Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 830/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_830/2015

Urteil vom 6. April 2016

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Pfiffner,
Gerichtsschreiberin Bollinger Hammerle.

Verfahrensbeteiligte
 A.________, vertreten durch ihre Tochter,
Beschwerdeführerin,

gegen

Sozialversicherungsanstalt des Kantons Zürich, Zusatzleistungen zur AHV/IV,
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Ergänzungsleistung zur AHV/IV,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 9. September 2015.

Sachverhalt:

A.

A.a. Mit Entscheid vom 21. Juni 2013 hob das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich einen Einspracheentscheid der Sozialversicherungsanstalt des
Kantons Zürich, Ausgleichskasse, vom 23. Juni 2011 betreffend den Anspruch von
A.________ auf Ergänzungsleistungen auf und wies die Sache zur Neuberechnung an
die Ausgleichskasse zurück (Verfahren Nr. ZL.2011.00060). Auf eine gegen diesen
Rückweisungsentscheid von A.________, vertreten durch ihre Tochter, erhobene
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten trat das Bundesgericht
nicht ein (Urteil 9C_671/2013 vom 16. September 2013).

A.b. Mit Verfügungen vom 22. Oktober und 6. November 2014 berechnete die
Ausgleichskasse die Ergänzungsleistungen von A.________ ab 1. Januar 2009 bzw.
vom 1. Oktober 2007 bis 31. Dezember 2008 neu. Dabei rechnete sie ab 1. Januar
2008 ein Verzichtsvermögen von Fr. 100'000.- an. A.________ erhob gegen beide
Verfügungen Einsprachen und stellte Erlassgesuche. Mit Einspracheentscheiden
vom 5. März und 21. April 2015 bestätigte der Rechtsdienst der
Sozialversicherungsanstalt die Verfügungen.

B. 
Gegen beide Einspracheentscheide erhob A.________ je Beschwerde. Das kantonale
Sozialversicherungsgericht vereinigte die Verfahren. Es führte eine
Instruktionsverhandlung durch, anlässlich welcher die Parteien einen Vergleich
mit Widerrufsvorbehalt schlossen. Der Rechtsdienst der
Sozialversicherungsanstalt machte am 3. Juli 2015 von seinem Widerrufsrecht
Gebrauch und beantragte die Abweisung der Beschwerde, was A.________ umgehend
mitgeteilt wurde. Am 10. Juli 2015 ersuchte A.________ um Fristerstreckung. Mit
Schreiben vom 14. Juli 2014 teilte ihr das Gericht (erneut) mit, der Vergleich
sei nicht zustande gekommen. Am 9. September 2015 wies es die Beschwerde ab.

C. 
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Sie
beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheids, die Feststellung, dass
kein Verzichtsvermögen vorliege, sowie die Korrektur der Verfügungen vom 22.
Oktober und 6. November 2014 insoweit, als ihr ab 1. Januar 2008
Ergänzungsleistungen in der von ihr berechneten Höhe nebst Zins nachzuzahlen
seien.
Das Bundesgericht lädt die Vorinstanz zur Stellungnahme bezüglich neuer
Beweismittel ein, welche diese am 16. Februar 2016 wahrnimmt.  A.________ sowie
die Sozialversicherungsanstalt erhalten Gelegenheit zur Vernehmlassung. Am 14.
März 2016 legt A.________ ihre Stellungnahme ins Recht, die
Sozialversicherungsanstalt verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es legt seinem
Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105
Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz auf Rüge hin
oder von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 beruht, und
wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein
kann (Art. 105 Abs. 2 BGG und Art. 97 Abs. 1 BGG).

2. 
Die Vorinstanz hat die Rechtsgrundlagen zum Anspruch auf Ergänzungsleistungen,
zu deren Berechnung sowie zur Anrechnung eines Verzichtsvermögens im Entscheid
vom 21. Juli 2013 (Verfahren Nr. ZL.2011.00060, E. 1 und 3.2.4) zutreffend
wiedergegeben und im angefochtenen Entscheid darauf verwiesen.

3. 

3.1. Im rechtskräftigen Entscheid vom 21. Juli 2013 (Verfahren Nr.
ZL.2011.00060) hatte die Vorinstanz festgestellt, der Beschwerdeführerin sei
mit Valuta 31. Oktober 2007 eine Vergütung der Winterthur-Leben Versicherung
über Fr. 194'866.15 zugegangen. Von diesem Betrag habe die Beschwerdeführerin
unter anderem am 5. November 2007 Fr. 25'000.- in bar und am 28. November 2007
Fr. 75'000.- per Überweisung an ihren Schwiegersohn bezahlt (E. 3.2.3). Das
Gericht erwog, eine eingereichte Bestätigung vom 5. Dezember 2007 vermöge eine
rechtliche Verpflichtung für diese Vermögenshingaben nicht rechtsgenüglich zu
erstellen und wies die Sache zur Klärung der Frage des Verzichtsvermögens an
die Beschwerdegegnerin zurück, unter Hinweis auf die diesbezügliche Beweislast
der Beschwerdeführerin (E. 3.2.5).

