Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.204/2016
Zurück zum Index II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2016
Retour à l'indice II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2016


Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente
dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet.
Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem
Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
                                                               Grössere Schrift

Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
2C_204/2016

Urteil vom 9. Dezember 2016

II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Seiler, Präsident,
Bundesrichter Donzallaz,
Bundesrichter Stadelmann,
Gerichtsschreiberin Fuchs.

Verfahrensbeteiligte
1. A.A.________,
2. B.A.________,
Beschwerdeführer,
beide vertreten durch Rechtsanwalt
und dipl. Steuerexperte Beat Hunziker,

gegen

Kantonales Steueramt Aargau,

Steuerverwaltung des Kantons Graubünden.

Gegenstand
Kantons- und Gemeindesteuern 2009,

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungs-
gerichts des Kantons Aargau, 2. Kammer,
vom 27. Januar 2016.

Sachverhalt:

A.
A.A.________ kaufte sich im Laufe des Jahres 2006 als unselbständig Erwerbender
mit einem Betrag von Fr. 250'000.-- zur Finanzierung der vorzeitigen
Pensionierung in die Vorsorgestiftung zugunsten des Personals der X.________ AG
ein. Nachdem er von Januar bis März 2009 Taggelder der Arbeitslosenversicherung
bezogen hatte und sein Vorsorgekapital auf ein Konto der Freizügigkeitsstiftung
Y.________ hatte überweisen lassen, liess er sich am 7. April 2009 sein
angespartes Kapital in der Höhe von Fr. yyy auszahlen. Als Grund für die
Barauszahlung gab er die Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit an. Dazu
hatte er am 5. Januar 2009 das Einzelunternehmen Z.________ mit Sitz in
U.________ (AG) in das Handelsregister eintragen lassen. Vor der Auszahlung
hatte er sich am 1. April 2009 zusammen mit seiner Ehefrau und den beiden
Kindern bei der Einwohnerkontrolle U.________ ab- und in V.________ (GR)
angemeldet. Am 1. Oktober 2009 meldete sich die Familie erneut in U.________
an.

B.
Mit Verfügungen vom 7. September 2010 besteuerten das Gemeindesteueramt
V.________ und die Steuerverwaltung des Kantons Graubünden die Kapitalzahlung
für die Gemeinde, den Kanton und den Bund. Diese Verfügungen sind unangefochten
in Rechtskraft erwachsen.

C.

C.a. Am 22. und 28. Februar 2013 besteuerte auch die Steuerkommission
U.________ die erfolgte Kapitalzahlung (Jahressteuer der Kantons- und
Gemeindesteuern 2009 resp. der direkten Bundessteuer 2009 von je Fr. yyy). Die
dagegen erhobenen Einsprachen sind noch pendent.

C.b. Am 22. August 2013 veranlagte die Steuerkommission U.________ die
Ehegatten betreffend die Kantons- und Gemeindesteuern 2009 zu einem steuerbaren
Einkommen von Fr. yyy und zu einem steuerbaren Vermögen von Fr. yyy
(satzbestimmend Fr. yyy). Die Kapitalauszahlung vom 7. April 2009 erfasste sie
dabei abweichend von den im Februar 2013 erlassenen Verfügungen als übriges
Einkommen, da sie die Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit nicht als
gegeben und damit die Voraussetzungen für eine Barauszahlung nicht als erfüllt
erachtete. Die dagegen erhobenen Rechtsmittel blieben erfolglos
(Einspracheentscheid der Steuerkommission vom 30. Oktober 2013; Entscheid des
Spezialverwaltungsgerichts des Kantons Aargau, Abteilung Steuern, vom 25. Juni
2015; Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau vom 27. Januar 2016).

