Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 901/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_901/2015

Urteil vom 8. Juli 2016

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichterinnen Pfiffner, Moser-Szeless,
Gerichtsschreiberin Bollinger Hammerle.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Marcus Wiegand,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich,
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich
vom 13. Oktober 2015.

Sachverhalt:

A. 
A.________, geboren 1956, wurde am 17. April 2012 auf dem Weg zur Arbeit als
Autolenker bei einer Frontalkollision verletzt. Die Schweizerische
Unfallversicherungsgesellschaft (SUVA) erbrachte zunächst die gesetzlichen
Leistungen. Mit Verfügung vom 3. Dezember 2012, bestätigt mit
Einspracheentscheid vom 27. November 2013, stellte sie die Leistungen per
sofort ein und schloss den Fall ab. A.________ meldete sich am 19. Dezember
2012 unter Hinweis auf seit dem Unfall bestehende Schmerzen, psychische
Probleme und einen schleppenden Heilungsverlauf bei der Invalidenversicherung
zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Zürich führte mit A.________
am 9. Januar 2013 ein Standortgespräch, holte einen Auszug aus dem
Individuellen Konto ein und zog die Akten der SUVA bei. Sie leitete erwerbliche
und medizinische Abklärungen in die Wege und ersuchte die Krankenversicherung
um Zustellung medizinischer Akten, namentlich eines von dieser veranlassten
psychiatrischen Gutachtens der Dr. med. B.________, Fachärztin FMH für
Psychiatrie und Psychotherapie, vom 5. Februar 2014. Am 17. Juli 2014
veranlasste die IV-Stelle eine polydisziplinäre medizinische Untersuchung in
der Medas Ostschweiz, St. Gallen (Expertise vom 15. Oktober 2014). Nach
durchgeführtem Vorbescheidverfahren verfügte die IV-Stelle am 5. Juni 2015 die
Abweisung des Rentenbegehrens (IV-Grad: 35 %).

B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde von A.________ wies das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 13. Oktober
2015 ab.

C. 
A.________ beantragt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
die Zusprechung einer ganzen Rente, eventualiter einer Dreiviertelsrente.
Subeventualiter sei die Sache zur weiteren Abklärung und zu neuem Entscheid an
die IV-Stelle zurückzuweisen.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung
von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht
(Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl. auch Art. 97 Abs. 1 BGG). Es prüft, unter
Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1
und 2 BGG), nur die geltend gemachten Vorbringen, falls allfällige weitere
rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 138 I 274 E. 1.6 S.
280; vgl. auch BGE 140 V 136 E. 1.1 S. 138).

2. 
Streitig ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie abweichend von
der Beurteilung des psychiatrischen Medas-Teilgutachtens eine volle
Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers in einer angepassten Tätigkeit
angenommen hatte. In jenem Gutachten hatte med. pract. C.________, Facharzt
Psychiatrie und Psychotherapie, mit Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit eine
rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode (ICD-10
F33.1), sowie eine posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10 F43.1)
diagnostiziert. Er kam zur Auffassung, die Arbeitsfähigkeit des Versicherten
sei in einer angepassten Tätigkeit ausschliesslich durch die mittelgradige
depressive Episode eingeschränkt und betrage 50 %.

2.1. Das kantonale Gericht erwog, die im psychiatrischen Gutachten
festgehaltenen Diagnosen seien ausgehend von den erhobenen Befunden ebenso
überzeugend wie der vom Gutachter hergestellte Konnex zwischen der
posttraumatischen Belastungsstörung aufgrund des Autounfalls und der
Einschränkung in der Tätigkeit als Chauffeur. Nicht gefolgt werden könne der
Einschätzung des med. pract. C.________, wonach in einer adaptierten Tätigkeit
die Arbeitsfähigkeit allein wegen der mittelgradigen depressiven Episode um 50
% eingeschränkt sei. Zwar möge zutreffen, dass die posttraumatische
Belastungsstörung die depressive Episode ausgelöst habe. Mittlerweile werde die
depressive Problematik aber vorwiegend durch psychosoziale Belastungsfaktoren
unterhalten. Ins Gewicht fielen insbesondere ein im Zuge des
Arbeitsplatzverlustes aufgetretenes Gefühl von Nutzlosigkeit, der Verlust von
Kollegen, von Lohneinnahmen und von Zukunftsperspektiven sowie die längere Zeit
ungeklärt gebliebene Schuldfrage in Bezug auf den Autounfall. Ausserdem sei
eine depressive Episode definitionsgemäss vorübergehend. Auch bei
rezidivierendem Charakter sei die Besserung zwischen den Episoden in der Regel
vollständig. Die - grundsätzliche - Therapierbarkeit von leichten bis höchstens
mittelschweren Störungen aus dem depressiven Formenkreis werde konkret durch
Gutachter C.________ bestätigt. Schliesslich sprächen die vorhandenen
Ressourcen, das zur Einschränkung im Erwerbsbereich inkonsistente, hohe
Aktivitätsniveau im privaten Bereich und die von der begutachtenden
Neuropsychologin festgehaltenen Motivationsprobleme gegen ein von
psychosozialen Belastungsfaktoren losgelöstes und therapieresistentes Leiden.

