Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.262/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
2C_262/2016

Urteil vom 12. April 2016

II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Seiler, Präsident,
Bundesrichterin Aubry Girardin,
Bundesrichter Haag,
Gerichtsschreiber Klopfenstein.

Verfahrensbeteiligte
A.________, c/o Gefängnis X.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Advokat Jörg Honegger,

gegen

Migrationsamt des Kantons Basel-Stadt.

Gegenstand
Verlängerung der Ausschaffungshaft,

Beschwerde gegen das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt
als Verwaltungsgericht,
Einzelrichter für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht,
vom 25. Februar 2016.

Sachverhalt:

A.

A.a. Dem algerischen Staatsangehörigen A.________ (geb. 1973) widerrief das
Migrationsamt des Kantons Basel-Stadt am 4. Februar 2014 die gestützt auf die
Ehe mit einer Schweizer Bürgerin erteilte Aufenthaltsbewilligung und wies ihn
aus der Schweiz weg. Ein kantonales Rechtsmittel hiegegen blieb erfolglos. Zur
Sicherstellung dieser Wegweisung wurde A.________ am 23. September 2014 in
Ausschaffungshaft genommen; auf die gegen den richterlichen
Haftgenehmigungsentscheid erhobene Beschwerde trat das Bundesgericht am 14.
Oktober 2014 nicht ein (Urteil 2C_939/2014). Am 23. Oktober 2014 wurde
A.________ nach Algerien ausgeschafft.

A.b. Am 26. November 2015 nahm die Kantonspolizei Basel-Stadt A.________ in der
Notschlafstelle Y.________ fest; gleichentags wurde er durch die
Staatsanwaltschaft und das Migrationsamt befragt. Ebenso ordnete das
Migrationsamt eine Ausschaffungshaft für drei Monate (bis zum 26. Februar 2016)
an, welche mit Urteil des basel-städtischen Einzelrichters für Zwangsmassnahmen
im Ausländerrecht vom 27. November 2015 für rechtmässig befunden wurde.

A.c. Mit Verfügung vom 9. Februar 2016 ordnete das Migrationsamt gegenüber
A.________ eine Verlängerung der Ausschaffungshaft um drei Monate (bis zum 25.
Mai 2016) an. Diese wurde vom zuständigen Einzelrichter anlässlich einer
mündlichen Verhandlung im Gefängnis X.________ überprüft und mit Urteil vom 25.
Februar 2016 für rechtmässig befunden.

B.
Mit Eingabe vom 21. März 2016 beantragt A.________ dem Bundesgericht, das
letztgenannte Urteil aufzuheben und ihn umgehend aus der Haft zu entlassen.
Der Einzelrichter und das SEM äussern sich, ohne einen ausdrücklichen Antrag zu
stellen. Der Beschwerdeführer hält an seinen Anträgen fest.

Erwägungen:

1.
Gegen letztinstanzliche kantonale richterliche Entscheide betreffend die
Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht steht die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten offen, soweit der Betroffene am
vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen hat, durch den angefochtenen Entscheid
besonders berührt ist und an der Beurteilung seiner Eingabe ein aktuelles
praktisches Interesse hat (Art. 86 Abs. 1 und 2, Art. 89 Abs. 1 BGG). Der
Beschwerdeführer befindet sich gestützt auf den hier angefochtenen Entscheid
bis zum 25. Mai 2016 in Ausschaffungshaft. Er hat ein aktuelles Interesse,
entlassen zu werden. Ein Ausschlussgrund ist nicht ersichtlich (Art. 83 BGG).
Auf die frist- und formgerecht eingereichte Beschwerde ist einzutreten.