D.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 2. März 2016
beantragen A.A.________ und B.A.________ die Aufhebung der interkantonalen
Doppelbesteuerung für die Kapitalzahlung aus Vorsorge, indem das Urteil des
Verwaltungsgerichts aufgehoben und der Kanton Aargau angewiesen werde, die
Kapitalzahlung bei der Bestimmung des steuerbaren Einkommens der Steuerperiode
2009 von der Besteuerung auszunehmen. Eventualiter sei die
Veranlagungsverfügung des Kantons Graubünden vom 7. September 2009 (recte:
2010) bezüglich der Sondersteuer auf Kapitalabfindung des Kantons Graubünden
und der Gemeinde V.________ aufzuheben und der Kanton Graubünden und die
Gemeinde V.________ anzuweisen, ihnen die bezahlten Steuern samt Vergütungszins
zurückzuerstatten.
Das Verwaltungsgericht und das Kantonale Steueramt des Kantons Aargau
beantragen die Abweisung der Beschwerde. Die ESTV hat sich - ohne einen Antrag
zu stellen - vernehmen lassen. Die ebenfalls zur Vernehmlassung eingeladene
Steuerverwaltung des Kantons Graubünden beantragt die Gutheissung der
Beschwerde, eventualiter die Gutheissung des Eventualantrags der
Beschwerdeführer.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerde richtet sich gegen den verfahrensabschliessenden Entscheid
einer letzten kantonalen Instanz in einer Angelegenheit des öffentlichen
Rechts. Die Voraussetzungen der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten liegen vor (Art. 82 lit. a, Art. 83, Art. 86 Abs. 1 lit. d und
Abs. 2, Art. 89 Abs. 1, Art. 90 BGG i.V.m. Art. 73 des Bundesgesetzes vom 14.
Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und
Gemeinden [StHG; SR 642.14]). Auf die Beschwerde ist - mit nachfolgender
Einschränkung (E. 1.2) - einzutreten.

1.2. Bei Beschwerden wegen interkantonaler Kompetenzkonflikte kann auch eine
allenfalls bereits rechtskräftige Veranlagung eines anderen Kantons für
dieselbe Steuerperiode mit angefochten werden (vgl. Art. 100 Abs. 5 BGG),
obwohl es sich dabei in der Regel nicht um ein Urteil im Sinne von Art. 86 BGG
handelt (BGE 133 I 300 E. 2.4 S. 307; 133 I 308 E. 2.4 S. 313). Im vorliegenden
Fall richtet sich die Beschwerde gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts des
Kantons Aargau. Die Beschwerdeführer stellen zudem den Eventualantrag, es seien
die bereits rechtskräftigen Veranlagungsverfügungen des Kantons Graubünden und
der Gemeinde V.________ bezüglich der Sondersteuer auf Kapitalabfindung
aufzuheben und der Kanton Graubünden und die Gemeinde V.________ anzuweisen,
die bezahlten Steuern samt Vergütungszins zurückzuerstatten. Damit gelten
letztere Veranlagungsverfügungen als mit angefochten und richtet sich die
vorliegende Beschwerde materiell auch gegen den Kanton Graubünden, welcher aus
diesem Grund zur Vernehmlassung eingeladen wurde.
Allerdings folgt aus dem Doppelbesteuerungsverbot nicht auch die Verpflichtung
zur Leistung eines Vergütungszinses. Ein entsprechender Anspruch müsste sich
aus dem massgebenden kantonalen Recht ergeben. Dass dies für den Kanton
Graubünden zutrifft, wird in   der Beschwerde nicht dargetan, weshalb auf
dieses Begehren nicht   eingetreten werden kann (Urteile 2P.65/2006 vom 31.
August 2006 E. 1.2, in: RDAF 2006 II S. 518; 2P.2/2003 vom 7. Januar 2004 E.
1.3, in: ASA 73 S. 420, StE 2004 A 24.24.3 Nr. 2; vgl. auch Urteile 2C_191/2007
vom 11. Oktober 2007 E. 3.2, in: ASA 78 S. 663 und 2C_411/2008 vom 28. Oktober
2008 E. 3.2;  LOCHER/LOCHER, Die Praxis der Bundessteuern, III. Teil:
Interkantonale Doppelbesteuerung, Bd. 5, § 12, III C, 2, Nr. 8).

1.3. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann
insbesondere die Verletzung von Bundes- und Völkerrecht gerügt werden (Art. 95
lit. a und b BGG). Bei der Prüfung verfügt das Bundesgericht über volle
Kognition und wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist
daher weder an die in der Beschwerde vorgebrachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann die Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann eine Beschwerde mit einer von
der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen
(Motivsubstitution; BGE 141 V 234 E. 1 S. 236). Die Verletzung von Grundrechten
und von kantonalem (einschliesslich kommunalem) und interkantonalem Recht prüft
das Bundesgericht hingegen nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde
vorgebracht und begründet worden ist (qualifizierte Rüge- und
Begründungspflicht gemäss Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 139 I 229 E. 2.2 S. 232).
Das Bundesgericht prüft die Anwendung des harmonisierten kantonalen
Steuerrechts durch die kantonalen Instanzen grundsätzlich gleich wie
Bundesrecht mit freier Kognition (Art. 95 lit. a BGG). In den Bereichen, in
denen das Steuerharmonisierungsgesetz den Kantonen einen gewissen
Gestaltungsspielraum belässt oder keine Anwendung findet, beschränkt sich die
Kognition des Bundesgerichts auf Willkür (BGE 134 II 207 E. 2 S. 209 f.; 130 II
202 E. 3.1 S. 205 f.; Urteil 2C_837/2014 vom 23. Februar 2015 E. 2.2).

