Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Subsidiäre Verfassungsbeschwerde 1D.1/2016
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
1D_1/2016

Urteil vom 13. Mai 2016

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Chaix,
Gerichtsschreiber Störi.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,

gegen

B.________, Regierungsrätin,
c/o Finanzdirektion des Kantons Zürich,
Walcheplatz 1, Postfach, 8090 Zürich,
Beschwerdegegnerin,

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich,
Florhofgasse 2, Postfach, 8090 Zürich.

Gegenstand
Ermächtigungsgesuch,

Beschwerde gegen den Beschluss vom 10. Dezember 2015 der Geschäftsleitung des
Kantonsrates des Eidgenössischen Standes Zürich.

Sachverhalt:

A. 
A.________ reichte am 5. September 2015 bei der Oberstaatsanwaltschaft des
Kantons Zürich eine Strafanzeige gegen alt Regierungsrätin B.________ ein.
Darin macht er im Wesentlichen geltend, der Kanton Zürich habe sich, teilweise
unter ihrer Verantwortung, ihm gegenüber in strafbarer Weise seiner
Beitragspflicht gemäss dem Bundesgesetz über die berufliche Alters-,
Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge entzogen. Die Staatsanwaltschaft I
überwies die Anzeige als Ermächtigungsgesuch an den Kantonsrat. Dessen
Geschäftsleitung wies das Ermächtigungsgesuch am 10. Dezember 2015 auf Antrag
der Justizkommission kostenfällig ab.

B. 
Mit subsidiärer Verfassungsbeschwerde beantragt A.________, diesen Entscheid
der Geschäftsleitung aufzuheben und ihr die Sache zu neuer Beurteilung
zurückzuweisen. Sie sei anzuweisen, das Ermächtigungsgesuch im Sinn von § 38
Abs. 2 des Kantonsratsgesetzes vom 5. April 1981 (KRG) dem Ratsplenum zur
Beurteilung vorzulegen. Für den Fall des Obsiegens beantragt er die Zusprechung
einer angemessenen Parteientschädigung.
Die Oberstaatsanwaltschaft und B.________ verzichten auf Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.

1.1. Mit dem angefochtenen Entscheid hat die Geschäftsleitung des Kantonsrates
als politische Behörde die Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung eines
ehemaligen Regierungsmitglieds und damit einer Magistratin nicht erteilt, wobei
er neben strafrechtlichen auch politische Gesichtspunkte mitberücksichtigen
durfte (BGE 137 IV 269 E. 2.4 S. 277; 135 I 113 E. 1 S. 115, je mit Hinweisen).
Damit fehlt es an einer Prozessvoraussetzung für das vom Beschwerdeführer
angestrebte Strafverfahren.

1.2. Das Ermächtigungsverfahren ist ein Verwaltungsverfahren (BGE 137 IV 269 E.
1.3.1 S. 272 mit Hinweisen). Angefochten ist dementsprechend ein
öffentlich-rechtlicher Entscheid. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten ist ausgeschlossen, da es sich um einen Entscheid über die
Verweigerung der Ermächtigung zur Strafverfolgung eines ehemaligen
Behördenmitglieds handelt (Art. 83 lit. e BGG; BGE 137 IV 269 E. 1.3.1 S. 272
mit Hinweisen). Damit ist nach Art. 113 BGG die subsidiäre
Verfassungsbeschwerde gegeben. Angefochten ist ein erst- und gleichzeitig
letztinstanzlicher kantonaler Entscheid einer nicht richterlichen Behörde,
mithin ein zulässiges Anfechtungsobjekt, da der kantonale Gesetzgeber
Entscheide mit vorwiegend politischem Charakter von der Rechtsweggarantie von
Art. 29a BV ausnehmen kann (Art. 114 i.V.m. Art. 86 Abs. 3 BGG; BGE 135 I 113
E. 1 S. 116 f. mit Hinweisen).

