Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 923/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_923/2015

Urteil vom 9. Mai 2016

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichterin Pfiffner, Bundesrichter Parrino,
Gerichtsschreiberin Dormann.

Verfahrensbeteiligte
 A.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Gemeinde B.________,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Krankenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 27. Oktober 2015.

Sachverhalt:

A. 
Die Gemeinde B.________ forderte den im Mai 2014 zugezogenen deutschen
Staatsangehörigen A.________ mehrmals vergeblich auf, ihr im Zusammenhang mit
der obligatorischen Krankenpflegeversicherung die Kopie seiner
Versicherungspolice zuzustellen, ansonsten eine amtliche Zuweisung zu einer
Krankenkasse erfolge. Mit Verfügung vom 17. Februar 2015 wies sie ihn per 1.
März 2015 der Krankenkasse CSS Versicherungen (recte: CSS Kranken-Versicherung
AG) zu. Mit Eingabe vom 24. April 2015 erhob  A.________ sinngemäss dagegen
Einsprache, welche der Gemeinderat mit Entscheid vom 18. Mai 2015 abwies.

B. 
Der Bezirksrat Dielsdorf trat auf die am 30. Juni 2015 dagegen erhobene
Beschwerde mangels Zuständigkeit nicht ein. Mit Entscheid vom 27. Oktober 2015
wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich das (an es
weitergeleitete) Rechtsmittel ab. Zudem hob es den Einspracheentscheid vom 18.
Mai 2015 auf mit der Feststellung, dass die Verfügung vom 17. Februar 2015 in
Rechtskraft erwachsen sei.

C. 
 A.________ beantragt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
die Aufhebung des Entscheids vom 27. Oktober 2015 und sinngemäss die
Feststellung, dass die Einsprache vom 24. April 2015 und "der Rekurs" (recte:
die Beschwerde) vom 30. Juni 2015 fristgerecht erfolgt seien.

Erwägungen:

1. 
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung
des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann
die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2. 
Grundsätzlich muss sich jede Person mit Wohnsitz in der Schweiz innert drei
Monaten nach der Wohnsitznahme oder der Geburt in der Schweiz für Krankenpflege
versichern oder von ihrem gesetzlichen Vertreter beziehungsweise ihrer
gesetzlichen Vertreterin versichern lassen (Art. 3 Abs. 1 KVG). Die Kantone
sorgen für die Einhaltung der Versicherungspflicht (Art. 6 Abs. 1 KVG). Die vom
Kanton bezeichnete Behörde weist Personen, die ihrer Versicherungspflicht nicht
rechtzeitig nachkommen, einem Versicherer zu (Art. 6 Abs. 2 KVG).

3. 
Die Vorinstanz hat festgestellt, die Gemeinde habe den Beschwerdeführer
wiederholt schriftlich und unter Ansetzung einer Frist aufgefordert, den
Versicherungsnachweis zu erbringen, widrigenfalls werde eine amtliche Zuweisung
an eine Krankenkasse beantragt. Dies sei zuletzt mit eingeschriebenem Brief vom
19. Dezember 2014, der am 7. Februar 2015 zugestellt worden sei, erfolgt. Die
Zuweisungsverfügung vom 17. Februar 2015 sei am Folgetag versandt worden; am
19. Februar 2015 sei deren Zustellung erfolglos versucht worden und es sei
anzunehmen, dass die Abholungseinladung ordnungsgemäss in den Briefkasten des
Beschwerdeführers gelegt worden sei. Ab dem 20. Februar 2015 habe die Sendung
auf der Poststelle zur Abholung bereitgelegen.

Weiter hat das kantonale Gericht erwogen, gestützt auf die Zustellfiktion von
Art. 38 Abs. 2 ^bis ATSG gelte die Verfügung als am 26. Februar 2015
zugestellt. Die 30-tägige Einsprachefrist (Art. 52 Abs. 1 ATSG) habe demnach am
27. Februar 2015 begonnen und am 13. April 2015 geendet (Art. 38 Abs. 1 und
Abs. 4 lit. a ATSG). Damit sei die Verfügung vom 17. Februar 2015 in
Rechtskraft erwachsen. Die erst am 24. April 2015 erhobene Einsprache sei
verspätet gewesen, weshalb die Gemeinde darauf nicht hätte eintreten dürfen.

4. 

4.1. 

4.1.1. Eine nichtige Verfügung bedarf keiner Anfechtung. Die Nichtigkeit
betrifft eine Rechtsfrage, die jederzeit und von sämtlichen staatlichen
Instanzen von Amtes wegen geprüft wird (BGE 139 II 243 E. 11.2 S. 260; Urteil
5A_351/2015 vom 1. Dezember 2015 E. 4.3).

