Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 878/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_878/2015

Urteil vom 11. Juli 2016

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Pfiffner,
Gerichtsschreiber R. Widmer.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Michael Grimmer,
Beschwerdeführerin,

gegen

CSS Kranken-Versicherung AG,
Recht & Compliance,
Tribschenstrasse 21, 6005 Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Krankenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Schwyz
vom 14. Oktober 2015.

Sachverhalt:

A. 
Die 1972 geborene A.________ ist seit 1. Januar 2013 bei der CSS
Kranken-Versicherung AG (im Folgenden: CSS) obligatorisch für Krankenpflege
versichert. Nachdem Spontanschwangerschaften in den Jahren 2009 und 2011
jeweils in der neunten Schwangerschaftswoche mit einem Abort geendet hatten,
wurde am 15. März 2012 erstmals erfolglos und am 16. April 2012 erfolgreich
eine Inseminationsbehandlung durchgeführt. Diese Schwangerschaft endete erneut
durch einen Frühabort. Am 17. Januar, 12. Februar und 9. Oktober 2013 wurden
bei A.________ weitere Inseminationsbehandlungen durchgeführt. Mit Schreiben
vom 26. März 2013 ersuchte Dr. med. B.________, Chefarzt der Frauenklinik am
Spital C.________, die CSS um Übernahme der Kosten einer Stimulationsbehandlung
mit Serophene 50 mg, Ovitrelle Injektion und Gynefam sowie nachfolgender
Insemination wegen Asthenozoospermie. Nachdem die CSS dieses Gesuch wiederholt
schriftlich abgewiesen hatte, erliess sie am 19. November 2014 eine ablehnende
Verfügung, an welcher sie auf Einsprache hin mit Entscheid vom 4. Mai 2015
festhielt.

B. 
Die hiegegen eingereichte Beschwerde, mit welcher A.________ hatte beantragen
lassen, unter Aufhebung des Einspracheentscheides sei die CSS zu verpflichten,
die Kosten für die Sterilitätsbehandlung in der Höhe von Fr. 3'620.90 zu
übernehmen, wies das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz mit Entscheid vom
14. Oktober 2015 ab.

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________ den
Antrag auf Verpflichtung der CSS zur Vergütung der Kosten der an der
Frauenklinik des Spitals C.________ durchgeführten Sterilitätsbehandlungen vom
17. Januar, 12. Februar und 9. Oktober 2013 im Gesamtbetrag von Fr. 3'620.90
erneuern.
Während die CSS auf Abweisung der Beschwerde und Zusprechung einer
Parteientschädigung schliesst, verzichtet das Bundesamt für Gesundheit auf eine
Vernehmlassung.
Am 3. Februar 2016 lässt A.________ eine weitere Eingabe einreichen.

Erwägungen:

1. 
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG), die Feststellung
des Sachverhalts nur, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des
Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1
BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2. 
Laut den von der Vorinstanz zutreffend dargelegten Gesetzesbestimmungen
übernimmt die obligatorische Krankenversicherung u.a. die Kosten für die
Leistungen, die der Diagnose oder Behandlung einer Krankheit und ihrer Folgen
dienen (Art. 24 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 25 Abs. 1 KVG), sofern die
Leistungen wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sind (Art. 32 Abs. 1 KVG).
Als Krankheit gilt jede Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder
psychischen Gesundheit, die nicht Folge eines Unfalls ist und die eine
medizinische Untersuchung oder Behandlung erfordert oder eine
Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat (Art. 3 Abs. 1 ATSG). Darauf wird verwiesen.
Wie das kantonale Gericht sodann richtig festgehalten hat, zählt Anhang 1 der
Verordnung über Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung
(Krankenpflege-Leistungsverordnung; KLV) vom 29. September 1995 die ärztlichen
Leistungen auf, welche vorbehaltlos, unter gewissen Voraussetzungen oder
überhaupt nicht zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung gehen.
Eine Leistungspflicht besteht gemäss Ziff. 3 des Anhangs (Gynäkologie,
Geburtshilfe) für die künstliche Insemination mittels intrauteriner
Insemination für höchstens drei Behandlungszyklen pro Schwangerschaft. In dem
zur Publikation in BGE 142 bestimmten Urteil 9C_435/2015 vom 10. Mai 2016 hat
sich das Bundesgericht mit der Frage befasst, ob die Leistungspflicht der
Krankenversicherung für die künstliche Befruchtung an eine Altersgrenze der
Frau gebunden sei. Dabei hat es festgestellt, dass das Gesetz keine
Altersgrenze kennt. Weiter hat es dargelegt, die medizinischen Aussagen zur
Frage, ab welchem Alter eine Frau nicht mehr fähig ist, ein Kind zu zeugen,
gingen auseinander. Deswegen und weil es nicht Aufgabe des Bundesgerichts sei,
eine solche Limite festzulegen, ist diese Frage im Einzelfall anhand klinischer
Gesichtspunkte, die auf die jeweilige Versicherte zugeschnitten sind, zu
beurteilen.

