Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 898/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_898/2015

Urteil vom 7. April 2016

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichterin Pfiffner, Bundesrichter Parrino,
Gerichtsschreiber Fessler.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Fürsprecher Daniel Küng,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 27. Oktober 2015.

Sachverhalt:

A. 
Mit Verfügung vom 4. November 2011 verneinte die IV-Stelle des Kantons St.
Gallen u.a. gestützt auf das Gutachten der Medas Ostschweiz (nachfolgend:
MEDAS) vom 21. Juli 2011 den Anspruch der A.________ auf eine Rente der
Invalidenversicherung.

B. 
Die Beschwerde der A.________ wies das Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen mit Entscheid vom 27. Oktober 2015 ab.

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________
zur Hauptsache, der Entscheid vom 27. Oktober 2015 sei aufzuheben und ihr
spätestens ab 1. März 2010 eine ganze Rente, zumindest eine Viertelsrente der
Invalidenversicherung zuzusprechen.

Erwägungen:

1. 
Sind bei der Invaliditätsbemessung durch Einkommensvergleich (Art. 16 ATSG
i.V.m. Art. 28a Abs. 1 IVG) Validen- und Invalideneinkommen ausgehend vom
selben Tabellenlohn zu berechnen, entspricht der Invaliditätsgrad dem Grad der
Arbeitsunfähigkeit unter Berücksichtigung des Abzuges vom Tabellenlohn nach BGE
126 V 75 (Urteil 9C_311/2013 vom 12. November 2013 E. 6.3 mit Hinweisen). In
diesem Sinne hat die Vorinstanz ausgehend von einer Arbeitsfähigkeit von 65 %
in leidensangepassten Tätigkeiten gestützt auf das MEDAS-Gutachten vom 21. Juli
2011 einen Invaliditätsgrad von 35 % ermittelt, was für den Anspruch auf eine
Rente der Invalidenversicherung nicht ausreicht (Art. 28 Abs. 2 IVG).
Die Beschwerdeführerin rügt, der angefochtene Entscheid beruhe auf einem nicht
vollständig abgeklärten Sachverhalt, was die Kopfschmerzen und
Atemnotbeschwerden sowie deren Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit anbetrifft
(E. 2). Weiter habe die Vorinstanz bei der Ermittlung des Invalideneinkommens
zu Unrecht keinen Abzug vom Tabellenlohn vorgenommen (E. 3).

2.

2.1. Im Sozialversicherungsverfahren gilt der Untersuchungsgrundsatz. Der
rechtserhebliche Sachverhalt ist von Amtes wegen unter Mitwirkung der
Versicherten resp. der Parteien zu ermitteln, und zwar richtig und vollständig
(Art. 43 Abs. 1 ATSG und Art. 61 lit. c ATSG; BGE 136 V 376 E. 4.1.1 S. 377;
133 V 196 E. 1.4 S. 200). In diesem Sinne rechtserheblich sind alle Tatsachen,
von deren Vorliegen es abhängt, ob über den streitigen Anspruch so oder anders
zu entscheiden ist (Urteil 9C_264/2015 vom 12. August 2015 E. 3.2.1 mit
Hinweisen). Gelangt das erstinstanzliche Gericht in willkürfreier
(antizipierender) Beweiswürdigung zur Überzeugung, die Akten erlaubten die
richtige und vollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts oder
eine behauptete Tatsache sei für die Entscheidung der Streitsache nicht von
Bedeutung, kann es, ohne insoweit Bundesrecht zu verletzen (Urteil 2C_647/2013
vom 1. Mai 2014 E. 2.4), auf die Erhebung weiterer Beweise verzichten (BGE 136
I 229 E. 5.3 S. 236 mit Hinweisen; Urteil I 106/07 vom 24. Juli 2007 E. 4.1).

Die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes ist eine Rechtsfrage, die das
Bundesgericht im Rahmen der den Parteien obliegenden Begründungs- bzw.
Rügepflicht (Art. 42 Abs. 2 BGG und Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 133 II 249 E.
1.4.1-2 S. 254) frei prüft (Art. 95 lit. a und Art. 106 Abs. 1 BGG; Urteil
9C_818/2013 vom 24. Februar 2014 E. 4.1.1 mit Hinweisen).

2.2. Die Beschwerdeführerin bemängelte im kantonalen Verfahren, der
psychiatrischen Gutachterin der MEDAS seien die 2011 erstellten Berichte des
Zentrums B.________ nicht vorgelegen. Die Vorinstanz hat diesen Einwand nicht
als stichhaltig erachtet. Die betreffenden Unterlagen würden keine
weiterführenden Erkenntnisse enthalten als die bisherigen auch der Expertin
bekannten Berichte. Die Beschwerdeführerin legt nicht dar, inwiefern diese
Beurteilung Bundesrecht verletzt. Die psychiatrische Gutachterin diskutierte
ausführlich die Kopfschmerz-Problematik. Dabei erwähnte sie u.a. den Bericht
des Spitals C.________ vom 30. Juni 2009, in welchem am ehesten von einem
"unspezifischen Kopfschmerz-Syndrom im Rahmen einer Depression" ausgegangen
worden sei. Die klinisch-neurologische Untersuchung sei unauffällig gewesen.
Entsprechend dem früheren Bericht der Medizinischen Klinik vom 4. August 2010
werde ein Analgetika-induzierter Kopfschmerz diskutiert. Diese Einschätzung
wird durch die Berichte des Zentrums B.________ vom 28. Dezember 2010, vom 21.
Januar, 17. März und 21. Oktober 2011 bestätigt. Darin wurde eine
Depressions-Behandlung als dringend bezeichnet zur psychischen Stabilisierung
vor einem Entzug mit Rehabilitation. Bis zum jetzigen Zeitpunkt sei eine
bessere Medikationseinstellung versucht worden. Nach unbestrittener
Feststellung der Vorinstanz hat sich die Beschwerdeführerin bisher keiner
adäquaten psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung unterzogen. Unter
diesen Umständen mindert das Absehen von einer allgemein medizinischen und
neurologischen Abklärung im Rahmen der MEDAS-Begutachtung den Beweiswert der
Expertise nicht, noch kann insoweit von einem nicht vollständig erhobenen
Sachverhalt gesprochen werden.