3.2. Im angefochtenen Entscheid stellte das kantonale Gericht fest, die
Versicherte habe gegenüber dem Verfahren Nr. ZL.2011.00060 nichts Neues
vorgebracht, weshalb eine andere Beurteilung nicht angezeigt sei. Nachdem es
die Beschwerdeführerin bei einer "Bestätigung/Quittung" der getätigten
Rückzahlung belassen, darüber hinaus aber weder die genaue Höhe des Darlehens
zu beziffern noch die genauen Bezüge und deren Verwendung zu belegen vermocht
habe und die Darlehensschuld auch nie in der Steuererklärung ausgewiesen worden
sei, wäre es zwar möglich, dass ihre Ausführungen zuträfen. Sie seien indes
nicht mit genügender Wahrscheinlichkeit belegt. Vielmehr habe es die
Beschwerdeführerin bei vagen Behauptungen ohne genauere Angaben zu Höhe und
Datum der Leistungen bewenden lassen. Infolge Beweislosigkeit müsse von einer
Hingabe des Vermögens ohne adäquate Gegenleistung und damit von einer
Verzichtshandlung ausgegangen werden. Ohnehin wäre die Rückforderung des
Darlehens verjährt. Die bereits im August 2011 in Aussicht gestellten weiteren
Belege seien nicht beigebracht worden, weshalb anzunehmen sei, diese seien
nicht mehr zu beschaffen gewesen. Damit bleibe es bei der Beweislosigkeit.

4. 
Die Beschwerdeführerin legt zunächst hauptsächlich ihre eigene Sicht der Dinge
dar, ohne substantiiert zu rügen, inwiefern die Vorinstanz Bundesrecht verletzt
haben soll. Insoweit genügt ihre Rechtsschrift den gesetzlichen Anforderungen
an eine hinreichende Beschwerdebegründung klar nicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG;
vgl. auch BGE 134 V 53 E. 3.3 S. 60, 133 IV 286 E. 1.4 S. 287 sowie 136 I 65 E.
1.3.1 S. 68 und 134 II 244 E. 2.1 f. S. 245 f.). Dies betrifft namentlich die
Kritik am vorinstanzlich verneinten rechtsgenüglichen Nachweis einer
Rechtspflicht für die Vermögenshingaben (zur Relevanz der später eingereichten
Unterlagen vgl. nachfolgende E. 5.2 f.) und an der konkreten Berechnung der
Ergänzungsleistungen.

5.

5.1. Die Beschwerdeführerin macht geltend, es sei nicht nachvollziehbar,
weshalb das vom 14. August 2015 datierende Schreiben samt Beilagen, welches sie
abends vor einer (ferienbedingten) Abreise ins Ausland zu Handen der Vorinstanz
der Post übergeben habe, im angefochtenen Entscheid unberücksichtigt geblieben
seien. Zu diesem Einwand hat das Bundesgericht einen Schriftenwechsel
durchgeführt (vgl. vorangehende lit. C). Das kantonale Gericht hielt in seiner
Stellungnahme vom 16. Februar 2016 fest, weder das Schreiben vom 14. August
2015 noch dessen Beilagen befänden sich in seinen nummerierten Akten oder den
zugehörigen Handakten, wie eine sorgfältige Durchsicht ergeben habe. Daraus sei
zu schliessen, dass die entsprechenden Unterlagen nicht bei ihm eingegangen
seien und dem Spruchkörper im Zeitpunkt der Urteilsfällung folglich nicht
vorgelegen hätten. In ihrer Stellungnahme vom 14. März 2016 präzisiert die
Beschwerdeführerin im Wesentlichen, die Postsendung am 14. August 2015 nach 18
Uhr der Post übergeben zu haben. Zu dieser Tageszeit sei ein Versand per
Einschreiben nicht mehr möglich gewesen. Der Einwurf bei der Post könne von
Dritten bezeugt werden und es seien auch schon andere Sendungen bei der Post
verloren gegangen.

