Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 75/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]         
9C_75/2015 {T 0/2}     

Urteil vom 11. Mai 2015

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichter Meyer,
Bundesrichterin Pfiffner,
Gerichtsschreiber Grünenfelder.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Procap für Menschen mit Handicap,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle Luzern,
Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid
des Kantonsgerichts Luzern vom
16. Dezember 2014.

Sachverhalt:

A. 
A.________ steht als Lehrerin für Integrative Förderung in den Diensten der
Stadt B.________. Wegen einer Hörbehinderung meldete sie sich am 25. Februar
2013 bei der Invalidenversicherung für eine Hörgeräteversorgung an. Nach
Abklärung der medizinisch-audiologischen Verhältnisse sprach die IV-Stelle
Luzern der Versicherten die verordnungsmässige Hörgerätepauschale zu
(Mitteilung vom 28. März 2013). Mit Schreiben vom 19. Juli 2013 ersuchte
A.________ die Durchführungsstelle um eine Härtefallbeurteilung, weil das mit
dem Pauschalbeitrag finanzierte Hörgerät den Anforderungen in ihrem
Berufsalltag nicht genüge. Die Verwaltung führte daraufhin eine audiologische
Abklärung in der Klinik C.________ durch. Gestützt auf deren Bericht vom 11.
November 2013 kündigte die IV-Stelle mit Vorbescheid vom 5. Dezember 2013 die
Abweisung des Leistungsbegehrens an, in welchem Sinne sie am 20. März 2014
verfügte.

B. 
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Kantonsgericht Luzern, 3. Abteilung,
mit Entscheid vom 16. Dezember 2014 ab.

C. 
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
Rechtsbegehren, der kantonale Gerichtsentscheid sei aufzuheben und es sei ihr
"die vollumfängliche Kostengutsprache für die beantragten Hörgeräte Unitron
Moxi 20 zu erteilen".
Die IV-Stelle beantragt die Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen (BSV) verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Gestützt auf Art. 21 Abs. 1 und 2 IVG und Art. 14 IVV (SR 831.201) hat das
Eidgenössische Departement des Innern (EDI) den Anspruch auf Hilfsmittel in
Form von Hörgeräten bei Schwerhörigkeit in Ziff. 5.07 sowie 5.07.1-3 des
Anhangs zur Verordnung des EDI über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die
Invalidenversicherung (HVI; SR 831.232.51) einer detaillierten Regelung
zugeführt. Dass die Beschwerdeführerin die Voraussetzungen von Ziff. 5.07
HVI-Anhang für die Pauschalbeiträge erfüllt, ist unbestritten. Streitig und zu
prüfen ist einzig, ob sie als Erwerbstätige gestützt auf die Härtefallregelung
Hörgeräteversorgung (Ziff. 5.07.2* HVI-Anhang) einen Anspruch auf höhere als
die verfügten Pauschalbeiträge nach Ziff. 5.07.1 HVI-Anhang hat. Gemäss Ziff.
5.02.2* HVI-Anhang legt das BSV fest, in welchen Fällen über der Pauschale nach
Ziff. 5.07 liegende Beiträge an monaurale und binaurale Versorgungen
ausgerichtet werden können.

2. 
Ausgehend von diesen Rechtsgrundlagen hat das kantonale Gericht in E. 5 des
angefochtenen Entscheids erwogen:

-- ..] Von dieser Kompetenz hat das BSV in der Ausarbeitung des KHMI
(Kreisschreiben über die Abgabe von Hilfsmitteln) und des ergänzenden
IV-Rundschreibens Nr. 304 Gebrauch gemacht. Dabei wurden eindeutige
audiologische Kriterien vom BSV in Zusammenarbeit mit den ausgewählten
HNO-Kliniken erarbeitet. Diese Kriterien stellen eine rechtsgleiche Anwendung
der Härtefallregelung sicher. Daher ist nicht ersichtlich, weshalb von einer
Beurteilung anhand dieser Kriterien abgewichen werden soll. Die IV-Stelle hat
das vom BSV vorgegebene Verfahren (Prüfung des Härtefallantrags durch eine
spezialisierte ORL-Klinik) korrekt durchgeführt. Dr. D.________ gelangte im
Rahmen der Prüfung des Härtefallantrags bei der Würdigung der Testergebnisse
zum Schluss, dass die audiologischen Kriterien nicht erfüllt seien (Bericht vom
11.11.2013), was vorliegend auch unbestritten ist. Die IV-Stelle ist daher zu
Recht von der Abweisung des Leistungsbegehrens der Beschwerdeführerin
ausgegangen.

