Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 77/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_77/2015

Urteil vom 27. März 2015

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Pfiffner,
Gerichtsschreiber Schmutz.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Elisabeth Tribaldos,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Aargau,
Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau,
Beschwerdegegnerin,

B.________ BVG-Kasse,

Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente),

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom
17. Dezember 2014.

Sachverhalt:

A. 
A.________, Mutter von vier Kindern (geboren 1990, 1991, 1993 und 1995) war ab
November 2006 in einem Pensum von 100 % in der Firma C.________ AG in der
Logistik tätig. Am 25. November 2011 meldete sie sich wegen rheumatischer
Beschwerden bei der Invalidenversicherung zum Rentenbezug an. Aufgrund ihrer
Erkrankung wurde das Arbeitsverhältnis auf den 21. März 2012 gekündigt. Nach
Abklärung der erwerblichen und gesundheitlichen Situation veranlasste die
IV-Stelle des Kantons Aargau ein bidisziplinäres
rheumatologisch-psychiatrisches Gutachten am Assessment-Center der Rehaklinik
D.________ (vom 28. Oktober 2013). Mit Vorbescheid vom 15. November 2013 und
Verfügung vom 3. März 2014 lehnte sie das Leistungsbegehren ab, da A.________
eine leichte bis mittelschwere Tätigkeit im Vollpensum zumutbar sei
(Invaliditätsgrad von 13 %).

B. 
Die von A.________ dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht
des Kantons Aargau mit Entscheid vom 17. Dezember 2014 ab.

C. 
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen.
Sie beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben. Es seien ihr die
gesetzlichen Leistungen zuzusprechen. Eventualiter sei die Sache zur erneuten
Abklärung und zum anschliessenden Entscheid über den Anspruch an die IV-Stelle
zurückzuweisen.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es legt seinem
Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105
Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz auf Rüge hin
oder von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 beruht, und
wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein
kann (Art. 105 Abs. 2 BGG und Art. 97 Abs. 1 BGG).

2. 
Streitig ist der Anspruch auf eine Invalidenrente.

3. 
Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Bestimmungen und die von der
Rechtsprechung entwickelten Grundsätze, namentlich über den Begriff der
Invalidität (Art. 8 Abs. 1 und 3 ATSG, Art. 4 Abs. 1 IVG), über den Umfang des
Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 2 IVG), die Bemessung des Invaliditätsgrades
sowie den Beweiswert und zur Beweiswürdigung ärztlicher Berichte und Gutachten
(BGE 125 V 351 E. 3a S. 352 mit Hinweis) richtig dargelegt. Darauf wird
verwiesen.

4. 
Die Vorinstanz erwog, im Gutachten des Assessment-Centers sei keine
psychiatrische Diagnose gestellt worden. Auch habe man festgehalten, es hätten
kaum objektivierbare Befunde erhoben werden können, die den beklagten
Beschwerdekomplex mit der subjektiv empfundenen Intensität erklären würden. Es
liege ein schwer chronifiziertes generalisiertes Schmerzsyndrom vor. Die
Rückenschmerzen seien teilweise durch die degenerativen Veränderungen der
distalen lumbalen Segmente verursacht, wobei die subjektiv empfundene
Schmerzintensität nicht mit den klinischen und radiologischen Befunden
korreliere. Des Weitern leide die Beschwerdeführerin an einer Ansatztendinitis
der Tibialis-posterior-Sehne (Überlastungsreaktion der Sehne an ihrem ossären
Ansatz im Fuss), wobei die beobachtete komplette Entlastung des rechten Fusses
eher als Teilmanifestation der generalisierten Schmerzproblematik einzuordnen
sei. Der allgemeine internistische und neurologische Status sei, mit Ausnahme
der muskulären Dekonditionierung, normal. Das klinische Bild imponiere durch
eine ausgeprägte Passivität, anamnestisch sozialen Rückzug und stark
verminderte Lebensqualität. Fachpsychiatrisch hätte jedoch keine Diagnose
erhoben werden können. Bezüglich der Arbeitsfähigkeit habe man ausgeführt, aus
rheumatologischer Sicht könne die angestammte Tätigkeit einer
Logistikmitarbeiterin nicht mehr ausgeübt werden. Hingegen könne rein
theoretisch jegliche vorwiegend sitzende leichte bis mittelschwere körperliche
Tätigkeit ohne anhaltende Zwangshaltung und ohne stereotype Bewegungsabläufe in
einem vollen Arbeitspensum zugemutet werden.

5.

5.1. Die Beschwerdeführerin rügt, indem die Vorinstanz dem Gutachten des
Assessment-Center vom 28. Oktober 2013 Beweiswert zuerkannt habe, habe sie den
Grundsatz der genügenden Abklärung des rechtserheblichen Sachverhalts verletzt.