4.1.2. Fehlerhafte Verwaltungsakte sind in der Regel nicht nichtig, sondern nur
anfechtbar, und sie werden durch Nichtanfechtung resp. bei verspäteter
Anfechtung rechtsgültig. Nichtigkeit, d.h. absolute Unwirksamkeit einer
Verfügung wird nur angenommen, wenn der ihr anhaftende Mangel besonders schwer
wiegt, wenn er offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar ist und wenn
zudem die Rechtssicherheit durch die Annahme der Nichtigkeit nicht ernsthaft
gefährdet wird. Inhaltliche Mängel haben nur in seltenen Ausnahmefällen die
Nichtigkeit einer Verfügung zur Folge. Als Nichtigkeitsgründe fallen
hauptsächlich funktionelle und sachliche Unzuständigkeit einer Behörde sowie
schwer wiegende Verfahrensfehler in Betracht (BGE 139 II 243 E. 11.2 S. 260;
132 II 21 E. 3.1 S. 27 mit Hinweisen).

4.1.3. Nach § 3 Abs. 1 des zürcherischen Einführungsgesetzes vom 13. Juni 1999
zum Krankenversicherungsgesetz (EG KVG; ZH-Lex 832.01) sorgt die Gemeinde für
die Einhaltung der Versicherungspflicht und weist Personen, die ihr nicht
nachkommen, einem Versicherer zu.

Die Verfügung vom 17. Februar 2015 trägt den Briefkopf der Gemeinde B.________
und wurde für diese durch den "Polizeivorstand" unterzeichnet. Selbst wenn
dieser Gemeinderat als Mitglied der kommunalen Exekutive nicht zuständig
gewesen sein soll, die Verfügung im Namen der Gemeinde B.________ zu erlassen -
was indessen nicht substanziiert dargelegt wird (vgl. Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG)
- wäre dieser Mangel weder besonders schwerwiegend noch offensichtlich oder
leicht erkennbar. Von Nichtigkeit der Verfügung vom 17. Februar 2015 kann nicht
die Rede sein.

4.2. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches
Gehör (Art. 9 und Art. 29 Abs. 2 BV; Art. 6 Ziff. 1 i.V.m. Art. 13 EMRK). Zur
Begründung beschränkt er sich auf die blosse Behauptung, das kantonale Gericht
habe ihm die Beschwerdeantwort der Gemeinde B.________ vom 24. August 2015
nicht zur Kenntnis gebracht. Damit genügt er - insbesondere angesichts der
vorinstanzlichen Verfügung vom 7. September 2015 mit dem Versandvermerk vom 8.
September 2015 - den qualifizierten Anforderungen an die Begründungspflicht
(vgl. Art. 106 Abs. 2 i.V.m. Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) nicht. Auf diesen Punkt
ist daher nicht weiter einzugehen.

4.3.

4.3.1. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers sind die Bestimmungen des
ATSG hier anwendbar (vgl. Art. 1 KVG), zumal das KVG im hier interessierenden
Zusammenhang (Zuweisungsverfahren) keine Abweichung vorsieht. Insbesondere ist
er auch Partei im Sinne von Art. 34 ATSG: Einerseits werden durch die
angefochtene Verfügung seine Rechte und Pflichten berührt, auch wenn er selber
keine solchen ableitet resp. geltend macht, was für eine Parteistellung genügt
(UELI KIESER, ATSG-Kommentar, 3. Aufl. 2015, N. 13-15 zu Art. 34 ATSG).
Anderseits ist er als Verfügungsadressat eine Person, der ein Rechtsmittel
gegen die fragliche Verfügung zusteht (vgl. KIESER, a.a.O., N. 17 zu Art. 34
ATSG).

4.3.2. Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze zur
Einsprachefrist (Art. 52 Abs. 1 und Art. 40 Abs. 1 ATSG) und deren Beginn (Art.
38 Abs. 1 und 2 ^bis ATSG; Urteil 9C_396/2015 vom 10. Juli 2015 E. 3.2 mit
Hinweisen) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. Zu ergänzen ist, dass
es für die Frage nach dem Beginn des Fristenlaufs resp. nach dem Zeitpunkt der
Zustellung einer Verfügung nicht auf deren Inhalt ankommt, weshalb die zitierte
Rechtsprechung im hier zu beurteilenden Fall einschlägig ist. Zudem erkannte
das Bundesgericht, dass die im Gesetz statuierte siebentägige Frist der
Zustellfiktion als allgemein bekannt gilt, weshalb sich auch ein juristischer
Laie nicht einfach auf die Rechtsmittelbelehrung im angefochtenen Entscheid
berufen kann, wonach die Beschwerde - resp. Einsprache - innert 30 Tagen seit
Zustellung des Entscheids zu erheben ist (Urteil 8C_655/2012 vom 22. November
2012 E. 3 mit zahlreichen Hinweisen).

4.4.

