. 12 Abs. 1 VStV zugeschnitten (vgl. auch E. 4.3.3 hiernach).
Aufgrund des Selbstveranlagungsprinzips werden Rechnungen für Steuern zuweilen
nicht als Verfügungen qualifiziert (vgl. HANS-PETER HOCHREUTENER, in: Zweifel/
Beusch/Bauer-Balmelli [Hrsg.], Bundesgesetz über die Verrechnungssteuer [VStG],
2. Aufl. 2012, N. 1 zu Art. 41 VStG).
Im vorliegenden Fall ist fraglich, ob eine hoheitliche (d.h. einseitige und
verbindliche) Anordnung vorliegt. Zwar hat die ESTV die Beschwerdeführerin
aufgefordert, innert Frist eine bezifferte Schuld zu begleichen. Die Anordnung
im Sinn von Art. 5 Abs. 1 VwVG ist indessen (auch) eine Willenserklärung der
Behörde (KIENER/RÜTSCHE/KUHN, Öffentliches Verfahrensrecht, 2. Aufl. 2015, Rz.
355 mit Literaturhinweisen). Weil die ESTV anscheinend selbst nicht davon
ausging, eine hoheitliche Anordnung getroffen zu haben, ist der
Verfügungscharakter der Zahlungsaufforderung vom 25. Mai 2012 zu verneinen.

4.3. Aufgrund dieses Zwischenergebnisses ist nun die Zulässigkeit von
Verfügungssurrogaten bei der Auslegung des Begriffs "Entscheid" in Art. 12 Abs.
1 VStV zu prüfen. Die Vorinstanz geht in Berücksichtigung einer vor dem
Inkrafttreten dieser Bestimmung am 1. Januar 1967 ergangenen Rechtsprechung des
Bundesgerichts (vgl. E. 2.4 hiervor) davon aus, eine Vereinbarung über die
geschuldete Steuer (Bezahlung nach Annahme eines Taxationsvorschlags) oder die
(hier zu beurteilende) vorbehaltlose Bezahlung aufgrund einer durch die ESTV
ausgestellten Rechnung seien einem Entscheid im Sinn von Art. 12 Abs. 1 VStV
gleichzustellen mit der Folge, dass auch in diesen Fällen keine Rückvergütung
möglich ist.

4.3.1. Ausgangspunkt jeder Auslegung ist der Wortlaut. Vom klaren, eindeutigen
und unmissverständlichen Wortlaut darf nur ausnahmsweise abgewichen werden, so
etwa dann, wenn triftige Gründe dafür vorliegen, dass der Wortlaut nicht den
wahren Sinn der Norm wiedergibt. Solche Gründe können sich aus der
Entstehungsgeschichte der Bestimmung, aus ihrem Sinn und Zweck oder aus dem
Zusammenhang mit andern Vorschriften ergeben. Ist der Text nicht klar und sind
verschiedene Interpretationen möglich, muss nach seiner wahren Tragweite
gesucht werden unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente. Dabei ist
namentlich auf die Entstehungsgeschichte, auf den Zweck der Norm, die ihr
zugrunde liegenden Wertungen und ihre Bedeutung im Kontext mit anderen
Bestimmungen abzustellen (BGE 141 II 436 E. 4.1 S. 441; 139 II 404 E. 4.2 S.
416). Eine Gesetzesinterpretation  lege artis kann ergeben, dass ein
(scheinbar) klarer Wortlaut zu weit gefasst und auf einen an sich davon
erfassten Sachverhalt nicht anzuwenden ist (teleologische Reduktion, vgl. BGE
141 V 191 E. 3 S. 194 f.; 140 I 305 E. 6.2 S. 311; 131 V 242 E. 5.2 S. 247).

4.3.2. Betrachtet als Schluss und als Umkehrschluss, regelt Art. 12 Abs. 1 VStV
die folgenden beiden Konstellationen:

- Sind Steuern und Zinsen ohne vorgängige hoheitliche Anordnung ("nicht durch
Entscheid der ESTV festgesetzt") bezahlt worden, werden sie rückvergütet,
sobald feststeht, dass sie nicht geschuldet waren. Die Rückvergütung kann auf
Gesuch hin oder von Amtes wegen erfolgen (WALTER ROBERT PFUND, Die
eidgenössische Verrechnungssteuer, I. Teil, 1971, N. 5.5 zu Vorbemerkungen zu
Art. 17 VStG).
- Sind Steuern und Zinsen bezahlt worden, nachdem sie durch Entscheid der ESTV
festgesetzt worden sind, ist eine Rückvergütung ausgeschlossen (Art. 12 Abs. 1
VStV e contrario, vgl. auch PFUND, a.a.O., N. 5.2 zu Vorbemerkungen zu Art. 17
VStG; BLUMENSTEIN/LOCHER, a.a.O., S. 411). Indem die erwähnten Autoren das
Erfordernis eines  rechtskräftigen Entscheids in die Bestimmung intellegieren,
bringen sie zum Ausdruck, dass eine Anfechtung des Entscheids vorbehalten
bleibt, mithin die Verfügung im Rechtsmittelverfahren aufgehoben werden kann.