1.4. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten
Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig, das heisst willkürlich, ist oder
auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2
BGG; BGE 140 III 115 E. 2 S. 117). Die beschwerdeführende Partei kann die
Feststellung des Sachverhalts unter den gleichen Voraussetzungen beanstanden,
wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein
kann (Art. 97 Abs. 1 BGG).

2.
Soweit die Beschwerdeführer eine Verletzung des rechtlichen Gehörs rügen, indem
die Vorinstanz ihre Wohnsitzverlegung als geplantes Konstrukt zur
Steuerersparnis bezeichnet habe, ohne die angebotenen Beweise
(Wohnsitzverlegung der Eltern bzw. Schwiegereltern und Zeugenaussagen von
Bezugspersonen in V.________) zu würdigen, ist auf Folgendes hinzuweisen: Das
rechtliche Gehör nach Art. 29 Abs. 2 BV verlangt, dass die Behörde die
Vorbringen des vom Entscheid in seiner Rechtsstellung Betroffenen tatsächlich
hört, prüft und in der Entscheidfindung berücksichtigt (BGE 124 I 49 E. 3a S.
51; 124 I 241 E. 2 S. 242; je mit Hinweisen). Daraus folgt die Verpflichtung
der Behörde, ihren Entscheid zu begründen. Dabei ist es nicht erforderlich,
dass sie sich mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzt und
jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt. Vielmehr kann sie sich auf
die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken. Die Begründung muss so
abgefasst sein, dass der Betroffene den Entscheid in voller Kenntnis der Sache
an die höhere Instanz weiterziehen kann. In diesem Sinne müssen wenigstens kurz
die Überlegungen genannt werden, von denen sich die Behörde hat leiten lassen
und auf die sich ihr Entscheid stützt (BGE 138 I 232 E. 5.1 S. 237; 136 I 229
E. 5.2 S. 236; je mit Hinweisen). Die Vorinstanz hat dargelegt, weshalb sie
nicht von einer Wohnsitzverlegung in den Kanton Graubünden aus privaten Gründen
ausging. Der Entscheid konnte von den Beschwerdeführern denn auch ohne Weiteres
angefochten werden. Im Übrigen erweist sich diese Frage, wie noch zu sehen ist
und worauf schon die Vorinstanz richtig hingewiesen hat, ohnehin nicht als
relevant. Die Rüge der Gehörsverletzung ist unbegründet.

3.

3.1. Eine gegen Art. 127 Abs. 3 BV verstossende Doppelbesteuerung liegt vor,
wenn eine steuerpflichtige Person von zwei oder mehreren Kantonen für das
gleiche Steuerobjekt und für die gleiche Zeit zu Steuern herangezogen wird
(aktuelle Doppelbesteuerung) oder wenn ein Kanton in Verletzung der geltenden
Kollisionsnormen seine Steuerhoheit überschreitet und eine Steuer erhebt, die
einem anderen Kanton zusteht (virtuelle Doppelbesteuerung). Im vorliegenden
Fall beansprucht der Kanton Aargau die Steuerkompetenz für die Kapitalzahlung,
obschon die Beschwerdeführer für diese unbestrittenermassen bereits im Kanton
Graubünden rechtskräftig veranlagt worden sind. Damit liegt eine aktuelle
Doppelbesteuerung vor.

