Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 825/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]          
9C_825/2015 {T 0/2}     

Urteil vom 16. Dezember 2015

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Pfiffner,
Gerichtsschreiber Williner.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Christe,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich,
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich
vom 25. September 2015.

Sachverhalt:

A.

A.a. A.________ (geb. 1969), seit 1991 Maschinenführer in der Firma B.________,
meldete sich am 2. August 2002 bei der IV-Stelle des Kantons Zürich wegen
multiplen Schmerzen zum Leistungsbezug an, nachdem ihm sein Hausarzt, Dr. med.
C.________, Arzt für allg. Medizin, ab 4. April 2002 eine 100 %ige
Arbeitsunfähigkeit attestiert hatte (Ärztliches Zeugnis vom 24. Juli 2002). Die
IV-Stelle holte bei Dr. C.________ einen Bericht vom 22. April 2003 ein und zog
vom Krankentaggeldversicherer eine "Arbeitsprognostische Abklärung im Rahmen
einer neuropsychiatrischen Evaluation des psychischen Funktionspotenzials"
durch Dr. med. lic. phil. D.________, Facharzt FMH für Psychiatrie und
Psychotherapie, vom 5. Mai 2003 bei, was zu folgendem Beschluss vom 22. Mai
2003 führte:

"In Übereinstimmung mit der Beurteilung des behandelnden Hausarztes wird im
Rahmen einer fächerübergreifenden Aspektierung des Funktionspotenzials eine 100
% AUF/EUF veranschlagt; langfristig. Aus psychiatrischer Sicht wird das
Zustandsbild im Längsverlauf als eine schwere gemischte Anpassungsstörung mit
vornehmlich depressiven Elementen beschrieben."
Dementsprechend verfügte die IV-Stelle am 11. Juli 2003 die Zusprechung einer
ganzen Invalidenrente ab 1. Juli 2003, was sie revisionsweise am 21. Juni 2005
und 26. Oktober 2006 bestätigte.

A.b. Im Herbst 2009 leitete die IV-Stelle ein weiteres Revisionsverfahren ein,
in dessen Verlauf ärztliche Berichte u.a. des den Versicherten behandelnden Dr.
D.________ vom 19. Januar 2009, 25. Oktober 2009 und 21. August 2011
beigezogen, sodann - erfolglos - Schritte in Richtung beruflicher Eingliederung
unternommen und die Ergebnisse einer in Zusammenarbeit mit dem beteiligten
Berufsvorsorgeversicherer erfolgten Observation im Herbst 2010 und fortgesetzt
an acht Tagen im Zeitraum vom 20. Dezember 2010 bis 15. März 2011 zu den Akten
genommen wurden. Gestützt auf Empfehlungen des Regionalen Ärztlichen Dienstes
vom 29. November 2011 sowie 21. Februar 2012 und nach einer Standortbesprechung
mit dem Versicherten vom 9. März 2012 holte die IV-Stelle beim Institut
E.________ ein polydisziplinäres Gutachten vom 22. Januar 2013 ein. Nach
Durchführung des Vorbescheidverfahrens, in welchem der Versicherte eine
Stellungnahme des Dr. D.________ vom 20. März 2013 zum Gutachten des Institutes
E.________ vom 22. Januar 2013 einreichte, nach Eingang weiterer medizinischer
Unterlagen und Einholung einer Antwort des Institutes E.________ vom 11.
Oktober 2013 auf Rückfragen zum Gutachten hob die IV-Stelle am 25. Juni 2014
gestützt auf die Expertise des Institutes E.________ und ausgehend von
verbesserten gesundheitlichen Verhältnissen "spätestens ab Datum des
Observationszeitpunktes (27. September 2010) " die ganze Invalidenrente mit
Wirkung auf Ende des der Zustellung der Verfügung folgenden Monats auf.

B. 
Der Versicherte führte hiegegen Beschwerde, welche das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich durch Entscheid vom 25. September
2015 unter dem Rechtstitel der Wiedererwägung abwies.

