Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 847/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_847/2015

Urteil vom 30. Dezember 2015

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Pfiffner,
Gerichtsschreiber Trütsch.

Verfahrensbeteiligte
 A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Tobias Figi,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 18. September 2015.

Sachverhalt:

A. 
Der 1949 geborene A.________, zuletzt als Büromaschinen-Servicetechniker in
einem Pensum von 80 % und als Hauswart im Umfang von 20 % tätig, erhielt von
der IV-Stelle des Kantons Zürich mit Verfügung vom 7. November 2013 eine
Viertelsrente ab 1. Juni 2013 zugesprochen.

B. 
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies die dagegen erhobene
Beschwerde des A.________ mit Entscheid vom 18. September 2015 ab. Entsprechend
dem von der IV-Stelle in der Vernehmlassung gestellten Antrag auf eine
reformatio in peius hob es die Verfügung vom 7. November 2013 auf und stellte
fest, es bestehe kein Anspruch auf eine Invalidenrente.

C. 
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und
beantragt unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sowie der Verfügung
vom 7. November 2013 die Zusprechung einer ganzen Rente ab dem 1. Juni 2013.

Erwägungen:

1. 

1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter
anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die
Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den
Sachverhalt zu Grunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1
BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

1.2. Tatsächlicher Natur und somit nur eingeschränkt überprüfbar sind die
Feststellungen zum Gesundheitszustand einer versicherten Person und der daraus
resultierenden Arbeits (un) fähigkeit, die das Sozialversicherungsgericht
gestützt auf medizinische Untersuchungen trifft (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397
ff.). Rechtsfrage ist, nach welchen Gesichtspunkten die Entscheidung über die
Verwertbarkeit der Restarbeitsfähigkeit erfolgt (Urteil 9C_190/2009 vom 11. Mai
2009 E. 3.3).

2.

2.1. Der Beschwerdeführer bringt unter Verweis auf E. 5.6 des Urteils H 161/06
vom 6. August 2007 (nicht publiziert in BGE 133 V 569) vor, eine reformatio in
peius sei nur mit grösster Zurückhaltung anzuwenden. Von diesem Grundsatz sei
das kantonale Sozialversicherungsgericht abgewichen. In ihrer Verfügung vom 7.
November 2013 sei die IV-Stelle von einer gesundheitlich bedingten Auflösung
des Arbeitsverhältnisses ausgegangen. Erst im vorinstanzlichen Verfahren habe
sie vorgebracht, die Kündigung sei aus betriebsinternen Gründen erfolgt,
weshalb für die Ermittlung des Valideneinkommens auf die Lohnstrukturerhebung
des Bundesamtes für Statistik (LSE) abgestellt werden müsse. Dieses Verhalten
verdiene keinen Rechtsschutz.

2.2. Die IV-Stelle berechnete den Invaliditätsgrad von 41 % aufgrund der
tatsächlichen Verhältnisse bei Rentenbeginn am 1. Juni 2013 (vgl. BGE 126 V 75
E. 3b/aa S. 76). Dies ergab ein Valideneinkommen von Fr. 83'325.- (Fr. 68'901.-
[80 % Servicetechniker] + Fr. 14'424.- [20 % Hauswart]). Da der
Beschwerdeführer weiterhin zu 50 % in seinem angestammten Beruf entsprechend
der ärztlich attestierten Arbeitsfähigkeit tätig war, rechnete sie für das
Invalideneinkommen Fr. 48'875.- (Fr. 34'450.- [50 % von Fr. 68'901.-] + Fr.
14'424.- [Nebenerwerb]) an. Indessen hatte der Beschwerdeführer das
Arbeitsverhältnis als Servicetechniker am 26. März 2013 per 30. Juni 2013
gekündigt. Ungeachtet des Grundes für diesen Schritt war das Invalideneinkommen
somit ab 1. Juli 2013 auf statistischer Grundlage festzulegen (vgl. dazu BGE
139 V 592 E. 2.3 S. 593 f.; Urteil 9C_394/2015 vom 27. Oktober 2015 E. 3.1.3).
Dasselbe hat für Juni 2013 zu gelten, da der Beschwerdeführer seine
Restarbeitsfähigkeit am alten Arbeitsplatz nicht voll ausgeschöpft hatte (vgl.
Urteil 8C_448/2015 vom 29. Dezember 2014 E. 4.2). Leidensadaptiert wäre ihm
nebst seiner Tätigkeit als Hauswart (20 %) ein Pensum von 80 % zuzumuten
gewesen. Damit hätte er, wie das kantonale Sozialversicherungsgericht
feststellte, anstelle des tatsächlichen Verdienstes von insgesamt Fr. 48'875.-
ein Einkommen von Fr. 64'699.15 erzielen können, was - insoweit unbestritten -
keinen rentenrelevanten Invaliditätsgrad ergab, unabhängig davon, ob das
Valideneinkommen ebenfalls auf tabellarischer Grundlage zu ermitteln war oder
nicht (vgl. auch nachstehende E. 3). Damit sind die Voraussetzungen nach Art.
61 lit. d ATSG erfüllt und die Vorinstanz durfte zu Ungunsten des
Beschwerdeführers einen Rentenanspruch ab 1. Juni 2013 verneinen.