3.2. Nach Art. 5 Abs. 1 lit. b FZG (SR 831.42) bildet die Aufnahme einer
selbständigen Erwerbstätigkeit einen gesetzlichen Barauszahlungsgrund. Sind die
gesetzlichen Voraussetzungen für einen Barauszahlungsgrund erfüllt, werden
diese Kapitalleistungen separat und zu einer vollen Jahressteuer besteuert
(Art. 11 Abs. 3 StHG, vgl. auch § 45 Abs. 1 lit. a des Steuergesetzes des
Kantons Aargau vom 15. Dezember 1998 [StG/AG; SAR 651.100]). Es handelt sich um
eine erhebliche steuerliche Privilegierung der Kapitalleistungen gegenüber den
Rentenleistungen, da Letztere vollumfänglich und progressionswirksam mit dem
übrigen Einkommen zu versteuern sind. Gemäss Art. 68 Abs. 1 Satz 2 StHG in der
Fassung vom 15. Dezember 2000 (AS 2001 1050; nachfolgend: StHG 2000) sind die
Kapitalleistungen in dem Kanton steuerbar, in dem der Steuerpflichtige im
Zeitpunkt der Fälligkeit seinen Wohnsitz hat (vgl. mit Wirkung ab dem 1. Januar
2014 den gleich lautenden Art. 4b Abs. 1 Satz 2 StHG in der Fassung vom 22.
März 2013 [AS 2013 2397]; betreffend die direkte Bundessteuer vgl. Art. 105
Abs. 4 DBG [SR 642.11] in der Fassung vom 22. März 2013 [AS 2013 2397], zu Art.
216 Abs. 1 DBG in der Fassung vom 14. Dezember 1990 [AS 1991 1184] aber BGE 142
II 182 E. 2.4 S. 191 ff.).
Die Vorinstanz hat das Vorliegen eines gesetzeskonformen Barauszahlungsgrunds
im Sinne von Art. 5 Abs. 1 lit. b FZG mangels Aufnahme einer selbständigen
Erwerbstätigkeit verneint. Die Beschwerdeführer rügen eine unrichtige
Sachverhaltsfeststellung. Sie machen geltend, die Vorinstanz gelange
vereinfacht dargestellt zum Schluss, eine effektive Erwerbsabsicht liege nur
vor, wenn sie tatsächlich zu einem steuerbaren Erfolg führe. Diese vereinfachte
Betrachtung aus der ex post-Perspektive verkenne, dass der Beschwerdeführer bei
seinen Dispositionen im Jahr 2009 noch nicht gewusst habe, ob seine Bemühungen
um eine selbständige Erwerbstätigkeit von Erfolg gekrönt sein würden.

3.3. Für den Begriff der selbständigen Erwerbstätigkeit kennzeichnend ist die
Tätigkeit einer natürlichen Person, mit der diese auf eigenes Risiko, unter
Einsatz der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital, in einer von ihr frei
gewählten Arbeitsorganisation, dauernd oder vorübergehend, haupt- oder
nebenberuflich, in jedem Fall aber mit der Absicht der Gewinnerzielung am
Wirtschaftsverkehr teilnimmt.   Untergeordnete Anhaltspunkte sind etwa die
Beschäftigung von Personal, das Ausmass der Investitionen, ein vielfältiger,
wechselnder Kundenstamm und das Vorliegen eigener Geschäftsräumlichkeiten (BGE
125 II 113 E. 5b S. 120 [direkte Bundessteuer]; 138 II 251 E. 2.4.2 S. 256 f.
[Mehrwertsteuer]; 134 V 250 E. 3.1 S. 252 f. [AHV]). Die Prüfung ist von Fall
zu Fall aufgrund einer umfassenden Würdigung der tatsächlichen Umstände
vorzunehmen. Die einzelnen Gesichtspunkte dürfen dabei nicht isoliert
betrachtet werden und können auch in unterschiedlicher Intensität auftreten (
BGE 138 II 251 E. 2.4.2 S. 257 f.; 125 II 113 E. 5b S. 120 f.). Die
Steuerbehörden sind bei der Beurteilung, ob eine selbständige Erwerbstätigkeit
vorliegt oder aufgenommen wurde, nicht an die Beurteilung der
Vorsorgeeinrichtung gebunden; denn diese ist nicht mit Verfügungsbefugnis
ausgestattet (vgl. Urteile 2C_248/2015 / 2C_249/2015 vom 2. Oktober 2015 E.
3.3; 2C_156/2010 vom 7. Juni 2011 E. 3.3).
Umstritten ist vorliegend einzig, ob das Merkmal der Teilnahme am
Wirtschaftsverkehr mit der Absicht der Gewinnerzielung zu bejahen ist. Diese
sog. Gewinnstrebigkeit weist ein subjektives und ein objektives Moment auf: Zum
einen muss die Absicht, Gewinn zu erzielen, gegeben sein; zum anderen muss aber
auch die Tätigkeit zur nachhaltigen Gewinnerzielung geeignet sein (Urteile
2C_375/2015 vom 1. Dezember 2015 E. 7.1, in: RDAF 2016 II S. 88; 2C_188/2015 /
2C_189/2015 vom 23. Oktober 2015 E. 2.2; 2C_206/2011 / 2C_247/2011 vom 12.
April 2011 E. 4).

