Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.21/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
2C_21/2016

Urteil vom 5. September 2016

II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Seiler, Präsident,
Bundesrichter Zünd,
Bundesrichter Donzallaz,
Bundesrichter Stadelmann,
Bundesrichter Haag,
Gerichtsschreiber Errass.

Verfahrensbeteiligte
1. A.________,
2. B.________,
Beschwerdeführer, beide vertreten durch
Rechtsanwalt Urs Ebnöther, advokatur kanonengasse,

gegen

Amt für Migration und Zivilrecht des Kantons
Graubünden, Fremdenpolizei,
Departement für Justiz, Sicherheit und Gesundheit Graubünden.

Gegenstand
Niederlassungsbewilligung,

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungs-
gerichts des Kantons Graubünden, 1. Kammer,
vom 6. Oktober 2015.

Sachverhalt:

A. 
A.________, geboren 1978, und B.________, geboren 1981, sind syrisch-kurdischer
Herkunft. Sie reisten am 23. Oktober 2002 in die Schweiz; ein Asylgesuch wurde
am 10. Januar 2005 zunächst abgewiesen. In Wiedererwägung dieser Verfügung
wurde ihnen jedoch am 4. November 2005 aufgrund der Mitgliedschaft von
A.________ bei der PKK, verbunden mit exilpolitischer Tätigkeit, die
Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, Asyl indes weiterhin verweigert, weil die
aktive Mitgliedschaft in einer bewaffneten Organisation Asylunwürdigkeit zur
Folge habe. A.________ und B.________ wurden dementsprechend als Flüchtlinge
vorläufig aufgenommen.
Aufgrund der Zugehörigkeit zur Gruppe der Maktumin wurden A.________ und
B.________ sowie ihre Kinder am 30. Mai 2013 als Staatenlose anerkannt, worauf
ihnen das Amt für Migration und Zivilrecht des Kantons Graubünden die
Aufenthaltsbewilligung erteilte.

B. 
A.________ und B.________ ersuchten am 17. Juni 2013 um Erteilung der
Niederlassungsbewilligung für alle Familienmitglieder. Darauf hätten sie
Anspruch, weil sie sich als staatenlos anerkannte Personen seit mehr als fünf
Jahren in der Schweiz aufhielten.
Das Amt für Migration und Zivilrecht des Kantons Graubünden lehnte dies jedoch
am 9. Dezember 2013 ab mit der Begründung, dass die Frist von fünf Jahren erst
ab der Anerkennung der Staatenlosigkeit zu laufen beginne.
Beschwerden gegen diese Verfügung wurden am 7. April 2014 vom Departement für
Justiz, Sicherheit und Gesundheit sowie am 6. Oktober 2015 vom
Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden abgewiesen.

C. 
A.________, B.________ sowie ihre drei Kinder A.B.C.________, A.B.D.________
und A.B.E.________ haben am 8. Januar 2016 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten an das Bundesgericht erhoben. Sie beantragen, den Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden vom 6. Oktober 2015 aufzuheben und
ihnen die Niederlassungsbewilligung zu erteilen. Für das bundesgerichtliche
Verfahren ersuchen sie um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
Das Departement für Justiz, Sicherheit und Gesundheit und das
Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden wie auch das Staatssekretariat für
Migration SEM beantragen Abweisung der Beschwerde, jeweils ohne sich
ausführlich vernehmen zu lassen. In einer Stellungnahme vom 18. April 2016
beantragen die Beschwerdeführer, das Staatssekretariat für Migration zu
verhalten, inhaltlich zur von ihnen dokumentierten abweichenden Praxis in
anderen Kantonen und des Staatssekretariats selbst Stellung zu nehmen.

Erwägungen:

1. 
Auf dem Gebiet des Ausländerrechts ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten ausgeschlossen gegen Entscheide, welche Bewilligungen
betreffen, auf die weder das Bundesrecht noch Völkerrecht einen Anspruch
einräumen (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG). Gemäss Art. 31 Abs. 1 AuG hat eine von
der Schweiz als staatenlos anerkannte Person Anspruch auf
Aufenthaltsbewilligung im Kanton, in dem sie sich rechtmässig aufhält. Zudem
haben gemäss Art. 31 Abs. 3 AuG staatenlose Personen mit Anspruch auf eine
Aufenthaltsbewilligung, die sich seit mindestens fünf Jahren rechtmässig in der
Schweiz aufhalten, Anspruch auf die Niederlassungsbewilligung. Die von den
Beschwerdeführern beantragte Erteilung einer Niederlassungsbewilligung beruht
demnach auf einem Rechtsanspruch, weshalb die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zulässig ist.
Die weiteren Eintretensvoraussetzungen sind erfüllt, und auf die Beschwerde ist
einzutreten.

2.