Daran vermag auch das Vorbringen der Beschwerdeführerin, dass ihr berufliches
Umfeld höhere Anforderungen an eine Hörgeräteversorgung mit sich brächte[n] und
deshalb von einer Ausnahme auszugehen sei, nichts zu ändern. Das Argument wird
auch von Dr. D.________ bestätigt. Dieses Kriterium des beruflichen Umfeldes
ist jedoch ein einzelfallbezogenes, nicht audiologisches Kriterium, welches bei
der Prüfung der Härtefallregelung nicht vorgesehen und daher auch nicht zu
berücksichtigen ist (vgl. IV-Rundschreiben Nr. 304 vom 23.11.2011).

Kommt hinzu, dass eine versicherte Person nur Anspruch auf eine einfache und
zweckmässige, nicht jedoch auf die bestmögliche Versorgung hat (KHMI Rz. 2052).
Es ist aktenkundig, dass die besseren Hörgeräte (mit Situationsautomatik, viel
Kanaltechnik und fokussiertem Mikrophon) die Anforderungen aufgrund ihres
beruflichen Umfeldes vollumfänglich erfüllen und diese Hörgeräte daher nicht
eine einfache und zweckmässige, sondern die bestmögliche Versorgung
darstellen."

3. 
Diese Auffassung wird in der Beschwerde mit Fug und Recht als
bundesrechtswidrig gerügt. Für eine rechtskonforme Konkretisierung des
Invaliditätsbegriffes (Art. 4 Abs. 1 IVG in Verbindung mit Art. 8 Abs. 1 ATSG)
kommt es bezüglich aller invaliditätsspezifisch definierten Leistungsansprüche
darauf an, wie sich die gesundheitliche Beeinträchtigung in der konkreten
beruflich-erwerblichen Situation auswirkt. Das ergibt sich direkt aus Art. 4
Abs. 2 IVG, wonach die Invalidität als eingetreten gilt, sobald sie die für die
Begründung des Anspruchs auf die jeweilige Leistung erforderliche Art und
Schwere erreicht hat. Im Rahmen der Härtefallabklärung hat die Klinik
C.________ im Bericht vom 11. November 2013 vorbehaltlos bestätigt, dass ein
Gerät mit Situationsautomatik, Kanaltechnik und fokussierten Mikrophonen
erforderlich ist, da die Beschwerdeführerin in ihrem Beruf als Fachlehrerin für
integrative Förderung mit hohen Anforderungen für Sprachverständnis zufolge
Hintergrundlärm und komplexen Hörsituationen konfrontiert ist. Hierin liegt der
invaliditätsbedingte Eingliederungsbedarf, der, wenn er nicht mit der
erforderlichen Hörmittelversorgung erfüllt wird, es der Beschwerdeführerin
verunmöglicht, ihren Beruf weiterhin auszuüben. Ein Hilfsmittel, das aber als
einziges der versicherten Person die weitere Ausübung der angestammten
Berufstätigkeit erlaubt, kann nicht als den Versicherungsanspruch übersteigende
bestmögliche Hilfsmittelabgabe bezeichnet werden.

4. 
Nach dem Gesagten ist im Falle der Beschwerdeführerin bezüglich der streitigen
Hilfsmittelversorgung die persönliche, sachliche und zeitliche
Eingliederungswirksamkeit zu bejahen. Ob die geforderte Leistungszusprache auch
finanziell-wirtschaftlich angemessen sei, lässt sich bei der gegebenen
Aktenlage nicht abschliessend entscheiden, da das kantonale Gericht dazu keine
Feststellungen getroffen hat. Die Sache ist daher an die Vorinstanz
zurückzuweisen, damit sie, nach Prüfung der finanziell-wirtschaftlichen
Verhältnismässigkeit, über die Beschwerde gegen die Ablehnungsverfügung neu
entscheide.

5. 
Eine Rückweisung zu erneutem Entscheid mit offenem Ausgang gilt als Obsiegen (
BGE 137 V 210 E. 7.1 S. 271). Die Gerichtskosten werden der unterliegenden
Beschwerdegegnerin auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). Ausserdem hat sie der
Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Kantonsgerichts Luzern, 3.
Abteilung, vom 16. Dezember 2014 wird aufgehoben. Die Sache wird an das
Kantonsgericht zurückgewiesen, damit es im Sinne der Erwägungen verfahre.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdegegnerin hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren vor dem
Bundesgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2'500.- zu bezahlen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Luzern, 3. Abteilung, und
dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 11. Mai 2015

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Grünenfelder

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