Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 942/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_942/2015

Urteil vom 18. Februar 2016

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Pfiffner,
Gerichtsschreiber Grünenfelder.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Matthias Frey,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle Bern,
Scheibenstrasse 70, 3014 Bern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 12. November 2015.

Sachverhalt:

A. 
Der 1962 geborene A.________ arbeitete bis Ende Februar 2004 als angelernter
Hilfsdrucker. Nach mehreren Schulteroperationen meldete er sich am 2. Juli
2004bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle Bern
verneinte einen Rentenanspruch mit Verfügung vom 28. Dezember 2004. Nachdem
zwei weitere Leistungsgesuche ohne Erfolg geblieben waren, meldete sich
A.________ am 7. August 2008neu an. Im September 2008 und April 2009 erfolgten
operative Eingriffe an der Hüfte und der linken Schulter. Die IV-Stelle führte
Eingliederungsmassnahmen durch und veranlasste beim Medizinischen
Gutachtenzentrum Region St. Gallen, Rorschach, ein bidisziplinäres Gutachten,
das vom 5. Juni/ 13. September 2013 datiert. Aufgrund einer gesundheitlichen
Verschlechterung wurde A.________ in der Folge auch rheumatologisch begutachtet
(Gutachten vom 4. Dezember 2014/16. Februar 2015). Nach Durchführung des
Vorbescheidverfahrens schloss die IV-Stelle mit Verfügung vom 2. April 2015 auf
Abweisung des Leistungsbegehrens (Invaliditätsgrad: 36 %).

B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
mit Entscheid vom 12. November 2015 ab.

C. 
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
Rechtsbegehren, in Aufhebung des angefochtenen Entscheides sei ihm vom 1.
Dezember 2008 bis 31. März 2009 und vom 1. Juli 2009 bis 31. Oktober 2009 eine
ganze Invalidenrente zuzüglich Verzugszinsen zuzusprechen.

Erwägungen:

1.

1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter
anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die
Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den
Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1
BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

1.2. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 2
BGG), doch prüft es, unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und
Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), nur die geltend gemachten
Vorbringen, falls allfällige weitere rechtliche Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind. Hinsichtlich der Verletzung von Grundrechten gilt eine
qualifizierte Rügepflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 138 I 274 E. 1.6 S. 280 f.
mit Hinweisen).

2. 
Aufgrund der medizinischen Akten ist erstellt, dass dem Beschwerdeführer die
angestammte Tätigkeit als Hilfsdrucker ab 1. Januar 2007 bis zur beruflichen
Abklärung in der Stiftung B.________ für berufliche Integration (Juni/Juli
2010) bzw. "bis auf weiteres" nicht mehr zumutbar ist (vgl. Bericht von Dr.
med. C.________ vom 10. August 2011). Unbestritten geblieben ist auch die
Feststellung des kantonalen Gerichts, wonach die Arbeitsfähigkeit des
Versicherten für leidensangepasste Tätigkeiten grundsätzlich bei 80 % (100
%-Pensum mit einer Leistungsminderung von maximal 20 %) liegt (vgl.
rheumatologisches Gutachten des Dr. med. D.________ vom 4. Dezember 2014/16.
Februar 2015). Der Beschwerdeführer stellt nicht in Abrede, dass sich gestützt
darauf kein Anspruch auf eine Invalidenrente ergibt (Valideneinkommen: Fr.
62'400.-; Invalideneinkommen: Fr. 41'640.-; Invaliditätsgrad: 33.27 %). Ebenso
steht fest, dass er infolge zweier Schulteroperationen am 31. Januar 2007 und
3. April 2009 sowie einer Hüfttotalprothesenoperation am 28. September 2008
während jeweils vier Monaten zu 100 % erwerbsunfähig war (vgl. Bericht von Dr.
med. C.________ vom 10. August 2011). Weiterungen dazu erübrigen sich (E. 1.2).
Streitig und zu prüfen ist einzig, ob im Zusammenhang mit den beiden
Operationen vom 28. September 2008 und 3. April 2009 eine anspruchsbegründende
Invalidität vorliegt. Das kantonale Gericht hat sich dazu nicht geäussert.

3.

3.1. Anspruch auf eine Rente haben Versicherte, wenn sie während eines Jahres
ohne wesentlichen Unterbruch durchschnittlich mindestens 40 % arbeitsunfähig
(Art. 6 ATSG) gewesen und nach Ablauf dieses Jahres zu mindestens 40 % invalid
(Art. 8 ATSG) sind (Art. 28 Abs. 1 lit. b und c IVG). Die durchschnittliche
Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit während eines Jahres und die nach Ablauf
der Wartezeit bestehende Erwerbsunfähigkeit müssen kumulativ und in der für die
einzelnen Rentenabstufungen erforderlichen Mindesthöhe gegeben sein, damit eine
Rente im entsprechenden Umfang zugesprochen werden kann (Urteile 8C_174/2013
vom 21. Oktober 2013 E. 3.2 und 9C_996/2010 vom 5. Mai 2011 E. 7.1, je mit
Hinweisen).

3.2. Invalidität ist gemäss Art. 8 Abs. 1 ATSG die voraussichtlich bleibende
oder längere Zeit dauernde ganze oder teilweise Erwerbsunfähigkeit. In der
Invalidenversicherung liegt bezüglich des Rentenanspruchs eine längere Zeit im
Sinne von Art. 8 Abs. 1 ATSG erst bei einer Zeitspanne von einem Jahr vor
(Wartezeit). Als Erwerbsunfähigkeit gilt der nach zumutbarer Behandlung (und
Eingliederung) verbleibende ganze oder teilweise Verlust der
Erwerbsmöglichkeiten auf dem in Betracht kommenden Arbeitsmarkt (Art. 7 Abs. 1
ATSG; Urteil 8C_324/2014 vom 15. Januar 2015 E. 3.1).