1.3. Zur Verfassungsbeschwerde ist nach Art. 115 BGG befugt, wer: a. vor der
Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat oder keine Möglichkeit zur Teilnahme
erhalten hat; und b. ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder
Änderung des angefochtenen Entscheids hat. Der Beschwerdeführer hat darzulegen,
dass die Legitimationsvoraussetzungen erfüllt sind, soweit dies nicht
offensichtlich ist (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 133 II 353 E. 1; 249 E. 1.1).
Er bringt in seiner Beschwerde dazu lediglich vor, er erfülle die Anforderungen
von Art. 115 lit. a und b BGG kumulativ. Davon kann zwar in Bezug auf die
Voraussetzung von lit. a ohne Weiteres ausgegangen werden (vgl. Urteil 1D_2/
2015 vom 4. November 2015 E. 2.3.2 und 2.3.3), nicht aber in Bezug auf das
erforderliche Rechtsschutzinteresse im Sinn von lit. b. Auf die Beschwerde ist
nicht einzutreten, da der Beschwerdeführer unter Verletzung der gesetzlichen
Begründungspflicht nicht darlegt, dass er ein rechtlich geschütztes Interesse
an ihrer Erhebung hat. Das schadet ihm allerdings insofern nicht, als ihm ein
solches ohnehin abgeht:

1.4.

1.4.1. Gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO können die Kantone vorsehen, dass die
Strafverfolgung der Mitglieder ihrer Vollziehungs- und Gerichtsbehörden wegen
im Amt begangener Verbrechen oder Vergehen von der Ermächtigung einer nicht
richterlichen Behörde abhängt. Von dieser Möglichkeit hat der Kanton Zürich
Gebrauch gemacht. Gemäss § 38 des Kantonsratsgesetzes vom 5. April 1981 (KRG;
LS 171.1) kann gegen ein Mitglied des Regierungsrates oder eines obersten
kantonalen Gerichts eine Strafuntersuchung wegen eines in Ausübung seines Amtes
begangenen Verbrechens oder Vergehens nur eröffnet werden, wenn der Kantonsrat
dazu die Ermächtigung erteilt hat (Abs. 1). Entsprechende Anträge von
Mitgliedern des Kantonsrates oder der genannten Behörden oder Gerichte sowie
Anzeigen und Ermächtigungsgesuche Dritter sind an die Geschäftsleitung zu
richten. Diese werden der Justizkommission zur Antragstellung an die
Geschäftsleitung zugewiesen. Die Geschäftsleitung stellt dem Rat Antrag.
Offensichtlich unbegründete Anzeigen und Ermächtigungsgesuche kann die
Geschäftsleitung auf Antrag der Justizkommission ohne Weiterungen oder nach
Beizug der Akten und einer schriftlichen Stellungnahme der betroffenen Person
selbständig von der Hand weisen (Abs. 2). Die Geschäftsleitung kann auch von
sich aus dem Rat Antrag stellen (Abs. 3). Beschliesst der Kantonsrat die
Eröffnung einer Strafuntersuchung, kann er zu deren Durchführung einen
besonderen Staatsanwalt bestimmen (Abs. 4).

1.4.2. § 38 KRG regelt das Ermächtigungsverfahren damit nur rudimentär (BGE 135
I 113 E. 1 S. 115). Er räumt dem privaten Anzeigeerstatter und Gesuchsteller
keine Parteirechte ein (Urteil 1D_2/2015 vom 4. November 2015 E. 2.3.3). Der
Beschwerdeführer hat daher kein rechtlich geschütztes Interesse, den
Ermächtigungsentscheid in der Sache anzufechten.
Nach der "Star-Praxis" kann ein Beschwerdeführer allerdings unbekümmert um die
fehlende Legitimation in der Sache eine Verletzung von Verfahrensrechten
geltend machen, deren Missachtung eine formelle Rechtsverweigerung darstellt.
Das erforderliche rechtlich geschützte Interesse ergibt sich diesfalls nicht
aus einer Berechtigung in der Sache selbst, sondern aus der Berechtigung, am
Verfahren teilzunehmen (BGE 138 IV 78 E. 1.3 S. 80; 137 II 305 E. 2 S. 308; 133
I 185 E. 6.2 S. 198 f.; je mit Hinweisen). Der Beschwerdeführer kann die
Verletzung von Verfahrensrechten rügen, die ihm aufgrund des kantonalen Rechts
oder unmittelbar aufgrund der Bundesverfassung oder der Europäischen
Menschenrechtskonvention zustehen (BGE 136 IV 41 E. 1.4 S. 44 mit Hinweisen).
Unzulässig sind dabei Rügen, die im Ergebnis auf eine materielle Überprüfung
des angefochtenen Entscheids abzielen, wie etwa die Behauptung, dass die
Begründung des angefochtenen Entscheids unvollständig oder zu wenig
differenziert ausgefallen sei oder sich nicht mit sämtlichen von der Partei
vorgetragenen Argumenten auseinandersetze oder dass die Parteivorbringen
willkürlich gewürdigt worden seien. Ebenso wenig ist der Vorwurf zu hören, der
Sachverhalt sei unvollständig oder sonstwie willkürlich ermittelt worden.
Unzulässig ist auch die Rüge, Beweisanträge seien wegen willkürlicher
antizipierter Beweiswürdigung abgelehnt worden (BGE 137 II 305 E. 2 mit
Hinweisen).