2.2. Der Beschwerdeführer stellt die Beweiskraft des Medas-Gutachtens nicht in
Frage. Er rügt aber, das kantonale Gericht sei willkürlich von der
wohlbegründeten Fachmeinung des begutachtenden Psychiaters abgewichen. Zunächst
habe es sich über dessen Diagnose einer mittelgradigen Depression und seine
Beurteilung hinweggesetzt, es handle sich um ein klares Krankheitsbild mit
Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit, das willensmässig nicht überwunden werden
könne. Sodann habe Gutachter C.________ "für mindestens ein Jahr, aber
eigentlich mit unbestimmter Dauer" eine mittelgradige Depression angenommen.
Wenn med. pract. C.________ die Behandelbarkeit der Störung bejaht habe, ändere
dies mit Blick auf die unsichere Behandlungsprognose nichts daran, dass die
Vorinstanz willkürlich eine Depression übergangen habe. Willkürlich sei auch
die sich auf das lange zurückliegende Standortgespräch vom 9. Januar 2013
stützende Feststellung eines kaum eingeschränkten privaten Aktivitätsniveaus.
Was private Aktivitäten mit den Anforderungen in einer erwerblichen Tätigkeit
zu tun hätten, sei unklar und es sei vollkommen willkürlich, wenn die
Vorinstanz sein Verhalten als nicht krankheitsbedingt eingeschränkt gewürdigt
habe. Dies stehe in krassem Gegensatz zu den sorgfältig erhobenen ärztlichen
Befunden. Dem Einkommensvergleich sei somit eine Einschränkung von 50 % in
einer adaptierten Tätigkeit zugrunde zu legen, was mindestens Anspruch auf eine
Dreiviertelsrente, bei einem behinderungsbedingten Abzug von 20 % einen solchen
auf eine ganze Rente gebe.

3.

3.1. Die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit anhand der normativ vorgegebenen
Kriterien ist sowohl Aufgabe der begutachtenden Ärzte als auch der Organe der
Rechtsanwendung. Beide prüfen die Arbeitsfähigkeit je aus ihrer Sicht. Zunächst
erfolgt eine Folgenabschätzung aus medizinischer Sicht. Diese bildet
anschliessend wichtige Grundlage für die juristische Beurteilung, welche
Arbeitsleistung der versicherten Person noch zugemutet werden kann (BGE 141 V
281 E. 5.2.1 S. 306 mit Hinweisen). Die Rechtsanwender prüfen dabei die
medizinischen Angaben frei, insbesondere daraufhin, ob die Ärzte sich an die
massgebenden normativen Rahmenbedingungen gehalten haben. Das heisst, ob sie
ausschliesslich funktionelle Ausfälle berücksichtigt haben, welche Folgen der
gesundheitlichen Beeinträchtigung sind (Art. 7 Abs. 2 erster Satz ATSG), und ob
die versicherungsmedizinische Zumutbarkeitsbeurteilung auf objektivierter
Grundlage erfolgt ist (Art. 7 Abs. 2 zweiter Satz ATSG). Auf diese Weise wird
eine einheitliche und rechtsgleiche Einschätzung der Arbeitsfähigkeit gesichert
(BGE a.a.O. E. 5.2.2 S. 307).

3.2. Die leicht bis mittelgradigen depressiven Störungen rezidivierender oder
episodischer Natur fallen einzig dann als invalidisierende Krankheiten in
Betracht, wenn sie erwiesenermassen therapieresistent sind (Urteil 9C_13/2016
vom 14. April 2016 E. 4.2 mit Hinweisen auf BGE 140 V 193 E. 3.3 S. 197 sowie
auf den Bericht des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums [OBSAN] Nr. 56,
Depressionen in der Schweizer Bevölkerung, Neuchâtel 2013, S. 27 ff.). Nur in
dieser - seltenen, da nach gesicherter psychiatrischer Erfahrung Depressionen
im Allgemeinen therapeutisch gut angehbar sind - gesetzlich verlangten
Konstellation ist den normativen Anforderungen des Art. 7 Abs. 2 zweiter Satz
ATSG für eine objektivierende Betrachtungs- und Prüfungsweise Genüge getan (BGE
141 V 281 E. 3.7.1 bis 3.7.3 S. 295 f.). Ein solcher Sachverhalt muss
überwiegend wahrscheinlich und darf nicht lediglich nicht auszuschliessen sein.
Zudem muss die Therapie in dem Sinn konsequent gewesen sein, als die aus
fachärztlicher Sicht indizierten zumutbaren (ambulanten und stationären)
Behandlungsmöglichkeiten in kooperativer Weise optimal und nachhaltig
ausgeschöpft worden sind (BGE 140 V 193 E. 3.3 S. 197; 137 V 64 E. 5.2 S. 70
mit Hinweis).

