Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 795/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_795/2015

Urteil vom 21. Januar 2016

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Pfiffner,
Gerichtsschreiber R. Widmer.

Verfahrensbeteiligte
 A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Christos Antoniadis,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 27. August 2015.

Sachverhalt:

A. 
Der 1975 geborene A.________, als Bodenleger tätig, zog sich bei Unfällen vom
5. August 2002 und 20. August 2004 Verletzungen im Bereich des linken
Kniegelenks und an der Halswirbelsäule (HWS) zu, für welche die Schweizerische
Unfallversicherungsanstallt (SUVA), bei der er gegen Unfälle versichert war,
die gesetzlichen Leistungen erbrachte. Mit Verfügung vom 17. Januar 2007 sprach
ihm die SUVA auf der Grundlage einer Erwerbsunfähigkeit von 47 % ab 1. März
2006 eine Invalidenrente der Unfallversicherung zu. Am 19. August 2005 hatte
sich A.________ unter Hinweis auf Beschwerden im Bereich der HWS bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug angemeldet. Gestützt auf Abklärungen
in medizinischer und erwerblicher Hinsicht sowie nach Beizug der Akten der SUVA
sprach die IV-Stelle des Kantons Zürich dem Versicherten mit Verfügung vom 20.
November 2008 rückwirkend ab 1. August 2005 bei einem Invaliditätsgrad von 50 %
eine halbe Invalidenrente zu. Im Rahmen einer von Amtes wegen eingeleiteten
Rentenrevision holte die IV-Stelle ein polydisziplinäres Gutachten der MEDAS
Zentralschweiz vom 27. März 2012 ein. Mit Verfügung vom 8. Mai 2014 hob sie die
Verfügung vom 20. November 2008 wiedererwägungsweise auf und setzte die bisher
ausgerichtete halbe Invalidenrente ab 1. Juli 2014 auf eine Viertelsrente
herab, wobei sie den Invaliditätsgrad nunmehr auf 43 % festsetzte.

B. 
Die hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich mit Entscheid vom 27. August 2015 ab, hob die Verfügung vom 8.
Mai 2014 nach vorgängiger Androhung einer reformatio in peius und Einräumung
der Gelegenheit zur Stellungnahme, wovon der Versicherte am 20. Oktober 2014
Gebrauch gemacht hatte, auf und erkannte, dass A.________ ab 1. Juli 2014
keinen Anspruch auf eine Invalidenrente mehr habe.