1.4.3. Nach der Praxis des Bundesgerichts stehen dem Anzeigeerstatter und
Gesuchsteller auch im Ermächtigungsverfahren unmittelbar gestützt auf
Verfassung und EMRK bestimmte grundlegende Verfahrensrechte zu. Danach hat der
Anzeiger einen minimalen Anspruch auf rechtliches Gehör. Darüber hinausgehende
Rechte hat das Bundesgericht dem Anzeiger nicht zuerkannt. Daran ist
grundsätzlich festzuhalten. Bei der Vorinstanz handelt es sich um eine
politische Behörde, die bei ihrem Entscheid politische Gesichtspunkte
berücksichtigt, was nach der Rechtsprechung bei Magistratspersonen zulässig ist
(BGE 137 IV 269 E. 2.4 S. 277 f.; 135 I 113 E. 1 S. 115; je mit Hinweisen). Die
Vorinstanz ist kein Gericht, das einzig nach rechtlichen Kriterien entscheidet.
Der wesentlich politischen Natur des vorinstanzlichen Verfahrens würde es nicht
gerecht, dem Anzeiger sämtliche Rechte zu gewähren, die einer Partei im
Gerichtsverfahren zustehen. Der Anzeiger hat in Fällen wie hier, wo es nicht um
eine Tötung geht (vgl. dazu BGE 135 I 113), Anspruch auf rechtliches Gehör in
dem Sinne, dass die Ermächtigungsbehörde seine Darlegungen entgegen und zur
Kenntnis zu nehmen, ihren Entscheid - wenigstens kurz - zu begründen und ihm
diesen mitzuteilen hat. Darüber hinausgehende Rechte stehen ihm nicht zu
(Urteil 1D_2/2015 vom 4. November 2015 E. 2.3.8).

1.4.4. Vorliegend macht der Beschwerdeführer bezüglich des Verfahrens im
Wesentlichen geltend, dass der angefochtene Entscheid nicht von der
Geschäftsleitung hätte getroffen werden dürfen, sondern vom Kantonsrat in
corpore hätte gefällt werden müssen, da seine Anzeige bzw. sein
Ermächtigungsgesuch keineswegs offensichtlich unbegründet im Sinn von § 38 Abs.
2 KRG gewesen sei. Damit rügt er zwar die Behandlung seiner Eingabe durch ein
unzuständiges Organ, mithin eine formelle Rechtsverweigerung. Zu prüfen wäre
dabei indessen, ob seine Anzeige bzw. sein Ermächtigungsgesuch materiell
offensichtlich unhaltbar war oder nicht, was auf eine inhaltliche Überprüfung
des angefochtenen Entscheids hinausläuft. Die Rüge ist damit unzulässig (oben
E.1.4.2), darauf ist nicht einzutreten.

2. 
Auf die Beschwerde ist nicht einzutreten. Bei diesem Ausgang des Verfahrens
trägt der Beschwerdeführer die Kosten (Art. 66 Abs. 1 BGG) und hat keinen
Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich
und der Geschäftsleitung des Kantonsrates des Eidgenössischen Standes Zürich
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 13. Mai 2016

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Störi

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