Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.388/2016
Zurück zum Index II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2016
Retour à l'indice II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2016


Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente
dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet.
Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem
Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
                                                               Grössere Schrift

Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]               
2C_388/2016, 2C_389/2016     

Urteil vom 23. Februar 2017

II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Seiler, Präsident,
Bundesrichterin Aubry Girardin,
nebenamtlicher Bundesrichter Benz,
Gerichtsschreiber Matter.

Verfahrensbeteiligte
Steuerverwaltung des Kantons Appenzell Ausserrhoden,
Beschwerdeführerin,

gegen

1. A.A.________,
2. B.A.________,
Beschwerdegegner,
beide vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Peter Dietsche.

Gegenstand
Staats- und direkte Bundessteuer 2012
(Liquidationsgewinn),

Beschwerden gegen das Urteil des Obergerichts
Appenzell Ausserrhoden, 2. Abteilung,
vom 11. November 2015.

Sachverhalt:

A.
A.A.________ und B.A.________ führten ein Restaurant und ein Hotel in
U.________ AR. Gemäss einem bis Ende 2010 laufenden Liquidationsabkommen vom
29. Mai 2009 mit den Eheleuten verzichtete die X.________ AG (nachfolgend: die
Bank) als Hypothekargläubigerin auf einen allfälligen Pfandausfall aus der
Verwertung der beiden Liegenschaften. Am 3. bzw. 7. März 2011 wurden diese zu
Preisen veräussert, die deutlich unter den ausstehenden Hypothekarbeträgen
lagen.
Ende April 2012 gaben die Eheleute A.________ ihre selbständige
Erwerbstätigkeit auf. Für die Staats- und die direkte Bundessteuer 2012
besteuerte die Steuerverwaltung des Kantons Appenzell Ausserrhoden gegenüber
den Pflichtigen den Forderungsverzicht der Bank aus dem Pfandausfall separat
vom übrigen Einkommen.

B.
Dagegen erhoben die Ehegatten A.________ Einsprache, da die beiden
Liegenschaften erst nach Ablauf des Liquidationsabkommens verkauft worden
seien, unter Fortbestand der Schuld bzw. des Pfandausfalls gegenüber der Bank.
Die Steuerverwaltung wies die Einsprache am 2. Oktober 2014 ab, weil nicht
nachgewiesen worden sei, dass die Hypothekarforderung der Bank zum
massgeblichen Zeitpunkt weiterbestanden habe.
Die Eheleute A.________ gelangten daraufhin an das Obergericht Appenzell
Ausserrhoden, das ihre Beschwerde mit Urteil vom 11. November 2015 guthiess und
erwog, es sei vom Fortbestand der Schuld auszugehen.

C.
Am 3. Mai 2016 hat die Steuerverwaltung des Kantons Appenzell Ausserrhoden beim
Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erhoben. Sie
stellt den Antrag, das obergerichtliche Urteil vom 11. November 2015 aufzuheben
und ihren Einspracheentscheid vom 2. Oktober 2014 zu bestätigen.
Die Eheleute A.________ und das Obergericht des Kantons Appenzell Ausserrhoden
schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Die Eidgenössische Steuerverwaltung
hat auf eine Stellungnahme verzichtet.

Erwägungen:

I. Prozessuales

1.

1.1. Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Endentscheid betreffend
die direkten Steuern des Kantons und des Bundes. Dagegen steht gemäss Art. 82
ff. BGG in Verbindung mit Art. 73 ff. des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990
über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG,
SR 642.14) und mit Art. 146 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die
direkte Bundessteuer (DBG, SR 642.11) die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten an das Bundesgericht offen. Die Beschwerdeführerin ist zur
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten legitimiert (Art. 89 Abs.
2 lit. d BGG i.V.m Art. 146 DBG u. Art. 73 Abs. 2 StHG). Auf das form- und
fristgerecht eingereichte Rechtsmittel ist somit einzutreten.

