Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 846/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_846/2015

Urteil vom 2. März 2016

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Pfiffner,
Gerichtsschreiber Attinger.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt George Hunziker,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin,

Vorsorgeeinrichtung D.________.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid
des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich
vom 24. September 2015.

Sachverhalt:

A. 
A.________ (geb. 1965) arbeitete von 1990 bis Ende Juni 2006 als
Fassadenisoleur in der Firma B.________ AG. Auf eine erste Anmeldung vom 22.
Mai 2006 hin war er wegen Rückenbeschwerden für die Zeit vom 1. September 2006
bis 31. Januar 2007 in den Genuss einer Dreiviertels-Invalidenrente gekommen
(Verfügung der IV-Stelle des Kantons Zürich vom 6. April 2007), worauf er am
22. August 2008 ein erneutes Leistungsgesuch einreichte. Versuche, den
medizinischen Sachverhalt abzuklären, hatten längere Zeit keinen Erfolg, weil
sich verschiedene Ärzte wegen Drohungen seitens des Versicherten weigerten,
eine Expertise zu erstellen oder eine Begutachtung vorzunehmen. Nach einem
negativen Vorbescheid vom 13. Mai 2011 und Beizug eines psychiatrischen
Gutachtens der Klinik C.________ vom 3. Dezember 2013 verfügte die IV-Stelle am
4. Juni 2014 die Ablehnung des Rentengesuchs mangels einer invalidisierenden
psychischen Gesundheitsbeeinträchtigung.

B. 
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich hiess die dagegen
eingereichte Beschwerde teilweise gut, indem es dem Versicherten unter
Aufhebung der Ablehnungsverfügung vom 4. Juni 2014 bei einem Invaliditätsgrad
von 58 % ab 1. Februar 2009 eine halbe Invalidenrente zusprach (Entscheid vom
24. September 2015).

C. 
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und
beantragt sinngemäss die Zusprechung einer ganzen, eventuell einer
Dreiviertels-Invalidenrente, subeventuell die Rückweisung der Sache an die
Vorinstanz "zur Ergänzung der Ermittlung des massgeblichen Sachverhalts mittels
polydisziplinärer Ergänzung des bestehenden psychiatrischen Gutachtens der
Klinik C.________".

Während die IV-Stelle auf Abweisung der Beschwerde schliesst, haben sich das
Bundesamt für Sozialversicherungen und die als Mitinteressierte beigeladene
Vorsorgeeinrichtung D.________ nicht vernehmen lassen.
Erwägungen:

1. 
Die durch das kantonale Gericht (wegen einer relevanten gesundheitlichen
Verschlechterung nach Erlass der ursprünglichen Rentenverfügung) zugesprochene
halbe Invalidenrente ist, da von keiner Seite beschwerdeweise angefochten, der
Beurteilung durch das Bundesgericht entzogen (Art. 107 Abs. 1 BGG).

2. 
Streitig und zu prüfen ist allein, ob der Beschwerdeführer stattdessen Anrecht
auf eine ganze oder Dreiviertels-Invalidenrente (Art. 28 Abs. 2 IVG) hat. Das
kantonale Gericht hat dies verneint. Soweit in der Beschwerde an das
Bundesgericht thematisiert, waren dafür folgende Argumente ausschlaggebend.