2.
Wurde ein erstinstanzlicher Weg- oder Ausweisungsentscheid eröffnet, kann die
zuständige Behörde die betroffene Person zur Sicherstellung von dessen Vollzug
unter anderem in Ausschaffungshaft nehmen bzw. in dieser belassen, wenn
konkrete Anzeichen befürchten lassen, dass sie sich der Ausschaffung entziehen
will (Art. 76 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 AuG). Der Wegweisungsentscheid muss dabei
nicht bereits rechtskräftig sein; es genügt, dass sein Vollzug (z.B. wegen
fehlender Papiere) noch nicht möglich, jedoch absehbar erscheint. Der Vollzug
der Weg- oder Ausweisung darf sich nicht aus rechtlichen oder tatsächlichen
Gründen als undurchführbar erweisen (vgl. Art. 80 Abs. 6 lit. a AuG) und muss
mit dem nötigen Nachdruck verfolgt werden (Art. 76 Abs. 4 AuG:
"Beschleunigungsgebot"). Die ausländerrechtliche Festhaltung hat zudem als
Ganzes verhältnismässig zu sein (BGE 134 I 92 E. 2.3.2 S. 97; Urteile 2C_765/
2015 vom 18. September 2015 E. 5.3; 2C_334/2015 vom 19. Mai 2015 E. 2.2; 2C_218
/2013 vom 26. März 2013 E. 5.1).
Die maximale Haftdauer von 6 Monaten (Art. 79 Abs. 1 AuG) kann mit Zustimmung
der kantonalen richterlichen Behörde nach Art. 79 Abs. 2 AuG um höchstens zwölf
Monate verlängert werden, wenn (lit. a) die betroffene Person nicht mit der
zuständigen Behörde kooperiert bzw. (lit. b) sich die Übermittlung der für die
Ausreise erforderlichen Unterlagen durch einen Staat, der kein Schengen-Staat
ist, verzögert (Fassung gemäss Art. 2 Ziff. 1 des BB vom 18. Juni 2010
betreffend die Übernahme der EG-Rückführungsrichtlinie [Richtlinie 2008/115/
EG], in Kraft seit 1. Januar 2011 [AS 2010 5925; BBl 2009 8881]).

3.

3.1. Die Vorinstanz hat unter Verweisung auf ihren Entscheid vom 27. November
2015 den Haftgrund der Untertauchensgefahr (Art. 76 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 AuG)
bejaht. Dessen Vorliegen wird vom Beschwerdeführer nicht substanziiert
bestritten (Art. 42 Abs. 2 BGG), und darüber hinaus kann der Vorinstanz -
angesichts des Umstandes, dass der Beschwerdeführer bereits ein erstes Mal
ausgeschafft worden war und heimlich zurückkehrte -, nicht vorgeworfen werden
wenn sie vom Risiko des Untertauchens ausgeht. Zudem hat die Vorinstanz -
obwohl formell erst insgesamt sechs Monate ausländerrechtliche Haft zur
Diskussion stehen (vgl. Art. 79 Abs. 1 AuG) - bereits im Hinblick auf eine
absehbare weitere Verlängerung geprüft, ob die Voraussetzungen nach Art. 79
Abs. 2 AuG (vorne E. 2) erfüllt sind und dies wegen fehlender Kooperation
bestätigt.
Der Beschwerdeführer bestreitet seine fehlende Kooperation mit den Behörden
nicht, sondern bestätigt sie implizit, indem er ausführt, nicht nach Algerien
zurückkehren zu wollen. Damit ist Art. 79 Abs. 2 AuGerfüllt (die
Voraussetzungen von lit. a und lit. b sind alternativ zu verstehen, vgl. Art.
15 Abs. 6 der Richtlinie 2008/115/EG).

3.2. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Haft sei unzulässig, weil sie
bereits vor dem Wegweisungsentscheid (27. November 2015) angeordnet worden sei
und im Zeitpunkt der Haftanordnung kein gültiger Wegweisungsentscheid
vorgelegen habe; derjenige vom 4. Februar 2014, auf welchen sich das
Migrationsamt gestützt habe, sei durch die Ausschaffung am 23. Oktober 2014
vollzogen und konsumiert worden.
Die Rüge ist unbegründet: Die Argumentation des Beschwerdeführers könnte
höchstens dazu führen, dass die Haftdauer vor der Anordnung der Wegweisung (26.
/27. November 2015) als rechtswidrig beurteilt würde. Die Haftdauer bis zum 25.
Februar 2016 wurde aber mit Entscheid vom 27. November 2015 rechtskräftig
bestätigt (vorne lit. A.b); dieser Zeitraum steht hier nicht mehr zur
Diskussion. Die jetzt streitige Verlängerung der Haft ist  nach dem
Wegweisungsentscheid angeordnet worden. Im Übrigen führt nicht jede
Regelwidrigkeit im Verfahren zur Nichtigkeit der Haftanordnung oder zur
Aufhebung der Haft, weil sonst die praktische Wirksamkeit der Vorschriften über
die Rückführung beeinträchtigt würden. Richterlich zu prüfen ist in solchen
Konstellationen, ob dadurch die Verteidigungsrechte des Betroffenen
eingeschränkt werden (vgl. Urteil EuGH vom 10. September 2013 C-383/13 Rdnr. 38
- 45). Dies ist hier nicht der Fall.