5.2. Insbesondere wirft sie der untersuchenden Psychiaterin vor, das Gutachten
sei in der Beurteilung widersprüchlich und im Ton an verschiedenen Stellen
deplatziert. Im Visier hat sie dabei die "Beurteilung/Diskussion" der
psychiatrischen Gutachterin. Letztlich geht es jedoch nicht um die dort
gemachten Aussagen an und für sich. Vielmehr vermisst die Beschwerdeführerin
eine Auseinandersetzung mit den erhobenen Befunden wie Trauer, gemischt mit
Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und Schuldgefühlen. Indes war ihr bereits vor
Vorinstanz unerklärlich, wie bei einer Explorandin, die einen pessimistischen
Eindruck macht, keine entsprechende Diagnose gestellt wird. Eine
Auseinandersetzung mit der entsprechenden Antwort respektive Erwägung der
Vorinstanz fehlt jedoch. Soweit die Gutachterin explizit ausgeführt hat, die
Beschwerdeführerin habe bei ihr starke Schuldgefühle ausgelöst, lässt dies
nicht per se auf eine erhebliche emotionale Verstrickung der Gutachterin
schliessen. Insbesondere bei Schmerzpatienten gehört es zur Aufgabe eines
Gutachters, beobachtetes Verhalten zu beschreiben. Allein daraus kann nicht der
Anschein der Befangenheit abgeleitet werden ( ULRICH MEYER/MARCO REICHMUTH,
Rechtsprechung des Bundesgerichts zum IVG, 3. Aufl. 2014, S. 400 mit
Hinweisen).

5.3. Zum Einwand, das psychiatrische Gutachten enthalte keine expliziten
Ausführungen zur Arbeitsfähigkeit und insbesondere werde der Widerspruch zu den
objektiv erhobenen Befunden nicht thematisiert, ist darauf hinzuweisen, dass
die Beschwerdeführerin auf ihre Schmerzen und ihren  subjektiv hoffnungslosen,
nicht veränderbaren Zustand eingeengt ist. Im Übrigen wurde ausdrücklich
angegeben, in den vorhandenen Akten werde entweder unspezifisch auf eine 
psychosoziale Problematik hingewiesen oder explizit das Verhalten der
Versicherten als psychisch  unauffällig beschrieben. Die Beschwerdeführerin
vermag diese Aktenlage nicht zu widerlegen (vgl. auch E. 5.4). Mithin ist der
Umstand, dass keine psychiatrische Diagnose gestellt wurde, hinreichend
erklärt. Anzufügen ist zudem, dass die im Zeitpunkt der Begutachtung
festgestellte mangelnde Vermittelbarkeit auf dem (damals) deutlich reduzierten
Allgemeinzustand basierte und nicht aus psychischen Gründen erfolgte.

5.4. Die Rüge, laut Privatgutachten der Frau Dr. med. E.________, Fachärztin
Psychiatrie und Psychotherapie FMH, vom 15. Juni 2014, seien psychiatrisch
relevante Diagnosen gestellt worden, ist zu relativieren. Denn die
psychiatrische Exploration kann von der Natur der Sache her nicht ermessensfrei
erfolgen. Sie eröffnet dem begutachtenden Psychiater daher praktisch immer
einen gewissen Spielraum, innerhalb dessen verschiedene
medizinisch-psychiatrische Interpretationen möglich, zulässig und zu
respektieren sind, sofern der Experte lege artis vorgegangen ist (Urteile
9C_794/2012 vom 4. März 2013 E. 4.2, 9C_935/2012 vom 16. September 2013 E. 5, I
676/05 vom 13. März 2006 E. 2.4). Dabei hat die Vorinstanz für das
Bundesgericht verbindlich festgehalten, dass im Wesentlichen die gleichen
Erkenntnisse gegeben sind und der Gutachterin Dr. med. F.________ keine
wesentlichen Punkte entgangen sind. Die Privatgutachterin hat denn auch selber
festgehalten, dass sich weder durch das klinische Bild noch durch die
Ergebnisse des verwendeten Selbstbeurteilungsinstruments die geforderten
Kriterien für die im ICD-10 kategorial gefasste Diagnose einer depressiven
Störung im Sinne einer rezidivierenden depressiven Störung mittelgradiger
respektive schwerer Ausprägung explorieren liessen. Entsprechend stellte sie
lediglich die nicht ICD-10-kodifizierte Diagnose einer "Verbitterungsstörung".
Leichte bis mittelschwere psychische Störungen sind rechtsprechungsgemäss nicht
invalidisierend (vgl. statt vieler Urteil 9C_726/2014 vom 25. Februar 2015 E.
3.2.1). Zum Einwand, es fehle im Administrativgutachten an einer
Auseinandersetzung mit den Foerster-Kriterien, kann darauf hingewiesen werden,
dass auch im Privatgutachten ein sozialer Rückzug nur als "in mittlerer
Ausprägung vorhanden" eingestuft worden ist. Es ist nicht ersichtlich,
inwiefern die Kriterien auch sonst in genügender Ausprägung gegeben sein
sollten, damit die Somatisierungsstörung dennoch ausnahmsweise als
invalidisierend zu betrachten wäre.

6. 
Die Beschwerde wird im vereinfachten Verfahren nach Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG
erledigt.

7. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden der
unterliegenden Beschwerdeführerin auferlegt (Art. 65 Abs. 4 lit. a i.V.m. Art.
66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, der B.________, dem Versicherungsgericht des
Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich
mitgeteilt.

Luzern, 27. März 2015

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Schmutz

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