3. 
Weiter rügt der Beschwerdeführer eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung,
indem die Vorinstanz von einer nicht gesundheitlich bedingten Kündigung
ausgegangen sei. Diese Frage kann indessen mit Blick auf E. 5.3.3 i.V.m. E.
5.3.1 des angefochtenen Entscheids offengelassen werden. Das kantonale
Sozialversicherungsgericht berechnete den Invaliditätsgrad im Sinne einer
Eventualbegründung für den Fall, dass die Kündigung aus gesundheitlichen
Gründen erfolgt wäre und das Valideneinkommen dementsprechend dem tatsächlich
erzielten Lohn vor Eintritt des Gesundheitsschadens entsprechen würde. Im
Ergebnis resultierte ab 1. Juni 2013 auch diesfalls kein Invaliditätsgrad von
mindestens 40 %. Weiterungen hierzu erübrigen sich.

4. 
Schliesslich bestreitet der Beschwerdeführer die Verwertbarkeit seiner
Resterwerbsfähigkeit. Zur Begründung führt er im Wesentlichen sein Alter und
die kurze verbliebene Einarbeitungszeit an.

4.1.

4.1.1. Der Einfluss des Lebensalters auf die Möglichkeit, das verbliebene
Leistungsvermögen auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt zu verwerten, lässt sich
nicht nach einer allgemeinen Regel bemessen, sondern hängt von den Umständen
des Einzelfalls ab. Massgebend können die Art und Beschaffenheit des
Gesundheitsschadens und seiner Folgen, der absehbare Umstellungs- und
Einarbeitungsaufwand und in diesem Zusammenhang auch Persönlichkeitsstruktur,
vorhandene Begabungen und Fertigkeiten, Ausbildung, beruflicher Werdegang oder
Anwendbarkeit von Berufserfahrung aus dem angestammten Bereich sein (BGE 138 V
457 E. 3.1 S. 460; Urteile 9C_153/2011 vom 22. März 2012 E. 3.1; 9C_918/2008
vom 28. Mai 2009 E. 4.2.2 mit Hinweisen). Somit hängt die Verwertbarkeit nicht
zuletzt davon ab, welcher Zeitraum der versicherten Person für eine berufliche
Tätigkeit und vor allem auch für einen allfälligen Berufswechsel noch zur
Verfügung steht (BGE 138 V 457 E. 3.2 S. 460).