1.2. Das gilt auch insoweit, als die Beschwerdeführerin das vorinstanzliche
Urteil mit einer einzigen Beschwerdeeingabe anficht (vgl. dazu im Einzelnen das
Urteil 2C_603/2012, 2C_604/2012 vom 10. Dezember 2012 E. 1). Für die Staats-
und die direkte Bundessteuer eröffnet das Bundesgericht zwei getrennte
Verfahren (2C_388/2016 und 2C_389/2016), die jedoch praxisgemäss vereinigt
werden.

1.3. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten
Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG), sofern die diesbezüglichen
Feststellungen nicht offensichtlich unrichtig sind oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen (Art. 105 Abs. 2 BGG).

1.4. Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen vor Bundesgericht nur so weit
vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt
(Art. 99 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdeführerin hat dem Bundesgericht E-Mails mit
dem Grundbuch Heiden eingereicht, ohne aufzuzeigen, wieso erst der Entscheid
der Vorinstanz dazu Anlass gegeben haben soll. Die E-Mails sind daher im
bundesgerichtlichen Verfahren nicht zu berücksichtigen.

II. Direkte Bundessteuer

2.

2.1. Verzichtet eine Bank gegenüber einem Privatkunden auf Forderungen, handelt
es sich um einen Einkommenszufluss gemäss Art. 16 Abs. 1 DBG (BGE 140 II 353 E.
2.2 S. 355). Soweit Schulden geschäftlich sind, ist ihr Erlass vom Begünstigten
als Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit im Sinne von Art. 18 DBG zu
versteuern (Urteile 2C_910/2014 vom 17. März 2016 E. 5.1 und 2C_120/2008 vom
13. August 2008 E. 2.2).

2.2. Diese Rechtslage steht zwischen den Verfahrensbeteiligten ausser Streit.
Umstritten ist dagegen, ob die Bank gegenüber den Beschwerdegegnern auf ihre
Forderungen im Umfang des Pfandausfalls verzichtet hat, den sie aus der
Veräusserung der beiden hier massgeblichen Liegenschaften erlitt.

2.2.1. Die Beweislast für den Nachweis steuerbegründender oder -erhöhender
Tatsachen obliegt der Veranlagungsbehörde, während diejenige für
steueraufhebende oder -mindernde Umstände grundsätzlich den Pflichtigen trifft
(BGE 140 II 248 E. 3.5 S. 352; 133 II 153 E. 4.3 S. 158 f.; 121 II 257 E. 4c/aa
S. 266 und 273 E. 3c/aa S. 284 mit Hinweisen; Urteile 2C_164/2013 vom 28. März
2014 E. 3.5 und 2C_1082/2012 vom 25. Oktober 2013 E. 2.3). Vorbehalten bleiben
Ausnahmen aufgrund der mitwirkungsorientierten Beweislastverteilung, die
namentlich im Bereich geldwerter Leistungen von Belang ist (Urteil 2C_15/2015
vom 6. August 2015 E. 2.5.4, mit Hinweis).

2.2.2. Hier muss somit die Beschwerdeführerin die Tatsachen nachweisen, die
einen Forderungsverzicht durch die Bank nahelegen. Kann sie dafür ausreichende
Indizien vorbringen, so haben die Beschwerdegegner Umstände darzutun, die für
den Fortbestand der Schuld sprechen (vgl. Urteile 2C_42/2015 vom 10. September
2015 E. 2.3; 2C_1036/2014 vom 21. April 2015 E. 4.3.2; 2A.105/2007 vom 3.
September 2007 E. 4.4).

2.3. Im vorinstanzlichen Verfahren hat die Beschwerdeführerin zwei gewichtige
Indizien zugunsten des Forderungsverzichts dargetan:

2.3.1. Für einen solchen Verzicht spricht einerseits die Pfandausfallklausel im
(allerdings bis Ende 2010 befristeten) Liquidationsabkommen zwischen der Bank
und den Beschwerdegegnern. In diesem Abkommen erklärte die Gläubigerin - unter
dem Vorbehalt, dass die Schuldner ihrerseits ihre Verpflichtungen aus der
Vereinbarung erfüllen -, auf jeglichen Pfandausfall zu verzichten, der sich aus
der Veräusserung der massgeblichen Liegenschaften ergeben würde. Die
Beschwerdegegner verpflichteten sich im Gegenzug namentlich dazu, den
operativen Betrieb in den beiden Liegenschaften bestmöglich aufrecht zu
erhalten (vgl. dazu auch unten E. 2.4.2).