3.3.

3.3.1. In Bezug auf die unbestritten am 1. Januar 2008 (vgl. einleitend E. 2)
bestandene Wartezeit (Art. 28 Abs. 1 lit. b IVG [bis 31. Dezember 2007: aArt.
29 Abs. 1 lit. b IVG]) hat das kantonale Gericht zu Recht erkannt, dass die
Anmeldefrist anspruchswahrend bis maximal Ende Juni 2008 erstreckt werden kann;
das Rundschreiben des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) Nr. 253 vom
12. Dezember 2007, das eine Erstreckung bis Ende Dezember 2008 vorsieht, ist in
diesem Punkt gesetzwidrig (BGE 138 V 475 E. 3.4 S. 480 f.).

3.3.2. Der Beschwerdeführer geht insoweit zu Recht davon aus, dass der
Versicherungsfall (rentenbegründende Invalidität; vgl. BGE 137 V 417 E. 2.2.4
S. 422) frühestens am 1. Januar 2008 eintreten konnte. Damit kommt der
allgemeine Grundsatz zur Anwendung, wonach im Rahmen einer Rechtsänderung
dasjenige Recht gilt, welches bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden
Tatbestandes in Kraft stand (BGE 138 V 475 E. 3 und 3.1 S. 478 mit Hinweisen),
in concreto die Bestimmungen der 5. IV-Revision. Der Versicherte übersieht nach
dem Gesagten (E. 3.3.1) insbesondere, dass mit Blick auf seine klar verspätete
Neuanmeldung vom 7. August 2008 ein allfälliger Rentenanspruch nicht am 1.
Januar 2008, sondern gemäss Art. 29 Abs. 1 IVG frühestens im Februar 2009
(sechs Monate nach Geltendmachung des Leistungsanspruches nach Art. 29 Abs. 1
ATSG) entstehen konnte. Inwiefern eine andere Konstellation als in BGE 138 V
475 vorliegen soll, ist nicht ersichtlich. Da die viermonatige
Arbeitsunfähigkeit nach der Hüfttotalprothesenoperation vom 28. September 2008
bereits Ende Januar 2009 endete, fällt ein diesbezüglicher Rentenanspruch schon
aus diesem Grund ausser Betracht. Nicht (analog; vgl. BGE 133 V 253 E. 6.1 S.
263 f.) anwendbar ist im Übrigen Art. 88a Abs. 1 IVV, zumal bei Eintritt der
gesundheitlichen Veränderung noch keine rentenbegründende Invalidität bestand
(vgl. statt vieler Urteil 8C_777/2014 vom 28. Januar 2015 E. 4.1 mit
Hinweisen).

3.3.3. Da ein rentenbegründender Invaliditätsgrad von 40 % auch nach Ablauf der
Wartezeit im Februar 2009 nicht vorlag (nämlich 33.27 %) und der Rentenanspruch
damals somit nicht entstanden war, ist die nachfolgende gesundheitliche
Verschlechterung als neuer Versicherungsfall zu bezeichnen, dies mit der Folge,
dass die Wartezeit erneut zu bestehen war, da Art. 29bis IVV (Anrechnung früher
bestandener Wartezeiten bei Wiederaufleben der Invalidität infolge des gleichen
Leidens) in dieser Konstellation nicht zur Anwendung gelangt (in diesem Sinne
Urteile 9C_677/2012 vom 3. Juli 2013 E. 2.3 und 9C_954/2012 vom 10. Mai 2013 E.
4.2). Daher hilft es dem Beschwerdeführer nicht, dass im Zeitpunkt der zweiten
Schulteroperation vom 3. April 2009 die Voraussetzung des Art. 29 Abs. 1 IVG
(Ablauf der sechsmonatigen Frist nach Geltendmachung des Leistungsanspruches
nach Art. 29 Abs. 1 ATSG) erfüllt war. Der Zeitraum, in welchem der
Beschwerdeführer deswegen wieder vollständig arbeitsunfähig war, belief sich
auf vier Monate. Massgeblich ist vielmehr, dass der Versicherte nach dem
Eingriff an der linken Schulter vom 3. April 2009 - wie im Übrigen auch im Zuge
der Hüftoperation vom 28. September 2008 - jeweils innert relativ kurzer Zeit
seine vorherige Arbeitsfähigkeit von 80 % für angepasste Tätigkeiten und damit
einen rentenausschliessenden Invaliditätsgrad von 33.27 % wieder erlangte. Dass
die postoperativen Phasen wesentlich länger als vier Monate gedauert hätten,
bringt der Beschwerdeführer nicht vor (E. 1.2). Demzufolge kann, da die
Voraussetzungen nach Art. 28 Abs. 1 lit. b und c kumulativ erfüllt sein müssen
(E. 3.1), mit Blick auf die am 3. April 2009 eintretende vorübergehende
Verschlechterung des Gesundheitszustandes keine Invalidenrente zugesprochen
werden.

3.4. Insgesamt erfüllt der Beschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt sämtliche
Voraussetzungen einer rentenbegründenden Invalidität. Die Vorinstanz durfte
einen Rentenanspruch im Ergebnis verneinen, ohne Bundesrecht zu verletzen (E.
1.1). Die Beschwerde ist unbegründet.

4. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdeführer die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 18. Februar 2016
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Grünenfelder

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