2.1. Die ausländerrechtliche Regelung des Aufenthalts von staatenlosen
Personen, wie sie in Art. 31 Abs. 1 und 3 AuG vorgesehen ist, deckt sich
weitgehend mit jener, welche gemäss Art. 60 des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998
(AS 1999 2262) und zuvor schon unter der Geltung des Asylgesetzes vom 5.
Oktober 1979 (Art. 26 und 28, dazu BGE 123 II 145 E. 2a S. 148 f.) für
Flüchtlinge normiert war, denen Asyl gewährt wurde, wobei der zunächst
verwendete Begriff des "ordnungsgemässen" Aufenthalts mit Änderung vom 16.
Dezember 2005 (AS 2006 4745, 4752, in Kraft seit 1. Januar 2008) in
Übereinstimmung mit der Regelung für Staatenlose in Art. 31 AuG durch jenen des
"rechtmässigen" Aufenthalts ersetzt wurde. Mit einer weiteren Änderung vom 14.
Dezember 2012 (AS 2013 4375, 4381, in Kraft seit 1. Februar 2014) strich der
Gesetzgeber dann allerdings den bisherigen Anspruch auf
Niederlassungsbewilligung nach fünf Jahren rechtmässigen Aufenthalts und
ersetzte ihn durch die allgemeine Regelung von Art. 34 AuG, welche keinen
Rechtsanspruch vermittelt. Mit einer entsprechenden Gesetzesänderung vom 25.
September 2015 (BBl 2015 7181, 7207) hat der Gesetzgeber nunmehr auch Art. 31
Abs. 3 AuG gestrichen, womit der Rechtsanspruch auf Erteilung der
Niederlassungsbewilligung für Staatenlose nach fünfjährigem rechtmässigem
Aufenthalt entfallen wird, sobald diese Änderung in Kraft tritt, was bisher
aber noch nicht geschehen ist.

2.2. Das Bundesgericht hat sich in seiner bisherigen Rechtsprechung nicht dazu
aussprechen müssen, was unter "rechtmässigem" Aufenthalt von fünf Jahren im
Sinne von Art. 31 Abs. 3 AuG oder auch unter dem nämlichen Begriff von aArt. 60
Abs. 2 AsylG zu verstehen ist. Hingegen war in einem Urteil vom 17. November
2010 (BGE 137 II 10) zu entscheiden, welche Voraussetzungen gegeben sein
müssen, damit im Sinne von Art. 63 Abs. 2 AuG ein "ordnungsgemässer" Aufenthalt
von 15 Jahren vorliegt, der es nicht mehr erlaubt, eine
Niederlassungsbewilligung aus bestimmten Gründen zu widerrufen. Das
Bundesgericht hat dies unter Berücksichtigung der nämlichen Begriffsverwendung
in anderen Bestimmungen des geltenden (Niederlassungsbewilligung nach fünf
Jahren Aufenthalt der Ehegatten: Art. 42 Abs. 3 und 43 Abs. 2 AuG) oder
früheren Landesrechts sowie in Niederlassungsverträgen mit anderen Staaten
getan (BGE 137 II 10 E. 4.4 S. 13 f.). Danach gilt als ordnungsgemäss der
bewilligte Aufenthalt unabhängig davon, ob dieser zu Beanstandungen Anlass gibt
oder gab (BGE 120 Ib 360 E. 3b S. 367). Wenn Art. 31 Abs. 3 AuG nunmehr von
rechtmässigem statt ordnungsgemässem Aufenthalt spricht, wird dieser Aspekt im
Sinne der Rechtsprechung betont. Als ordnungsgemäss bzw. rechtmässig gilt bei
einer anspruchsbegründenden Heirat aber auch der Aufenthalt in der Zeit
zwischen Heirat und Bewilligungserteilung (BGE 137 II 10 E. 4.4 S. 14) oder bei
einem Flüchtling die Zeit zwischen Asylgesuch und Gutheissung desselben (BGE
137 II 10 E. 4.6 S. 15 f.). Diese Erweiterung beruht darauf, dass auf die
ausländerrechtliche Bewilligung ein Anspruch besteht und der darauf beruhende
Aufenthalt als rechtmässig zu gelten hat, auch wenn das Verfahren sich unter
Umständen einige Zeit dahinziehen mag. Anders verhält es sich demgegenüber für
einen Aufenthalt, der aufgrund der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsmittels
lediglich toleriert wird, wenn der Ausgang des Rechtsmittels nicht dazu führt,
dass dem Gesuch entsprochen wird (BGE 137 II 10 E. 4.4 S. 14). Analoges gilt
bei Asylgesuchen: Wird das Asylgesuch schliesslich abgewiesen, ist der
bisherige Aufenthalt zwar nicht illegal, denn ein Asylbewerber darf sich bis
zum Abschluss des Asylverfahrens in der Schweiz aufhalten (Art. 42 AsylG),
jedoch ist es nicht ein ordnungsgemässer oder rechtmässiger Aufenthalt (BGE 137
II 10 E. 4.6 S. 15 f.), der unter dem Gesichtspunkt von Art. 63 Abs. 2 AuG oder
auch aArt. 60 Abs. 2 AsylG bedeutsam sein könnte.