2.3.2. Andererseits steht im Einklang mit der Annahme der Beschwerdeführerin,
die Gläubigerin habe auf ihre Forderung verzichtet, dass die Beschwerdegegner
in ihrer am 24. September 2012 eingereichten Steuererklärung 2011 ihre -
angeblich unvermindert weiterbestehende - Schuld gegenüber der Bank nicht
deklarierten. Das Indiz wird nicht dadurch entkräftet, dass die
Beschwerdegegner die Nichtdeklaration der Schuld nachträglich als einen eigenen
Fehler einräumen.

2.4. Angesichts der von der Veranlagungsbehörde zugunsten ihres Standpunkts
vorgelegten Indizien hätte es den Beschwerdegegnern oblegen, ihrerseits den
Gegenbeweis anzutreten und den Fortbestand der Schuld darzulegen (vgl. oben E.
2.2); eine entsprechende Mitwirkungspflicht hält auch Art. 125 Abs. 1 lit. c
DBG fest, wonach natürliche Personen der Steuererklärung insbesondere
Verzeichnisse über sämtliche Wertschriften, Forderungen und  Schulden beilegen
müssen. Das Obergericht hat erwogen, selbst nach dem Verkauf der beiden
Liegenschaften müsse vom Fortbestand der Schuld bzw. des Pfandausfalls
ausgegangen werden. Dieser Aussage der Vorinstanz kann indessen nicht gefolgt
werden.

2.4.1. Einen Beleg dafür, dass die Schuld per Ende 2011 noch bestanden hätte,
haben die Beschwerdegegner nie eingereicht. Sie behaupten lediglich, dass sie
ihre Gläubigerin mehrfach um Aufklärung gebeten hätten, ob die Forderung noch
bestehe, und diese sich bis heute dazu nicht ausgesprochen habe. Aus dem von
ihnen eingereichten Schreiben der Bank vom 11. September 2014 ist - wie sie
selbst einräumen - nicht ersichtlich, ob das Darlehen noch gültig oder erlassen
war.
Dass eine Schweizer Grossbank nicht imstande sein soll, ihren Standpunkt zu
einer solchen Frage rechtsverbindlich darzutun, ist nicht nachvollziehbar.
Gemäss Art. 127 Abs. 1 lit. b DBG sind Gläubiger verpflichtet, gegenüber dem
Steuerpflichtigen schriftliche Bescheinigungen auszustellen über  Bestand,
Höhe, Verzinsung und Sicherstellung  von Forderungen.

2.4.2. Ein rechtsgenüglicher Gegenbeleg für den Fortbestand der
Hypothekarschuld liegt auch nicht darin, dass das Liquidationsabkommen bis am
31. Dezember 2010 befristet war. Daraus schliessen die Beschwerdegegner und
nach ihnen das Obergericht, dass die Bank nur bis zu diesem Zeitpunkt bereit
gewesen sei, im Verkaufsfall auf einen Pfandausfall zu verzichten, weshalb der
Verzicht für die beiden anfangs März 2011 erfolgten Veräusserungen nicht mehr
gelten könne.
Gegen eine solche Sichtweise spricht aber, dass die Laufdauer des
Liquidationsabkommens nur um gut zwei Monate überschritten wurde. Die Umstände
legen nahe, dass sich die Bank trotz geringfügiger - möglicherweise von ihr
selbst verursachter - Zeitüberschreitung weiterhin an die Vereinbarung gebunden
fühlte und daher die Zusicherung, im Falle der Veräusserung der beiden
Liegenschaften auf den Pfandausfall zu verzichten, einlöste. Wie es sich damit
verhält, muss aber nicht weiter geprüft werden. Es genügt festzuhalten, dass
die Beschwerdegegner nicht imstande waren bzw. sind, entgegen den gewichtigen
Indizien zugunsten eines Forderungsverzichts Belege vorzulegen, aus welchen
sich der Fortbestand ihrer Schuld ergeben würde.