C. 
A.________ zieht diesen Entscheid beschwerdeweise an das Bundesgericht weiter
mit dem Rechtsbegehren, der kantonale Gerichtsentscheid sei aufzuheben und es
sei ihm weiterhin die bisherige ganze, eventualiter eine
Viertels-Invalidenrente zuzusprechen; subeventualiter sei die Sache zu erneuter
Durchführung des Einkommensvergleichs und neuer Festsetzung der Invalidenrente
an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Erwägungen:

1. 
Streitig und zu prüfen ist in erster Linie, ob das kantonale Gericht dadurch
Bundesrecht verletzt hat (Art. 95 lit. a BGG), dass es - in Anwendung der
gegenüber der Revisionsverfügung vom 25. Juni 2014 (die unter der Annahme von
Tatsachenänderungen nach Art. 17 Abs. 1 ATSG erging) substituierten Begründung
der Wiedererwägung (Art. 53 Abs. 2 ATSG  per analogiam; BGE 125 V 368; SVR 2011
IV Nr. 20 S. 53, 9C_303/2010 E. 4) - den angefochtenen Verwaltungsakt im
Ergebnis bestätigte (Rentenaufhebung ex nunc et pro futuro, vgl. Urteil I 546/
03 vom 3. August 2005 E. 2.2). Dabei kommt es, entgegen der in E. 6.2
vertretenen Auffassung der Vorinstanz, für die zweifellose Unrichtigkeit als
erste Wiedererwägungsvoraussetzung einzig auf die Sach- und Rechtslage im
Zeitpunkt der ursprünglichen Rentenzusprechung (hier: 11. Juli 2003) an (BGE
105 V 29 E. 1c S. 30), weshalb die Ausführungen in der Beschwerde S. 9 f. Ziff.
3.5 betreffend das zweite Revisionsverfahren 2006 ins Leere gehen.

2. 
Das kantonale Gericht hat die zweifellose Unrichtigkeit der rentenzusprechenden
Verfügung in E. 6.1 des angefochtenen Entscheides mit den damals bei den Akten
liegenden divergierenden Einschätzungen des Leistungsvermögens begründet: 100
%ige Arbeitsfähigkeit gemäss Administrativgutachten gegen 100 %ige
Arbeitsunfähigkeit gemäss Hausarzt Dr. C.________ und Psychiater Dr.
D.________. Unter diesen Umständen hätte die Beschwerdegegnerin "auch gemäss
dem damals Üblichen" die kontroversen Aspekte zumindest intern fachmedizinisch
überprüfen lassen müssen, was unterblieben sei, weswegen die
Sachverhaltsabklärung unvollständig und in klarer Verletzung des
Untersuchungsgrundsatzes erfolgt sei. Der Beschwerdeführer bezeichnet dies als
"unvollständige beziehungsweise offensichtlich unrichtige
Sachverhaltsfeststellung", weil sich die administrativgutachterliche
Einschätzung ausdrücklich nur auf die rheumatologische Seite der
Gesundheitsbeeinträchtigung bezogen habe und die psychiatrische Beurteilung
vorbehalten und auf den eigens zu diesem Zweck konsultierten Psychiater Dr.
D.________ verwiesen worden sei. Es folgt die Wiedergabe dessen Ausführungen in
der Erstbeurteilung vom 8. November 2002 und der im Rahmen der
Administrativbegutachtung vorgeschlagenen Verlaufsbeurteilung rund sechs Monate
später (Beschwerde S. 8 f. Ziff. 3.3). Gerade hierin liegt indes die
zweifellose Unrichtigkeit der nachfolgend, im Mai und Juli 2003 erfolgten
Rentenzusprechung begründet: Es bedeutet eine  contradictio in adiecto, eine
rentenbegründende Invalidität, d.h. eine länger, zumindest ein Jahr andauernde
qualifizierte Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 Abs. 1 i.V.m. Art. 8 Abs. 1 ATSG und
Art. 4 Abs. 1 sowie Abs. 2 i.V.m. Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG) psychiatrisch
durch eine Anpassungsstörung zu begründen, die  per definitionem nicht länger
als sechs Monate dauert (ICD-10 Kapitel V (F), Klinisch-diagnostische
Leitlinien, F43.2). Den in der Beschwerde angerufenen Urteilen I 114/99 vom 7.
Mai 2001, I 305/00 vom 8. April 2002 und I 101/03 vom 16. Oktober 2003, soweit
überhaupt einschlägig, lässt sich nichts Gegenteiliges entnehmen. Vor allem
aber gab und gibt es - weder damals (2003) noch heute - entgegen dem, was Dr.
D.________ postulierte und im (oben unter Sachverhalt lit. A.a.
wiedergegebenen) Beschluss vom 22. Mai 2003 aufscheint ("... 100 % AUF/EUF
veranschlagt; langfristig"), im Bereich der depressiven und neurotischen
Störungen keine ärztlicher Prognose zugängliche Irreversibilität. Denn solche
Störungen waren und sind gerichtsnotorisch - nach eindeutiger
medizinisch-psychiatrischer Erfahrung - zumindest initial therapeutisch
angehbar, gute Führung des Patienten durch den Hausarzt und/oder behandelnden
Psychiater vorausgesetzt. Von einer invalidisierenden Chronifizierung konnte
2003 angesichts der Frische der damals vorhandenen psychischen Beschwerden
nicht die Rede sein. Die Zusprechung einer (ganzen) Invalidenrente war daher
zweifellos unrichtig und ihre Berichtigung von erheblicher Bedeutung. Das
kantonale Gericht hat sich somit zu Recht auf die substituierte Begründung der
Wiedererwägung gestützt, um in das formell rechtskräftig geregelte
Rechtsverhältnis der laufenden Rente einzugreifen.