2.1. Die Vorinstanz gelangte in E. 5.6 ihres Entscheids zum Schluss, dem
Beschwerdeführer sei aus somatischer Sicht eine behinderungsangepasste,
körperlich leichte Tätigkeit ohne regelmässiges Tragen von Lasten über 15 kg
und ohne monotone bzw. repetitive Arbeitsgänge weiterhin uneingeschränkt
zumutbar. Hingegen sei er - abweichend von der Beurteilung der
Beschwerdegegnerin - gestützt auf das Gutachten der Klinik C.________ in
psychischer Hinsicht ab Frühjahr 2008 in einer behinderungsangepassten
Tätigkeit (ohne besondere Anforderungen an Schnelligkeit, Präzision,
Flexiblität, Umstellungsfähigkeit oder Bewältigung sozialer Stresssituationen
[etwa im Publikumsverkehr oder Kundenkontakt]) als nur mehr zu 50 %
arbeitsfähig zu betrachten. Zudem könnten Akkord- bzw. Bandarbeiten, Wechsel-
oder Nachtschichten nicht mehr geleistet werden. Die angestammte Tätigkeit im
Fassadenbau sei somit nicht mehr leidensgerecht.
Die Beschwerde bezeichnet diese Einschätzung ausdrücklich als richtig - die
Bemerkung bezüglich der neu ausgewiesenen Kniebeschwerden dringt mit Blick auf
Art. 97 Abs. 1 i.V.m. Art. 105 Abs. 2 BGG nicht durch -, rügt aber als Verstoss
gegen den Untersuchungsgrundsatz (Art. 61 lit. c ATSG) die schon vorinstanzlich
beanstandete "Unterlassung der Abklärung des Kumulationseffekts der Beschwerden
aus den zwei verschiedenen Bereichen". Die dem Ausschluss eines
Kumulationseffekts zugrunde liegende antizipierte Beweiswürdigung und der damit
einhergehende vorinstanzliche Verzicht auf eine polydisziplinäre Begutachtung
(angefochtener Entscheid E. 5.1) verletzen jedoch kein Bundesrecht (Art. 95
lit. a BGG). Denn in Anbetracht des für angepasste körperlich leichte
Tätigkeiten (hievor wiedergegeben) vollen somatischen Leistungsvermögens kann
dessen Reduktion von vornherein und zwangsläufig nur aus  psychischen Gründen
resultieren. Diesbezüglich hat die Vorinstanz (gestützt auf das Gutachten der
Klinik C.________) anerkannt, dass wegen der depressiven Störung (derzeit
mittelgradige Episode, chronifiziert mit somatischem Syndrom) bei
Persönlichkeitsakzentuierung mit misstrauisch-paranoiden und impulsiven Zügen
die Arbeitsfähigkeit  allgemein um 50 % eingeschränkt ist, was bezüglich schon
somatisch ausgeschlossenen Beschäftigungen folgenlos bleibt und den
Versicherten in den ihm offenstehenden körperlich leichten Arbeiten
entsprechend (proportional) limitiert, wobei seine Tendenz zu teils aggressiven
Impulsausbrüchen durchaus in Anschlag gestellt wird. Es gibt keinerlei
Anhaltspunkte für die Annahme, das somatische Leistungsvermögen für angepasste
körperlich leichte Arbeiten werde seinerseits und als solches durch die
psychischen Störungen weiter eingeschränkt als es Letztere bewirken.

2.2. Auf dieser Grundlage eines 50%igen - arbeitsmarktlich verwertbaren -
Leistungsvermögens für angepasste körperlich leichte Tätigkeiten hat das
kantonale Gericht den Invaliditätsgrad mit einem Einkommensvergleich (Art. 16
ATSG) ermittelt. Abweichend von den für die befristete Rentenzusprechung gemäss
Verfügung vom 6. April 2007 herangezogenen Werten hat es unter "diesen
Umständen" beiden Vergleichseinkommen den Tabellenlohn der LSE 2008, S. 26,
Tabellengruppe TA1, Total, Männer, Anforderungsniveau 4 zugrunde gelegt, was im
Rahmen eines Prozentvergleichs (Validen- zu Invalideneinkommen = 100 % zu 50 %)
und unter Gewährung eines 15%igen Abzugs beim Invalidenlohn zu einem
Invaliditätsgrad von (aufgerundet) 58 % führte.