2.4.3. Gesamthaft beruht die Aussage der Vorinstanz, es sei der Fortbestand der
Schuld bzw. des Pfandausfalls anzunehmen, somit auf ungenügenden Tatsachen und
ist rechtsverletzend im Sinne von Art. 95 BGG (vgl. oben E. 1.3). Vielmehr ist
dieser Fortbestand nicht belegt und herrscht ein Zustand der Beweislosigkeit,
der sich nach dem Gesagten (vgl. oben E. 2.2 u. 2.4) zulasten der
Beschwerdegegner auswirkt.

2.5. Wenn sich aber nicht nachweisen lässt, dass die Schuld per 31. Dezember
2011 noch bestand, so folgt daraus, dass den Beschwerdegegnern in der hier
massgeblichen Periode 2012 ein entsprechendes Einkommen aus selbständiger
Erwerbstätigkeit zukam.
Gegen die Berechnung des steuerbaren Liquidationsgewinns infolge definitiver
Aufgabe der selbständigen Erwerbstätigkeit (Art. 37b DBG) machen die
Beschwerdegegner keine Einwände geltend. Dies führt zur Gutheissung der
Beschwerde hinsichtlich der direkten Bundessteuer.

III. Staats- und Gemeindesteuern

3.
Die für die kantonalen Steuern massgebenden Bestimmungen (vgl. namentlich die
Einkünfte aus selbständiger Erwerbstätigkeit in Art. 8 Abs. 1 StHG bzw. Art. 21
des Steuergesetzes des Kantons Appenzell Ausserrhoden vom 21. Mai 2000; StG/AR;
bGS 621.11) entsprechen inhaltlich jenen der direkten Bundessteuer. Gleiches
gilt für die Regeln zur Beweislastverteilung und den Mitwirkungspflichten (Art.
42 Abs. 2 und Art. 43 Abs. 1 StHG; Art. 162 Abs. 1 lit. c und Art. 165 Abs. 1
lit. b StG/AR), weshalb der Forderungsverzicht hinsichtlich der kantonalen
Steuern gleich zu behandeln ist wie bei der direkten Bundessteuer. Demnach ist
die Beschwerde auch hinsichtlich der Staats- und Gemeindesteuern gutzuheissen.

IV. Kosten- und Entschädigungsfolgen

4.
Bei diesem Verfahrensausgang sind die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens
den unterliegenden Beschwerdegegnern unter Solidarhaft aufzuerlegen (Art. 66
Abs. 1 u. 5 BGG). Über die Kosten- und Entschädigungsfolgen im kantonalen
Verfahren hat die Vorinstanz neu zu befinden (Art. 68 Abs. 5 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Verfahren 2C_388/2016 und 2C_389/2016 werden vereinigt.

2. 
Die Beschwerde betreffend die direkte Bundessteuer (2C_389/2016) wird
gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts Appenzell Ausserrhoden vom 11.
November 2015 aufgehoben und der Einspracheentscheid der Steuerverwaltung des
Kantons Appenzell Ausserrhoden vom 2. Oktober 2014 bestätigt.

3. 
Die Beschwerde betreffend die Staats- und Gemeindesteuern (2C_388/2016) wird
gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts Appenzell Ausserrhoden vom 11.
November 2015 aufgehoben und der Einspracheentscheid der Steuerverwaltung des
Kantons Appenzell Ausserrhoden vom 2. Oktober 2014 bestätigt.

4. 
Die Gerichtskosten von insgesamt Fr. 3'000.-- werden den Beschwerdegegnern
unter solidarischer Haftbarkeit auferlegt.

5. 
Die Sache wird zur Neufestlegung der Kosten- und Entschädigungsfolgen des
kantonalen Verfahrens an das Obergericht Appenzell Ausserrhoden zurückgewiesen.

6. 
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Obergericht Appenzell
Ausserrhoden, 2. Abteilung, und der Eidgenössischen Steuerverwaltung
schriftlich mitgeteilt. 

Lausanne, 23. Februar 2017

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Seiler

Der Gerichtsschreiber: Matter

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Drucken nach oben