3. 
Die Vorinstanz stützte sich für ihren Entscheid auf die Berichte des Dr. med.
B.________ (vom 26. März, 25. April und 16. Mai 2013) sowie das Gutachten des
Prof. D.________, Leiter der Abteilung Gynäkologische Endokrinologie und
Reproduktionsmedizin, Frauenklinik Spital E.________, vom 21. Oktober 2014,
eine vertrauensärztliche Stellungnahme des Dr. med. F.________ von der CSS vom
8. April 2015 und ein Folge-Gutachten des Prof. D.________ vom 30. Mai 2015.
Sie führte aus, bei der Sterilität handle es sich grundsätzlich um eine
Krankheit; indessen seien gemäss Empfehlung des Verbands Schweizerische
Gesellschaft der Vertrauensärzte (SGV) Leistungen für Sterilitätsabklärungen
und -behandlungen bei einer über 40-jährigen Frau nicht zu übernehmen; die
Kriterien der Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit seien nicht mehr erfüllt
und das Nichteintreten einer Schwangerschaft bei einer über 40-jährigen Frau
habe keinen Krankheitswert. Auch laut Gutachten des Prof. D.________ vermindere
sich die Fertilität einer Frau ab der Altersgruppe 35 bis 39 zunehmend. Deshalb
sei die Annahme, dass das Nichteintreten einer Schwangerschaft bei einer Frau,
die das 40. Altersjahr vollendet hat, keinen Krankheitswert aufweist, nicht zu
beanstanden. Den Empfehlungen des SGV hinsichtlich der Alterslimite sei zu
folgen. Dass die Insemination gemäss Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht
zur Kompensation einer altersbedingten Abnahme der Fertilität diente, sondern
wegen andrologischer Subfertilität bei einer Paarsterilität mit der Folge einer
Sterilität indiziert war, sei nicht entscheidend. In analoger Anwendung von BGE
129 V 32 sei die Kostenübernahme der Sterilitätsbehandlung als Krankheit oder
als Folge einer solchen durch die soziale Krankenversicherung über die
definierte Altersgrenze hinaus nicht gerechtfertigt, weil es eine nicht
begründbare Privilegierung einer bestimmten Gruppe von Versicherten darstellen
würde. Es würde der Rechtsgleichheit widersprechen, wenn eine 40-jährige Frau
bei Sterilität aufgrund ihres Alters keine Leistungen der Krankenversicherung
erhielte, während bei einer gleichaltrigen Frau mit einer anderen
Sterilitätsursache weiterhin die Kosten für die Behandlung übernommen würden.
Deshalb könne es keine Rolle spielen, ob das Ausbleiben einer Schwangerschaft
der Infertilität der Frau oder ihres Partners zuzuschreiben ist. Wäre der
Sterilität der Beschwerdeführerin Krankheitswert beizumessen, könnte deren
Behandlung dennoch nicht von der Krankenversicherung übernommen werden.
Sodann weist das kantonale Gericht darauf hin, dass die Abortrate in der
gutachterlichen Beurteilung der Zweckmässigkeit nicht berücksichtigt worden
sei. Bei der Versicherten habe jede der in den Akten festgehaltenen
Schwangerschaften - ob natürlich oder mittels intrauteriner Insemination
erfolgt - mit einem Abort geendet. Gemäss Abklärungen liege eine schwach
ausgeprägte Thrombophilie vor. Wiederholte Fehlgeburten seien häufig mit einer
Thrombophilie assoziiert. Unter diesen Voraussetzungen sei nicht überwiegend
wahrscheinlich, dass eine Sterilitätsbehandlung die Erfolgsquote einer
Lebendgeburt eines Kindes zu erhöhen vermöge, weshalb die Zweckmässigkeit und
auch die Wirtschaftlichkeit der Behandlung verneint werden müssten.