4.1.2. Das Bundesgericht hat etwa bei einem 62 3/4-jährigen Versicherten,
welcher nur noch vorwiegend sitzende oder wechselbelastende Arbeiten ausführen
konnte, an den oberen Extremitäten aber nicht beeinträchtigt war und somit
feinmotorische Tätigkeiten trotz fehlender diesbezüglicher Erfahrung in Form
von Sortier- und Überwachungsarbeiten möglich waren, die Verwertbarkeit bejaht
(Urteil 8C_345/2013 vom 10. September 2013 E. 4.3.3). Auch bei einem 61 Jahre
alten Versicherten, der leichte Tätigkeiten nur noch vorwiegend sitzend aber
vollzeitlich verrichten konnte und in seiner Feinmotorik nicht beeinträchtigt
war, erachtete es die Chancen auf eine Anstellung als intakt (Urteil 8C_330/
2015 vom 19. August 2015 E. 3.2).
Demgegenüber verneinte das Bundesgericht die Verwertbarkeit der
Restarbeitsfähigkeit eines 64 1/2-jährigen Versicherten, der zwar noch leichte,
in Wechselpositionen ausführbare Tätigkeiten ohne Heben schwerer Lasten
ausführen konnte, aber für feinmotorische Arbeiten keine Fertigkeiten und
keinerlei berufliche Erfahrungen mitbrachte (Urteil 9C_979/2009 vom 10. Februar
2010 E. 4 und 5). Als unverwertbar erachtet wurde auch die 50%ige, durch
verschiedene Auflagen zusätzlich limitierte Leistungsfähigkeit eines knapp
64-jährigen Versicherten mit multiplen, die Arbeitsfähigkeit einschränkenden
Beschwerden (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 401/01 vom 4. April 2002
E. 4c und d), ebenso die 50%ige Arbeitsfähigkeit einer im 64. Altersjahr und
rund zehn Monate vor dem Erreichen des AHV-Alters stehenden Versicherten
(Urteil 9C_153/2011 vom 22. März 2012 E. 3.3). Einem im demselben Altersjahr
stehenden Versicherten (acht Monate vor der Pensionierung), der neun Jahre ohne
Arbeit war und seit mehr als fünf Jahren eine Teilrente bezog und daneben noch
zu 50 % arbeitsfähig war, sprach das Bundesgericht ebenfalls die Verwertbarkeit
der Restarbeitsfähigkeit ab (Urteil 9C_145/2011 vom 30. Mai 2011 E. 3.4).

4.2. Die Vorinstanz hat für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlich (vgl.
E. 1.1 hievor) festgestellt, der Versicherte sei im massgeblichen Zeitpunkt
63.5 Jahre alt gewesen. Ferner sei er in einer angepassten Tätigkeit zu 100 %
arbeitsfähig, wobei das Belastungsprofil nur in sehr geringem Masse
eingeschränkt sei, soll er doch lediglich ein Heben von Lasten über 10 kg
vermeiden und eher sitzende Arbeiten verrichten. Zudem spreche der
Beschwerdeführer sowohl italienisch als auch deutsch. In seinem angestammten
Beruf als Servicetechniker für Büromaschinen habe er im Aussendienst
gearbeitet, wobei er nebst technischen Kenntnissen auch den Umgang mit Kunden
erlernt habe. Daneben sei der Versicherte in einem Pensum von 20 % als Hauswart
tätig und somit nie vom Arbeitsmarkt abwesend gewesen. Gestützt darauf kam das
kantonale Sozialversicherungsgericht zum Schluss, dass der Beschwerdeführer
seine Restarbeitsfähigkeit auf dem Weg der Selbsteingliederung verwerten könne.

4.3. Es trifft zwar zu, dass der Beschwerdeführer nicht leicht vermittelbar war
und ihm - ab feststehender Zumutbarkeit der (Teil-) Erwerbstätigkeit (vgl. BGE
138 V 457 E. 3.3 S. 462) - lediglich noch 1 1/2 Jahre bis zum Erreichen des
AHV-Alters verblieben. Indessen ist zu berücksichtigen, dass er in einer
leidensadaptierten Tätigkeit vollschichtig arbeitsfähig war und nur leichte
zusätzliche Einschränkungen hatte (Heben nicht über 10 kg und vorwiegend
sitzende Arbeiten). Insbesondere war er feinmotorisch nicht beeinträchtigt.
Angesichts des erworbenen Handelsdiploms, seiner Sprachkenntnisse sowie der
Berufserfahrung hätte er nebst Sortier- und Überwachungsaufgaben auch einfache
Bürotätigkeiten ausführen können. Im Lichte der Rechtsprechung (vgl. E. 4.1
hievor) und angesichts der relativ hohen Hürden betreffend die Unverwertbarkeit
der Restarbeitsfähigkeit auch älterer Menschen verletzte die Vorinstanz kein
Bundesrecht, wenn sie einen invalidenversicherungsrechtlich erheblich
erschwerten Zugang des Beschwerdeführers zum Arbeitsmarkt verneinte. Die
Beschwerde ist unbegründet.

5. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdeführer die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 30. Dezember 2015

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Trütsch

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