3.3. Der Beschwerdeführer macht geltend, der Vollzug seiner Wegweisung sei
undurchführbar im Sinne der Rechtsprechung.
Die Ausschaffungshaft soll den Vollzug der Entfernungsmassnahme sicherstellen
und muss ernsthaft geeignet sein, diesen Zweck zu erreichen, was nicht (mehr)
der Fall ist, wenn die Weg- oder Ausweisung trotz der behördlichen Bemühungen
nicht in einem dem konkreten Fall angemessenen Zeitraum vollzogen werden kann.
Die Festhaltung hat, weil unverhältnismässig, dann als unzulässig zu gelten,
wenn triftige Gründe für solche Verzögerungen sprechen oder praktisch
feststeht, dass sich der Vollzug kaum innert vernünftiger Frist wird
realisieren lassen (BGE 130 II 56 E. 4.1.3 S. 61 mit Hinweisen, vgl. auch
Urteil 2C_1072/2015 vom 21. Dezember 2015 E. 3.2).
Nach den für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlichen Feststellungen der
Vorinstanz (Art. 105 BGG) sind die Reisekapazitäten für nach Algerien
auszuschaffende Personen beschränkt. Einerseits führen nur zwei
Fluggesellschaften begleitete Flüge von Genf nach Algerien durch und sind diese
Flüge auf jeweils 2 Betroffene beschränkt (vgl. auch Vernehmlassung des SEM vom
5. April 2016). Der Beschwerdeführer wird nach vorreserviertem Termin im Juli
2016 ausgeschafft werden können, allenfalls wird ein früherer Termin noch
realisierbar; der Termin liegt jedenfalls klarerweise innerhalb der maximal
möglichen Haftdauer. Auch bestehen keine Anhaltspunkte, dass die nötigen
Reisepapiere nicht innert vernünftiger Frist erhältlich gemacht werden könnten
(vgl. zit. Vernehmlassung sowie - spezifisch für Algerien - zit. Urteil 2C_1072
/2015 E. 3.3).
Im Übrigen ist zu berücksichtigen, wieweit der Betroffene es tatsächlich in der
Hand hat, seine Festhaltung zu beenden, indem er seiner Mitwirkungs- bzw.
Ausreisepflicht nachkommt (BGE 134 I 93 E. 2.3.2 S. 97, Urteil 2C_1/2016 vom
27. Januar 2016 E. 2.3 / E. 3.2.1). Der Beschwerdeführer wäre primär
verpflichtet, selber nach Algerien auszureisen. Dass dies faktisch oder
rechtlich unmöglich wäre, ist weder dargetan noch ersichtlich. Der
Beschwerdeführer hat es in der Hand, seine Haft selber zu beenden, indem er
sich bereit erklärt, seinen rechtlichen Verpflichtungen zur Ausreise
nachzukommen.

3.4. Der Beschwerdeführer rügt zu Unrecht eine Verletzung des
Beschleunigungsgebots (zum Massstab vgl. BGE 139 I 206 E. 2.1 S. 211) : Hier
geht es um die Haft vom 26. Februar 2016 bis zum 25. Mai 2016. Gemäss den
Angaben des Beschwerdeführers selber hat sich die Behörde jedenfalls ab dem 9.
Februar um einen Rückflug gekümmert (Rz. 13 der Beschwerdeschrift). Er tut
damit nicht dar, dass das Beschleunigungsgebot verletzt wäre.

3.5. Die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Depression - und damit
verbundene Suizidalität -, welche den Vollzug der Wegweisung unzumutbar mache,
ist nach seinen eigenen Angaben (Rz. 16 der Beschwerdeschrift) gerade nicht
reaktiv/taktisch aufgrund der bevorstehenden Ausschaffung motiviert, sondern
hat ihre Ursache in der im Januar 2016 erfolgten Scheidung. Damit ist der
Beschwerdeführer nicht in anderer Lage als alle anderen Personen, die in
Algerien leben und wegen Scheidung in Depressionen geraten (zum dort kostenlos
möglichen Zugang zur Psychiatrie vgl. angefochtener Entscheid S. 8); ein Grund
für die Unzumutbarkeit des Vollzugs der Ausschaffung liegt darin nicht.

4.
Die Beschwerde ist abzuweisen.
Bei diesem Ausgang trägt der Beschwerdeführer die Kosten des Verfahrens (Art.
65/66 BGG). Seinem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung
kann zufolge Aussichtslosigkeit der Beschwerde nicht entsprochen werden (Art.
68 Abs. 2 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdefüherr auferlegt.

4. 
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Appellationsgericht des
Kantons Basel-Stadt (als Verwaltungsgericht, Einzelrichter für Zwangsmassnahmen
im Ausländerrecht) und dem Staatssekretariat für Migration schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 12. April 2016

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Seiler

Der Gerichtsschreiber: Klopfenstein

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