4. 
Der Betrachtungsweise der Vorinstanz ist beizupflichten. Indem sie sich auf
einlässliche medizinische Untersuchungen der Beschwerdeführerin sowie ein
fachärztliches Gutachten stützt und nicht allein das Alter der
Beschwerdeführerin in den Vordergrund stellt, sondern auch weitere medizinische
Faktoren, namentlich die schwach ausgeprägte Thrombophilie, mit welcher laut
Erkenntnissen des Gutachters Prof. D.________ häufig wiederholte Fehlgeburten
einhergehen, berücksichtigt, steht der angefochtene Entscheid im Einklang mit
dem erwähnten Urteil 9C_435/2015 vom 10. Mai 2016. Die Einwendungen der
Versicherten vermögen zu keinem anderen Ergebnis zu führen. Es ist nicht zu
erkennen, inwiefern das kantonale Gericht den rechtserheblichen Sachverhalt
offensichtlich unrichtig festgestellt oder anderweitig Bundesrecht verletzt
haben soll (E. 1 hiervor). Die Vorbringen der Beschwerdeführerin erschöpfen
sich in weiten Teilen in einer appellatorischen Kritik an der vorinstanzlichen
Beweiswürdigung, auf welche das Bundesgericht im Rahmen seiner gesetzlichen
Überprüfungsbefugnis (E. 1 hiervor) nicht einzugehen hat. Dies gilt namentlich
auch insoweit, als die Versicherte sich zur Zweckmässigkeit der
Fertilitätsbehandlung äussert. Soweit sie wiederholt geltend macht, einer
Sterilität könne auch nach Vollendung des 40. Altersjahres Krankheitswert
zukommen, ist sie darauf hinzuweisen, dass auch das kantonale Gericht nicht
ausschliesslich auf diese Altersgrenze abgestellt hat. Weil der angefochtene
Entscheid den Leistungsanspruch der Versicherten nicht allein gestützt auf die
Alterslimite von 40 Jahren verneint, was, wie dargelegt, nach der neuesten
Rechtsprechung nicht zulässig wäre, sondern die gesamte medizinische Situation
in Berücksichtigung der seitens der Fachärzte erhobenen Befunde in die
Beurteilung einbezieht, ist der Hinweis auf Statistiken, laut welchen sich die
Anzahl Lebendgeburten bei Frauen im Alter von 40 bis 42 Jahren zwischen 1995
und 2014 verdreifacht haben soll, unbehelflich. Ob die Wirtschaftlichkeit der
Behandlung zu bejahen wäre, wie die Beschwerdeführerin abschliessend vorträgt,
ist nicht näher zu prüfen, nachdem es gemäss den überzeugenden Erwägungen der
Vorinstanz im hier zu beurteilenden Fall an der Zweckmässigkeit der
Sterilitätsbehandlung gebricht.

5. 
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden
Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Die im
bundesgerichtlichen Verfahren obsiegende CSS kann als mit
öffentlich-rechtlichen Aufgaben betraute Organisation gemäss Art. 68 Abs. 3 BGG
keine Parteientschädigung beanspruchen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz und
dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 11. Juli 2016
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Widmer

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