Hiegegen wendet der Beschwerdeführer ein, das Abweichen vom Valideneinkommen
gemäss Verfügung vom 6. April 2007 in Höhe von Fr. 67'613.- sei nicht
gerechtfertigt. Für ein Heranziehen lohnstatistischer Werte verbleibe mit Bezug
auf das Valideneinkommen kein Raum; zumindest müsste der Tabellenwert für das
Baugewerbe herangezogen werden. Auch hinsichtlich des Abzugs beim
Invalideneinkommen bleibe die Vorinstanz jegliche Begründung dafür schuldig,
warum derjenige von 20 % gemäss Verfügung vom 6. April 2007 in unhaltbarer
Weise auf 15 % reduziert werde, obwohl damals noch keine psychische Krankheit
vorgelegen habe und eine Person mit krankhaft misstrauisch-paranoiden Zügen und
impulsivem Charakter besonders Mühe haben dürfte, einen Arbeitgeber zu finden.
Diese Rügen gegen die vorinstanzliche Invaliditätsbemessung sind teilweise
begründet. Wenn auch der Entscheid über die Höhe des Abzugs beim
Invalideneinkommen als typische Ermessensfrage (BGE 132 V 393 E. 3.3 in fine S.
399) vor Bundesrecht (Art. 95 lit. a BGG) standhält - ein Ermessensmissbrauch
oder sonstiger Willkürakt liegt klarerweise nicht vor -, verletzt die Anwendung
der - nur subsidiär heranzuziehenden - lohnstatistischen Angaben hier den
Grundsatz, wonach das Valideneinkommen so konkret als möglich zu ermitteln ist;
insbesondere bedarf das Abgehen vom zuletzt erzielten Verdienst besonderer
Begründung (vgl. zum Ganzen Meyer/Reichmuth, IVG, 3. Aufl., NN 48 ff. zu Art.
28a IVG mit Hinweisen auf die Rechtsprechung). Dem vermögen die blossen
vorinstanzlichen Hinweise auf die infolge Umstrukturierung in der Firma
B.________ AG liquidierte Abteilung Fassadenisolation, die entsprechende
Kündigung aus wirtschaftlichen Gründen per Ende Juni 2006 nach
vorangegangener      9-monatiger Arbeitsunfähigkeit (zu 100 %) und das (bezogen
auf heute) sehr lange zurückliegende Arbeitsverhältnis nicht zu genügen. Der
Beschwerdeführer hat während mehr als 16 Jahren (März 1990 bis Juni 2006) als
Fassadenisoleur bei der Firma B.________ AG gearbeitet und einen Jahreslohn von
zuletzt Fr. 67'613.- erzielt. Die Annahme liegt daher nahe, dass der
Beschwerdeführer ohne Eintritt der gesundheitlichen Beeinträchtigung auf einem
ausgeglichenen Arbeitsmarkt - nur dieser ist IV-rechtlich relevant (Art. 16
ATSG) - weiterhin Einkünfte der genannten Grössenordnung erreicht hätte (etwa
in einer anderen Abteilung seiner bisherigen Arbeitgeberfirma). Der Frage
braucht indes insofern nicht näher nachgegangen zu werden, als jedenfalls
keinerlei Anhaltspunkte für einen Branchenwechsel des Versicherten vorliegen.
Vielmehr wäre er ohne Gesundheitsschaden mit überwiegender Wahrscheinlichkeit
weiterhin im Baugewerbe erwerbstätig geblieben, weshalb auf den diesbezüglichen
Tabellenlohn abzustellen ist. Damit wird die Schwelle des Invaliditätsgrades
von 60 % knapp überschritten: Bei einem Valideneinkommen im Jahre 2009 (vgl.
BGE 129 V 222 E. 4.1 f. S. 223 f.) von Fr. 65'560.- (Fr. 5150.- [LSE 2008, S.
26, Tabellengruppe TA1, Baugewerbe, Männer, Anforderungsniveau 4] durch 40 mal
41,6 [Die Volkswirtschaft, 6/2009, S. 86] durch 104,8 mal 106,9
[Lohnentwicklung 2009, S. 20] mal 12) und einem Invalideneinkommen von Fr.
26'025.- (Fr. 4806.- [LSE, a.a.O., Total, Männer, Anforderungsniveau 4] durch
40 mal 41,6 durch 105,0 mal 107,2 mal 0,5 mal 0,85 mal 12) resultiert ein
Invaliditätsgrad von (abgerundet) 60 %. Damit steht dem Beschwerdeführer ab 1.
Februar 2009 eine Dreiviertels-Invalidenrente zu.

3. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat die IV-Stelle die Gerichtskosten zu
tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG) und dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung
zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG). Diese ist nicht zu reduzieren, da das
Begehren in der Beschwerde, soweit über die Dreiviertelsrente hinausgehend (
"Überklagen"), den Prozessaufwand nicht wesentlich beeinflusst hat (BGE 117 V
401 E. 2c S. 407; Urteil 9C_889/2011 vom 8. Februar 2012 E. 7).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 24. September 2015
dahingehend abgeändert, dass der Beschwerdeführer ab 1. Februar 2009 Anspruch
auf eine Dreiviertels-Invalidenrente hat. Im Übrigen wird die Beschwerde
abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, der Vorsorgeeinrichtung D.________, dem
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 2. März 2016

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Attinger

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