Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 753/2015
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_753/2015

Urteil vom 20. April 2016

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichter Parrino, nebenamtlicher Bundesrichter Weber,
Gerichtsschreiber R. Widmer.

Verfahrensbeteiligte
 A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Dorrit Freund,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle Basel-Landschaft, Hauptstrasse 109, 4102 Binningen,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom
30. Juli 2015.

Sachverhalt:

A. 
A.________ hatte sich 1988 bei einem Verkehrsunfall eine Brustwirbelfraktur
zugezogen. Am 9. November 1995 erlitt er bei einem weiteren Verkehrsunfall eine
leichte Hirnerschütterung und eine Distorsion der Halswirbelsäule (HWS). Am 20.
Februar 2003 meldete er sich zum Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung
an. Dr. med. B.________, Innere Medizin FMH, diagnostizierte am 11. März 2003
im Wesentlichen neuropsychologisch-psychiatrische Defizite seit dem Unfall vom
9. November 1995. Am 9. August 2006 erlitt A.________ bei einem Überfall auf
Mallorca ein Schädel-Hirntrauma. Die IV-Stelle Basel-Landschaft veranlasste
eine Expertise des Ärztlichen Begutachtungsinstituts (ABI) vom 20. Mai 2008.
Dabei stellten die Ärzte für die bisherige Tätigkeit des Versicherten als
Maschinenmechaniker seit 9. August 2006 eine volle Arbeitsunfähigkeit fest,
wobei bereits vor dem Unfall vom 9. August 2006 eine wesentliche Einschränkung
der Arbeitsfähigkeit anzunehmen sei. Für eine angepasste Tätigkeit bestehe
seither eine medizinisch-theoretische Arbeits- und Leistungsfähigkeit von 30 %.
Nachdem sich der Versicherte gegen einen Vorbescheid der IV-Stelle vom 9. Juli
2008 gewandt hatte, ordnete diese mit Verfügung vom 16. Mai 2012 ein
bidisziplinäres Gutachten durch die Dres. med. C.________, Neurologie FMH, und
D.________, FMH Psychiatrie und Psychotherapie, an. Die dagegen eingereichte
Beschwerde wies das Kantonsgericht Basel-Landschaft am 28. Februar 2013 ab. Die
Expertise wurde am 22./29. November 2013 erstattet. Nach Durchführung des
Vorbescheidverfahrens sprach die IV-Stelle A.________ mit Verfügungen vom 6.
Januar 2015 vom 1. Juli 2003 - 31. Oktober 2006 eine halbe Rente, vom 1.
November 2006 bis 31. März 2008 eine Dreiviertelsrente und vom 1. April 2008
bis 31. März 2010 eine Viertelsrente der Invalidenversicherung zu.

B. 
A.________ erhob in drei separaten Eingaben Beschwerde gegen die Verfügungen
vom 6. Januar 2015 mit dem Antrag, es sei ihm ab 1. Juli 2003 eine ganze
Invalidenrente zuzusprechen. Die drei Verfahren wurden mit Verfügung vom 29.
Januar 2015 vereinigt. Mit Entscheid vom 30. Juli 2015 hiess das Kantonsgericht
Basel-Landschaft die Beschwerde teilweise gut und sprach dem Versicherten vom
1. November 2006 bis 31. März 2010 eine ganze Invalidenrente zu.

C. 
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
Rechtsbegehren, unter teilweiser Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei
ihm auch für die Zeit vom 1. Juli 2003 bis 31. Oktober 2006 sowie ab dem 1.
April 2010 eine ganze Invalidenrente zuzusprechen.

Erwägungen:

1. 
Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG).
Seinem Urteil legt es den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt
hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz,
auf Rüge hin oder von Amtes wegen, berichtigen oder ergänzen, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art.
95 BGG beruht, und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens
entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 105 Abs. 2 BGG).
Eine Sachverhaltsfeststellung ist nicht schon dann offensichtlich unrichtig,
wenn sich Zweifel anmelden, sondern erst, wenn sie eindeutig und augenfällig
unzutreffend ist (BGE 132 I 42 E. 3.1 S. 44). Es liegt noch keine
offensichtliche Unrichtigkeit vor, nur weil eine andere Lösung ebenfalls in
Betracht fällt, selbst wenn diese als die plausiblere erschiene (vgl. BGE 129 I
8 E. 2.1 S. 9; Urteil 9C_967/2008 vom 5. Januar 2009 E. 5.1). Diese Grundsätze
gelten auch in Bezug auf die konkrete Beweiswürdigung (vgl. Urteil 9C_999/2010
vom 14. Februar 2011 E. 1).