4.4.1. Eine Sachverhaltsfeststellung ist nicht schon dann offensichtlich
unrichtig, wenn sich Zweifel anmelden, sondern erst, wenn sie eindeutig und
augenfällig unzutreffend ist (BGE 132 I 42 E. 3.1 S. 44). Eine offensichtlich
unrichtige Sachverhaltsfeststellung weist damit die Tragweite von Willkür auf (
BGE 135 II 145 E. 8.1 S. 153; Botschaft des Bundesrates vom 28. Februar 2001
zur Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl 2001 S. 4338; MARKUS SCHOTT,
Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2011, N. 9 f. zu Art. 97 BGG).
Es liegt noch keine offensichtliche Unrichtigkeit vor, nur weil eine andere
Lösung ebenfalls in Betracht fällt, selbst wenn diese als die plausiblere
erschiene (Urteil 9C_570/2007 vom 5. März 2008 E. 4.2). Eine
Sachverhaltsfeststellung ist etwa dann offensichtlich unrichtig, wenn das
kantonale Gericht den Sinn und die Tragweite eines Beweismittels offensichtlich
falsch eingeschätzt, ohne sachlichen Grund ein wichtiges und für den Ausgang
des Verfahrens entscheidendes Beweismittel nicht beachtet oder aus den
abgenommenen Beweisen unhaltbare Schlüsse gezogen hat (BGE 129 I 8 E. 2.1 S. 9;
Urteile 9C_851/2012 vom 5. März 2013 E. 2.3.2; 8C_5/2010 vom 24. März 2010 E.
1.2).

4.4.2. Dass die vorinstanzlichen Feststellungen (E. 3 Abs. 1) offensichtlich
unrichtig sein sollen, ist nicht ersichtlich und wird auch nicht
(substanziiert) dargelegt. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür,
dass sich die angefochtene Verfügung vom 17. April 2015 nicht in der am 18.
April 2015 von der Gemeinde aufgegebenen und an den Beschwerdeführer
adressierten Postsendung befand. Die Feststellungen beruhen auch nicht auf
einer Rechtsverletzung, weshalb sie für das Bundesgericht verbindlich bleiben
(E. 1).

4.5.

4.5.1. Das Bundesgericht erwog in E. 1.3 des Urteils 5A_211/2012 vom 25. Juni
2012 mit Blick auf Art. 44 Abs. 2 BGG u.a., dass unter
Vertrauensgesichtspunkten einem Beschwerdeführer aus dem Auseinanderklaffen des
Datums der Zustellfiktion und des letzten Tages der - verlängerten -
postalischen Abholfrist kein Nachteil erwachsen dürfe.

4.5.2. Der Beschwerdeführer bestreitet nachdrücklich undentgegen der
entsprechenden vorinstanzlichen Feststellung, am 27. Februar 2015 die
Abholfrist bei der Post "verlängert" zu haben. Wenn ihm darin zu folgen wäre,
würde seine Berufung auf E. 1.3 des Urteils 5A_211/2012 vom 25. Juni 2012 von
vornherein ins Leere zielen. Indessen ist die vorinstanzliche Feststellung
nicht offensichtlich unrichtig und daher verbindlich (E. 1). Angesichts des
Umstandes, dass die Abholfrist bei der Post erst "verlängert" wurde, nachdem
die erste postalische Abholfrist am Vortag bereits abgelaufen war, kann nicht
von einer Vertrauensgrundlage (vgl. Urteil 8C_655/2012 vom 22. November 2012 E.
4.4) gesprochen werden, die allenfalls eine Abweichung von der gesetzlichen
Zustellfiktion rechtfertigen könnte. Daher braucht die Tragweite der genannten
Rechtsprechung (E. 4.5.1) hier nicht näher ergründet zu werden.

4.6. Schliesslich ist es nicht erkennbar und legt der Beschwerdeführer auch
nicht substanziiert (vgl. Art. 106 Abs. 2 BGG) dar, inwiefern es gegen Treu und
Glauben (Art. 5 Abs. 3 und Art. 9 BV) verstossen soll, wenn der Absender eines
Schreibens auf dem Abholschein der Post nicht ersichtlich ist. Es handelte sich
bei der Verfügung vom 17. Februar 2015 denn auch nicht um anonyme Post. Darüber
hinaus ist anzunehmen, dass die Gemeinde B.________ auch auf dem beim Versand
verwendeten (jedoch nicht bei den Akten liegenden) Briefumschlag als Absenderin
vermerkt war. Die Beschwerde grenzt streckenweise an Mutwilligkeit, wenn nicht
gar an Querulanz (vgl. Art. 42 Abs. 7 BGG); sie ist unbegründet.

5. 
Dem Verfahrensausgang entsprechend hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten
zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 9. Mai 2016
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Die Gerichtsschreiberin: Dormann

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