4.

4.1. Der Versicherte hatte sich verschiedentlich stationären wie auch
ambulanten Therapien unterzogen und es bestehen keine Hinweise, dass er sich
dabei unkooperativ verhalten hätte. Indes kam Gutachter C.________ zum Schluss,
die mittelgradige depressive Episode - wie auch die für die Arbeitsfähigkeit in
einer adaptierten Tätigkeit nicht relevante posttraumatische Belastungsstörung
- könnte (n) durch Weiterführung der ambulanten psychiatrischen Therapie
behandelt werden. Insbesondere mit Blick auf die Remission der mittelgradigen
depressiven Episode im Februar 2014 (als die Begutachtung durch Dr. med.
B.________, Fachärztin FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, stattfand,
welche denn auch eine psychisch bedingte Arbeitsunfähigkeit in einer
angepassten Tätigkeit verneint hatte) sei die Fortsetzung der Therapie
sinnvoll. Weil die mittelgradige depressive Episode Folge der posttraumatischen
Belastungsstörung sei, könne deren Behandlung lange dauern, obwohl die letzte
mittelgradige depressive Episode relativ rasch wieder verschwunden sei.

4.2. Bereits aufgrund dieser gutachterlichen Beurteilung kann weder von einer
Ausschöpfung der Therapiemöglichkeiten noch von einer überwiegend
wahrscheinlich erstellten Therapieresistenz gesprochen werden (vgl. das bereits
zitierte Urteil 9C_13/2016 E. 4.2). Zu einer anderen Beurteilung besteht auch
unter Berücksichtigung der - nur - möglicherweise längeren Therapiedauer und
der Unsicherheiten in der Behandlungsprognose kein Anlass. Grundsätzlich
abweichende Feststellungen lassen sich im Übrigen selbst den kurz nach
Verfügungserlass datierenden, im vorinstanzlichen Beschwerdeverfahren ins Recht
gelegten Berichten der behandelnden Ärzte med. pract. D.________, Facharzt für
Psychiatrie und Psychotherapie FMH, vom 17. Juni 2015, sowie des Dr. med.
E.________, Facharzt Allgemeine Medizin FMH, vom 18. Juni 2015, nicht
entnehmen. Davon abgesehen, dass länger (mehr als sechs, selten zwölf Monate)
dauernde Störungen grundsätzlich nicht unter ICD-10 F33 (oder F34) erfasst
werden, hat das kantonale Gericht auch zutreffend als Indiz gegen einen
anhaltenden depressiven Zustand berücksichtigt, dass hier die für episodische
depressive Störungen charakteristischen Zeiten vollständiger Remission konkret
in den Akten dokumentiert sind. Unter Berücksichtigung aller Umstände,
namentlich auch des relativ raschen Verschwindens der letzten Episode unter
adäquater Therapie, fällt bereits unter dem Aspekt der nicht überwiegend
wahrscheinlich ausgewiesenen Therapieresistenz ein invalidisierendes
psychisches Leiden ausser Betracht. Von Willkür (BGE 140 III 16 E. 2.1 S. 18
f.) oder einer anderweitigen Bundesrechtswidrigkeit durch die Vorinstanz kann
keine Rede sein. Damit hat es, ohne dass auf die weiteren Rügen einzugehen
wäre, beim angefochtenen Entscheid sein Bewenden.

5. 
Soweit der Versicherte im Rahmen des ansonsten unbestritten gebliebenen
Einkommensvergleichs bei der Berechnung des Invalideneinkommens "allenfalls"
einen 20%igen Abzug vom Tabellenlohn in den Raum stellt, fehlt es an einer
sachbezüglichen Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Gerichtsentscheid,
weshalb darauf nicht weiter einzugehen ist.

6. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 Abs. 4 lit. a BGG). Die
Gerichtskosten hat der unterliegende Beschwerdeführer zu tragen (Art. 66 Abs. 1
Satz 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 8. Juli 2016
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Die Gerichtsschreiberin: Bollinger Hammerle

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