2.3. Die Beschwerdeführer sind am 30. Mai 2013 als staatenlos anerkannt worden,
weshalb ihnen gestützt auf Art. 31 Abs. 1 AuG die Aufenthaltsbewilligung
erteilt wurde. Ihr Gesuch haben sie bereits am 21. September 2011 eingereicht,
was im angefochtenen Entscheid zwar nicht festgestellt ist, aufgrund der Akten
aber ergänzt werden kann (Art. 105 Abs. 2 BGG). Der Aufenthalt seit 21.
September 2011 beruhte damit auf einem Verfahren, das in der Anerkennung einer
Rechtsstellung mündete, welche Anspruch auf Aufenthaltsbewilligung gab. Ein
rechtmässiger Aufenthalt von fünf Jahren im Sinne von Art. 31 Abs. 3 AuG liegt
dementsprechend zwar noch nicht vor, wird aber alsbald gegeben sein.
Die Beschwerdeführer sind jedoch der Meinung, dass auch schon ihr früherer
Aufenthalt als rechtmässig zu gelten habe. Sie beziehen sich jedoch zu Unrecht
auf den Gegenbegriff des rechtswidrigen Aufenthalts im Sinne des
Straftatbestands von Art. 115 AuG. Auch wenn für die beiden Konstellationen ein
analoges Begriffspaar rechtmässig/ rechtswidrig gebildet werden mag, liegt
einem Straftatbestand eine andere Wertung zugrunde als dem Erfordernis eines
rechtmässigen Aufenthalts im Sinne einer ausländerrechtlichen
Bewilligungskategorie. Sodann beziehen sich die Beschwerdeführer darauf, dass
sie bereits vor ihrer Anerkennung als staatenlose Personen solche waren. Das
ändert aber nichts daran, dass ein anspruchsbegründender Aufenthalt auf der
Anerkennung bzw. wenigstens auf dem Verfahren beruht, das zur Anerkennung
führt.
Man mag sich weiter die Frage stellen, ob der Aufenthalt aufgrund der
Anerkennung als Flüchtling, verbunden mit der vorläufigen Aufnahme am 4.
November 2005, bereits als rechtmässiger Aufenthalt im Sinne von Art. 31 Abs. 3
AuG gelten kann. Dagegen spricht jedoch, dass eine vorläufige Aufnahme die
Wegweisung voraussetzt und als Ersatzmassnahme bei Undurchführbarkeit ihres
Vollzugs konzipiert ist (BGE 137 II 305 E. 3.1 S. 308 f.). Bei Anerkennung als
Flüchtling nach Massgabe der Flüchtlingskonvention (SR 0.142.30) und
gleichzeitiger Verweigerung des Asyls wegen Asylunwürdigkeit im Sinne von Art.
53 AsylG mag es als eigenartig erscheinen, dass zunächst die Wegweisung
ausgesprochen wird und lediglich von deren Vollzug abgesehen wird, weil dieser
völkerrechtlich unzulässig ist (Art. 83 Abs. 3 AuG). Jedoch bestimmt die
Flüchtlingskonvention nicht, auf welche Weise der Staat einem anerkannten
Flüchtling Schutz gewährt und welche ausländerrechtliche Rechtsstellung er ihm
einräumt; entscheidend ist nur, dass der Schutz effektiv ist und dem Flüchtling
die Rechtsstellung zuteil wird, die ihm die Konvention garantiert. Aus der
Anerkennung als Flüchtling als solche kann deshalb nicht unmittelbar abgeleitet
werden, dass eine ausländerrechtliche Aufenthaltsbewilligung zu erteilen und
der darauf beruhende Aufenthalt bei Art. 31 Abs. 3 AuG anzurechnen wäre.

2.4. Die Beschwerdeführer berufen sich auf ihrer Ansicht nach vergleichbare
Fälle, die sie auch dokumentieren, bei denen eine Niederlassungsbewilligung
erteilt worden ist. Darauf braucht nicht weiter eingegangen zu werden und auch
ein diesbezüglicher Amtsbericht des Staatssekretariats ist entbehrlich, denn es
ist durchaus verständlich, dass die hier erörterte Rechtslage zu
unterschiedlichen Interpretationen Anlass geben konnte. Sie ist nunmehr
geklärt.

3. 
Die Beschwerde ist nach dem Gesagten abzuweisen. Entsprechend diesem
Verfahrensausgang werden die Beschwerdeführer grundsätzlich kostenpflichtig
(Art. 66 Abs. 1 BGG). Sie haben jedoch ein Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege gestellt (Art. 64 BGG). Dieses ist begründet, da die
Beschwerdeführer bedürftig sind und das Rechtsbegehren nicht als aussichtslos
erscheinen musste.

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Den Beschwerdeführern wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt, und
Rechtsanwalt Urs Ebnöther wird als unentgeltlicher Anwalt bestellt.

3. 
Es werden keine Kosten erhoben.

4. 
Rechtsanwalt Urs Ebnöther wird aus der Bundesgerichtskasse ein Honorar von Fr.
2'000 ausgerichtet.

5. 
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des
Kantons Graubünden, 1. Kammer, und dem Staatssekretariat für Migration
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 5. September 2016

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Seiler

Der Gerichtsschreiber: Errass

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