2. 
Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nur soweit vorgebracht werden, als erst
der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt, was in der Beschwerde näher
darzulegen ist (Art. 99 Abs. 1 BGG; BGE 135 V 194 E. 3 S. 196 sowie Urteile
8C_140/2008 vom 25. Februar 2009 E. 5.1 und 8C_826/2008 vom 2. April 2009 E.
3).
Wie der Beschwerdeführer selbst ausführt, hat er bereits im vorinstanzlichen
Verfahren eingewendet, dass das bidisziplinäre Gutachten D.________/C.________
mangelhaft und ohne Beweiswert sei. Das gleiche Argument hatte er bereits in
der Stellungnahme zum Vorbescheid vorgetragen. Es kann somit keine Rede davon
sein, dass erst durch den angefochtenen Gerichtsentscheid die Frage nach der
Aussagekraft des bidisziplinären Gutachtens D.________/C.________ thematisiert
worden wäre. Bei dem vom Beschwerdeführer letztinstanzlich ins Recht gelegten
Privatgutachten der Frau Dr. med. E.________, FMH Psychiatrie und
Psychotherapie, vom 10. Oktober 2015 handelt es sich demnach - unabhängig von
der Frage, ob echt oder unecht - um ein unzulässiges Novum, das im vorliegenden
Verfahren unberücksichtigt zu bleiben hat.

3. 
Der Beschwerdeführer bezeichnet das Gutachten C.________/D.________ vom 29.
November 2013 als schwer mangelhaft und leitet daraus ab, dass darauf für die
Beurteilung seiner Arbeits- und Erwerbsfähigkeit nicht abgestellt werden könne.
Dieser Betrachtungsweise kann jedoch nicht gefolgt werden. Die Ausführungen des
Beschwerdeführers haben weitgehend appellatorischen Charakter, und sie vermögen
nicht aufzuzeigen, inwiefern eine Bundesrechtsverletzung vorliegen sollte.

3.1. Für die Beurteilung der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit ist erforderlich,
dass die Gutachter zwischen Diagnosen mit und ohne Auswirkung auf die
Arbeitsfähigkeit unterscheiden. Die diesbezügliche Kritik der Parteigutachterin
Frau Dr. E.________ ist nicht zu hören (E. 2 hievor). Die Vorinstanz hat
nachvollziehbar dargelegt, dass für die Festlegung der Arbeitsunfähigkeit ab
2010 auf das Gutachten C.________/D.________ abgestellt werden kann. Entgegen
der in der Beschwerde vertretenen Auffassung können die Erkenntnisse im
verkehrspsychiatrischen/verkehrspsychologischen Gutachten des Dr. med.
F.________, FMH Psychiatrie und Psychotherapie, vom 24. August 2010, die der
Versicherte erst nach gerichtlicher Aufforderung vorlegte, wie auch im
neuropsychologischen Gutachten des Gregor Steiger vom 10. August 2012 für die
Beurteilung nicht ausser Acht gelassen werden, da sich aus diesen Expertisen
Rückschlüsse auf die Entwicklung der Arbeitsfähigkeit seit der Begutachtung im
ABI vom 20. Mai 2008 ergeben. In jenem Gutachten wird in der
neuropsychologischen Beurteilung ausgeführt, dass sich Leistungseinbussen sehr
deutlich im Bereich der Aufmerksamkeit, der kognitiven Interferenz-Stabilität,
des planmässigen Vorgehens und der Merkfähigkeit für Gegenstände und Wege auf
einem Stadtplan zeigen würden. Demgegenüber hielt Dr. med. F.________ am 24.
August 2010 fest, dass der Beschwerdeführer aktuell gut in der Lage sei, Reize
wahrzunehmen, diese folgerichtig zu interpretieren und daraufhin
Reaktionsschnellhandlungen zu setzen. Ebensowenig ergäben sich aus der
neuropsychologischen Untersuchung Anhaltspunkte, die das sichere Führen eines
Kraftfahrzeuges zurzeit in Frage stellen würden. Dieser Befund wird im
neuropsychologischen Gutachten, das zwei Jahre später durch Gregor Steiner
erstellt wurde, erhärtet, indem dieser erklärte, dass der Beschwerdeführer in
den computergestützten Aufgaben zur Aufmerksamkeitsprüfung gut in der Lage sei,
die Reize wahrzunehmen, unter verschiedenen Testbedingungen und bei
unterschiedlichem Anforderungsniveau korrekt zu werten und zu interpretieren
sowie folgerichtig und schnell zu reagieren. Aufgrund der Testergebnisse mit
dem objektivierten kognitiven Normalbefund sei aus neuropsychologischer Sicht
die Fahreignung uneingeschränkt gegeben. Weil das Lenken eines Motorfahrzeuges
an die kognitiven Fähigkeiten hohe Anforderungen stellt (vgl. Urteil 9C_258/
2014 vom 3. September 2014 E. 4.3), ist es angezeigt, rückwirkend für die
Prüfung der Entwicklung der Arbeitsfähigkeit seit Erstellung des ABI-Gutachtens
am 20. Mai 2008 bis zur Ablieferung des Gutachtens C.________/D.________ am 10.
Dezember 2013 auf diese verkehrspsychiatrischen und -psychologischen Gutachten
Bezug zu nehmen. Der Beschwerdeführer vermag den Widerspruch nicht aufzulösen,
dass er angibt (und dies auch dokumentiert), über die kognitiven Fähigkeiten zu
verfügen, ein Fahrzeug zu lenken, gleichzeitig aber die Auffassung vertritt,
für die Einschätzung seiner Arbeitsfähigkeit seien weiterhin die Erkenntnisse
des ABI-Gutachtens, die dies letztlich gerade negieren, massgebend.
Offensichtlich ist daher seit der Begutachtung im ABI bis zur
verkehrspsychiatrischen/verkehrspsychologischen Untersuchung durch Dr. med.
F.________ eine Verbesserung im Gesundheitszustand des Beschwerdeführers
eingetreten, die sich auf die Arbeitsfähigkeit auswirkt und welcher die
Vorinstanz durch entsprechende Berücksichtigung bei der Festlegung des
Invaliditätsgrades Rechnung getragen hat. Demgemäss hat das kantonale Gericht
die Beschwerde teilweise gutgeheissen, indem es dem Versicherten für die Zeit
vom 1. November 2006 bis 31. März 2010 eine ganze Invalidenrente zugesprochen
hat anstelle einer Dreiviertelsrente vom 11. November 2006 bis März 2008 und
einer Viertelsrente von April 2008 bis März 2010.