3.4. Die Vorinstanz hat sich eingehend mit der Frage auseinandergesetzt und die
Gewinnstrebigkeit aus verschiedenen Gründen verneint: Betreffend die
behaupteten Umsätze mit Familienmitgliedern seien keine Unterlagen eingereicht
worden, die eine Tätigkeit des Beschwerdeführers als Vermögensverwalter
nachweisen würden. Dasselbe gelte in Bezug auf bestimmte, vorgebrachte
Geschäftsvorfälle. Die eingereichten Rechnungen enthielten keinen Hinweis,
welche Dienste in Anspruch genommen worden seien. In den Jahren 2009 bis 2013
seien keine Reise- und Fahrzeugkosten verbucht worden, weshalb die Liste der
nicht erfolgreichen Kundenkontakte zurückhaltend zu würdigen sei. Angesichts
der geringen Anzahl an Kundenkontakten könnten die Bemühungen, neue Kunden zu
gewinnen, nicht als ernsthaft bezeichnet werden. Dem Beschwerdeführer sei es
somit nicht vorrangig um die Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit,
sondern um den vorzeitigen Bezug seines Freizügigkeitsguthabens und um die
Reduktion der Steuerlast gegangen. Der bezogene Betrag sei auch nicht in den
Geschäftsbüchern verbucht und somit nicht für Geschäftszwecke verwendet worden.
Unabhängig davon, dass das Gesetz die Investition des bezogenen Kapitals ins
Geschäft nicht verlange, erscheine es zumindest als ungewöhnlich, dass das
gesamte Kapital bezogen worden sei, zumal es naheliegend gewesen wäre,
lediglich einen Teilbezug zu tätigen oder den nicht für die Selbständigkeit
benötigten Betrag wieder in eine Freizügigkeitseinrichtung einzuzahlen.
Diesen Ausführungen (vgl. im Einzelnen das angefochtene Urteil E. 2.1) halten
die Beschwerdeführer nichts Konkretes entgegen. Sie werfen der Vorinstanz
lediglich vor, sie verkenne, dass der Beschwerdeführer bei seinen Dispositionen
im Jahr 2009 noch nicht gewusst habe, ob seine Bemühungen erfolgreich sein
würden. Zwar ist den Beschwerdeführern insofern zuzustimmen, als eine
erfolgreiche Gewinnerzielung nicht zum Voraus festzustehen braucht. Allerdings
setzen sie dem Vorwurf, keine genügenden Nachweise über die tatsächliche
Tätigkeit als Vermögensverwalter eingereicht zu haben, nichts entgegen, womit
sie diese Vorhaltung nicht zu widerlegen vermögen. Praxisgemäss wird es
ausserdem als deutliches Indiz für die mangelnde subjektive oder objektive
Gewinnstrebigkeit gewertet, wenn eine Tätigkeit auf Dauer nichts einbringt. Wer
wirklich eine Erwerbstätigkeit ausübt, wird sich in der Regel nach andauernden
beruflichen Misserfolgen von der Zwecklosigkeit seiner Tätigkeit überzeugen
lassen und diese aufgeben. Führt er sie dennoch weiter, ist anzunehmen, dass
dafür in subjektiver Hinsicht andere Motive als der Erwerbszweck massgebend
sind. Dies trifft etwa dann zu, wenn eine Tätigkeit aus blosser Liebhaberei
oder als Hobby betrieben wird (vgl. mit zahlreichen Beispielen auf die
Rechtsprechung Urteil 2C_375/2015 vom 1. Dezember 2015 E. 7.4.1, in: RDAF 2016
II S. 88). Die Tätigkeit als Vermögensverwalter ist nicht ohne Weiteres
vergleichbar mit den in der Rechtsprechung teilweise als Liebhaberei oder Hobby
bezeichneten Tätigkeiten in den Bereichen etwa der Landwirtschaft, der
Kunstmalerei oder des Weinhandels. Insofern erscheint es fraglich, ob dem
Beschwerdeführer eine fehlende subjektive Gewinnstrebigkeit unterstellt werden
kann. Zu berücksichtigen ist jedoch auch, dass in den Jahren 2009 bis 2013
stets ein Verlust von Fr. 10'000.-- bis Fr. 15'000.--, im Jahr 2013 noch Fr.
3'600.--, zu verzeichnen war (vgl. im Einzelnen das Urteil des
Spezialverwaltungsgerichts vom 25. Juni 2015 E. 4.5.3.1). Angesichts der
ungenügenden Nachweise für die Tätigkeit des Beschwerdeführers als
Vermögensverwalter und der doch mehrjährigen Verbuchung von Verlusten
erscheinen gesamthaft betrachtet die Zweifel der Vorinstanz an der Absicht der
Gewinnerzielung berechtigt. Die Feststellung, es habe keine selbständige
Erwerbstätigkeit vorgelegen, erweist sich damit nicht als offensichtlich
unrichtig oder unvollständig (vgl. E. 1.4).