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________
beantragen, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids, sei die IV-Stelle
zu verpflichten, ihm weiterhin eine halbe Rente, eventuell eine Viertelsrente
der Invalidenversicherung, auszurichten.
Während die IV-Stelle auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das
Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung
des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann
die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2. 
Gemäss Art. 53 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 2 ATSG und Art. 1 Abs. 1 IVG kann
der Versicherungsträger auf formell rechtskräftige Verfügungen oder
Einspracheentscheide zurückkommen, wenn diese zweifellos unrichtig sind und
wenn ihre Berichtigung von erheblicher Bedeutung ist. Die Wiedererwägung dient
der Korrektur einer anfänglich unrichtigen Rechtsanwendung einschliesslich
unrichtiger Feststellung im Sinne der Würdigung des Sachverhalts.
Das Erfordernis der zweifellosen Unrichtigkeit ist in der Regel erfüllt, wenn
eine Leistungszusprache aufgrund falsch oder unzutreffend verstandener
Rechtsregeln erfolgt ist oder wenn massgebliche Bestimmungen nicht oder
unrichtig angewandt wurden. Anders verhält es sich, wenn der
Wiedererwägungsgrund im Bereich materieller Anspruchsvoraussetzungen liegt,
deren Beurteilung notwendigerweise Ermessenszüge aufweist. Erscheint die
Beurteilung einzelner Schritte bei der Feststellung solcher
Anspruchsvoraussetzungen (Invaliditätsbemessung, Arbeitsunfähigkeitsschätzung,
Beweiswürdigung, Zumutbarkeitsfragen) vor dem Hintergrund der Sach- und
Rechtslage, wie sie sich im Zeitpunkt der rechtskräftigen Leistungszusprechung
darbot, als vertretbar, scheidet die Annahme zweifelloser Unrichtigkeit aus.
Zweifellos ist die Unrichtigkeit, wenn kein vernünftiger Zweifel daran möglich
ist, dass die Verfügung unrichtig war. Es ist nur ein einziger Schluss -
derjenige auf die Unrichtigkeit der Verfügung - denkbar (SVR 2010 IV Nr. 5 S.
10, 8C_1012/2008; Urteile 9C_215/2015 vom 10. Juni 2015, 9C_135/2014 vom 14.
Mai 2014, 9C_629/2013 vom 13. Dezember 2013, 9C_339/2010 vom 30. November 2010
E. 3, 9C_760/2010 vom 17. November 2010 E. 2 und 9C_575/2007 vom 18. Oktober
2007 mit Hinweisen).
Um wiedererwägungsweise auf eine verfügte Leistung zurückkommen zu können,
genügt es nicht, wenn ein einzelnes Anspruchselement rechtswidrig festgelegt
wurde. Vielmehr hat sich die Leistungszusprache auch im Ergebnis als
offensichtlich unrichtig zu erweisen. So muss etwa, damit eine zugesprochene
Rente wegen einer unkorrekten Invaliditätsbemessung wiedererwägungsweise
aufgehoben werden kann - nach damaliger Sach- und Rechtslage - erstellt sein,
dass eine korrekte Invaliditätsbemessung hinsichtlich des Leistungsanspruchs zu
einem andern Ergebnis geführt hätte (BGE 140 V 77 E. 3.1 S. 79).

3. 

3.1. Die Vorinstanz sieht die Wiedererwägungsvoraussetzungen als erfüllt, weil
die IV-Stelle beim Einkommensvergleich, welcher der Verfügung vom 20. November
2008 zu Grunde lag, im Widerspruch zur Rechtsprechung als hypothetisches
Einkommen ohne Invalidität (Valideneinkommen) das Einkommen herangezogen habe,
das der Beschwerdeführer als Selbstständigerwerbender während einer kurzen Zeit
- von Februar bis August 2004 - erzielte, was keine hinreichende Grundlage
darstelle. Als zweifellos unrichtig erachtete das kantonale Gericht die
Verfügung vom 20. November 2008 auch insofern, als darin das Invalideneinkommen
gestützt auf Tabellenlöhne laut Anforderungsniveau 4 (einfache und repetitive
Tätigkeiten) bemessen wurde. Auf Grund der Anlehre und der langen
Berufserfahrung als Bodenleger hätte er stattdessen dem Anforderungsniveau 3
(Berufs- und Fachkenntnisse vorausgesetzt) zugeordnet werden müssen. Eine
korrekte Bemessung anhand von Tabellenlöhnen hätte einen Invaliditätsgrad von
36 % ergeben (Valideneinkommen Fr. 90'000.-; Invalideneinkommen [nach einem
leidensbedingten Abzug von 20 %] Fr. 58'012.-; Erwerbseinbusse Fr. 31'988.-).

3.2. Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe vor Gründung seiner eigenen
Gesellschaft (GmbH) jahrelang in der Unternehmung seines Bruders gearbeitet und
Einkünfte in vergleichbarer Höhe wie als Selbstständigerwerbender erzielt. Von
zweifelloser Unrichtigkeit der ursprünglichen Verfügung hinsichtlich der
Bemessung des Valideneinkommens könne daher nicht die Rede sein. Mit Bezug auf
das Invalideneinkommen fehle im angefochtenen Entscheid eine Begründung dafür,
weshalb die Wahl des Anforderungsniveaus 4 der Tabellenlöhne gemäss
ursprünglicher Verfügung zweifellos unrichtig gewesen sein soll. Die Arbeit als
Bodenleger könne er invaliditätsbedingt nicht mehr ausüben. Im Weiteren verfüge
er über keine Anlehre. Die Wiedererwägungsvoraussetzungen seinen daher nicht
gegeben. Die Vorinstanz habe eine voraussetzungslose Neuprüfung des
Rentenanspruchs vorgenommen und sei auf diese Weise zu einem Invaliditätsgrad
von 36 % gelangt, der keinen Anspruch begründe.