3.2. Der Beschwerdeführer vermag sodann keine konkreten Widersprüche in dem von
ihm kritisierten bisdisziplinären Gutachten C.________/D.________ aufzuzeigen.
Vielmehr bringt er bloss formelle Beanstandungen vor, die für den
Verfahrensausgang ohne Belang sind.

3.3. Des Weiteren rügt der Beschwerdeführer, dass keine neuropsychologische
Abklärung stattgefunden habe und das psychiatrische Gutachten des Dr. med.
D.________ unvollständig sei. Nach der Rechtsprechung kommt den Gutachtern -
was die Wahl der Untersuchungsmethoden betrifft - ein weiter Ermessensspielraum
zu (vgl. Urteile 9C_886/2009 vom 27. April 2010 E. 2.2 mit Hinweisen, 9C_514/
2012 vom 5. Oktober 2012 E. 4 und 8C_768/2012 vom 24. Januar 2013 E. 3). Dies
gilt auch für die Auswahl der vorzunehmenden fachärztlichen Abklärungen (Urteil
8C_277/2014 vom 30. Januar 2015; vgl. auch SUSANNE LEUZINGER-NAEF, Die Auswahl
der medizinischen Sachverständigen im Sozialversicherungsverfahren [Art. 44
ATSG], in RIEMER-KAFKA/RUMO-JUNGO, Soziale Sicherheit - Soziale Unsicherheit,
FS Murer, 2010, S. 419). Es lag demnach im Ermessen der Gutachter, weitere
Fachleute beizuziehen oder davon abzusehen.
Daher konnte für die Beurteilung auch die am 10. August 2012 erstellte
neuropsychologische Abklärung beigezogen werden. Die vom Beschwerdeführer gegen
das Gutachten D.________/C.________ vorgebrachte Kritik ist somit nicht
fundiert. Die beiden Fachärzte sind gemäss Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte (Urteil Spycher gegen die Schweiz vom 17.
November 2015) als von der Beschwerdegegnerin unabhängige Gutachter zu
betrachten, sodass den von ihnen gewonnenen Erkenntnissen auch unter diesem
Gesichtswinkel volle Beweiskraft zuzuerkennen ist. Die Vorinstanz hat deshalb
auf dieses Gutachten abstellen und dementsprechend die Arbeits- und
Erwerbsfähigkeit des Beschwerdeführers ermitteln dürfen. Ebenso hat das
Kantonsgericht gestützt auf die fachärztlichen Angaben zu Recht eine
Verbesserung des Gesundheitszustandes ab 2010 angenommen.

4. 
Der Beschwerdeführer rügt die Ermittlung des Invaliditätsgrades aufgrund der
Stellungnahmen zur Arbeitsunfähigkeit im bisdisziplinären Gutachten C.________/
D.________ zu Recht nicht. Auch insoweit ist der angefochtene Entscheid
korrekt.

5. 
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten dem unterliegenden
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung
Sozialversicherungsrecht, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen
schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 20. April 2016

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Widmer

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