5.2. Im Sozialversicherungsrecht ist der Entscheid, sofern das Gesetz nicht
etwas Abweichendes vorsieht, nach dem Beweisgrad der überwiegenden
Wahrscheinlichkeit zu fällen. Die blosse Möglichkeit eines bestimmten
Sachverhalts genügt den Beweisanforderungen nicht. Das Gericht hat jener
Sachverhaltsdarstellung zu folgen, die es von allen möglichen
Geschehensabläufen als die Wahrscheinlichste erachtet (z.B. in BGE 140 V 220
nicht publ. E. 5.4.1 des Urteils 8C_494/2013 vom 22. April 2014 mit Hinweis).
Es darf eine Tatsache nur dann als bewiesen annehmen, wenn es von ihrem
Bestehen überzeugt ist (z.B. Urteil 9C_634/2014 vom 31. August 2015 E. 6.3.1,
in: SVR 2016 BVG Nr. 6 S. 21).

5.3. 

5.3.1. Die Beweislast für die Vornahme einer Parteihandlung im Verfahren trägt
grundsätzlich diejenige Partei, welche sich auf diese beruft. Wird für die
Übermittlung einer schriftlichen Eingabe die Post benützt, umfasst die
Beweislast das Beweisrisiko für die effektive Postaufgabe (BGE 109 Ia 183 E. 3b
S. 185). Eine Umkehr der Beweislast fällt nur in Betracht, wenn die Partei den
Beweis aus Gründen nicht erbringen kann, die von der Behörde zu verantworten
sind (BGE 138 V 218 E. 8.1.1 S. 223), wofür hier jegliche Anhaltspunkte fehlen.

5.3.2. Die blosse Behauptung, Dritte könnten die Postaufgabe vom 14. August
2015 bezeugen, ist nicht beweistauglich (vgl. Urteil C 76/06 vom 3. Juli 2006
E. 2.2). Da die Unterlagen unbestrittenermassen nicht eingeschrieben versandt
wurden, kann bei der Post auch kein Nachforschungsbegehren gestellt werden.
Wird die Tatsache (wie auch das Datum) der Aufgabe einer Postsendung ohne
Ausstellnachweis bestritten, muss im Zweifel aber auf die Darstellung des
Empfängers abgestellt werden (Urteil 9C_433/2015 vom 1. Februar 2016 E. 4.1 mit
Hinweisen auf BGE 129 I 8 E. 2.2 S. 10 und 124 V 400 E. 2a S. 402). Auch wenn
der von der Beschwerdeführerin geschilderte Geschehensablauf möglicherweise
zutreffen könnte, hat sie den Nachweis der tatsächlich erfolgten Postaufgabe
nicht mit dem erforderlichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit
erbracht. Diese Beweislosigkeit wirkt sich zu ihren Ungunsten aus, was
bedeutet, dass die Sendung als nicht erfolgt zu gelten hat (vgl. auch Urteile C
76/06 vom 3. Juli 2006 E. 2.2 und C 285/03 vom 5. Juli 2004 E. 4.6). Damit ist
das letztinstanzlich erstmals ins Recht gelegte Schreiben vom 14. August 2015
samt Beilagen als unzulässiges Novum in diesem Verfahren unbeachtlich (Art. 99
Abs. 1 BGG; BGE 135 V 194) und es hat beim vorinstanzlichen Entscheid sein
Bewenden (vgl. E. 4.1 hievor).

5.3.3. Ob die Beibringung der neuen Unterlagen trotz hinreichender Sorgfalt (zu
den diesbezüglich hohen Anforderungen z.B. Urteil 8C_540/2015 vom 10. November
2015 E. 5.1.2) zuvor unmöglich gewesen war und allenfalls Anlass zu einer
prozessualen Revision (Art. 61 lit. i ATSG) bestünde, braucht hier nicht
geprüft zu werden. Es ist aber darauf hinzuweisen, dass die Revision als
ausserordentliches Rechtsmittel insbesondere nicht dazu dient, Fehler und
Unterlassungen der Prozessparteien nachträglich zu korrigieren. Die
Unmöglichkeit, Tatsachen und Beweismittel bereits im früheren Verfahren
beizubringen, ist nur mit Zurückhaltung anzunehmen, was in besonderen Mass
gilt, wenn in einem Revisionsverfahren mit angeblich neu entdeckten
Beweismitteln bereits im Hauptverfahren aufgestellte Behauptungen belegt werden
sollen, die vom Gericht oder der Verwaltung für unzutreffend erachtet wurden.
Dass die Beweismittel trotz hinreichender Sorgfalt im früheren Verfahren nicht
beigebracht werden konnten und insbesondere nicht eigene Nachlässigkeit zu
deren Nichteinreichung führte, hat die Gesuch stellende Person darzutun (vgl.
Urteil 8C_334/2013 vom 15. November 2013 E. 3.3 und 4.3.1, in: ARV 2013 S.
356).

6. 
Entsprechend dem Prozessausgang wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig
(Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 6. April 2016

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Die Gerichtsschreiberin: Bollinger Hammerle

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