3.5. Es ist somit festzuhalten, dass mangels Aufnahme einer selbständigen
Erwerbstätigkeit ein Barauszahlungsgrund nicht gegeben war. Die Barauszahlung
(Kapitalleistung) diente somit nicht der Vorsorge, weshalb eine separate
Besteuerung gemäss Art. 11 Abs. 3 StHG i.V.m. Art. 68 Abs.1 StHG 2000 nicht
zulässig gewesen wäre. Vielmehr greift gemäss bundesgerichtlicher
Rechtsprechung grundsätzlich die ordentliche Besteuerung und ist die
Kapitalauszahlung zusammen mit dem übrigen Einkommen ordentlich zu versteuern
(Urteil 2C_156/2010 vom 7. Juni 2011 E. 4.3). Das Bundesgericht hat allerdings
in diesem, auch von den Verfahrensbeteiligten zitierten Entscheid den Fall
vorbehalten, dass eine nicht rechtmässig bezogene oder zweckentfremdet
verwendete Barauszahlung an die Vorsorgeeinrichtung zurückbezahlt bzw. wieder
ihrem Zweck zugeführt wird. Im vorliegenden Fall wurde diese Frage bislang
nicht abgeklärt. Die Beschwerdeführer drücken jedenfalls vor Bundesgericht die
Bereitschaft aus, die Kapitalzahlung wieder zurückzubezahlen. Wenn das
kantonale Steueramt Aargau in diesem Zusammenhang rügt, dass die
Beschwerdeführer die Rückzahlung erstmals im bundesgerichtlichen Verfahren
anbieten würden, verkennt es, dass aus Sicht der Beschwerdeführer in Bezug auf
die Kapitalleistung rechtskräftige Steuerveranlagungen des Kantons Graubünden
bestehen und es somit kein Anlass für eine Rückzahlung gegeben hatte. Zudem
liegen noch pendente Veranlagungsverfügungen der Steuerkommission U.________
vom Februar 2013 vor, die ebenfalls von einer Barauszahlung ausgegangen waren.
Des Weiteren steht fest, dass die Steuerkommission U.________ zu Recht von
ihrer Zuständigkeit ausgegangen ist. Die Beschwerdeführer hatten Ende der
Steuerperiode 2009 ihren Wohnsitz unbestrittenermassen in der Gemeinde
U.________. Die Steuererhebungs- und -bezugskompetenz für das Steuerjahr 2009
kommt deshalb der Gemeinde U.________ resp. dem Kanton Aargau zu (vgl. Art. 68
Abs. 1 Satz 1 StHG 2000).
Auf die Vorbringen der Verfahrensbeteiligten bezüglich der umstrittenen
Wohnsitznahme im Kanton Graubünden braucht bei diesem Ergebnis nicht weiter
eingegangen zu werden. Insbesondere kann offen bleiben, wo die Beschwerdeführer
zum "Zeitpunkt der Fälligkeit" gemäss Art. 68 Abs. 1 Satz 2 StHG 2000 ihren
Wohnsitz hatten (vgl. dazu Urteil 2C_245/2009 vom 20. Oktober 2009 E. 3.3 ff.
und 4.3, in: ASA 79 S. 399, StE 2010 B 21.2 Nr. 26, StR 65/2010 S. 471, wonach
im Falle der Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit bei gegebenen
Barauszahlungsvoraussetzungen auf die Fälligkeit und nicht auf die tatsächliche
Auszahlung abzustellen ist).