Mit Bezug auf die Atemnotbeschwerden hat die Vorinstanz Auswirkungen auf die
Arbeitsfähigkeit mit dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit
zumindest im Verfügungszeitpunkt verneint. Mit ihren Vorbringen vermag die
Beschwerdeführerin nicht aufzuzeigen, inwiefern diese Sachverhaltsfeststellung
das Ergebnis willkürlicher Beweiswürdigung ist (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105
Abs. 2 BGG; BGE 135 II 356 E. 4.2.1 S. 362). Im Übrigen ergeben sich aus den
Akten keine genügenden Anhaltspunkte, welche Anlass zu diesbezüglichen
Abklärungen gäben. Insbesondere lassen sich dem nach Verfügungserlass
erstellten Bericht des Dr. med. D.________ vom 9. Dezember 2011keine Hinweise
entnehmen, dass die angegebenen vor allem nachts auftretenden
Atemnotbeschwerden zusätzlich zur depressiven Symptomatik die Arbeitsfähigkeit
einschränken könnten. 

Die Sachverhaltsrügen sind unbegründet.

3. 

3.1. Mit dem Abzug vom Tabellenlohn nach BGE 126 V 75 soll der Tatsache
Rechnung getragen werden, dass persönliche und berufliche Merkmale, wie Art und
Ausmass der Behinderung, Lebensalter, Dienstjahre, Nationalität oder
Aufenthaltskategorie und Beschäftigungsgrad Auswirkungen auf die Lohnhöhe haben
können und je nach Ausprägung die versicherte Person deswegen die verbliebene
Arbeitsfähigkeit auch auf einem ausgeglichenen Arbeitsmarkt nur mit
unterdurchschnittlichem erwerblichem Erfolg verwerten kann (BGE 135 V 297 E.
5.2 S. 301 mit Hinweis). Ist von einem genügend breiten Spektrum an zumutbaren
Verweisungstätigkeiten auszugehen, können unter dem Titel leidensbedingter
Abzug grundsätzlich nur Umstände berücksichtigt werden, die auch auf einem
ausgeglichenen Arbeitsmarkt als ausserordentlich zu bezeichnen sind (Urteil
9C_366/2015 vom 22. September 2015 E. 4.3.1 mit Hinweis; vgl. auch Urteil
8C_693/ 2014 vom 22. Januar 2015 E. 4.2.1 mit Hinweis).
Ob ein (behinderungsbedingt oder anderweitig begründeter) Abzug vom
Tabellenlohn vorzunehmen ist, stellt eine vom Bundesgericht frei überprüfbare
Rechtsfrage dar (BGE 137 V 71 E. 5.1 S. 72).

3.2. Die Vorinstanz hat einlässlich dargelegt, weshalb bei der Ermittlung des
Invalideneinkommens kein Abzug vom Tabellenlohn vorzunehmen ist. Soweit die
Vorbringen in der Beschwerde auf die betreffenden Erwägungen Bezug nehmen,
vermögen sie keine Bundesrechtswidrigkeit darzutun. Insbesondere wird nicht
bestritten, dass der mit Entscheid vom 11. Januar 2011 (UV 2010/18) bestätigte
Abzug von 15 % bei der Bemessung der Invalidenrente der obligatorischen
Unfallversicherung gemäss Verfügung vom 11. Dezember 2009 und
Einspracheentscheid vom 12. Februar 2010 im vorliegenden Verfahren nicht
verbindlich ist. Die angeführten Gründe (Risiko von vermehrten gesundheitlichen
Absenzen, grösserer Betreuungsaufwand, weniger Flexibiltät, was das Leisten von
Überstunden etwa bei Verhinderung eines Mitarbeiters anbetrifft) rechtfertigen
in der Regel keinen Abzug vom Tabellenlohn (Urteile 9C_437/2015 vom 30.
November 2015 E. 2.4, 8C_712/2012 vom 30. November 2012 E. 4.2.1, 8C_711/2012
vom 16. November 2012 E. 4.2.2 und 9C_708/2009 vom 19. November 2009 E. 2.3.2,
in: SVR 2010 IV Nr. 28 S. 87). Umstände, welche vorliegend eine andere
Beurteilung nahelegten, werden nicht geltend gemacht. Das Argument
schliesslich, indem die Vorinstanz keinen Leidensabzug vornehme, behandle sie
die Beschwerdeführerin wie eine gesunde Arbeitnehmerin, liefe darauf hinaus,
dass in jedem Fall "automatisch" ein Abzug zu erfolgen hätte, was ständiger
Rechtsprechung widerspricht (BGE 126 V 75 E. 5b/aa i.f. S. 80; Urteil 9C_808/
2015 vom 29. Februar 2016 E. 3.2).

4. 
Die vorinstanzliche Invaliditätsbemessung wird im Übrigen nicht bestritten. Die
Beschwerde ist unbegründet.

5. 
Ausgangsgemäss hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66
Abs. 1 BGG).
 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 7. April 2016

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Fessler

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