3. 
Damit ist weiter zu prüfen, ob aufgrund der Verhältnisse, wie sie sich bis zum
Erlass der angefochtenen Verwaltungsverfügung am 25. Juni 2014 entwickelt
haben, ein Rentenanspruch bestand. Diesbezüglich bestreitet der
Beschwerdeführer nicht, dass von einer vollen Arbeitsfähigkeit in körperlich
leichten, wechselbelastenden beruflichen Tätigkeiten mit Gewichtslimit beim
Hantieren über Kopf von maximal 15 kg gemäss Gutachten des Institutes
E.________ vom 22. Januar 2013 auszugehen ist. Umstritten sind vielmehr die
beiden Vergleichseinkommen nach Art. 16 ATSG i.V.m. Art. 28a Abs. 1 IVG
(Einkommensvergleich).

3.1. Das kantonale Gericht hat das Valideneinkommen im Jahr 2012 der
Beschwerdegegnerin folgend (Einkommensvergleich vom 9. April 2013) auf Fr.
86'298.- festgesetzt (angefochtener Entscheid, E. 8.1), ohne sich mit den
seitens des Versicherten erhobenen Einwänden auseinanderzusetzen, was der
Beschwerdeführer letztinstanzlich zu Recht als Verletzung des rechtlichen
Gehörs rügt. Seinen überzeugenden Darlegungen zufolge ist von jährlich ohne
gesundheitliche Beeinträchtigung erzielbaren Einkünften (Valideneinkommen) von
Fr. 101'444.- auszugehen.

3.2. Am Invalideneinkommen, welches das Sozialversicherungsgericht ausgehend
von der Tabelle TA1 der LSE 2010 auf Fr. 62'420.- festgelegt hat (angefochtener
Entscheid, E. 8.3), ist einzig die Gewährung eines Abzuges vom Tabellenlohn im
Sinne der Rechtsprechung (BGE 126 V 75) streitig. Auch hier ist die erhobene
Rüge einer Verletzung des rechtlichen Gehörs begründet, steht doch die
vorinstanzliche Feststellung, ein Abzug werde nicht geltend gemacht, im
Widerspruch zu den Vorbringen unter Ziff. 7 der Beschwerde im kantonalen
Verfahren. Hingegen dringt der Versicherte in der frei zu prüfenden
Rechtsfrage, ob ein Abzug zu erfolgen habe, nicht durch: Zum einen ist
angesichts des erwähnten Arbeitsprofils eine namhafte behinderungsbedingte
Erwerbseinbusse nicht zu erwarten. Zum andern ist die geltend gemachte lange
Absenz vom Arbeitsmarkt nicht invaliditätsbedingt.

3.3. Bleibt es somit bei einem Valideneinkommen von Fr. 101'444.- und einem
Invalidenlohn von Fr. 62'420.-, liegt der Invaliditätsgrad unter 40 %, weshalb
kein Rentenanspruch besteht (Art. 28 Abs. 2 IVG).

4. 
Bei diesem Verfahrensausgang hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu
tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Eine Parteientschädigung ist nicht geschuldet
(Art. 68 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 16. Dezember 2015

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Williner

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