3.6. Nach dem Gesagten ist die Angelegenheit an das kantonale Steueramt Aargau
resp. die Steuerkommission U.________ zu entsprechender Sachverhaltsergänzung
und Neubeurteilung zurückzuweisen. Diese wird zu prüfen haben, ob die
Beschwerdeführer die Barauszahlung wieder ihrem ursprünglichen Zweck zuführen
wollen bzw. können. Nur wenn dies nicht möglich sein sollte, ist die
Kapitalzahlung als übriges Einkommen ordentlich zu veranlagen. Der vom
Steueramt Aargau in seiner Vernehmlassung zitierte BGE 133 V 205 steht im
Übrigen einer Rückzahlung nicht entgegen, ging es in jenem Fall doch
insbesondere um die Rückforderungsberechtigung der Vorsorgeeinrichtung. Weiter
wird die Steuerkommission U.________ die pendenten Veranlagungsverfügungen vom
Februar 2013 aufzuheben haben. Ebenso werden das Gemeindesteueramt V.________
und die kantonale Steuerverwaltung Graubünden die Veranlagungen vom 7.
September 2010 zu revidieren und die erhaltenen Steuerbeträge zurückzuerstatten
haben.

4.

4.1. Die vorliegende Beschwerde ist demnach insoweit gutzuheissen, als das
vorinstanzliche Urteil aufzuheben und die Angelegenheit zu weiteren Abklärungen
an die Steuerkommission U.________ zurückzuweisen und die Veranlagungen der
Kapitalleistung (betreffend die Kantons- und Gemeindesteuern) durch den Kanton
Graubünden resp. die Gemeinde V.________ aufzuheben und die entsprechenden
Beträge zurückzuerstatten sind. Die Beschwerdeführer unterliegen aber insoweit,
als die Vorinstanz einen Barauszahlungsgrund mangels Aufnahme einer
selbständigen Erwerbstätigkeit zu Recht verneinen durfte. Die Gerichtskosten
sind daher im Umfang des Unterliegens (Art. 65 und 66 Abs. 1 BGG) den Kantonen
Aargau und Graubünden, die in ihrem amtlichen Wirkungskreis Vermögensinteressen
wahrnehmen (Art. 66 Abs. 4 BGG), sowie den Beschwerdeführern (als Ehegatten
unter solidarischer Haftung) aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 5 BGG).

4.2. Die Kantone Aargau und Graubünden haben den Beschwerdeführern aufgrund
deren (teilweisen) Obsiegens eine angemessene Parteientschädigung für das
bundesgerichtliche Verfahren auszurichten (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Den
beiden in ihren amtlichen Wirkungskreisen ebenfalls teilweise obsiegenden
Kantonen steht keine Parteientschädigung zu (Art. 68 Abs. 3 BGG).

4.3. Die Festsetzung der Kosten und Entschädigung für die vorinstanzlichen
Verfahren wird dem Verwaltungsgericht des Kantons Aargau übertragen (Art. 67
i.V.m. Art. 68 Abs. 5 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde gegen den Kanton Aargau wird gutgeheissen und das Urteil des
Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau vom 27. Januar 2016 aufgehoben. Die
Sache wird zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an den Kanton Aargau
zurückgewiesen.

2. 
Die Beschwerde gegen den Kanton Graubünden wird gutgeheissen, soweit darauf
einzutreten ist. Der Kanton Graubünden wird angewiesen, die Steuerveranlagungen
betreffend Kapitalzahlung im Jahr 2009 aufzuheben und die bereits bezogenen
Kantons- und Gemeindesteuern zurückzuerstatten.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 13'000.-- werden zu je Fr. 4'000.-- den Kantonen
Aargau und Graubünden und zu Fr. 5'000.-- den Beschwerdeführern (als Ehegatten
unter solidarischer Haftung) auferlegt.

4. 
Die Kantone Aargau und Graubünden haben die Beschwerdeführer für das
bundesgerichtliche Verfahren mit je Fr. 1'000.-- zu entschädigen.

5. 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten- und Entschädigungsfolgen der
kantonalen Rechtsmittelverfahren an das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau
zurückgewiesen.

6. 
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des
Kantons Aargau, 2. Kammer, und der Eidgenössischen Steuerverwaltung schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 9. Dezember 2016

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Seiler

Die Gerichtsschreiberin: Fuchs

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Drucken nach oben