3.3. Die Voraussetzungen für die Wiedererwägung einer formell rechtskräftigen
Verfügung, wie sie vom Bundesgericht in ständiger Rechtsprechung umschrieben
werden (E. 2 hievor), sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Es trifft zwar
zu, dass die ursprüngliche Invalitätsbemessung der Verwaltung gewisse Fragen
aufwirft, wie die Vorinstanz festgestellt hat. Die Tatsache, dass die IV-Stelle
für die Verfügung vom 20. November 2008 als Valideneinkommen das Einkommen
herangezogen hat, das der Beschwerdeführer während einer kurzen Zeitspanne
selbstständiger Erwerbstätigkeit verdient hat, bewirkte jedoch keine
zweifellose Unrichtigkeit der damaligen Rentenverfügung. Dem Lohnausweis für
die Steuererklärung der B.________ GmbH vom 31. Dezember 2003 ist zu entnehmen,
dass der Versicherte im Jahr 2003 einen Bruttolohn von Fr. 102'916.- erzielt
hat, während er im Jahr 2002 gemäss dem entsprechenden Lohnausweis Fr. 98'490.-
verdient hat. Diese Beträge liegen nicht wesentlich unter dem von der IV-Stelle
in der Verfügung vom 20. November 2008 als massgebendes Valideneinkommen
betrachteten Lohn von Fr. 104'000.-. Von zweifelloser Unrichtigkeit der
Verfügung kann unter diesem Gesichtswinkel somit nicht gesprochen werden. Dass
in der Verfügung vom 20. November 2008 das Invalideneinkommen des
Beschwerdeführers gestützt auf die Tabellenlöhne gemäss Anforderungsniveau 4
(einfache und repetitive Tätigkeiten) festgelegt wurde, vermag entgegen den
Ausführungen der Vorinstanz ebenfalls keine Wiedererwägung der rechtskräftigen
Verfügung zu begründen. Wie der Beschwerdeführer zu Recht einwendet, verfügt er
über keine reguläre Berufsausbildung. Der Umstand, dass er eine lange Erfahrung
als Bodenleger aufweist, lässt das Abstellen auf Anforderungsniveau 4 nicht als
zweifellos unrichtig erscheinen, zumal er gerade diese Erwerbstätigkeit aus
gesundheitlichen Gründen nicht mehr auszuüben vermag. Dass der
Einkommensvergleich seinerzeit auch mit anderen Zahlen hätte durchgeführt
werden können, wie sie die Vorinstanz als massgeblich erachtet hat, ist nicht
ausgeschlossen, genügt jedoch nicht, um die ursprüngliche Verfügung als
zweifellos unrichtig erscheinen zu lassen. Die Invaliditätsbemessung erscheint
vor dem Hintergrund der Sach- und Rechtslage, wie sie sich im Zeitpunkt der
rechtskräftigen Leistungszusprechung gemäss Verfügung vom 20. November 2008
darbot, als vertretbar (E. 2 hievor).

4. 
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden
IV-Stelle aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Diese hat dem
Beschwerdeführer überdies eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1
und 2 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts
des Kantons Zürich vom 27. August 2015 und die Verfügung der IV-Stelle des
Kantons Zürich vom 8. Mai 2014 werden aufgehoben.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

4. 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des
vorangegangenen Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich
zurückgewiesen.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 21. Januar 2016

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Widmer

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