4.3.3. Art. 12 Abs. 1 VStV dient dazu, irrtümlich bezahlte Steuerbeträge, die
zuvor nicht autoritativ durch die Steuerverwaltung festgesetzt worden waren,
zurückzufordern. Ein Irrtum über die Zahlungspflicht kann nicht nur dann
bestehen, wenn die steuerpflichtige Person fälschlicherweise davon ausgeht,
eine Steuer zu schulden, sondern auch dann, wenn sie von der Behörde zu Unrecht
zur Zahlung veranlasst wurde. Ein Blick auf die beiden Konstellationen, die
Art. 12 Abs. 1 VStV zugrunde liegen (vgl. E. 4.3.2. hiervor), erhellt: Liegt
eine Verfügung vor, steht dem Adressaten grundsätzlich die Anfechtung offen;
unterbleibt diese Rechtshandlung, ist eine Rückvergütung (vorbehältlich einer
Revision) ausgeschlossen. Dies ist sachgerecht, denn der Verfügungsadressat
akzeptiert die Auferlegung der Steuer bewusst, indem er auf eine Anfechtung
verzichtet. Liegt dagegen keine Verfügung vor (was im
Selbstveranlagungsverfahren oft vorkommt, vgl. E. 4.2.2 hiervor), ist keine
Anfechtung möglich; aus diesem Grund eröffnet Art. 12 Abs. 1 VStV die
Möglichkeit der Rückvergütung, wenn der Nachweis der Nichtschuld erbracht ist.
Art. 12 Abs. 1 VStV soll demnach einer Person, der von Beginn an kein
Rechtsmittel zur Verfügung steht, um eine ungerechtfertigte Steuerzahlung
zurückzufordern, dies durch den Nachweis der Nichtschuld ermöglichen. Dieser
Schutzzweck würde zunichte gemacht, wenn die Person, welche die Steuer unter
Irrtum bezahlt hat, sich entgegenhalten lassen müsste, sie habe keinen
Vorbehalt angebracht. Die vorbehaltlose Bezahlung einer (unter Umständen gar
nicht bestehenden) Steuer ohne entsprechende behördliche Anordnung kann daher
nicht mit einem rechtskräftigen Entscheid, wie ihn Art. 12 Abs. 1 VStV
verlangt, gleichgesetzt werden. Die alte Praxis des Bundesgerichts ist mit
Inkrafttreten von Art. 12 Abs. 1 VStV am 1. Januar 1967 hinfällig geworden.

4.3.4. Nach dem Gesagten lässt sich der Sinn von Art. 12 Abs. 1 VStV eindeutig
aus dem Wortlaut erschliessen. Eine teleologische Reduktion mittels
Entscheidsurrogaten ist nicht angebracht (vgl. auch PFUND, a.a.O., N. 5.3 zu
Vorbemerkungen zu Art. 17 VStG; a.M. KÜPFER, a.a.O., N. 13 zu Art. 38 VStG),
weil dies dem Schutzzweck der Norm zuwiderliefe. Anders als im
Mehrwertsteuerrecht, welches mit Art. 43 Abs. 1 lit. b MWSTG die Wirkung von
Verfügungssurrogaten ausdrücklich regelt (vgl. auch BGE 140 II 202 E. 5.5 S.
207), fehlt es hier an einer gesetzlichen Grundlage, um die Rückvergütung einer
irrtümlich bezahlten Steuer auszuschliessen, wenn diese zuvor nicht verfügt
worden war.

4.3.5. Nachdem der Steuerbetrag vorliegend nicht autoritativ im Sinn von Art. 5
Abs. 1 VwVG festgesetzt worden war, schadet es nicht, dass die
Beschwerdeführerin bei der Bezahlung der Rechnung vom 25. Mai 2012 keinen
Vorbehalt angebracht hat. Es liegt kein Entscheid im Sinn von Art. 12 Abs. 1
VStV vor, weshalb die ESTV das Gesuch der Beschwerdeführerin vom 21. Februar
2013 (erneut gestellt am 20. Oktober 2014) um Eröffnung einer anfechtbaren
Verfügung nicht mit einem Nichteintretensentscheid hätte erledigen dürfen.

5.
Die Beschwerde erweist sich als begründet und ist gutzuheissen. Das
angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Sache an die ESTV zurückzuweisen zur
materiellen Prüfung der Frage, ob die Beschwerdeführerin eine Nichtschuld
bezahlt hat mit der Folge, dass sie gestützt auf Art. 12 Abs. 1 VStV Anspruch
auf Rückvergütung hat. Die ESTV wird dabei die Beweismassnahmen zu treffen
haben, die sie zur Klärung der (erstmalig zu prüfenden) Frage für notwendig
hält. Die Verfügung ist gemäss den in E. 2.2 genannten Grundsätzen zu eröffnen.
Da die Eidgenossenschaft in dieser Angelegenheit in ihren Vermögensinteressen
betroffen ist, wird die unterliegende ESTV kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 4 BGG
e contrario). Sie hat zudem die Beschwerdeführerin für das Verfahren vor dem
Bundesgericht angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Die Sache
ist zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung im vorangegangenen
Verfahren an die Vorinstanz zurückzuweisen (Art. 68 Abs. 5 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
vom 28. Juni 2016 aufgehoben. Die Sache wird zur materiellen Entscheidung an
die Eidgenössische Steuerverwaltung zurückgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'500.-- werden der Eidgenössischen Steuerverwaltung
auferlegt.

3.
Die Eidgenössische Steuerverwaltung hat die Beschwerdeführerin für das
Verfahren vor dem Bundesgericht mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen.

4.
Die Sache geht zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung im
vorangegangenen Verfahren an die Vorinstanz.

5.
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Bundesverwaltungsgericht,
Abteilung I, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 21. März 2017

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Seiler

Die Gerichtsschreiberin: Genner

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Drucken nach oben